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29.07.2011
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NEW ORDER

Substanz

New Order
Es gibt Musiker, die muss man eigentlich nicht vorstellen. Bernard Sumner, Stephen Morris und Peter Hook gehören ohne Frage dazu. Tun wir's trotzdem: Inspiriert vom aufkommenden Punk gründen die drei Herren gemeinsam mit dem Sänger Ian Curtis eine Band, deren düster-melancholische Musik bis heute Widerhall findet: Joy Division. Nach zwei brillanten Alben, Single-Klassikern wie "Love Will Tear Us Apart" und vielen gesundheitlichen wie privaten Problemen nimmt sich Curtis 1980 das Leben. Die verbliebenen drei Musiker rekrutieren Morris' Freundin Gillian Gilbert, geben sich einen neuen Namen - New Order - und schon bald ein neues musikalisches Image. Mit Hits wie "Blue Monday" erobern sie die Welt der (synthetischen) Popmusik. Joy Division werden praktisch erst wieder zum Thema, als Gilbert die Band aus familiären Gründen verlässt und 2001 durch Phil Cunningham ersetzt wird. Nun erscheinen erstmals Tracks beider Bands auf einem Album: "Total - From Joy Division To New Order".

Während es für die Marketingabteilung des Labels und viele Outsider eine große Sache zu sein scheint, dass die berühmtesten Tracks beider Bands nun auf einem Tonträger vereint sind, ist es für Bernard Sumner keine große Sache, wie er im Gespräch mit Gaesteliste.de verrät: "Für Außenstehende mögen sie wie zwei verschiedene Bands wirken, für mich dagegen ist es die gleiche Band mit zwei verschiedenen Sängern", sinniert er. "Sie ist mein Leben, schließlich war ich 21, als ich mit Joy Division anfing, und ich habe seitdem praktisch nichts anderes gemacht. Ich finde, dass dadurch, dass jetzt beide Bands auf einer Scheibe zu finden sind, ihre Entwicklung sehr gut nachgezeichnet wird. Mir gefällt die Chronologie. Das Label wollte die Songs beider Bands ursprünglich mischen, aber diese Idee fand ich fürchterlich. So wie sie nun ist, finde ich die Platte okay. Einige Puristen werden das sicher anders sehen, und auch Stephen mag sie nicht." Eine Aussage, die der Drummer nur zu gerne bestätigt: "Ja, das stimmt. Ist das Ganze nicht irgendwie seltsam? Ich finde das etwas schizophren. Dabei mag ich Compilations eigentlich. Das erste Velvet Underground-Album, das ich mir gekauft habe, das mit der Coke-Flasche ("Andy Warhol's Velvet Underground featuring Nico"), war ja eine Zusammenstellung von Songs der ersten drei Alben, aber bei unserer eigenen Musik habe ich ein komisches Gefühl. Vielleicht liegt es daran, dass ich es seltsam finde, dem Publikum das Gleiche noch einmal zu verkaufen. Das ist schließlich nicht unsere erste Compilation. In meinen Augen haben wir eigentlich bereits alles gesagt, als wir damals mit 'Substance' alle Singles zum ersten Mal zusammengefasst haben. Trotzdem besteht kein Zweifel daran, dass es sich um großartige Songs zweier großartiger Bands handelt." Spricht's und muss erst einmal lachen.

Immerhin ist die Compilation ein willkommener Anlass, die Frage nach dem Geheimnis des Erfolges sowohl von Joy Division als auch von New Order zu stellen. "Bei Joy Division war es vermutlich wirklich die besondere Chemie, die zwischen uns vieren herrschte", glaubt Morris. "Deshalb war es nach Ians Tod auch so schwierig für uns herauszufinden, in welche Richtung wir uns in Zukunft bewegen sollten. Klar war anfangs nur, dass wir uns nicht einfach einen neuen Sänger suchen würden. Der Vorschlag, Gillian in die Band zu holen, um Gitarre zu spielen, kam von unserem Manager Rob Gretton. Letztlich hat es ja auch funktioniert, aber zunächst war es nicht einfach, vor allem, weil es uns bei Joy Division stets so leichtgefallen war, Songs zu schreiben. Bei Joy Division fühlte sich immer alles vollkommen natürlich an, bei New Order dagegen schien zu Beginn alles unnatürlich zu sein." Ein interessantes Statement, denn zumindest Spätgeborene nehmen vermutlich Joy Division als problembehaftete Band wahr, in deren Zentrum die tragische Figur Ian Curtis stand, währen New Order durch wunderbar leichtfüßige, zumindest musikalisch geradezu unbeschwert klingende Pop-Hymnen wie "Blue Monday" oder "True Faith" in Erinnerung geblieben sind. "Zugegeben, als wir 'True Faith' aufgenommen haben, hatten wir die Kämpfe alle erfolgreich ausgefochten", lacht Morris. "Außerdem haben wir uns zu dem Zeitpunkt nicht mehr ganz so ernst genommen, wir sind etwas aufgetaut und hatten eine Menge Spaß. Zuvor hatten wir das Ganze sehr, sehr ernst genommen." Dass New Order dem dunkel gefärbten Sound von Joy Division den Rücken kehrten, war anfangs vor allem dem Zeitgeist und den veränderten technischen Möglichkeiten geschuldet. "Dass wir mit New Order eine elektronische Richtung eingeschlagen haben, lag daran, dass wir viel in Amerika unterwegs waren und viel Dancemusic aus den Clubs in New York hörten", erinnert sich Sumner. "Außerdem hatte ich einen Freund in Berlin, der mir immer die neuesten 12"-Singles mit europäischer Tanzmusik schickte, und ein befreundeter DJ aus New York schickte mit Bänder der Musik, die die dortigen Radiosender spielten. Das Herumreisen entpuppte sich also als wichtiger Einfluss, denn so wurden wir auf Musik aufmerksam, die es so in unserer Heimatstadt (noch) nicht gab. Außerdem war Equipment für elektronische Musik bis 1981 einfach unerschwinglich. Ein Synthesizer kostete praktisch so viel wie ein Haus."

New Order
Obwohl die Musik von New Order deutlich poppiger war als die von Joy Division - Kompromisse hat die Band nie gemacht. Ein Umzug von Manchester nach London kam ebenso wenig infrage wie eine Abkehr vom Indielabel Factory Records. Den Majorvertrag unterschrieben New Order erst, als Factory die Segel gestrichen hatte. Das brachte der Band viele Sympathien bei Presse und Publikum ein. "Wenn wir von Anfang an bei einem Majorlabel gewesen wären, wäre unser Stern für ein paar wenige Jahre vielleicht noch heller erstrahlt, aber dann wären wir sicherlich verschwunden und hätten keine so lange Halbwertszeit gehabt", ist Sumner überzeugt. "Unseren Plattenverkäufen hätte ein Umzug nach London und ein Majorvertrag fraglos gutgetan, aber ich glaube kaum, dass ich dann heute hier sitzen und mit dir sprechen würde."

Weitere Infos:
www.neworderonline.com
de.wikipedia.org/wiki/New_Order
de.wikipedia.org/wiki/Joy_Division
Interview: -Martin Nowak-
Fotos: -Pressefreigaben-
New Order
Aktueller Tonträger:
Total - From Joy Division To New Order
(Rhino/Warner Music)
 

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