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12.02.2016
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KRISTOFER ASTRÖM

Die geplante Kreativität

Kristofer Aström
Die innere Uhr tickt im neuen Rhythmus und das eigene Wohlbefinden schwankt zwischen zwei Extremen hin und her. Einerseits vom Schlafentzug gebeutelt, andererseits mit neuer Motivation erfüllt, machte sich Kristofer Aström an die Arbeit zu seinem neuen Album "The Story Of A Heart's Decay" und lernte im Zuge dessen gleichzeitig die Vaterrolle zu erfüllen und seiner musikalischen Leidenschaft nachzugehen. Notfalls mit Augenringen. Im Gespräch mit uns reflektiert der schwedische Singer-Songwriter über diesen für ihn neuen Lebensabschnitt und gibt Einblicke in den Entstehungsprozess der neuen Songs.

Es heißt, aller Anfang ist schwer. Als frischgebackenes Elternteil kann Kristofer Aström ein Lied davon singen, denn seit der Geburt seiner Tochter wurde seine Arbeitsweise als Musiker völlig auf den Kopf gestellt, wie er feststellt: "Ich habe mich sehr darauf gefreut, wieder mit der Arbeit an neuen Songs loszulegen. Bis mir bewusst wurde, dass es sehr schwierig ist, die nötige Zeit zu finden, um kreativ zu sein, nun da ich Vater bin. Ein paar Monate lang habe ich nur zwei Stunden pro Nacht geschlafen, was sehr erschöpfend war. Mittlerweile ist das zum Glück besser geworden und ich bekomme mehr Schlaf." Die Lösung des Problems nahm Aström sportlich und übte sich in Selbstdisziplin anstatt zu verzweifeln: "Ich habe festgestellt, dass ich genau planen muss, wann ich kreativ sein möchte, was neu für mich war. Ich war noch nie dazu gezwungen so zu arbeiten. Bisher konnte ich immer zu den unmöglichsten Zeiten Songs schreiben", kommentiert der Schwede seinen neuen Alltag.

Dieser wurde oftmals von einem wichtigen Ritual begleitet, das das nötige Maß an kreativer Aktivität sicherstellte, verrät uns der Fireside-Sänger: "Jeden Abend, wenn ich meine Tochter ins Bett gebracht hatte, lag ich hinterher in der Badewanne und notierte mir in meinem Telefon alle möglichen Songideen. Einmal in der Woche ging ich in den Proberaum, um anhand dieser Skizzen Demos aufzunehmen. Das ging monatelang so. Unter der Woche lief ich manchmal wie eine Art Zombie herum. Ich begann schon Dinge zu hören, die gar nicht da waren. Der Ansatz für das Album war durch diese neue Arbeitsweise ein ganz anderer. Trotz allem, war es ein sehr produktiver Prozess."

Besonderen Wert legte der Familienvater beim neuen Album auf das Verfassen der Songtexte: "Ich zwang mich jeden Abend dazu, meine Ideen durchzugehen und daran zu arbeiten. Ich glaube, ich habe noch nie so viel Zeit damit verbracht. Ich stürzte mich wie besessen auf die Lyrics, denn ich wusste, dass ich hart dafür arbeiten musste, um mein Ziel zu erreichen. Keines der Wörter sollte bedeutungslos sein", resümiert er. Um dies zu erreichen, bewegte sich der Musiker auch musikalisch in eine Richtung, die nichts mit dem Vorgängeralbum zu tun hatte, wie er sagt: "Normalerweise ist mein aktuelles Album immer eine Gegenreaktion auf meine vorherige Platte. Für 'From Eagle To Sparrow' schloss ich mich zwei Monate zuhause in meinem Studio ein und niemand hörte einen Ton von mir. Mit der neuen Platte herrschte dagegen eine richtige Band-Atmosphäre. Außerdem haben wir die Songs in einem richtigen Studio mit sehr gutem Equipment aufgenommen."

