Fenster schließen
 
10.02.2012
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1407
 
BIG DEAL

Dirty And Pretty

Big Deal
So lautet entgegen aller Mutmaßungen nicht die gegensätzliche Persönlichkeitsbeschreibung der beiden Mitglieder Alice Costelloe und Kacey Underwood des amerikanisch-englischen Duos Big Deal, sondern lediglich ihre Vorliebe für verzerrte Gitarren. Ein Instrument, das die beiden so zusammenschweißt hat, dass sie in den Songs auf ihrem Debütalbum "Lights Out" gänzlich auf andere musikalische Untermalungen verzichten und allein dem gezupften Saiten-Wechselspiel sowie Duett-Gesang frönen. Dass sie sich trotzdem als Rock-Band verstehen, betonen die beiden immer wieder mit Nachdruck und verstecken sich auf der Bühne höchstens hinter ihren Haaren, jedoch nicht hinter ihrem überschaubaren Equipment oder den daraus hervorgehenden Songs. Wir trafen die beiden wagemutigen Musiker, die es zu zweit mit dem Musikzirkus aufnehmen, in Berlin und ließen uns von ihnen berichten, wie man mit groß angelegten Bandnamen wie ihrem und kritischen Bookern umgeht, und warum die Gitarre dem Sythesizer einen ganzen Schritt voraus ist.

Big Deal - möchte man mehr über die Band erfahren, führt die allgemeine Recherche erst einmal über viele Umwege und Holpersteine zu den beiden Musikern, die sich einst in London durch Gitarrenunterricht kennenlernten. Alice als Schülerin, Kacey als Lehrer. Der Bandname, der auf den ersten Blick etwas großspurig wirkt, scheint bei Musikern so beliebt zu sein, dass sich weltweit gleich eine ganze Anzahl von Bands findet, die auf denselben Namen hören. Ob englische Hochzeitsband, australische Cover-Band oder amerikanische Rock'n'Roll-Band - Big Deal haben namentlich so einiges an Konkurrenz, die zum Glück nicht mehr ganz so groß scheint, wenn der Blick auf das musikalische Ergebnis fällt. Ist die Wahl des Bandnamens dennoch so etwas wie ein Fluch? "Es jagt mir ein wenig Angst ein, dass es so viele Bands mit demselben Namen da draußen gibt. Und sie machen zudem alle schreckliche Musik!", sagt Alice amüsiert. Ihr Bandkollege Kacey versucht zu erläutern, warum es dennoch bei diesem und keinem anderen Namen geblieben ist: "Wir haben den Bandnamen als reinen Witz gewählt und sind uns der darin enthaltenen Ironie bewusst. Ich bin mir nicht so sicher, ob das bei den anderen Bands auch der Fall ist. Es gibt schon Momente, in denen ich die Wahl des Bandnamens etwas bedauere. Wir haben immer gedacht, dass irgendwann jemand auf uns zukommen und uns praktisch zwingen würde, den Namen zu ändern, aber komischerweise war das nie der Fall. Dabei haben wir die ganze Zeit damit gerechnet. Wir haben wirklich nicht gedacht, dass wir damit durchkommen würden. Ich hätte erwartet, dass uns eine dieser Hochzeitsbands verklagt!"

Bis zur Veröffentlichung ihres Debüts "Lights Out" flatterten zum Glück noch keine Klagen ins Haus. Aus einem einstigen Witz wurde Ernst, Alice und Kacey schlugen bewusst den Weg als Duo ein und der Name blieb. Im Gegensatz zu dessen ironisch geprägter Natur, verhält es sich mit der Namenswahl ihrer Songtitel aber ganz anders, wie Kacey bekräftigt: "Bei unseren Songtiteln haben wir definitiv mehr Ernsthaftigkeit bewiesen. Eigentlich haben wir nach der Wahl unseres Bandnamens nie wieder etwas getan, das annähernd von so viel Witz geprägt war." Witz hin oder her - spätestens die persönlichen Texte, die zwischenmenschliche Beziehungen aufgreifen, sowie das durchdachte Klangbild weisen darauf hin, dass man es bei dem Duo nicht mit einer Spaß-Band zu tun hat.

