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08.05.2012
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BRENDAN BENSON

Ehrlich währt am längsten

Brendan Benson
So schön Brendan Bensons letztes Werk, das im Sommer 2009 veröffentlichte "My Old Familiar Friend", auch war, seine Wohlfühlzone verließ der inzwischen von Detroit nach Nashville umgesiedelte Musiker darauf nicht wirklich. Mehr, als erneut seine Liebe zu britisch geprägtem 60s-Pop und amerikanischem 70s-Power-Pop zu unterstreichen, machte der sympathische Amerikaner auf besagtem Album nicht. Auch "What Kind Of World", das dieser Tage erscheinende neue Soloalbum von Jack Whites Partner bei den Raconteurs, ist keine stilistische 180-Grad-Wende, dennoch ist das Bemühen spürbar, ein bisschen weiter über den musikalischen Tellerrand zu schauen. Diesen Eindruck bestätigt Brendan auch beim Gespräch mit Gaesteliste.de.

"Ja, ich denke, das kann man so sagen", sagt er, als wir ihn Mitte März in seiner Wahlheimat Nashville am Telefon erwischen. "Ich denke, es gehört einfach dazu, dass man als Mensch und Künstler wächst. Man kann ja nicht den gleichen Song wieder und wieder schreiben. In meinem Fall war es so, dass ich es ein bisschen leid war, ständig Popmusik zu spielen, deshalb gibt es auf der Platte auch Stücke wie 'On The Fence', die mehr in Richtung Country zielen." Besagte Nummer gehört zu einer ganzen Reihe Tracks, die Brendan bereits länger mit sich herumträgt. Demoversionen dieser Songs kursierten bereits vor Jahren online, einige feine Duette mit Ashley Monroe waren ursprünglich für eine Duo-Platte gedacht, die letztlich nie erschien. Dass diese Lieder nun auf "What Kind Of World" erscheinen, bedeutet also gewissermaßen, dass Brendan einen Schlussstrich unter einen bestimmten Karriereabschnitt ziehen kann. "Ja, Schlussstrich trifft es ziemlich gut", stimmt er zu. "Einige dieser Songs nagten wirklich schon seit Jahren an mir. Mir war stets klar, dass sie großes Potenzial besaßen, aber aus den verschiedensten Gründen fand ich nie den Dreh, sie aufzunehmen oder fertigzustellen. Bei dieser Platte habe ich deshalb dafür gesorgt, dass sie nicht weiter im Regal verstauben, und ich bin wirklich froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe, denn ich bin von den Ergebnissen sehr angetan."

Zu den Stücken, die bei früheren Platten stets durchs Raster fielen, gehört auch "Bad For Me", eine für Brendan ungewohnt balladeske Klaviernummer. Auf den ersten Blick könnte man glauben, dass man daran gut die eingangs erwähnte künstlerische Entwicklung festmachen könnte, allerdings ist das Stück das älteste der gesamten Platte. "Die ursprüngliche Idee dazu hatte ich bereits vor ungefähr zehn Jahren", verrät Brendan. "Bevor ich die neue Platte anging, hörte ich mir ein paar alte Aufnahmen von mir an, und was ich da hörte, inspirierte mich unglaublich. In gewisser Weise waren es diese Aufnahmen, die mich überhaupt erst dazu veranlassten, eine weitere Platte aufzunehmen."

Dass sich Brendan inzwischen musikalisch freier fühlt und deshalb die Fühler in Richtung anderer Genres jenseits des bewährten Power Pop ausstreckt, kommt natürlich nicht wirklich überraschend. Auch wenn ihm der große kommerzielle Erfolg stets versagt blieb - seine Duftmarke hat der Amerikaner mit seinen zuvor veröffentlichten vier Soloalben ohne Zweifel gesetzt. Jetzt ist es Zeit, nach neuen Herausforderungen Ausschau zu halten. "Das, was du gerade beschrieben hast, trifft es ziemlich gut", stimmt er zu. "Außerdem bin ich jetzt älter, weiser und weniger anfällig für die üblichen Ablenkungen: das Ausgehen, die Parties. Ich bin jetzt viel gelassener und abgeklärter, was sicherlich vor allem auch damit zu tun hat, dass ich inzwischen geheiratet habe und Vater geworden bin. Auf jeden Fall fällt es mir heute leichter, Dinge wirklich zu verfolgen und zu Ende zu bringen."

Dazu passt, dass Brendan heute von sich sagt, dass es ihm wichtiger geworden ist, in seinen Songs die Wahrheit nicht mehr zu verschleiern. "In gewisser Weise schließt sich da fast ein Kreis", glaubt er. "Ich bewundere meine alten Songs wirklich sehr, weil sie so vollkommen ehrlich, unschuldig und manchmal auch naiv sind. Das ist mir irgendwann auf meinem Weg abhanden gekommen. Das ist ganz natürlich und gehört vermutlich zum eingangs erwähnten Wachsen als Künstler dazu. Zwischenzeitlich war mir die klangliche Seite meiner Musik einfach wichtiger, als mich textlich auszudrücken. Jetzt bin ich allerdings an dem Punkt angekommen, an dem mir Letzteres wieder mehr am Herzen liegt. Ich mache nun schon so lange Platten, aber erst jetzt beginne ich langsam zu begreifen, was einen großartigen Song wirklich ausmacht. Es geht nicht darum, in welches Mikro du singst oder welches tolle Vintage-Instrument du spielst, es geht darum, ehrlich zu sein. Natürlich schreibe ich auch weiterhin bisweilen Songs, die in erster Linie kleine Fingerübungen sind, mit denen ich meine persönlichen Interessen bediene, aber ein Funken Wahrheit muss immer darin stecken."

