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17.02.2012
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FIRST AID KIT

Close Harmony und Ego-Shooter

First Aid Kit
Als First Aid Kit vor rund vier Jahren auf der Bildfläche auftauchten, war Sängerin und Gitarristin Klara Söderberg gerade einmal 15, ihre Schwester Johanna, die Keyboard spielt und den Harmoniegesang übernimmt, 18. Dass den zweien irgendwann der große Wurf gelingen würde, das ließ bereits ihr feines, Anfang 2010 veröffentlichtes Debütalbum "The Big Black & The Blue" erahnen. Dass das schwedische "Familienunternehmen" - neben den beiden Schwestern gehört auch Vater Benkt als Co-Produzent, Studio-Bassist und Live-Mixer zum Team - diese Großtat nun bereits mit dem unlängst erschienenen zweiten Album, "The Lion's Roar", abliefert, ist dennoch eine kleine Überraschung, wenngleich natürlich eine äußerst positive.

Den Grundstein für First Aid Kit legten die beiden Mädels mit den sagenhaften Stimmen bereits im Kindesalter. Kaum in der Grundschule, sangen sie Popsongs, die sie im Radio aufschnappten. Stücke von Whitney Houston seien genauso dabei gewesen wie welche von Mariah Carey und Alicia Keys, erinnern sie sich beim Treffen mit Gaesteliste.de am Valentinstag in Köln. "Mit 12 habe ich dann Musik entdeckt, die mich auf ganz andere Weise berührt hat, zum Beispiel durch die Texte. Das waren Bright Eyes und ähnliche Künstler", erzählt Klara. "Von dem Punkt an nahm ich die Musik wirklich ernst, sie wurde zu meiner Leidenschaft. Zuvor war es einfach mein Hobby, ein bisschen zu singen." Mit 14 begann Klara, eigene Songs zu schreiben. Auf die Idee, ihre Schwester daran zu beteiligen, kam sie zunächst nicht. Doch als Johanna von sich aus vorschlug, den Harmoniegesang zu den Eigenkompositionen ihrer großen Schwester beizusteuern, war der Grundstein für First Aid Kit gelegt. Seitdem geht es Schlag auf Schlag für die beiden Schwedinnen. Zeit, ihr Erfolgsrezept zu entschlüsseln, hatten sie deshalb bislang nicht. "Alles passierte so schnell", bestätigt Johanna. "We just do it as we live."

Obwohl die zwei schon früh anfingen, eigene Stücke zu schreiben, erfuhr das Duo den ersten großen Popularitätsschub aufgrund einer Coverversion. Ihre herzerweichende Version des Fleet Foxes-Songs "Tiger Mountain Peasant Song" stieß für Klara und Johanna 2008 das Karrieretor ganz weit auf. Vielleicht auch deshalb tauchen bis heute immer wieder Coverversionen im Programm von First Aid Kit auf. Während die meisten davon in die gleiche stilistische Kerbe hauen, fällt der Electro-Pop-Song "When I Grow Up" von Fever Ray, der bei der aktuellen Tournee im Set ist, ein wenig aus dem Rahmen. "Karin von Fever Ray und The Knife hat ja 2008 unsere erste EP auf ihrem Label veröffentlicht, und wir sind schon lange mit ihr befreundet und wollten schon immer mal einen ihrer Songs covern", erklärt Johanna. "Ich liebe The Knife und ich liebe elektronische Musik, und sie schreibt wirklich tolle Songs. Bei diesem war es vor allem der Text, der uns davon überzeugt hat, dass wir uns daran versuchen könnten. Die Nummer ist einfach großartig, und es hat viel Spaß gemacht, ihm neue Seiten abzugewinnen." Angst, mit einer Coverversion auf die Nase zu fallen, haben die zwei indes nicht. "Einen Song nur mit Gitarre und Gesang kaputtzukriegen, ist ziemlich schwierig", glaubt Klara. "Solange du ihn mit Leidenschaft singst, wird es funktionieren." Bester Beweis für diese These: Vor ihrem großartigen Konzert im Kölner Gebäude 9 spielen die zwei beim Soundcheck - einfach so zum Spaß, wie sie nachher betonen - passend zum Valentinstag (und als Hommage an Whitney) "I Will Always Love You" und tun auch dies, obwohl kein Publikum im Raum ist, mit unendlich viel Begeisterung und purer Freude an der eigenen Performance.