Eine musikalische Einordnung fällt der Öffentlichkeit augenscheinlich schwer und so mussten sich beide schon frühzeitig mit Vorurteilen auseinandersetzen, die ihnen vonseiten der Booker entgegenschlug: "Es kam hier und da vor, dass wir als Duo nicht so ernst genommen wurden, weil viele im Vorfeld damit rechneten, dass so etwas gar nicht funktionieren könnte. Schon gar nicht live, wenn es nur zwei Gitarren gibt. Wir werden oft automatisch in eine Ecke mit Folk-Bands oder Singer/Songwritern gestellt, wenn es darum geht, Konzerte zu planen. Dabei wollen wir in keine dieser Schubladen gesteckt werden. Wir wollen als Rock-Band wahrgenommen werden! Wir haben uns selbst nie als etwas anderes betrachtet. Vielleicht sind wir eine etwas reduziertere Variante einer klassischen Rock-Band, aber unter dem Strich eben genau das", verkündet Kacey mit Bestimmtheit in seiner Stimme. Alice pflichtet ihm schnell bei: "Wir sind 'The Essence of Rock'. Julian Casablancas von The Strokes hat doch letztes Jahr für eine große Marke einen Werbespot gedreht und dieser Satz wurde am Ende eingeblendet. Trifft doch auch wunderbar auf uns zu, oder?"

Wenn so viele vorgefertigte Meinung auf einen niederprasseln und Erwartungen an einen gestellt werden, die man nicht bedienen will oder kann - glaubt man dann erst recht daran, seinen eigenen Weg gehen zu können oder lässt man sich vielleicht doch schnell von den äußeren Umständen kleiner machen als man ist? Alice beäugt die Anfangsphase der Band mit einem leicht kritischen Blick und gibt zu: "Unser musikalischer Hintergrund sieht so aus, dass wir beide in Bands mit einem größeren Line-Up gespielt haben. Natürlich hatten wir am Anfang Zweifel, ob wir es in einer so kleinen Besetzung schaffen könnten, etwas Anständiges auf die Beine zu stellen. Rückblickend betrachtet war das ein großer Schritt für uns uns deswegen, auch ein 'Big Deal'. Wir sind verletzlicher als eine normale Band, gerade weil wir zu zweit absolut nichts verstecken können, wenn wir auf der Bühne stehen. Jeder noch so kleine Fehler wird uns sofort zum Verhängnis." Wo auf der großen Bühne das fünfte Bandmitglied in aller Ruhe doch einmal aus der Reihe tanzen kann, bleibt dem amerikanisch-englischen Duo nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und ihren eventuellen Fehlern ins Gesicht zu blicken. Das mahnt bereits im Vorfeld zur Vorsicht und verleitet dazu, bestimmte Vorkehrungen zu treffen, an die andere Bands im Rock'n'Roll-Business nicht einmal im Traum denken würden. Kacey kann ein Lied davon singen: "Wir können vor unseren Shows keinen Alkohol trinken oder Gras rauchen. Wir können nicht einmal etwas essen. Stell dir vor, einer von uns rülpst auf der Bühne... das hört man doch sofort!"