Das können sicherlich auch die beiden Musiker bestätigen, die Brendan und seinem langjährigen Drummer Brad Pemberton halfen, "What Kind Of World" einzuspielen: Jon Auer und Ken Stringfellow von The Posies und Big Star, die mit Brendan zunächst im Frühjahr 2010 bei einer Tribute-Show für den verstorbenen Alex Chilton gemeinsam auf der Bühne standen und im Herbst desselben Jahres bei einer BB/Posies-Tournee nicht nur das Vorprogramm bestritten, sondern auch Brendans Backingband waren. "Ich hatte Ken schon Jahre vorher getroffen, als ich bei einigen Shows für ihn das Vorprogramm bestritt, aber irgendwie können wir uns beide nicht mehr besonders gut daran erinnern", erzählt Brendan und lacht. "Auf jeden Fall trafen wir uns in Memphis wieder, und weil das so gut klappte, schien eine gemeinsame Tournee eine wirklich gute Idee zu sein, und weil wir uns so einen Bus teilen konnten, lud ich die beiden gleich noch ein, bei meinem Set mitzuspielen. Ich hatte unglaublichen Spaß dabei, mit ihnen zu spielen, weil sie meinen Songs - all meinen Songs! - wirklich neues Leben einhauchten. So hatte ich meine Lieder noch nie gehört! Von da war es nur noch ein kleiner Schritt, sie zu bitten, meine neue Platte mit mir aufzunehmen."

Obwohl die Musiker nur wenig Zeit für die Aufnahmen hatten, beschrieb Ken die Erfahrung in seinem Blog als die vielleicht beste Session, an der er je mitgewirkt habe, und auch Brendan ist immer noch vollkommen begeistert von dem Studioaufenthalt in Nashville. "Im Studio sind die beiden echt der helle Wahnsinn!", freut er sich. "Sie haben einen schier unendlichen Vorrat an Ideen, das war echt inspirierend für mich. Sonst passiert es ja schon mal, dass man im Studio sitzt und sich den Kopf zerbricht, aber diese Gefahr bestand mit den beiden nie!" Seinen Mitstreitern großzügige Freiräume zu gewähren, ist Brendan nach eigener Aussage leichter gefallen, als es mancher von einem Musiker erwarten würde, der seine früheren Platten oft vollkommen im Alleingang eingespielt hat. "Im Gegensatz zur landläufigen Meinung war ich nie ein Kontrollfreak", stellt er klar. "Ehrlich gesagt ging es mir zu keinem Zeitpunkt darum, ein Solotyp zu sein. Ich wollte eigentlich immer schon Teil einer Band sein. Bei jeder Platte, die ich aufgenommen habe, startete ich den Versuch, eine konstante Band auf die Beine zu stellen, die 'meine Band' sein würde. Das hat bloß aus verschiedenen Gründen nie so richtig hingehauen, nicht zuletzt deshalb, weil ich es mir nie erlauben konnte, eine Vollzeitband so zu bezahlen, dass sie mir die Stange halten würde."

Aber wer braucht schon eine feste Band, wenn er mit Bands wie Big Star oder den Posies zusammenarbeiten kann? Beim SXSW-Festival in Austin hatte Brendan vor wenigen Monaten zudem die Gelegenheit, mit einem weiteren seiner Idole die Bühne zu teilen: Eric Burdon! Rund 30 Jahre älter als Brendan ist der ehemalige Frontmann der Animals - auf der Bühne war davon allerdings nichts zu spüren. "Seine Energie ist einfach unglaublich", bestätigt Brendan. "Es ist kaum zu glauben, dass er wirklich 71 ist. Auch sein Gesang hat sich überhaupt nicht verschlechtert. Er hat immer noch eine im wahrsten Sinne des Wortes Riesenstimme und arbeitet weiterhin hart. Wir haben sogar gerade eine Single mit neuen Songs von ihm aufgenommen, auf der ihn die Greenhornes begleiten und die auf Readymade erscheinen wird."

Readymade, das ist Brendans neu gegründetes, eigenes Label, mit dem er einen Schlussstrich unter die jahrelangen Labelquerelen setzt. Anstatt sich für jede seiner Platten einen neuen Partner zu suchen, macht er es - zumindest in den USA - jetzt einfach selbst und ist rundum glücklich mit dieser Entscheidung. Das arbeitsintensive Label ist auch der Grund, warum sich Brendan abseits der anstehenden Tournee zu "What Kind Of World" noch keine Gedanken über seine musikalische Zukunft gemacht hat: "Ich muss erst einmal eine ruhige Minuten finden, um meine Gedanken zu sammeln", gesteht er abschließend, "aber das wird noch dauern, denn mit all den anstehenden Readymade-Veröffentlichungen erwartet mich ein ziemlich hektisches Jahr. Dennoch: Ich freue mich auf einen wilden Ritt!"

Weitere Infos:
www.brendanbenson.com
www.fb.com/brendanbensonmusic
www.lojinx.com/brendan-benson
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Jo Caughey-
Brendan Benson
Aktueller Tonträger:
What Kind Of World
(Lojinx/Alive)
 

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