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16.10.2018
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TAMINO

Kontraste

Tamino
Als der belgische Songwriter Tamino beim diesjährigen Reeperbahn-Festival als Kandidat für den Anchor-Award im Hamburger Imperial-Theater in den Ring stieg, um sich vor der Fachjury um Produzentenlegende Toni Visconti zu präsentieren, staunten nicht wenige über die fast schon demütige Manier, mit der der Mann sein Live-Programm ohne jeden Schnickschnack, ohne große Show und Gesten, ohne Effekte und ohne großes Besteck - unterstützt von zwei Musikern, aber teilweise auch alleine - präsentierte und für sich selbst sprechen ließ. So etwas ist ja heutzutage absolut unüblich und fast auch schon wagemutig. Es zahlte sich aber aus: Der Faszination von Taminos Songs und der intensiven Darbietung konnte sich auch die Jury nicht entziehen und krönte ihn - zusammen mit seinem ebenfalls belgischen Landsmann Jasper Maekelberg alias Faces On TV - zum Sieger des Live-Wettbewerbs. Da stellt sich natürlich die Frage, was Tamino eigentlich so ungewöhnlich macht, dass er sich - in Zeiten von Youtube, Snapchat, Spotify und Facebook - noch alleine auf seine Musik verlassen kann. Allein sein ungewöhnlicher Name kann es ja nicht sein. "Tamino ist mein richtiger Name", erklärt Tamino, "Tamino ist der Haupt-Charakter von Mozarts 'Zauberflöte'. Meine Mutter ist nämlich ein Fan der Oper."

Das lässt vermuten, dass Tamino auch einen klassischen Musik-Hintergrund hat, oder? Seine zuweilen orchestral strukturierte Musik und sein exaltierter Gesangsstil, der vom sonoren Alt bis zum falsettartigen Tenor reicht, scheint darauf zumindest hinzudeuten. "Ich habe immer schon für Musik interessiert", erinnert sich Tamino, "hauptsächlich wegen meiner Mutter. Sie spielte Klavier und machte mich mit einer Menge Musik bekannt. Darunter war viele klassische Musik, aber auch die Beatles oder Tom Waits und auch arabische Musik." Dazu muss man noch wissen, dass Taminos Familie auch ägyptische und libanesische Wurzeln hat. Wann hat Tamino denn selbst angefangen, zu musizieren? "Das war im Alter von zehn Jahren", antwortet er, "da habe ich mit dem klassischen Piano angefangen. Dazu hatte ich nach zwei Jahren aber schon keine Lust mehr und habe das erst mal gelassen. Im Alter von 14 habe ich dann aber angefangen eigene Songs zu schreiben." Und dabei ist er dann auch geblieben. Besonders lange im Geschäft ist er dennoch nicht, denn zum Zeitpunkt, zu dem er sein Debütalbum "Amir" in Angriff nahm, war er ja gerade mal 20. Bekannt wurde Tamino mit seiner ersten EP, "Habibi" (was übrigens "mein Liebling" auf Arabisch heißt - weil das so schön klinge), mit der er in Frankreich in die iTunes-Charts wanderte. Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Colin Greenwood von Radiohead auf Taminos Aufnahmen mitspielt? "Colin ist zu einigen meiner Konzerte in Antwerpen gekommen und wir sind miteinander ins Gespräch gekommen", erinnert sich Tamino, "er ist sehr freundlich und nett und wir sind dann auch Freunde geworden. Ich habe ihn dann einfach gefragt, ob er auf meiner Scheibe mitspielen wolle - was er dann ja auch getan hat."

Taminos Großvater, Moharam Fouad, war in seiner Heimat Ägypten unter dem Namen "Die Stimme des Nils" ein veritabler Gesangsstar. Von ihm hat Tamino auch jene Gitarre vererbt bekommen, die er bis heute spielt. Da er zudem aus Belgien stammt, hat er ja gewiss auch keine Schwierigkeit, in seiner Musik alle möglichen verschiedenen musikalischen Stilelemente unterzubringen. Was aber ist seine Motivation und Zielrichtung als Songwriter? "Also erst mal versuche ich immer von einer Position der Aufrichtigkeit zu schreiben", erläutert Tamino, "ich bin auch der Meinung, dass ein Lied erst mal seine Existenzberechtigung beweisen muss. Ich hasse nämlich Musik, die offensichtlich dazu gemacht wurde, Geld damit zu verdienen." Ist das vielleicht auch der Grund dafür, dass Tamino in seinen Songs nicht besonders deutlich wird und seine Texte in poetischer Manier verklausuliert? Denn das ist ja genau das, was man in der von ihm kritisierten kommerziellen Popmusik eben nicht findet. "Ich habe nur einen Song mit einer durchgehenden Erzählstruktur", schränkt Tamino ein. "das ist 'Indigo Nights'. Da geht es um eine richtige Geschichte. Die anderen aber sind tatsächlich eher abstrakt, das gebe ich zu. Meine Philosophie zu meinen Texten ist die, dass sie sind, was sie eben sind. Ich erinnere mich hingegen daran, dass - als ich 'Indigo Nights' schrieb - mir sofort bewusst wurde, dass ich von dieser Regel abwich und mich fragte, ob dieser Song dann tatsächlich noch für mich stünde." Was ist denn daran so reizvoll, sich eher vage auszudrücken? "Nun, was ich an einem guten Song liebe ist, wenn man etwas in ihm hören kann, was andere nicht hören. Denn dann fühlt sich das an, als sei das ein Song nur für dich - den Zuhörer - selbst." Das heißt also, dass Taminos Texte nicht an seine eigene Vorstellungswelt gebunden sind? "Nein, sie sind offen für jedermanns Interpretation", meint er, "ich leite die Zuhörer zwar gerne in eine bestimmte Richtung, aber es muss auch immer eine Grauzone geben, die nicht genau definiert ist und in der jeder etwas anderes, eigenes finden kann. Das ist mir sogar besonders wichtig, weil das auch die Art von Songs sind, die ich selber mag." Was zeichnet einen guten Song Taminos Meinung nach ansonsten aus? "Wie ich sagte, sind mir Texte sehr wichtig", führt er aus, "denn jedes Mal, wenn ich einen Song singe, möchte ich andere Bilder in meinem Kopf haben. Wenn ein Song auf diese Weise mit mir wachsen kann, dann ist das für mich auch ein guter Song. Denn dann weiß ich ja, dass ich den Song für Jahre und Jahre spielen können werde." Das ist ja einer dieser Punkte, über die man als Musikkonsument nicht besonders nachdenkt, die aber für einen Musiker durchaus von Belang sind. "Genau", bestätigt Tamino, "und eine gute Methode, herauszufinden, ob das auch funktioniert, ist die Songs live auszuprobieren. So kann man herausfinden, ob ein Song es wert ist, für ein Album aufgenommen zu werden."

