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28.08.2015
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ROBERT CRAY

Hörbare Lebenserfahrung

Robert Cray
Fragt man Robert Cray nach den besten Live-Alben aller Zeiten, muss der amerikanische Ausnahmegitarrist nicht lange überlegen. "Live At The Regal" und "Live At The Cook County Jail" sind die Antworten, die wie aus der Pistole geschossen kommen. Auch nach vier Jahrzehnten im Geschäft gibt es für den sympathischen Musiker keinen Größeren als B.B. King. Dabei ist Cray inzwischen natürlich längst selbst eine mehrfach Grammy-dekorierte Legende des Blues und Rhythm ’n’ Blues. Davon zeugt auch seine neueste CD/DVD-Veröffentlichung zum 40-jährigen Bühnenjubiläum, "4 Nights Of 40 Years Live", die dieser Tage erscheint und nicht nur aktuelle Live-Aufnahmen aus dem vergangenen Jahr enthält, sondern auch zwei Mitschnitte aus dem Archiv, die 1982 bzw. 1987 entstanden.

Es waren zwar seine Studioaufnahmen, die Robert Cray Mitte der 80er-Jahre zu einem unerwarteten Liebling der MTV-Generation machten, doch seit jeher fühlt sich der 62-Jährige auf der Bühne am wohlsten. Wirklich vergleichen mag er seine Arbeit im Studio und im Konzertsaal deshalb nicht. "Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe", sagt er im Interview mit Gaesteliste.de bestimmt. "Die Umgebung im Studio ist viel kontrollierter, und wenn du danebengreifst, kannst du es noch einmal versuchen und es besser machen. Auf der Bühne herrscht einfach ein viel größerer Druck, es gleich beim ersten Mal richtig hinzukriegen. Aber genau diesen Druck liebe ich natürlich, er zwingt mich, an mir zu arbeiten. Dein Adrenalin rast und jede Faser in deinem Körper ist bis zum Anschlag belastet. Das ist ein tolles Gefühl."

Dennoch: Nun ein weiteres Live-Album zu veröffentlichen, war nicht die Idee von Cray und seiner Band, zu der aktuell Les Falconer am Schlagzeug, Dover Weinberg an den Tasten und der langjährige Bassist Richard Cousins gehören. "Es war der Wunsch des Labels, ein Live-Album zu veröffentlichen. Wir haben allerdings die Idee beigesteuert, auch Filmaufnahmen zu verwenden und alte Mitschnitte hinzuzufügen, um dem 40-jährigen Jubiläum gerecht zu werden", erklärt Cray. "Hinter dem Konzept steckt die Idee, aus der Veröffentlichung etwas mehr als nur eine reguläre Live-CD zu machen. Wir haben über die Jahre haufenweise Aufnahmen gesammelt, die alle in einem Lagerhaus verwahrt werden. Ich habe die Aufnahmen auch gar nicht selbst ausgewählt, das haben wir der Filmcrew überlassen, die letztlich auch für den Schnitt verantwortlich war und uns am Ende Vorabfassungen zum Absegnen geschickt hat."

Die Mischung aus alten und neuen Mitschnitten unterstreicht einerseits die Konstanz in Crays Schaffen über Jahrzehnte hinweg, offenbart aber auch interessante Veränderungen in der Herangehensweise an Arrangements und Performance. Das stellte auch Cray selbst fest: "Es ist schon lustig, sich die alten Aufnahmen anzuschauen und eine viel jüngere Version der Band in Aktion zu erleben und auf die Unterschiede beim Spielen zu achten. Da ist mir aufgefallen, dass früher mein Gitarrenspiel ein wenig prominenter gewesen ist. Trotzdem waren wir damals schon auf dem gleichen Weg unterwegs, den wir auch heute noch verfolgen - die Mischung aus Blues und Rhythm 'n' Blues mit einem Hauch von Jazz, was zum Beispiel bei der Bläsersektion auf der 1982er-Aufnahme durchscheint. Das hat sich nie verändert, denn meine Einflüsse sind heute noch die gleichen wie früher, ich bin immer noch ein John-McLaughlin-Fan."

Vergleicht man die Versionen von "Right Next Door", das sowohl in den 80er-Jahre-Mitschnitten als auch bei den aktuellen Aufnahmen auftaucht, so stellt man fest, dass Cray heute viel gelassener klingt und mit der über die Jahre gewonnenen Lebenserfahrung viel mehr eins mit dem Song zu sein scheint - obwohl, oder eben gerade weil er ihn Hunderte, wenn nicht Tausende Male gespielt hat. "Das ist eine tolle Beobachtung. Ich habe mir die beiden Versionen nie hintereinander angehört, aber vor meinem inneren Auge sehe ich genau, was du damit meinst - und das stimmt. Wenn man ein bisschen mehr Lebenserfahrung hat, hört man das auch in der Musik", sagt Cray lachend. "Mit der Zeit verstehst du die Songs besser, vor allem die Texte, eben weil du ein paar Lektionen im Leben gelernt hast. Du lernst, dass der Text, also der Gesang der wichtigste Teil eines jeden Songs ist, und du musst in der Lage sein, den Text live auf der Bühne glaubhaft rüberzubringen Die Musik hilft lediglich dabei, den Text zu unterstützen."

Ein bemerkenswertes Statement für einen Musiker, der in den Augen der breiten Öffentlichkeit vor allem als großartiger Gitarrist wahrgenommen wird. Könnte man also sagen, dass Cray vor 40 Jahren als singender Gitarrist angefangen hat und heute eher ein gitarrespielender Sänger ist? Er zögert kurz, lacht und antwortet: "Ich würde sagen, ich weiß inzwischen besser, wie die beiden zusammenarbeiten sollten!“

Weitere Infos:
www.robertcray.com
de.wikipedia.org/wiki/Robert_Cray
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -James L. Bass-

Aktueller Tonträger:
4 Nights Of 40 Years Live
(Mascot/Rough Trade)
 

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