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21.09.2018
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WILLIAM FITZSIMMONS

Freiheit statt Neurose

William Fitzsimmons
Eigentlich ist William Fitzsimmons ein Jahr zu spät dran. Denn bereits im Sommer 2017 hatte der Mann aus Illinois sein erstes vollständiges Album seit dem 2014er Werk "Lions" fertig gehabt. (Zwischenzeitlich gab es ja zwei autobiographisch geprägte EPs, auf denen er die Geschichte seiner Familie in Pittsburgh thematisierte.) Aber gerade als er die Aufnahmen beendet hatte, teilte ihm seine zweite Ehefrau Erin mit, dass sie sich von ihm trennen wolle, da man sich auseinander gelebt habe. Mehr noch: Sie gestand ihm eine Affäre mit jenem Musiker, mit dem Fitzsimmons gerade die neuen Aufnahmen eingespielt hatte. "Tagsüber arbeiteten wir gemeinsam im Studio und abends war er mit meiner Frau zusammen", erinnert sich William - mittlerweile ohne Häme oder Bitterkeit. Letztlich führt das aber dazu, dass er sich von dem vorliegenden Material distanzieren wollte - nicht von den Songs an sich, aber von den Aufnahmen. Das machte es notwendig, die ganze Sache noch mal neu zu überarbeiten. Hierzu tat William dann einen konsequenten Schritt und wandte sich an den Produzenten Adam Landry, mit dem zusammen er dann in Nashville eine vollkommen neue Scheibe aufbaute, auf der er sich dann inhaltlich mit der gerade in die Brüche gegangenen Beziehung auseinander setzte. Obwohl William hierbei erstmals mit analoger Technik arbeitete (nachdem er zuvor seine Songs mit einem Computer bzw. digital produzierte) und wohl auch, weil es ja nun wirklich nicht um ein fröhliches Thema geht, hört sich das Ergebnis "Mission Bell" gar nicht so anders an, als bisherige William Fitzsimmons-Arbeiten. Die Frage stellt sich also, inwieweit sich denn die neuen Aufnahmen von jenen unterscheiden, die William zuvor einspielte?

"Also ich würde sagen, dass das neue Material sehr verschieden ist", führt William aus, "nicht unbedingt in Bezug auf die Akkordfolgen oder die Songstruktur, aber alles andere ist anders. Die ursprünglichen Versionen waren kalt und perfekt. Jede Note saß an ihrem richtigen Platz, meine Stimme war perfekt in der Stimmlage, die Gitarren-Elemente waren aus vielen verschiedenen Aufnahmen zusammengebaut. Die Version, die jetzt existiert, ist hingegen rau und eben nicht perfekt, sondern hat alle möglichen Warzen." Nun ja: Wie Steve Wynn ja schon mal sagte: Perfekt ist nicht gut genug, wenn es um Musik geht. "Dem stimme ich zu", erinnert sich William, "als wir die ersten Aufnahmen beendet hatten, wusste ich nicht mehr wo oben und unten war und dachte sogar, dass klänge alles großartig. Ich bin über die Jahre zugegebenermaßen süchtig nach dem digitalen Prozess geworden. Und jetzt arbeiteten wir in Nashville analog - mit einem großen Tonbandgerät - was mit richtig Angst machte." Erstaunlicherweise hört sich das Ergebnis der analogen Aufnahmen aber gar nicht besonders anders an als Williams bisherige Arbeiten. Was war denn musikalisch besonders zu beachten? "Nun, ich würde sagen, dass wir weniger Wert auf die Arrangements legten, weil wir ja nur acht Spuren hatten", überlegt William, "es ist eigentlich so, dass ich eine ziemlich neurotische Person bin, wenn es um die Kontrolle über den Aufnahmeprozess geht. Ich möchte dann Dinge festlegen wie 'dieses Klavier mit diesem Sound kommt an dieser und jener Stelle zum Einsatz'. Und das geht natürlich nicht, wenn man nur acht Spuren zur Verfügung hat. Wir haben zwar die Spuren zum Mischen und Mastern in den Computer eingespielt - aber wir haben keine weiteren hinzugefügt und auch eine Post-Production einzelner Teile gab es nicht. Aber es gab da Momente, wo es hieß: 'Wir haben jetzt noch eine Spur - was willst du also machen?' Und das erforderte dann spontane Entscheidungen - die auch nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. Es gab aber somit mehr Freiheiten und weniger Neurosen. Aber ich stimme dir zu, dass sich das Ergebnis gar nicht so anders anhört."