Neben dem Klangbild scheint auch die Atmosphäre wichtig für Tamino zu sein - vor allen Dingen unter dem Aspekt der Spiritualität. "Ja, die ist auch wichtig", bestätigt Tamino, "aber das kommt von der Produktion und der Post-Produktion", erläutert er, "wenn ich allerdings einen Song schreibe, dann ist es mir vor allen Dingen wichtig, dass ich den alleine auf dem Piano oder der Gitarre spielen kann - mit ganz einfachen Mitteln - und der dann im Kern immer noch funktioniert. Bei der Produktion kümmere ich mich dann intensiv um das Klangbild - aber ich denke, ich habe noch nie einen Song um einen Klang herum oder wegen des Klanges geschrieben." Taminos Musik mit der von anderen zu vergleichen, ist aufgrund der Vielschichtigkeit nicht ganz einfach. Da er aber gerne mal im Falsett singt, kommt da des Öfteren Jeff Buckley ins Spiel. "Ja, ich kenne seine Arbeiten sehr gut", räumt Tamino ein, "meine hohe Stimme kommt aber eher von meiner Verbindung zur klassischen Musik. Ich singe meine Songs ja nur, weil jemand sie singen muss. Ich habe gewiss größere Ambitionen als Songwriter denn als Sänger. Ich würde sogar sagen, dass meine Leidenschaften für das Schreiben größer sind als für die Musik überhaupt. Ich liebe es aber schon zu singen, denn dadurch fühle ich mich einfach besser. Aber besondere Ambitionen habe ich diesbezüglich wirklich nicht. Es geht halt Hand in Hand mit meinem Songwriting." Nun ja: Seine Songs vor Publikum zu singen, kann aber doch eine Art sein, diese wieder für sich zu reklamieren, nachdem sie mit der Veröffentlichung zum Allgemeingut geworden sind. "Ja, definitiv - da ist wohl was dran", stimmt Tamino zu, "es stimmt ja, wenn man einen Song veröffentlicht, dann gehört er ja jedermann, aber wenn man ihn singt, dann nimmt man ihn wieder in Besitz. Leonard Cohen sagte ja mal, dass er sich unsicher fühle, wenn er andere Leute, die besser singen als er, seine Songs vortragen höre. Wenn man aber Leonard Cohen singen hört, dann weiß man, dass er diese Songs geschrieben hat. Es nimmt sich also so seine Songs zurück. Das ist übrigens eine schöne Art, das auszudrücken."

Tamino
Eine Sache fällt dann noch auf: Tamino bevorzugt einen melancholisch/düsteren, larmoyanten Noir-Stil. In seinen Songs wird es niemals so richtig hell, wie es scheint. Allerdings singt er auf der anderen Seite recht oft von Licht und Lichtern. Ist das ein Zufall? "Nein - das mache ich absichtlich", erklärt er, "ich liebe Kontraste wie zwischen Dunkelheit und Licht, denn meine Musik entwickelt sich um diese beiden Extreme herum, wie ich glaube. Deswegen empfinde ich meine Musik auch nicht als düster. Die Dunkelheit lässt das Licht ja erst als wesentlich erscheinen - und umgekehrt wirkt das Licht erst durch die Dunkelheit. Das lässt sich auch übertragen. Wenn ich zum Beispiel den Begriff 'Hoffnung' in einem sehr düsteren Song verwende, dann eröffnet das ganz neue Dimensionen und verändert die Bedeutung. Ich mache solche Sachen also absichtlich - weil ich das sehr mag." So gesehen lässt man sich dann als Zuhörer auch gerne von Tamino verzaubern - auch ohne Flöte, wenn nötig.

Weitere Infos:
taminomusic.com
www.facebook.com/taminoamir
twitter.com/taminoamir
www.instagram.com/taminoamir
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer / Pressefreigabe-
Tamino
Aktueller Tonträger:
Amir
(Caroline/Universal)
 

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