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08.07.2016
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MICHELE STODART

Alles, außer der Spüle...

Michele Stodart
Zusammen mit ihrem Bruder Romeo und dem Geschwisterpaar Angela und Sean Gannon ist Michele Stodard als Mitglied der britischen Band Magic Numbers doch eigentlich ganz gut beschäftigt - sollte man meinen. Doch die Rolle der Bassistin und Co-Autorin der Songs ihres Bruders reichte Michele wohl nicht, und so erschien 2012 das Solo-Debüt "Wide-Eyed Crossing", auf dem sich Michele als mindestens so ambitionierte Songwriterin wie ihr Bruder positionierte - sich stilistisch allerdings in Richtung Folk- und Country orientierte und auf die von den Magic Numbers bekannten Rock-Elemente verzichtete. Nach einer längeren Wartezeit gibt es nun mit "Pieces" ein neues Album, auf dem Michele dieses Konzept vertieft und gleichzeitig ihre Vorliebe für klassisches 70s Songwriting auslebt.

Wie sieht Michele diese Entwicklung denn selbst so? "Nun, ich habe schon eigene Songs geschrieben, als ich noch ziemlich jung war", berichtet sie, "mein Bruder Romeo hatte mir ein paar Akkorde auf der Gitarre beigebracht - und dann ging es los. Das war sogar noch bevor ich mich den Magic Numbers angeschlossen habe. Mit 19 war ich dann in dieser erstaunlichen Band, tourte über die ganze Welt - und hatte eine Menge Songs, die ich noch nie jemandem vorgespielt hatte. Ich habe auch immer weiter Songs geschrieben, wenn ich ein wenig Zeit in meiner Kabine im Bus oder im Backstage-Raum oder im Hotel finden konnte. Romeo hat mich schließlich ermutigt, einen meiner Songs, 'Take It Or Leave It' auf dem zweiten Magic Numbers-Album 'Those The Brokes' zu packen. Es war dann dieses Ereignis, das mich darin bestärkte, dass ich meine eigenen Songs ja auch mal aufnehmen könnte und ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem ich darüber nachdachte, eine Solo-Scheibe einzuspielen. Ich war aber sehr schüchtern und hatte noch wenig Selbstvertrauen, als ich mich den Magic Numbers anschloss. Und ich denke, dass ich immer noch Songs nur für mich schreiben würde, wenn mein Bruder und die Band nicht an mich geglaubt hätten." Und wovon lässt sich die Songwriterin Michele Stodart inspirieren? "Ich liebe zum Beispiel neben klassischen Country-Acts auch Nina Simone, Neil Young, Joni Mitchell, Emmylou, Dylan und Cohen. Ich verbinde Erinnerungen mit Musik. Tatsächlich lebe ich eigentlich einzig für all diese zeitlosen, klassischen Songs." Was natürlich erklärlich macht, dass Micheles eigene Songs dann ganz in einem solchen Geiste konstruiert sind.

Was ist denn eigentlich der Unterschied, Songs für sich selbst oder für die Band zu schreiben? "Zusammenarbeit", meint Michele sehr bestimmt, "Romeo und ich haben nun eine Menge Songs für die Magic Numbers zusammen geschrieben - die alle irgendwie auf eine andere Weise entstanden sind. 'Mornings Eleven' entstand zum Beispiel, indem Romeo vorschlug, einen Song in 'D' zu schreiben. Wir haben unsere Instrumente geschnappt und den Song - inklusive des Melodica-Solos - in einer Nacht geschrieben. Bei anderen Songs saß er am Klavier, während ich sein menschliches Diktaphon war und die Worte aufschrieb, die er sang und an denen wir später gemeinsam arbeiteten. Der Unterschied darin, Songs alleine zu schreiben ist der, dass das dies auf eine einsamen Weise geschieht. Welche Ideen mir auch immer einfallen: Ich nehme dann meine Gitarre und sehe, wo die Sache hinführt." Und wie funktioniert das Ganze? "Ich tendiere dazu zu schreiben, wenn alle im Haus schlafen und es dunkel und still ist. Ich schreibe wirklich sehr leise. Den Regen zu beobachten hilft dabei - und davon gibt es ja eine ganze Menge hier in London." Gibt es dafür dann ein bestimmtes Rezept? "Meistens kommt alles recht natürlich zustande", verrät Michele, "es gibt immer eine Menge Stimmen und Ideen gleichzeitig in meinem Kopf - also konzentriere ich mich auf eine und versuche, einen Sinn darin zu erkennen. Ein guter Song muss mich dann packen, so, dass ich etwas dabei fühlen kann: Aufgeregt, traurig, nachdenklich, inspiriert - was auch immer es ist: Es muss mich bewegen und vereinnahmen." Und wie muss man sich den Prozess dann vorstellen? "Von ganzem Herzen", antwortet Michele, "ich widme mich der Sache immer vollständig. Manchmal hat man einfach Glück und kann dann drei, vier Songs an einem Tag schreiben. Manchmal schwirrt dann aber nur diese eine Zeile in deinem Unterbewusstsein herum. Meine Songs verfolgen mich aber und können auch für den ganzen Tag meine Stimmung verändern. Diese sind schwer fertigzustellen, wie ich finde. Songs zu schreiben kann sein, wie eine Therapie."