Einmal von Einschränkungen dieser Art abgesehen, bringt die kleine Bandbesetzung aber auch so manchen Vorteil mit sich, der die Arbeit erleichtern kann, wie Alice zu berichten weiß: "Ein großer Vorteil ist, dass wir uns allgemein weniger Sorgen machen müssen. Jeder von uns trägt eine größere Verantwortung und alles ist gleichmäßig verteilt. Je mehr Leute mit im Spiel sind, umso anstrengender kann es sein, alles zusammenzuhalten und selbst kleine Dinge zu erledigen." Wo sich andere Bands gerne gegenseitig die Aufgaben in die Schuhe schieben, im umgekehrten Fall ein Control Freak alles an sich reißt oder gar das Management alle Zügel straff in der Hand hält, halten es Big Deal dagegen ganz harmoniebedürftig mit einem gut ausbalancierten Gleichgewicht und schwören auf ihr Rezept, bei dem ein chaotisches Durcheinander fast ausgeschlossen ist: "Innerhalb einer Band von vier oder fünf Leuten kommt es oft vor, dass man bestimmte Aufgaben einer einzelnen Person zuteilt und sich dadurch anderen Kompetenzen entzieht. Das passiert fast automatisch, weil nicht jeder ein Auge auf alles haben kann. So etwas kann funktionieren, aber auch zu Schwierigkeiten führen. Die Gruppendynamik ist letztendlich doch eine ganz andere im Vergleich zu einem Duo. Wenn ich etwas nicht tue, dann weiß ich ganz genau, dass es auf Alice abfällt oder umgekehrt", gibt sich Kacey einsichtig.

Doch warum finden immer mehr Duos ihre eigene kleine Nische im Musikkosmos und können dort ihrem Wunsch nachgehen, ohne gestärkt durch eine große Anzahl von Bandkollegen zielgerichtet und ohne allzu viele Kompromisse die Musik zu machen, die ihnen vorschwebt? Eine Frage, die sich auch Kacey immer öfter stellt: "Ich frage mich, ob die Menschen da draußen wirklich alle auf einmal so ein offenes Ohr für Bands wie uns haben, die einen klanglich doch eher minimalistischen Ansatz verfolgen, oder ob es nicht so ist, dass die meisten Musiker gar nicht anders können, als auf diesem Wege kreativ zu sein, weil sie die Musikindustrie und alle Umstände dazu zwingen. Wenn man es heutzutage in diesem Business schaffen will, dann muss man entweder das eine oder das andere Extrem wählen. Du kannst ganz groß auffahren und in einer Band mit dreißig Personen spielen, oder du tust genau das Gegenteil und hälst alles so klein wie nur möglich. Ehrlich gesagt, ich sehe diese verstärkte Entwicklung hin zum kleineren Line-Up eher als Anzeichen dafür, dass es immer schwieriger wird, sich als Musiker durchzuboxen." Dank der modernen Technologie braucht es ja kaum noch die physische Präsenz einer ganzen Horde von Musikern, die sich die Seele aus dem Leib spielen und sich im Tourbus im Zentimeterabstand voneinander die Nächte um die Ohren schlagen: "Nur, weil man zu zweit ist, heißt das ja nicht, dass das auch musikalisch gesehen zum Ausdruck kommen muss. Die heutige Technologie ermöglicht einem einen so großen Spielraum, dass man auch gut ohne eine riesige Band im Rücken auskommen kann, wenn man denn will. Wir haben für uns beschlossen, nicht mithilfe von irgendwelchen Technologien zu arbeiten, was unseren Sound angeht. Wir wollen es so natürlich wie nur möglich halten, was aber nicht heißt, dass wir völlig dagegen sind", betont Kacey.

Auch Alice sieht die Arbeit als Duo in einem ähnlichen Licht und stellt sich der kreativen Herausforderung gerne: "Es ist nicht einfach, mit so wenigen Mitteln zurechtzukommen, aber gleichzeitig lehrt einen das auch neue Wege zu beschreiten. Man kann sich nicht auf das Schlagzeug oder einen wummernden Bass verlassen, sondern - wie in unserem Fall - allein auf zwei Gitarren. Das beeinflusst das Songwriting wirklich sehr und macht es vor allen für uns spannend damit umzugehen." Zwei Gitarren, zwei Menschen - wie genau lassen sich in einer so kleinen Runde besonders gut Spannungsmomente oder gar Reibungspunkte erzeugen, so dass das Spiel nicht plötzlich zum Einheitsbrei mutiert? Kacey hat da seine ganz eigene Vorstellung, was die musikalische Ausrichtung der Band angeht: "Normalerweise spielt Alice auf der Bühne eine elektrische und ich eine akustische Gitarre. Es ist uns wichtig, uns in dieser Hinsicht ein wenig voneinander abzugrenzen, auch wenn das für viele vielleicht nicht danach aussehen mag. Kings Of Convenience haben das zum Beispiel nicht in dieser Form nötig. Da passt alles wunderbar so wie es ist und sie ergänzen sich, obwohl sie vergleichsweise ähnlich sind, was das Zusammenspiel angeht. Ich habe die beiden vor einer Weile live gesehen und das war mit Abstand eines der besten Konzerte!"

