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15.08.1999
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WALKABOUTS

Sternengucker

Walkabouts
"Trail Of Stars" heißt das neue Album der Walkabouts - was soviel heißt wie "Spur der Sterne". Und es stellt einen neuen Lebensabschnitt unserer Freunde aus Seattle dar. Man mag dies zwar angesichts der doch ziemlich eindeutigen und konsequenten musikalischen Entwicklung (und der seit Jahren unveränderten Frisuren der beteiligten Protagonisten) kaum glauben, doch es ist so. Da gibt es zunächst mal einen neuen Bassisten, Fred Chanelor - ein versierter Mann, der zuletzt mit Wayne Horvitz in höheren Sphären schwebte, Noten lesen kann (und muß) und der Streicherarrangements schreiben kann. Dann sind die Walkabouts wieder zur Wiege Ihres Erfolges, in den Schoß des Glitterhouse-Labels zurückgekehrt. Und letztlich zieht das vorliegende Album endgültig einen Strich unter die Rock'n'Roll-Vergangenheit à la 'Jack Dandy'. Was denn eigentlich los ist, wollen wir wissen.

"Nach dem letzten Album, 'Nighttown', war ich total ausgebrannt", schildert Chris Eckmann den Leidensweg zum neuen Werk, "zwar hatte ich noch genug Ideen, um das (Chris & Carla) Album 'Swinger 500' fertigzustellen, doch hatte ich da noch Material vorliegen. Danach dachte ich, daß ich nie mehr Songs schreiben könne. Wir beschlossen also, ein Jahr Pause zu machen."

Diese Chance nutzte Baker, der ungestüme letzte Bassist, sich nach anderen Tätigkeitsfeldern umzusehen. Zur Erinnerung: 'Nighttown' war das letzte Album beim Major Virgin - eine edle Sache mit vielen Streichern, aber kommerziell nicht erfolgreich.

"Kein Wunder", resümiert Chris so verbittert sein stoischer Gesichtsausdruck das eben zuläßt, "die haben absolut nichts für das Album getan, weil sie nichts damit anzufangen wußten."

Hier deutet sich auch der Grund an, warum man sich "im Einvernehmen" vom Major löste, der den Walkabouts immerhin den einzigen Hit ihrer Radio-Hit ihrer Karriere 'The Light Will Stay On', bescherte. Das düstere Nachfolgewerk ließ sich allerdings nicht in diese Schublade stecken, und so kapitulierte die Plattenfirma tatsächlich mehr oder minder hilflos. Z.B. gedieh eine Single-Auskoppelung bis zur Bemusterung, um dann doch nicht zu erscheinen. Solche Sachen machen Musiker natürlich madig. Und so kam es, wie es kommen mußte: Wegen "geschäftlicher Überlegungen" entschloß man sich, den Schulterschluß mit den Leuten wiederzusuchen, die die Walkabouts hierzulande etabliert hatten. (In den USA kennt nach wie vor kein Schwein die Band aus Seattle. Seit Sub-Pop-Zeiten sind dort keine CDs mehr erschienen). Solcherlei Geschick schlägt sich natürlich auf die Kreativität nieder. Chris entschloß sich, in Klausur zu gehen.

"Ich ging ein paar Monate nach Portugal, um wieder zu mir selbst zu finden und dort neue Songs zu schreiben", erklärt er, "dort entstand auch der Titel des Albums. Die Straße, in der ich wohnte, hieß übersetzt "Weg zu den Sternen", was ich sehr schön fand."

Ansonsten sind die Songs auf dem neuen Album eher unkonkret und geheimnisvoll.

"Indem Chris wieder zu sich fand, sind die neuen Songs sehr viel mehr verinnerlicht", erklärt dies Carla, "die alte Geschichtenerzählerei ist zugunsten assoziativer Inhalte zurückgegangen."

"Ja, das ist unter anderem daraus zu erklären, daß ich die Sprache des Landes nicht verstehen konnte", beschreibt Chris die Entstehung der Songs, "somit fiel eine wichtige Inspirationsquelle weg, die ansonsten da ist. Da der Einfluß von außen fehlte, mußten die Inhalte aus meinem Inneren kommen."

Das hört sich jetzt schlimmer an, als es ist. Zwar ist alles ambivalenter angelegt als früher, aber nach wie vor gibt es in den neuen Songs klare Strukturen und Themen. Z.B. 'Tears Of The Century' - war es denn wirklich notwendig, einen weiteren "End Of The Century"-Song zu schreiben?

Walkabouts
"Das ist ein Anti-'End Of The Century Song'", trotz Chris, "wenn Du den Text anhörst, wird dir auffallen, daß der ganz schön ironisch ist. Ich mache mich z.B. darüber lustig, wie ernst diese ganze Millenium-Krise genommen wird. Deshalb heißt es auch am Ende: 'dann laßt mal die Jahrtausendwenden kommen'..."

Eine Sache, die nicht unbedingt nachvollzogen werden kann. Wie soll man darauf kommen, daß ausgerechnet in einem Meer von Tränen (nicht nur musikalisch) der Schalk sein Unwesen treibt?

"Nun ja, ich gebe zu, daß es bei uns nicht immer ganz leicht ist, unseren Humor zu erkennen. Das liegt aber daran, daß wir unsere Sache mehr oder minder stoisch präsentieren. Die großen Komiker sind wir tatsächlich nicht."

Wie stellte sich denn die musikalische Umsetzung der neuen Songs dar, die thematisch und soundtechnisch direkt an 'Swinger 500' anschließen?

"Nun, Glen, unser Keyboarder, meinte als erstes, daß er auf diesen Songs kein Klavier spielen wolle, weil diese atmosphärisch alle so subtil seien", führt Carla aus, "das war auch unser Ansatzpunkt. So spielte Chris Klavier und ich Gitarre. Fred brachte viele Ideen ein, z.B. Arrangements oder die Sache mit dem Klarinetten-Intro. Und Terry, unsere Drummerin, konnte auf eine vollkommen neue Art die Rhythmen umsetzen."

In der Tat weisen die neuen Songs - obwohl durchgängig balladesken Charakters - allesamt rhythmisch neue Impulse auf (während es von der Songstruktur her in eher gewohnten Gefilden bleibt)."

Unter dem Strich legen die Walkabouts mit 'Trail of Stars' eine konsequente neue Platte vor, die die Abwendung vom Rock'n'Roll hin zu neuen, ambientmäßigen Ansätzen dort weiterführt, wo 'Nighttown' endete. So richtig interessant wird die Sache allerdings erst im Live-Kontext, weil dort dieses Konzept dazu führte, daß nach neuen Wegen gesucht werden mußte, auch älteres Material umzusetzen, damit es keinen Bruch in der Präsentation gab. Diese fand man in einem Ansatz, der ganz altes Material ('Dead Man Rise'(!)) nahtlos mit den neuen Sachen zu einer eigenwilligen, hochdramatischen und vor allen Dingen "unrockigen", aber dennoch rhythmusbetonten Melange verquickte. So sind die Walkabouts '99 - auch oder gerade für alte Fans - durchaus eine Entdeckungsreise wert.

Ein Gruß per MP3-Datei von den Walkabouts (163KB, gezipped)

Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
Trail Of Stars
(Glitterhouse)
 

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