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01.04.2016
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LAURA GIBSON

Die Reise ins Ich

Laura Gibson
Ausnahmsweise erübrigt sich anlässlich des neuen Albums der Indie-Folkpop-Ikone Laura Gibson ein mal die Frage, warum es so lange dauerte, bis mit "Empire Builder" der Nachfolger des zu recht gefeierten Vorgänger-Werkes "La Grande" erschien - denn dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen nahm Laura eine Art Auszeit, indem sie mit dem Zug der Linie "Empire Builder" von ihrem heimatlichen Portland in Oregon zunächst nach Chicago und von dort dann weiter nach New York reiste, um dort ein wenig Schriftstellerei zu studieren. Der Plan war dann, von dieser Reise inspirierte Songs zu entwickeln, die zu einem späteren Zeitpunkt dann zur nächsten Scheibe gedeihen sollten. Doch es kam anders: Als sie schließlich in der Lower East Side ein Apartment gefunden hatte, flog dieses - zum Glück in ihrer Abwesenheit - bei einer Gasexplosion in die Luft. Mit allen von Lauras Besitztümern und auch aller Musik, die sich bis dahin angesammelt hatte. Zunächst mal brauchte Laura natürlich eine gewisse Zeit, sich von diesem Schock zu erholen und fand dann erst zögerlich - vor allen Dingen aber aufgrund der Intervention ihres Freundes John Askew, der sie ermutigte, das neue Album dann doch bitte in Angriff zu nehmen und dieses auch produzierte - wieder ins Leben und zur Musik zurück.

Was war denn musikalisch der Ansatz bei dem neuen Album? Welches Ziel verfolgte Laura Gibson schließlich, nachdem sie sich einigermaßen von dem Geschehenen erholt hatte? "Musikalisch war es ein großes Glück, dass drei meiner Freunde als Musiker für meine Band zur Verfügung standen, als ich das neue Material anging. Ich bin ein großer Fan des Drummers Dan Hunt (von Neko Cases Band) und ihn von Anfang an an Bord zu haben, hat der Scheibe überhaupt einen spezifischen Sound gegeben. Denn neben seinem Drum-Kit hat er auch immer einen Sack voller Klang-Sachen wie Stöckchen, Küchenutensilien und Metall-Dinger, die wir auch alle auf separaten Spuren einsetzten. Und dann wollte ich die Palette dieses Mal ziemlich eng halten und habe somit beschlossen, mehr elektrische Gitarren einzusetzen, als ich das gewöhnlich tue. Mein guter Freund Dave Depper von Death Cab For Cutie und Melomena spielte also klassische E-Gitarre, steuerte aber auch Ambient-Tracks bei. Und dann hat mir Peter Broderick, der ja auch ein begnadeter Komponist ist, Streicherarrangements geschrieben." Das ergibt unter dem Strich dann einen musikalischen Ansatz, der dazu führt, dass sich Laura auf dieser Scheibe weitestgehend von ihren Folk-Wurzeln emanzipiert. Das war aber gar nicht der Plan, wie sie überraschenderweise erklärt. "Also Songs wie 'Damn Sure' sind im Grunde genommen ja immer noch Folksongs. Ich habe also nicht bewusst versucht, mich hier zu befreien - aber andererseits finde ich neue Sounds ja grundsätzlich spannend und auf jeder Scheibe versuche ich ja auch, irgend etwas zu ändern. Irgendwann werde ich sicher auch wieder mal eine klassische Folkscheibe machen - auf dieser hat sich das nicht so ergeben."

Inwieweit hat die Umgebung, in der sich Laura aufhält, einen Einfluss auf ihr Songwriting? "Nun, in New York habe ich ja zunächst mal diesen Studiengang über kreatives Schreiben belegt - wo ich den ganzen Tag mit Wörtern und Sätzen und Büchern zu tun habe und diese analysiere und darüber nachdenke, dass ich fast zwangsläufig Elemente davon auch für mein Songwriting verwendete. Andererseits ist New York so geschäftig und laut, dass sich das auch bemerkbar macht. Denn mein Songwriting in der Vergangenheit entsprang immer aus der Stille heraus - bzw. aus dem Bedürfnis, Stille mit Klängen zu füllen. Und es ist dann schon ein ganz anderes Gefühl, an einem lauten Ort zu leben - auch wenn es nach vor leise Songs auf dem neuen Album gibt. Diese kommen dann aber aus einer anderen Quelle heraus."

