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03.06.2011
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YAEL NAIM

Die Straße der Möglichkeiten

Yael Naim
Als Tochter tunesisch-jüdischer Eltern, die in Frankreich geboren wurde, in Israel aufwuchs und nun wieder in Frankreich lebt, ihre Songs aber auf Englisch schreibt und singt, hat Yael Naim einen wahrlich internationalen Hintergrund. Zwar geht es nicht so weit wie bei ihrer Kollegin Keren Ann Zeidel, die von sich sagt, so global zu sein, dass sie keine Muttersprache mehr habe, aber es fällt doch auf, dass Yael sich angenehm von vergleichbaren angelsächsisch geprägten Acts abhebt. Ein bisschen ist das auch ihr Problem: Nachdem sie über eine Apple-Werbung (die Steve Jobs höchstpersönlich initiierte) mit ihrem Song "New Soul" einen internationalen Hit verbuchen konnte, konnte das entsprechende Album, "Yael Naim", die an einen solchen Song geknüpften Erwartungen insofern nicht erfüllen, als dass sich darauf - auf Anraten von Yaels musikalischem Partner, David Donatien, den sie bei einer Musical-Arbeit kennenlernte - eine Reihe von Songs befand, die sie, unter dem Eindruck einer Trennung, auf Hebräisch geschrieben hatte. Gerade in den USA, wo "New Soul" auch ein Hit war, ist so etwas natürlich tödlich. Deswegen wundert es nicht besonders, dass Yaels neues Album, "She Was A Boy" - wie ihr in Vergessenheit geratenes Debütalbum "In A Man's Womb" - wieder ganz auf Englisch gehalten ist.

Dennoch wäre natürlich Yaels Begründung für diesen Schritt von Interesse. "Normalerweise schreibe ich sowieso ausschließlich auf Englisch", erklärt sie, "beim ersten Album (damit meint sie "Yael Naim", das erste Album mit David Donatien) gab es insofern eine besondere Situation, als dass ich damals fern meiner Heimat lebte und gerade von meinem israelischen Freund verlassen worden war. Ich war damals sehr traurig und um mich wieder mit meinen Wurzeln zu verbinden und um die Sache zu verarbeiten, schrieb ich zum ersten Mal in meinem Leben auf Hebräisch. Danach wurde alles wieder besser und ich brauchte mich nicht mehr zu trösten. Als ich danach versuchte, noch ein Mal auf Hebräisch zu schreiben, funktionierte es nicht richtig. Ich wollte das auch nicht erzwingen, und deswegen beließ ich es dabei auf Englisch zu singen." Das heißt also, Hebräisch ist nur für Yael nur für bestimmte Arten von Songs zu gebrauchen? "Das könnte man so sehen", pflichtet Yael bei, "ich würde sagen, es ist für besondere Arten von Anlässen." Was hat Yael denn auf dem neuen Album musikalisch inspiriert? Anders als das letzte ist dieses nämlich nicht großteils melancholisch geprägt, sondern strahlt eine durchweg positive Energie aus. "Ich mag Musik, die gemischt erscheint", verrät sie, "etwa wenn Nina Simone klassische Musik mit Jazz kombiniert. Ich mag es, wie Tom Waits die Perkussion dazu nutzt, Klänge zu erzeugen, die man noch nie gehört hat. Ich liebe klassische Musik in Bezug auf die Harmonien, die Stimmen und die Orchestrierung. Und ich liebe Pop."