Michele Stodart
Was ist der bedeutendste Unterschied zwischen "Pieces" und Micheles Solo-Debüt? "Ich meine, dass das neue Album eine durchgängige Stimmung vermittelt, die meinem Debüt fehlte", überlegt Michele, "ich war sehr ambitioniert auf meinem ersten Album und habe alles außer vielleicht meiner Spüle zur Instrumentierung verwendet und habe eine Menge dabei gelernt. Auf meinem neuen Album habe ich hingegen mehr Raum für die Texte gelassen, um jene Momente zu erzeugen, bei denen man dann auch mal eine Stecknadel fallen hören kann." Bei all dem ist es dann auch so, dass Michele in ihren Songs auch Raum für Interpretationen lässt, nicht wahr? "Ja, denn die Texte sind dieses Mal nicht - wie bei klassischen Folksongs - mit einer Klammer aus Anfang, Mittelteil und Ende versehen", beschreibt sie den Zustand, "sie nehmen Emotionen auf, die ich in bestimmten Augenblicken empfand - ohne dass ich die ganze Geschichte erzähle. Es gibt da einen Song namens 'Once In A While' auf dem Album, den ich schrieb, als ich von diesem Obdachlosen, den ich auf einer Treppe gesehen hatte, zu Tränen gerührt wurde. Dieser Augenblick blieb mir lange Zeit im Gedächtnis und ich entwickelte eine Geschichte darum herum, aus denen dann der Text für den Song entstand. Dieser schrieb sich dann wie von selbst und jedes Mal, wenn ich ihn singe, erinnert er mich an diesen einen Moment." Was ist denn heutzutage das Schwierigste als Liedermacherin? "Ich denke, das ist ist immer das selbe", sagt Michele, "ja - es ist schwieriger wegen des Internets, aber das Ziel wird immer das selbe sein - und das ist für mich, die ganze Reise mitzumachen und dabei eine gewisse Langlebigkeit anzustreben. Auf der anderen Seite gibt es nichts besseres, etwas zu erschaffen, auf das man stolz sein kann. Es gibt auch nichts besseres, als einen Song zu schreiben und ihn wachsen und Gestalt annehmen zu sehen und ihn dann mit anderen Musikern spielen zu können und andere Leute dabei beobachten zu können, wie sie ihn mitsingen." Und wie wird es musikalisch mit Michele Stodart weiter gehen? Gerade arbeitet sie an weiterem Solo-Material, einem Duo-Album mit Kathryn Williams und am fünften Magical Numbers-Album. Das heißt: Langweilig wird es ihr vermutlich sowieso nicht. Aber hat sie dennoch musikalische Visionen und Träume, die es zu verwirklichen gilt? "Es gibt in der Tat so einiges, das ich gerne machen möchte", verrät Michele, "ich möchte zum Beispiel mal ein orchestrales Album nur mit meiner Stimme und einer schönen, symphonischen Musik machen. Aber ich möchte auch mal ein Album mit jeder Menge Beats und Badass-Bass-Linien machen. Ich möchte noch ein paar andere Instrumente lernen - wie zum Beispiel Cello, Lapsteel oder eine musikalische Säge. Wenn wir jetzt in einer Bar bei einem Drink zusammensäßen, könnte ich dich mit einer Million Ideen wie diesen dusselig langweilen." Nun - da gäbe es sicherlich Schlimmeres...

Weitere Infos:
www.facebook.com/MicheleStodart
twitter.com/michelestodart
michelestodart.co.uk
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe-
Michele Stodart
Aktueller Tonträger:
Pieces
(One Little Indian/Rough Trade)
 

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