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14.10.2016
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JOSEFIN ÖHRN + THE LIBERATION

Luftspiegelung

Josefin Öhrn + The Liberation
Der Versuch, die Musik von Josefin Öhrn + The Liberation in irgendeiner Schublade verhaften zu wollen, müsste zwangsläufig fehlschlagen - ganz einfach deswegen, weil es bei der smarten Schwedin und ihren Musikern gar nicht so viele konkrete Eckpunkte gibt, an denen man sie oder ihre Kunst festmachen könnte. Der Name ihrer Band etwa entstammt dem tibetanischen Buch der Toten und bezieht sich auf "die Befreiung durch das Hören im Zwischenreich". Erst im letzten Jahr überraschte das Quintett mit einer bemerkenswert eigenständigen LP namens "Horse Dance", auf der es einen erquicklichen Mix aus Psychedelia, (Stoner)-Rock, Krautrock-Motorik und einer subtilen Art von Pop-Appeal zu verorten gab. Ganz ähnlich ist das auf dem nun vorliegenden, zweiten Album "Mirage" - nur, dass hier die Musik (wenn das denn überhaupt möglich ist) noch freistiliger zusammengewürfelt ist. Nicht etwa, dass das dem Charme des Ganzen abträglich wäre, aber Josefin und Co. scheinen es geradezu darauf angelegt zu haben, sich eben nicht konkret festlegen zu wollen. Dabei fing die Sache doch eigentlich ganz konventionell an - wie uns Josefin berichtet.

"Ich bin ursprünglich auf die Kunsthochschule gegangen und hatte vor, etwas anderes Kreatives zu machen - irgendetwas Visuelles vielleicht. Dann habe ich aber in diesem Plattenladen gearbeitet und irgendwann angefangen, Songs zu schreiben. Das hat einer der Kollegen mitbekommen und mich dann dem Musiker und Produzenten Fredrik Joelson vorgestellt, mit dem zusammen ich dann begonnen habe, ernsthaft gemeinsam an Songs zu arbeiten und der auch unsere Songs produzierte." Das Ergebnis ist dann allerdings weit weniger konventionell, als eine solche Beschreibung vermuten ließe. In der Bio zur neuen Scheibe "Mirage" heißt es zum Beispiel, dass die Band die neuen Songs in Form von "ausufernden, hypnotisierenden Jams mit mehr Glück als Verstand in nächtlichen Jam Sessions" formte. Das heißt also, dass der Zufall eine große Rolle bei der Entstehung der Stücke spielte? "Das ist teilweise so", versucht Josefin das in Worte zu fassen, "aber teilweise haben wir die Songs auch so angelegt, wie sie nun klingen. Das ist eben die Art von Musik, die dabei herauskommt, wenn wir zusammen musizieren." Ist es dabei notwendig, einen Zustand der Trance zu erreichen - denn so klingen viele der Songs? "Nein, eigentlich nicht", überlegt Josefin, "wir lassen uns aber gerne von der Musik selbst inspirieren." Dabei erreicht die Band wohl eine Art Bewusstseinszustand, den Josefin in den wenigen Äußerungen, die sie freiwillig zu der neuen CD im Vorfeld abgab, gerne als "Bardo" oder "Limbo" bezeichnet. Genauer wird das in dem Track "The State I'm In" ausgeführt - und das ist ein Zustand, der (was zu diesem Zeitpunkt dann auch nicht mehr verwundert) auch nicht besonders konkret ist. "Was ich mit diesem 'Limbo' meine, ist ein Zustand als Zwischenstadium. Auf dem letzten Album ging es darum, Verbindungen zu trennen. Dieser Prozess ist nun beendet und ich dachte darüber nach, was danach kommt. Ich befinde mich jetzt an einer Position, an der ich etwas zurückgelassen habe, aber noch nicht in der Zukunft angekommen bin." Das heißt also: Josefin sucht nach einer neuen Richtung? "Ich suche nach einem Weg, ja", bestätigt sie, "aber ich bin noch nicht angekommen."

Josefin Öhrn + The Liberation
Ist das vielleicht auch mit ein Grund, warum das Album "Mirage" heißt? Eine Fata Morgana ist schließlich auch kein besonders endgültiger Zustand - mehr noch: Eine Fata Morgana ist ja lediglich das Spiegelbild von etwas weit Entferntem. "Ganz genau", bestätigt Josefin, "das Album hat eine etwas unwirkliche Stimmung und das wollten wir damit auch ausdrücken." Das alles führt dann natürlich dazu, dass Musik wie die von Josefin Öhrn + The Liberation - besonders im Live-Kontext - dann auch irgendwie unwirklich rüberkommt. Jedenfalls weit entfernt von der Realität. Muss Musik dabei irgendwie größer als das Leben sein? "Nein", meint Josefin ziemlich bestimmt, "ich würde sagen, dass Musik ein Teil des Lebens ist - aber einer, den man auf eine andere Art wahrnehmen kann, als andere Dinge." Das ist ja eigentlich eine schöne Umschreibung für "bewusstseinserweiternd". Dazu gehört dann ja sicherlich auch, dass Josefin ihre Texte dem Zuhörer fast beschwörend - und immer eingebettet in den allgemeinen Sound-Flow - ins Unterbewusstsein flüstert. Welche Bedeutung haben Texte in diesem Kontext für Josefin? "Ich versuche mit meinen Texten - meinen Worten - eigentlich auf irgendeine Art zu malen", erklärt Josefin. Und die Stimme ist dabei dann so etwas wie ein eigenes Instrument? "Ja, genau", bestätigt sie. Wobei die Songs selbst dann mehr oder minder auf eigenen Erfahrungen beruhen? "Teilweise", schränkt Josefin ein, "in 'Madrid' geht es einfach um diese Nacht in Madrid, deren Atmosphäre wir in dem Moment sehr genossen haben. Ein 'Rainbow Lollipop' kann hingegen viele Dinge sein - für mich ist es ein Sinnbild für die Kraft der Vorstellung, die man als Kind hat und in der man sich verlieren kann. Diesen Gedanken wollte ich zelebrieren." Das sind zwei sehr unterschiedliche Ansätze. Ein Song auf der neuen Scheibe nennt sich "Circular Motion" und besteht eher aus Sounds denn aus Song-Elementen. Das ist dann das dann aber besonders abstrakt, oder? "Für mich ist das eine Reflektion über verschiedene Leben und Situationen, die an einem bestimmten Ort und zur selben Zeit umeinander kreisen. Wie in einer großen Stadt, zum Beispiel." Wie auch an anderer Stelle auf dem neuen Album, wird hier viel mit Mantren und Wiederholungen gearbeitet. "Ja, das ist mir auch besonders wichtig", bestätigt Josefin.