Ihre Militärzeit verbrachte Yael im israelischen Luftwaffen-Orchester. Das lässt vermuten, dass Yael eine klassische Ausbildung hat? "Ja ich habe klassisches Klavierspiel seit dem Alter von zehn Jahren studiert und wollte zunächst auch klassische Musik machen. Dann habe ich aber Pop-Musik entdeckt und die Freude auf der Bühne zu singen." Das "erste" Album entstand - in enger Zusammenarbeit mit David Donatien - in Yaels Pariser Wohnung. War das bei dem neuen Werk auch der Fall? "Ja, es wurde wieder zu Hause aufgenommen - nur dass ich in ein größeres Apartment mit einem Garten gezogen bin, um der Natur näher zu sein", erklärt Yael, "was sich noch geändert hat, ist, dass das erste Album ziemlich melancholisch war und ich dieses Mal eben fröhlich gestimmt war. Ich habe natürlich wieder mit David zusammengearbeitet. Aber während wir beim ersten Album nur einen Computer zur Verfügung hatten, gab es dieses Mal zwei. Unsere beste Musik entsteht, wenn wir uns streiten. Bei einem Computer war das recht schwierig, jetzt ist daraus aber ein konstruktiver Prozess geworden. Wir haben dann jeder an seiner Version des Songs gearbeitet, beides verglichen, und dann das Beste aus beiden Versionen zusammengesetzt. Das war sehr schön, da wir so mehr Freiheiten hatten und uns einen guten Kampf um musikalische Ideen leisten konnten." Wie ist denn die Aufgabenteilung im Team Naim/Donatien? "Ich schreibe und komponiere die Songs und dann machen wir alles zusammen - die Arrangements, die Aufnahmen, die Produktion. Wir lösen uns dabei ab - mal stellt er die Mikros auf, mal nehme ich etwas auf, mal spiele ich etwas und mal er. Er spielt als Perkussionist natürlich die meisten Drum-Parts und Percussion und dazu Bass und etwas Gitarre und Keyboard. Ich spiele hauptsächlich Gitarre und singe und spiele, was immer sich sonst noch ergibt. Es ist ein sehr informeller, freier Prozess. Es ist manchmal wie ein Ping Pong-Spiel, das hin und her geht." Bei einem Song, dem auch als Single ausgekoppelten "Go To The River", hat David die Musik geschrieben. "Ja, es ist so, dass ich schon mein eigenes Material schreiben muss - weil ich mich nur so ausdrücken kann. Aber wenn ich einen guten Song von jemand anderem finde, dann verschließe ich mich dem nicht. Auf dem ersten Album habe ich ja auch einen Song mit jemandem anderen geschrieben. Es gibt dabei keine Regeln, sondern ich möchte mich für alles offen halten. Und 'Go To The River' ist ja auch ein toller Song."

Das Covermotiv zeigt Yael in einer stilisierten Dschungel-Landschaft, mit einem Vogel in der Hand (dieses Motiv wird mehrmals variiert). Sie erwähnte ja bereits, dass sie in ein neues Apartment umgezogen sei, um der Natur näher zu sein. Wie wichtig ist die Natur als Inspirationsquelle für Yael Naim? "Ich war der Natur als Kind durchaus näher als heutzutage", erinnert sich Yael, "als ich dann nach Paris zog, war ich natürlich ziemlich weit weg von der Natur. Das ist dann auch der Grund, warum ich umgezogen bin, denn immer, wenn ich in der Nähe von einem Wald bin, fühle ich mich gut. Ich wäre also der Natur lieber noch ein bisschen näher, weil Natur nun mal das Leben darstellt. Ein Gebäude ist eben nicht lebendig. Ich finde so etwas schon wichtig." Solche Aspekte - also die Perspektive auf bestimmte Themen zu lenken - spielen auch in Yaels Videos eine große Rolle. Diese illustrieren ihre Songs auf humorvolle Weise, wobei Zeit und Raum vollkommen losgelöst erscheinen. Inwieweit ist Yael hierbei involviert? "Ich bin bei allen Aspekten meiner Arbeit involviert. Bilder sind ja auch sehr wichtig. Die Videos sind eine Fortsetzung der Songs auf visueller Ebene. Das gilt auch für das Artwork und die Fotos auf dem Booklet. Deswegen arbeite ich eng mit den visuellen Künstlern zusammen." Wo findet Yael dabei dann die Themen ihrer Songs? "Die meisten basieren auf persönlichen Erlebnissen oder auf jenen von Leuten, die mir nahe stehen und die mich interessieren. Der Titelsong, 'She Was A Boy', handelt zum Beispiel von einer Frau, die anders ist als andere und deswegen ausgegrenzt wird und durch eine persönliche Beziehung Kraft und Ausgeglichenheit erfährt. Das ist etwas, was ich nachempfinden kann - vielleicht nicht so sehr wie die Frau selbst - aber es ist etwas, was mich interessierte. Es geht darum, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist." Gibt es einen roten Faden, der alles zusammenhält? "Ich denke nicht, dass es ein Thema gibt", schränkt Yael ein, "es sind halt ein paar Songs zu Themen, die mich interessieren. Auf dem ersten Album ging es darum, etwas demütiger zu werden und darum, dass ich nicht so viel wusste, wie ich dachte, dass ich wüsste. Das neue Album sollte war so eine Art Straße der Möglichkeiten, die sich mir eröffneten und es ging um die Entdeckung aller Farben, die in der Welt existieren. Die Erkenntnis ist hierbei für mich, dass alles so reichhaltig ist - Musik und Kultur etwa. Das Thema - wenn ich es denn festlegen müsste - ist, dass man viele Möglichkeiten hat und viel entdecken und lernen kann."