Big Deal
Die Liebe zur Gitarre haben sowohl Kacey als auch Alice schon im Kindesalter entwickelt. Grund genug einmal nachzuhaken, warum kein anderes Instrument an die Gitarre herankommt. Kacey schwärmt sofort drauflos: "Für mich ist die Gitarre definitiv das beste Instrument der Welt! Das sage ich jetzt vielleicht auch nur, weil ich quasi damit groß geworden bin und schon früh Zugang dazu hatte. Mein Bruder hatte eine Gitarre, die immer unter seinem Bett lag. Er spielte aber die ganze Zeit nur Football und da habe ich sie mir eines Tages einfach genommen! Er hat erst nach zwei oder drei Jahren Wind davon bekommen, und dann war es zu spät und er hat sie nicht mehr zurückgefordert." Kaum war die Gitarre erst einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit der beiden gerückt, kristallisierte sich wenig später auch schon eine Vorliebe für amerikanische Gitarren-Bands heraus, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt zum Beuteschema des Duos zählen würde. "Wir lieben alle möglichen Pedals, um unseren Sound in verschiedene Richtungen zu formen. Sonic Youth verstehen es ihren ganz eigenen Sound damit zu schaffen, wofür ich sie sehr bewundere", bemerkt Alice begeistert.

Auch Kacey zieht es in diese Richtung und er versucht, seine Wertschätzung für Rock-Bands mit den folgenden Worten auszudrücken: "Ich war schon immer ein Fan von Gitarren-Bands wie Sonic Youth, My Bloody Valentine und The Smashing Pumpkins. Alle diese Bands haben diesen dreckigen, aber gleichzeitig auch hübschen Sound zu ihrem Markenzeichen gemacht und gezeigt, dass sich laute Gitarren und gute Melodien nicht ausschließen müssen. Dirty and pretty! Ich mag es, wenn Gitarren einen 'menschlichen Klang' erzeugen und ähnlich wie Streicher auf diese Weise Gefühle zum Ausdruck bringen können. Synthesizer können das zum Beispiel nicht und sind mir deswegen etwas fremd. Wenn ich eine Gitarristen spielen höre, dann will ich heraushören und fühlen können, was gerade in der Person vorgeht, die die Gitarre spielt. Das ist für mich mit das Wichtigste, wenn ich Musik höre oder auch selbst spiele. Ein Instrument ist immer ein Ventil für Gefühle, die dadurch an die Oberfläche gelangen." Zusammen mit seiner Kollegin Alice Costelloe möchte Kacey Underwood eben jenes Ventil zu seiner Gefühlswelt öffnen und durch die stets miteinander kommunizierenden und harmonierenden Gitarren Außenstehenden zugänglich machen. Auf dem Debütalbum "Lights Out" gelingt dieser Vorsatz mit nur wenigen Mitteln erstaunlich gut und überzeugend.

Weitere Infos:
www.wearebigdeal.com
www.facebook.com/weareabigdeal
soundcloud.com/big-deal
www.youtube.com/user/bigdealmusicvideos
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Big Deal
Aktueller Tonträger:
Lights Out
(Mute/GoodToGo)
 

Copyright © 2012 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de