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03.05.2013
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MICK HARVEY

Keine Zeit für Side-Projects

Mick Harvey
Jahrzehnte verbrachte Mick Harvey an der Seite von Nick Cave. Erst bei The Birthday Party, später als Mitbegründer der Bad Seeds war er bis zu seinem endgültigen Ausstieg vor fünf Jahren Caves fraglos wichtigster Impulsgeber. Gerne vergessen wird allerdings, dass Harvey schon vor rund 20 Jahren begonnen hat, auch solo aktiv zu sein. Auf seinen ersten beiden Platten unter eigenem Namen interpretierte er zwar "nur" die Werke von Serge Gainsbourg neu, doch spätestens mit seinem famosen dritten Alleingang mit eigenen Songs, "Sketches From The Book Of The Dead" von 2011, bewies der charismatische Australier endgültig, dass er viel mehr ist als nur Nick Caves Schatten. Das würde sicherlich auch PJ Harvey unterstreichen, die sich seit 1995 von ihrem Namensvetter immer wieder als Musiker und Co-Produzent unterstützen lässt. Nun veröffentlicht Mick Harvey mit "Four (Acts Of Love)" ein ausgezeichnetes, angenehm dunkel gefärbtes, halbakustisches Konzeptalbum, bei dem die Liebe eine entscheidende Rolle spielt und das er Mitte Mai bei einem Konzert in Berlin auch in Deutschland live vorstellt.

Die Trennung von den Bad Seeds hat dem inzwischen 54-Jährigen offenbar sehr gutgetan. Fast schon unerwartet entspannt wirkt Harvey bei unserem Gespräch. Trotzdem muss es sich für ihn ein wenig seltsam angefühlt haben, dass in den letzten Monaten sowohl die Bad Seeds als auch die nach zwei Jahrzehnten reanimierten Crime And The City Solution erstmals Platten ohne ihn veröffentlichten, oder? "Nein, es fühlt sich nicht besonders seltsam für mich an", entgegnet er. "Das Leben geht weiter. Es war ja von vornherein klar, dass Nick und ich auch weiter Musik machen würden, nur nicht mehr zusammen. Ich frage mich lediglich, ob die Bad Seeds heute noch Bad Seeds heißen sollten, aber das ist etwas, das wir bereits bei Blixas Ausstieg hätten diskutieren sollen. Das ist also mein Fehler (lacht)! Ich hätte damals durchsetzen sollen, dass wir den Namen ändern, schließlich war ich damals der einzige echte Bad Seed, der noch übrig war. Bei Crime And City Solution war es so, dass ich mich aktiv gegen die Teilnahme an der Reunion entschieden habe. Alex (Hacke) hat dabei mitgemacht, weil er das starke Gefühl hatte, dass es da noch unerledigte Dinge gab. Er hatte so die Chance, nach all den Jahren Antworten auf seine noch offenen Fragen zu bekommen. Bei mir war das anders! Ich musste nicht zurückkehren, denn für mich war die Sache seit 20 Jahren erledigt!"

Stattdessen stürzte sich Harvey in die Arbeit an "Four (Acts Of Love)". Die Idee zu dem Album hatte er schon vor Jahren, doch damals war sein Fokus noch ein anderer. Sollte ursprünglich die Liebe selbst im Zentrum stehen, handelt der Songzyklus, in dem Harvey eigene Songs mit bruchlos eingebauten Coverversionen verwebt, davon, was die Liebe mit den Menschen macht. Die Fragen zum Thema Liebe, die Harvey auf dem Album aufwirft, sind zwar nicht besonders tiefschürfend, trotzdem glaubt er, dass es wichtig ist, sich als Künstler mit existenziellen Fragen auseinanderzusetzen. "Mir gefällt der Gedanke, dass die Fragen einfach über unseren Köpfen hängen, auch wenn ich sie nicht beantworte, ganz einfach deswegen, weil ich nicht unbedingt gute Antworten darauf wüsste. Trotzdem denke ich, dass es gute Fragen sind, die gestellt werden sollten. Die meisten Menschen machen sich zu diesen Dingen wenig Gedanken, und die Arbeit an dieser Platte hat mich daran erinnert, dass es gut ist, sich mit philosophischen, aber auch theologischen Fragen auseinanderzusetzen. Meines Erachtens gehört die Beschäftigung mit diesen Themen unabdingbar zu jedem ernst zu nehmenden Künstler, der sich und seine Umgebung und sich selbst analysiert und daraus Ideen formuliert, die er mit der Welt teilt."

"Four (Acts Of Love)" widmet sich nicht nur einem bestimmten Thema, sondern bewegt sich bisweilen auch musikalisch hörbar auf Konzeptalbumterrain. So taucht das musikalische Motiv des ersten Liedes auch im letzten wieder auf, und auch den Song "Where There's Smoke" gibt es zweimal. "Die erste Version symbolisiert den Beginn von etwas, daher die Metapher des 'Feuer fangen'. Die zweite Version ist ein Rückblick, eine Reflexion dessen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Das manchen die Menschen ja wirklich oft: Sie blicken auf den Beginn einer Beziehung zurück und erinnern sich, wie aufregend alles war oder wie positiv sie damals gestimmt waren. Wenn alles vorbei ist, blicken sie reumütig auf das zurück, was sie verloren haben."

Hört man gerade die letzten beiden Alben Harveys, könnte man auf den Gedanken kommen, dass seine Platten unter eigener Flagge einen größeren Stellenwert einnehmen, seitdem er den Bad Seeds endgültig den Rücken gekehrt hat. Er selbst glaubt allerdings nicht, dass er seine Solokarriere inzwischen ernster nimmt. "Nein! Ich hab meine Arbeit, egal für oder mit wem, schon immer ziemlich ernst genommen. Womöglich habe ich inzwischen ein wenig mehr Kontrolle über das, was passiert. Ich denke über alles mehr nach. Das ist aber gut, denn als Künstler wirst du schnell dazu verleitet, einfach etwas faul zu werden und dich gehen zu lassen. Ich dagegen halte es für wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, was du tust und warum. Über die Jahre bin ich immer mal wieder gefragt worden, ob ich bestimmte Platten als Side-Project ansehe. Nein, denn für Side-Projects habe ich keine Zeit. Sobald ich für mich für ein Projekt entscheide, gebe ich alles dafür. In den Alben, die ich mit Polly, den Neely Brothers oder Brian Hooper gemacht habe, steckt genauso viel von mir wie in meinen eigenen Sachen. Lediglich meine Gainsbourg-Alben bilden eine Ausnahme. Sie sind in der Tat so etwas wie Side-Projects, alles andere aber nicht!"

Weitere Infos:
www.mickharvey.com
en.wikipedia.org/wiki/Mick_Harvey‎
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Pressefreigabe-
Mick Harvey
Aktueller Tonträger:
Four (Acts Of Love)
(Mute/GoodToGo)
 

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