Apropos Leidenschaft: Ohne Frage ist es genau das, was First Aid Kit ausmacht. Die Hingabe, mit der das Duo seine oft traurigen Songs - "And the only man you've ever loved that you thought was gonna marry you / Died in a car accident when he was only 22 / And then you just decided love wasn't for you", heißt es zum Beispiel in "Blue" - auch auf "The Lions's Roar" präsentiert, ist so herrlich ungekünstelt, dass man gar nicht anders kann, als begeistert zu sein. "Ja, wir stecken alles, was wir haben, in die Musik, denn die Musik, die uns berührt, stammt von Künstlern, die wirklich meinen, was sie singen", bekräftigt Klara. "Deshalb hören wir heute kaum noch Popmusik im Radio, die von professionellen Songschreibern stammt, die schon eine Million ähnliche Songs über generelle Themen verfasst haben und wo der Sänger letztlich einfach dazu verdonnert wurde, den Song aufzunehmen. Der Musik, die wir mögen, kann man anhören, dass sie dem Sänger wichtig ist, und hoffentlich wird bei uns auch klar, dass uns das, wovon wir singen, eine Menge bedeutet." Auch wenn sie gerne etwas tiefstapeln - natürlich ist den beiden Schwestern bewusst, dass sie mit "The Lion's Roar" eine wunderbare Platte abgeliefert haben, dennoch sind sie ehrlich überrascht vom unglaublich positiven Echo, das ihr zweites Album seit seiner Veröffentlichung Ende Januar ausgelöst hat. Dass die Kritiker das Album lieben, ist eine Sache, aber dass es gleich auf den ersten Platz der schwedischen Charts schnellte und auch in vielen anderen Ländern die Hitparaden erreichte, kam unerwartet für die Söderbergs. "Natürlich sind wir sehr zufrieden mit dem Album", sagt Klara, "trotzdem machen wir nun nicht unbedingt die Art von Musik, die man an der Spitze der Charts erwartet."

Die jüngsten Erfolge sind sicherlich auch auf die sanfte Neuausrichtung des Duos zurückzuführen. Wie beim betont asketischen Debütalbum steht zwar der oft atemberaubend schöne Close-Harmony-Gesang der beiden Schwestern im Mittelpunkt, eingebettet werden die Stimmen dieses Mal aber in einen herrlich heimeligen Country-Rock-Band-Sound, der auch für Folk- und Bluegrass-Avancen Raum bietet. Zwar scheint hier und da auch jetzt noch ein Faible für schwedische Folklore durch, aber dass die zwei bei "Emmylou" - "I'll be your Emmylou and I'll be your June / You'll be my Gram and my Johnny, too" heißt es dort - zwei ganz großen Damen der amerikanischen Country-Historie huldigen, kommt dennoch sicher nicht von ungefähr. Wie schrieben die Kollegen von NPR so treffend? "Swedish Blood, American Hearts."

Perfektioniert wurden die neuen Lieder unter der Produzenten-Regie von Mike Mogis in Omaha, Nebraska. "Wir fühlten uns als reiner Familienbetrieb etwas eingeschränkt. Auf die Dauer war es etwas ermüdend, immer nur die Meinung der Familie zu hören", sagt Klara lachend. "Deshalb haben wir nach jemandem von außerhalb gesucht, der seine Sicht der Dinge einbringt." Trotzdem ist es First Aid Kit wichtig zu unterstreichen, dass der Mann, der einst schon Conor Oberst half, Bright Eyes auf den richtigen Weg zu bringen, ihre Ideen lediglich akzentuierte. "Viele Songs hatten schon Band-Arrangements, bevor wir ins Studio gingen", erinnert sich Johanna. "Wir spielen ja nun bereits seit fast drei Jahren mit einem Schlagzeuger, deshalb war der Schritt zu einem Band-orientierten Sound ein ganz natürlicher. Einige wenige Stücke bestanden nur aus Gitarre und Gesang, aber bei den meisten waren auch meine Keyboard-Parts schon vorher ausgearbeitet, und die Songs, die bereits komplette Arrangements hatten, haben sich im Studio auch nicht mehr großartig verändert." - "Ja, das stimmt!", bestätigt Klara. "Einige Leute scheinen zu glauben, dass wir lediglich mit ein paar Fragmenten zu Mike gekommen sind und er dann den Rest besorgt hat und im Zuge dessen unseren Sound vollkommen umgekrempelt hat. Dem war nicht so. Das Ganze war eine echte Kollaboration, aber ich denke, wenn wir die Platte ohne ihn aufgenommen hätten, würde sie dennoch ähnlich klingen - nur nicht so gut!"

Dem Erfolg des Albums ist es geschuldet, dass die Söderbergs die nächsten Monate praktisch ununterbrochen auf Tour verbringen werden. Bis Ende Februar touren sie durch Europa, dann geht es nach Ozeanien und anschließend einmal quer durch die USA. Von Tour-Blues ist allerdings (noch) keine Spur. Im Gegenteil, als "Ferien" bezeichnen die Damen die Gastspielreise bisher. "Auf Tour zu sein ist großartig, wenn du erst einmal akzeptiert hast, dass du nicht viel machen kannst. In gewisser Weise kann man das mit Meditation vergleichen", sinniert Klara, doch so tiefsinnig ist ihr Touralltag dann doch nicht, wie ihre kleine Schwester verrät. "Na ja, du verbringst auch viel Zeit damit, 'Grand Theft Auto' zu spielen und Leute abzumurksen!", plaudert Johanna lachend aus. "Pssst, das soll doch niemand wissen", unterbricht Klara sie. Unseren Vorschlag, dass wir den Satz auch gerne aus dem Interview streichen könnten, weist sie dann allerdings lächelnd von der Hand: "Das ist schon okay, ich schäme mich nicht dafür, denn ich bin wirklich gut darin!" Vermutlich, weil sie dort die gleiche Leidenschaft an den Tag legt wie es First Aid Kit bei ihrer Musik tun.

Weitere Infos:
www.thisisfirstaidkit.com
www.myspace.com/thisisfirstaidkit
www.facebook.com/firstaidkitofficial
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
First Aid Kit
Aktueller Tonträger:
The Lion's Roar
(Wichita Recordings/Pias/Rough Trade)
 

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