Josefin Öhrn + The Liberation
Dann gibt es aber noch einen anderen Aspekt in der Welt der Josefin Öhrn zu beachten, der zum Beispiel in Songs wie "Sister Green Eyes" zum Ausdruck kommt. "Ich denke, der Song ist aus der Position dieser Frau mit den grünen Augen geschrieben, die dich in ihren Bann zieht, dich in den Wald entführt, dich beschwört, dir ein Rätsel aufgibt." Etwas Übernatürliches, also? "Ja, das könnte es sein", meint Josefin, "denn die Mystik und Spiritualität spielen eine wichtige Rolle für mich. Ich habe das immer als Teil meines Lebens gesehen." Das klingt alles sehr organisch und natürlich - was ist denn bei all dem die größte Herausforderung? "Das Schwierigste ist heutzutage meiner Meinung nach, in unserer gegenwärtigen Gesellschaft mit etwas Kulturellem oder Ästhetischem zu arbeiten - einfach weil es dafür nicht genug Raum gibt und weil die Kunst danach beurteilt wird, welchen praktischen Wert sie hat und nicht, wie sie die Menschen fühlen lässt. Während auf der anderen Seite die Arbeit an einem kreativen Prozess sehr befriedigend sein kann. Das lässt die ganze Mühe dann wieder lohnenswert erscheinen." Dabei zehrt Josefin dann offensichtlich von einer ganz besonderen Eigenschaft: "Ich glaube, ich habe diese Persönlichkeit, die es mir ermöglicht, gleichzeitig introvertiert und extrovertiert sein zu können", verrät sie nämlich, "ich genieße es also einerseits, alleine in meiner kleinen Blase zu sitzen und an neuem Material zu arbeiten - aber ich genieße es auch, mit anderen zusammenzuarbeiten und etwas zu erschaffen. Und live aufzutreten gibt mir dann diesen ultimativen Kick, mit dem Publikum eins zu werden." Von welcher Musik fühlt sich Josefin eigentlich inspiriert? "Ich höre mir alle Arten von Musik an und das ändert sich auch öfters", überlegt Josefin, "aber dann gibt es doch Sachen, zu denen ich immer wieder zurück kehre, wie Velvet Underground, Spiritualized oder Can." Das hört man dann auch. "Was mich dann aber letztlich inspiriert, kann einfach ein guter Song sein oder auch ein Zufall - das ist alles sehr fließend." Die Musik selbst gibt das dann vor? "Ja, Musik hat ein Eigenleben", pflichtet Josefin bei, "Umstände oder Zufälle spielen da eine große Rolle. Ich denke, dass ich einfach experimentiere und ausprobiere und mal schaue was passiert. Die meisten Songs entstehen so abhängig von der Stimmung, in der ich mich gerade befinde." Wie geht Josefin bei all dem eigentlich mit der Melodie um? Viele ihrer Stücke basieren schließlich eher auf rhythmischen Aspekten? "Natürlich ist die Melodie sehr wichtig", führt Josefin aus, "und ich finde es interessant, mit der Geschichte, um die es geht, zu arbeiten und mit Variationen. Ich denke aber, dass dieses Album das zwar auch hat, aber hauptsächlich ging es um diese dichten, rhythmischen Grooves." Nun hat Josefin in recht kurzer Zeit ja schon eine Menge erreicht - neben ihren beiden LPs gibt es auch noch die Debüt-EP "Diamond Waves" und dann hat sie sich mit ihrer Band in kürzester Zeit (und vollkommen zurecht) einen Namen als betont cooler Live-Act geschaffen. Wie geht es denn musikalisch weiter? "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht", räumt sie ein, "aber ich bin sicher, dass es da eine Menge Dinge gibt. Ich fühle mich ja noch immer, als habe ich gerade erst angefangen und bin noch ganz in diesem Moment. Ich hoffe aber doch sehr, dass die Zukunft noch viele Überraschungen für mich bereit hält." Das hoffen wir auch - und bis dahin können wir uns ja unsererseits von Josefin Öhrn + The Liberation überraschen lassen...

Weitere Infos:
www.josefinohrn.com
twitter.com/JosefinOhrn
www.facebook.com/josefinohrn.liberation
josefinohrnandtheliberation.bandcamp.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Josefin Öhrn + The Liberation
Aktueller Tonträger:
Mirage
(Rocket/Cargo)
 

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