War denn "Empire Building" der Startpunkt für den Neuanfang, nachdem dann das Unglück mit dem ersten Apartment in New York passiert war, bei dem dieses dann exlodierte und abbrannte? "Nicht ganz", schränkt Laura ein, "denn ich hatte ja mit der Arbeit an dem neuen Material begonnen, bevor das Unglück passierte. Für die Hälfte der Songs hatte ich auch auch schon Texte und spielte gerade mit der Idee, nach Portland zurückzufahren, um mit den Aufnahmen zu beginnen. Aber als dann dieses Unglück passierte, hatte ich ich zunächst mal einen Moment der Ernüchterung. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, das, was ich ausdrücken wollte, in ein Songformat zu bringen, dass ich nach dem Unglück zunächst gar nicht wusste, wie ich da weiter machen sollte. Ich wusste gar nicht mehr so recht, wovon ich da eigentlich geschrieben hatte und fühlte mich fast wie eine andere Person nach dem Unglück. Da überlegte ich sogar für einen Moment, ob es nicht sinnvoll sei, alles in die Tonne zu drücken und alles neu zu schreiben." Was sie dann aber nicht tat, sondern sich entschloss, das Material - vielleicht mit einer neuen Perspektive - neu zu interpretieren. "Vielleicht wäre das Ganze ja sogar ähnlich ausgefallen, wenn das Feuer nicht gewesen wäre", überlegt Laura, "aber ich weiß, dass ich diese Songs nun immer mit dem Ereignis - und der Erinnerung wie mir meine Freunde geholfen haben, dieses zu überwinden - verbinden werde, wenn ich diese hören werde." Dessen eingedenk klingen viele der neuen Songs aber irgendwie geradezu erhebend. "Also ich finde nicht, dass die neuen Songs erhebend klingen", meint Laura, "ich denke sogar, dass sie in gewisser Weise geradezu nüchtern sind. Aber ich betrachte mich - in dem Sinne, in dem ich mich in der Welt bewege - stets als hoffnungsvoll. Es ist aber natürlich so, dass, wenn man am Boden ist, dazu tendiert, eher erhabene Songs zu schreiben und umgekehrt, wenn es einem gut geht, eher düstere Orte zu besuchen. Man stellt also düsteren Zeiten nicht unbedingt düstere Songs gegenüber. Und da mir nach dem Unglück von meinen Freunden geholfen wurde, wieder auf die Beine zu kommen, gab es also durchaus auch positive Seiten an meinen Erlebnissen und das schlägt sich dann wohl auch in den Songs nieder."

Laura Gibson
Was zeichnet einen guten Song am Ende für Laura aus? "Worte sind mir sehr wichtig. Ich bin immer sehr vorsichtig, was sie Wahl meiner Worte betrifft, wenn ich Songs schreibe", erläutert Laura, "ich will, dass sie überraschend sind aber auch auf bedeutsame Weise Sinn machen. Worte, die aufrichtig und interessant sind, sind mir wichtig. Es variiert natürlich von Song zu Song - aber ich will Songs schreiben, die einen bewegen und die dazu anregen, zu fühlen und das Leben auf eine eigene Art zu betrachten." Nun ist es bei aller Klarheit der Intention nicht immer ganz einfach, zu entschlüsseln, wovon Laura eigentlich singt. Das hat aber einen ganz einfachen Grund, wie sie anhand des ersten Tracks "The Cause" erläutert: "Der Song 'The Cause' begann mit diesem Beat und der Melodie, die ich für eine lange Zeit in meinem Kopf hatte, zu der ich dann auch diesen Refrain hatte - wobei ich selbst keine Ahnung hatte, worum es hierbei eigentlich ging. Ich überlegte sogar, ob diese Zeile 'you belong to the cause' vielleicht sogar etwas Bedrohliches haben könnte. Nun glaube ich, dass es darum geht, dass man sein Leben selbstbestimmt leben kann. Vieles im Leben hängt ja vom Zufall ab - aber vieles bedarf auch konkreter, harter Entscheidungen. Das muss man erst mal erkennen. Wenn erst mal die Erkenntnis erreicht hat, dass man sein Leben selbst bestimmen kann, dann ist das ein großes Privileg. Ich denke, 'The Cause' ist ein Song, mit dem ich mich selbst aufmuntern und daran erinnern will. Das gilt auch für Beziehungen, an denen man in diesem Sinne arbeiten sollte." Das heißt also, dass "The Cause" - die Sache - die Bedeutung des Lebens an sich umfasst? "Das kann man so und so sehen", zögert Laura, "ich denke zum Beispiel manchmal, dass die Sache die Liebe ist - und manchmal, dass es eine Karriere-Ambition ist. Es verändert sich ständig. Ich weiß also nicht, ob es eine fest definierte Sache ist - ob es das Leben ist oder eine spezifische Beziehung." Das führt dann auch noch zu einer geeigneten, eigenen Schlussfolgerung: Auch wenn es Laura Gibson auf dem neuen Album "Empire Builder" also vornehmlich um die Vermittlung einer bestimmten Lebenseinstellung geht, ist es ganz en passant - sowohl musikalisch als auch inhaltlich - ein Werk großer Gegensätze und vielseitiger Themen, denn gerade Künstlerinnen wie Laura Gibson, die ja durchaus eine philosophische Grundeinstellung mitbringen, haben keine einfachen Lösungen für komplexe Situationen.

Weitere Infos:
www.lauragibsonmusic.com
twitter.com/lauragibsongirl
www.facebook.com/pages/Laura-Gibson/58016498710
www.instagram.com/lauragibsongirl
www.youtube.com/watch?v=VMamoan2JwA
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Shervin Lainez-
Laura Gibson
Aktueller Tonträger:
Emire Builder
(City Slang/Universal)
 

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