Yael Naim
Das, was Yaels Musik auszeichnet, ist der Umstand, dass diese nicht spezifisch einer bestimmten Richtung zuzuordnen ist, dezidiert nicht nach britischer oder amerikanischer Popmusik klingt, sondern für alle möglichen Einflüsse offen zu sein scheint. Wie entstehen diese Songs eigentlich? "Es beginnt für mich meist mit einem Gefühl - durchaus auch musikalischer Natur. Und dann habe ich für gewöhnlich ein Instrument zur Hand - egal welches. Ich nehme dann gleich etwas auf, um dieses Gefühl zu konservieren und dabei - wie soll ich sagen - kommen mir dann auch die Texte in den Sinn. Das ist es dann erst mal. Es geht darum, die Inspiration zu einem geeigneten Zeitpunkt einzufangen. Es ist fast so, als dass die Songs schon existieren und ich diese bloß abzurufen brauche. Manchmal braucht es etwas Zeit, die Songs fertig zu stellen, manchmal ist das Arrangement bereits ein Teil des Songwriting-Prozesses - es beginnt aber eigentlich immer alles mit der Musik." Der letzte Song auf der CD "Game Is Over" ist in einem charmanten Gemisch aus Englisch und Französisch zusammengesetzt, wobei sich französische Worte auf englische Textzeilen reimen. Das ist ja schon eher ungewöhnlich. "Ja, das ist witzig", bestätigt Yael, "eine Freundin von mir machte mich ein Mal darauf aufmerksam, dass ich dazu tendiere, die Sprachen zu mischen - einen Satz in Englisch zu beginnen und auf Französisch fortzusetzen. Da dachte ich, dass dass doch eine gute Idee für einen Song sei. Da meine Freundin zu der Zeit eine Trennung durchlebte, nutzte ich das als Ausgangspunkt für diesen Song. Mein Gedanke dabei war der - da ich ja auch eine Trennung durchlebt hatte -, dass es manchmal auch ganz gut für einen selbst ist, wenn die Beziehung vorbei oder das Spiel beendet ist. Man ist zwar niedergeschlagen, kann sich aber auch einreden, dass es nun mit irgendwelchen irritierenden Sticheleien ein Ende hat." Das passt ja ganz gut zu den positiven Vibes, die die Ausgangslage des neuen Albums bildeten. Wie wird Yael diese auf der anstehenden Tour präsentieren bzw. darstellen? "Wir sind zu fünft auf der Bühne und werden versuchen, den Gehalt des Albums - sowohl die intimen Momente, wie auch die orchestrierten, kraftvollen Passagen - adäquat umzusetzen. Und dann wird es ein Bühnenbild geben, das dem des Album-Covers entspricht. Wir werden uns auch bemühen, die Arrangements des Albums auszuweiten und einen gewissen Anteil an Improvisationen zuzulassen. Für mich soll das Ganze so sein, als ginge man in einen Film. Wir wollen versuchen eine ganz eigene Live-Welt zu erschaffen und dann die Leute einzuladen, daran teilzuhaben." Grob gesehen, ist es gerade dieses Mehrwert-Denken, was den Reiz auch an Yael Naims aktueller Scheibe ausmacht, die in diesem Sinne tatsächlich "larger than live" ist. Was gute Popmusik im Übrigen sowieso auszeichnen sollte...

Weitere Infos:
www.yaelweb.com
de.wikipedia.org/wiki/Yael_Naim
en.wikipedia.org/wiki/Yael_Naim
www.myspace.com/yaelnaim
www.facebook.com/yael.naim
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Yael Naim
Aktueller Tonträger:
She Was A Boy
(Tot Ou Tard/Rough Trade)
 

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