Okay - und was ist für William heutzutage die Herausforderung als Songwriter? "Nun, ich habe mir überlegt, dass es sinnvoll ist, tiefgehender und einfacher zu arbeiten", legt William dar, "man kann ja das Rad nicht neu erfinden. Ich bin vermutlich der zwanzigtausendste Typ mit Bart und Gitarre, der sowas macht. Meine Stärke liegt darin, dass ich versuche, jedes Mal bedeutungsvoller und simpler zu sein. Nicht, indem ich nur bestimmte Akkorde spiele, sondern indem ich mich auf das Wesentliche konzentriere. Nehmen wir mal Townes Van Zandts 'If I needed you would you come to me for to ease my pain'. Das ist herzergreifend simpel und berührend. Das ist es, worauf es ankommt. Zu versuchen, als Songwriter originell zu sein ist Narretei - wie bei Don Quijote, weil man das ja nie erreichen wird. Nein: Mach die beste Version deiner selbst, das reicht dann aus. Den Hörer zu berühren, ist die beste Waffe - oder besser gesagt Kraft -, die man als Songwriter hat." Wie hat sich William zu diese Erkenntnis durchgerungen? "Als ich anfing, dachte ich immer, ich müsse das erzwingen", erinnert er sich, "und habe meine Songs unheimlich spezifisch und detailreich gestaltet und es damit deutlich übertrieben. Ich wollte immer den Hörer überfüttern. Aber die Leute merken sowas und sträuben sich dagegen. Wenn man diesen kleinen, emotionalen Ort erschafft, den andere betreten können und ihren eigenen emotionalen Ballast mitnehmen können, dann erreicht man die Leute." Das heißt also es darf alles nicht zu genau ausformuliert werden? "Ganz genau", bestätigt William, "von einigen meiner Lieblingssongs weiß ich bis heute nicht, wovon genau sie handeln. Ich könnte es raten, läge aber vermutlich daneben. Aber ich weiß, dass ich etwas fühle und etwas über mich lerne. Man muss den Hörer insoweit respektieren, als das man ihm Raum für eigene Ideen lässt. Wenn man den ganzen Tisch in Beschlag nimmt, ist schließlich kein Platz mehr für andere."

William Fitzsimmons
Ist William Fitzsimmons eigentlich ein Stoiker? Wie viele seiner männlichen Kollegen versteht er sich schließlich darauf, seinen Männerschmerz in melancholischen Songs auszuleben - freilich ohne diese genretypische, larmoyante Note, sondern stattdessen zumindest mit einer gewissen Akzeptanz. "Da stimme ich dir total zu", meint William nachdrücklich, "die Leute sind zum Beispiel verwirrt und fragen, warum dieses Album etwa nicht zornig ist. Ich sage aber immer: So einfach ist das nicht, denn darum geht es doch gar nicht. Wenn man sich hinsetzt und sagt: Ich bin gut und der ist böse oder ich bin jetzt angepisst, weil dieses und jenes passiert ist, dann erreicht man doch nichts. Ich sage mal so: Die Triebkraft des Zornes ist die Angst. Die Angst vor der Unsicherheit und die Angst davor verlassen zu werden. Und das ist die Geschichte hinter all den großen Gefühlen, die ich erzählen möchte." Ist die Sache denn jetzt erledigt? "Um ehrlich zu sein, war das mit der Trennung ja nicht die ganze Geschichte", überlegt William, "die ganze Geschichte handelt von zwei Leuten, die sich verloren hatten, die ihre Probleme nicht in den Griff bekamen und die sich eine lange Zeit gegenseitig verletzt haben. Das passiert, wenn Menschen nicht die Verantwortungen für ihre Entscheidungen übernehmen wollen. Ich habe ihr jetzt vergeben und heutzutage beschäftige ich mich mehr mit mir selbst. Ich kann ja mich selbst und andere sowieso nicht verändern oder kontrollieren. Ich habe vierzig Jahre versucht, mein Leben zu kontrollieren - und das ist der Punkt, an dem ich angekommen bin. Bei den anonymen Alkoholikern gibt es einen Spruch, der besagt: Das ist der Ort, an den dich deine bisherigen Bemühungen gebracht haben. Vielleicht ist es also an der Zeit, einzuräumen, dass du nicht so recht weißt, was." Gibt es denn eine neue Beziehung in Williams Leben? "Nein - die alte ist ja auch noch nicht fertig", zögert er, "die alte Beziehung ist noch eine offene Frage. Wir haben Kinder und sie ist eine intelligente, freundliche Person und wir haben uns dann irgendwann gesagt, dass wir uns Zeit nehmen und die Sache richtig angehen sollten. Am Wichtigsten sind mir dabei die Kinder. Natürlich ist mir auch ihr und mein Glück wichtig, aber es ist wichtig, dass ich niemandem mehr Schmerz zufüge." Egal wie sehr sich William Fitzsimmons nun bemüht, der ganzen Geschichte im Nachhinein positive Aspekte abzugewinnen: Auf seine Musik hatte die erneute Trennungsgeschichte erstaunlich wenig Einfluss, so dass sich "Mission Bell" nahtlos einreiht in die Serie der großen Elegien, die der Meister der melancholischen Romantik seit 2005 vorlegte.

Weitere Infos:
williamfitzsimmons.com
facebook.com/williamfitzsimmons
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
William Fitzsimmons
Aktueller Tonträger:
Mission Bell
(Grönland/Rough Trade)
 

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