Was zunächst als Studio-Witz begann, wurde schon bald Realität, denn keines der Instrumente auf "The Story Of A Heart's Decay" wurde nach 1978 gebaut. Darauf angesprochen, erklärt Kristofer Aström amüsiert das eigenwillige Vorhaben: "Erst einigten wir uns zum Spaß auf das Jahr 1977, aber unser Schlagzeuger fühlte sich ausgegrenzt, da er selbst erst 1978 geboren wurde. Also änderten wir das Jahr. Der Teppich, auf dem wir die Songs einspielten, war nicht ganz so alt, aber ansonsten hielten wir uns an unsere selbst auferlegten Vorgaben."

Wirklich kompliziert dürfte dieser Schritt nicht gewesen sein, wenn man Aströms Liebe zu altem Equipment betrachtet: "Ich bin schon immer ein Fan von alten Instrumenten gewesen, daher machte es nur Sinn, die Songs unter diesen Umständen aufzunehmen. Wir haben auch die frühen Fireside-Alben noch analog aufgenommen. Ich mag die Vorstellung davon, nicht unbegrenzt viele Möglichkeiten zu haben, wenn ich Songs aufnehme. Sobald du dich der digitalen Aufnahme öffnest, hast du natürlich viel mehr Raum dich auszuprobieren und im Nachhinein Dinge zu verändern, die nicht perfekt waren. Jede Arbeitsweise hat ihre Vorteile. Ich habe allerdings das Gefühl, dass wir fokussierter an die Aufnahmen herangehen, wenn wir die Dinge old-school angehen", sagt der Songwriter mit Nachdruck in der Stimme.

Ein besonders wichtiger Song auf der Platte handelt natürlich von seiner Beziehung zu seiner Tochter. Anstelle einer durchweg liebevoll-fröhlichen Bekundung seiner Zuneigung skizziert Aström dagegen mutig ein weniger in Watte gepacktes und damit realistischeres Bild der Eltern-Kind-Beziehung, die nicht immer nur schön oder gar einfach ist, wie er sagt: "Ich wollte mit diesem Song ausdrücken, dass es auch hart sein kann, wenn man für ein Kind verantwortlich ist. Es ist manchmal ein wahrer Kampf, den man gegen sich selbst führt. Die Verantwortung ist groß und es gehört viel dazu, diesen Job richtig zu machen, wenn es um die Erziehung geht. Erst recht, wenn man so wenig Schlaf bekommt. Ich wollte keinen niedlichen Song schreiben, der all das ausblendet, sondern etwas festhalten, das realistisch ist und trotzdem ausdrückt, dass ich mein Kind liebe."

Kristofer Aström
Als Vater einer Tochter gibt es zudem einen weiteren Aspekt, dem sich der schwedische Musiker durchaus bewusst ist: "Gerade für Mädchen ist es heutzutage nicht einfach aufzuwachsen, wenn ich daran denke, wie sexistisch unsere Gesellschaft ist und mit wie vielen dieser Dinge sich Frauen ihr Leben lang auseinandersetzen müssen. Als Vater bereitet mir das schon Sorgen, well ich natürlich versuche, mein Kind so gut es geht davor zu schützen."

Mit "The Story Of A Heart's Decay" gewährt uns Kristofer Aström in seinen neuen Songs viele persönliche Einblicke, die sich in musikalischer Hinsicht teilweises deutlich vom Vorgänger abgrenzen. In seiner Heimat Schweden erschien das Werk bereits im letzten Jahr. Nun darf man sich auch hierzulande einen Eindruck davon verschaffen.

Weitere Infos:
www.kristoferastrom.com
www.facebook.com/kristoferastromofficial
www.twitter.com/kristoferastrom
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Kristoffer Hedberg-
Kristofer Aström
Aktueller Tonträger:
The Story Of A Heart’s Decay
(Startracks/Indigo)
 

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