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05.07.2019
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OLYMPIA

Mode, Kunst, Musik, Welt.

Olympia
Die australische Indie-Szene dreht zur Zeit ja mächtig auf - besonders was junge Damen betrifft, die ihre Kreationen in so ziemlich allen Varianten des Indie-Schrammel-Power-Pop zu Gehör bringen. Zu dieser Szene gehört im weitesten Sinne auch Olivia Bartley - auch wenn sie schon etwas länger dabei ist und mit Geschrammel nicht mehr viel am Hut hat. Olivia war zuletzt als Support ihrer Landsfrau Julia Jacklin auf unseren Bühnen zu Gast und legt mit ihrem aktuelles Projekt unter dem Namen Olympia mit "Flamingo" nun bereits ihr zweites Album vor. Vielleicht hinterfragen wir zuerst mal, was es mit der - in Zeiten von Google & Co. - doch recht problematischen Benennung von Projekt und LP mit allgemeingültigen Begriffen auf sich hat.

"Ich habe mir die Hörner als Performerin schon vor Urzeiten unter meinem eigenen Namen abgestoßen", erläutert Olivia ihre Philosophie, "heutzutage klingt die Musik indes ganz anders, so dass ich diesen Weg wählte. Seltsamerweise war es mein Design-Studium, das den größten Einfluss auf meine Musik und mein Songwriting hatte. Als ich mit die Arbeiten von Hussein Chalayan, Rei Kawakubo, oder sogar die Werbeanzeigen von United Colours Of Bennetton in den 90ern anschaute, begann ich überall nach Ideen für alles mögliche zu suchen. Wenn Modedesign so inspirierend sein konnte, warum dann nicht auch die Musik. Dabei war der Wechsel zu einem Pseudonym die logische Konsequenz daraus - sowohl in der Theorie, wie auch den Klang betreffend - sowohl als Gedankenspiel, wie auch als kreativer Freiraum. Den Namen übernahm ich von Monets Gemälde 'Olympia' - vor allen Dingen deshalb, weil sich damals alle so sehr über dieses Bild aufgeregt haben, so dass es so hoch aufgehängt werden musste, dass die Leute keine Nahrungsmittel mehr darauf werfen konnte." Und woher kommt die Flamingo-Referenz? "Ein Thema, das sich durch die ganze Scheibe zieht, ist die Idee, das Worte Farben repräsentieren sollen und Instrumente als eine Art Sprache funktionieren. Das war ein Abfallprodukt meiner Recherchen zu dem Album - sozusagen das Loch, in das meine Alice fiel. Der Gedanke, einen Begriff zu wählen, der visuell so stark besetzt ist, sollte den Zuhörer anregen, ihn zu hinterfragen. Das ist eine Technik, die Maler dauernd anwenden. Man denke nur an Francis Bacon und seine Pfeile."

Zu einem aktuellen Promofoto fügte Olivia den Hashtag "Love is a Form of Resistance" hinzu. Das muss sie uns aber mal genauer erklären. "Diese Idee kam mir durch den Prozess der Erschaffung dieses Albums", erläutert Olivia, "was ich damit meine, ist Folgendes: Wenn du dein Leben ständig überfrachtest und dir niemand rät, dich zurückzunehmen, dann bist du irgendwann verloren. Diese Scheibe ist wie ein Liebesbrief. Liebe als Widerstand meint, trotz des ganzen Hin und Hers des Lebens zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit niemals aufzugeben. Die ganze Scheibe handelt von der Spannung zwischen solchen gegensätzlichen Zuständen." In dem Zusammenhang: Wovon singt Olivia in ihren bildhaften Songs eigentlich? "Generell würde ich sagen, dass ich davon singe, ein Mensch zu sein - wie eigentlich jeder andere auch. Ich komme dabei immer wieder auf folgendes Zitat von Anais Nin zurück: 'Es gibt viele Wege, frei zu sein. Einer davon ist die Realität mit meiner Vorstellungskraft zu durchdringen - wie ich es mache."

Was ist denn dabei das Wichtigste? "Das Wichtigste am kreativen Prozess ist die eigentliche Idee", führt Olivia aus, "die Idee kommt zuerst. Entweder höre ich eine interessante Geschichte oder aber ich stolpere über eine seltsame Erfindung im New Scientist-Magazin. Ich bin auch daran interessiert, wie Künstler in anderen Bereichen wie Literatur oder Malerei auf Themen reagieren. Als ich zum Beispiel 'Honey' schrieb, wurde ich dazu von Bildern aus Utah inspiriert, die roten Honig zeigten, der dadurch entstand, dass ein Imker den Bienen Zuckerstangen fütterte, um Kosten zu sparen. Das hat nicht nur ihn ruiniert, sondern auch den ganzen Staat beeinflusst - und das ist ein Sinnbild dafür, welchen Einfluss wir Menschen aufeinander haben." Geht es Olivia dabei um spezifisch australische Themen? "Meine Position ist natürlich australisch", meint sie zögerlich, "vielleicht im Bezug auf meinen trockenen Sinn für dunklen Humor. Aber meine Musik ist nicht besonders australisch." Von welchen Künstlern fühlt sich Olivia denn dann beeinflusst? "Von Maggie Nelson, die 'The Argonauts' geschrieben hat - ein unglaublich klares und großzügiges Werk, das das Persönliche mit dem Weltlichen verbindet. Und auch Olivia Laing und die Arbeit 'The Lonely City'. Beide entziehen sich einer einfachen Kategorisierung, und ich freue mich darauf, diese Werke immer wieder zu studieren. Meine Verehrung für Maggie Nelson habe ich in dem Song 'Shoot To Forget' Ausdruck verliehen. Ich fühlte mich hier von einem Zitat aus ihrem Buch 'Bluets' berührt: 'For to wish to forget how much you loved someone - and then, to actually forget - can feel, at times, like the slaughter of a beautiful bird who chose, by nothing short of grace, to make a habitat of your heart.' Und dann ist da noch John Bergers Zitat: ' Die Kamera entlastet uns von der Last der Erinnerung. Sie überwacht uns wie Gott und sie überwacht für uns. Aber noch kein anderer Gott war so zynisch wie die Kamera, denn die Kamera nimmt auf um zu zu vergessen.’"

Olympia
Olivia Bartley nimmt es mit der Philosophie also offenbar ein wenig genauer als viele ihrer Kolleg(inn)en. Jedenfalls gibt es nicht sehr viele ihrer Zunft, die ihre Songs mit so konkreten philosophischen Hintergründen ausstatten. Braucht es da eigentlich noch Metaphern - wie z.B. die "Hounds" in dem gleichnamigen Song. Ist das - wie bei Stella Donelly - ein Sinnbild für die Gefahr als solche? "Ich benutze Metaphern auf eine andere Weise", erklärt Olivia nicht unbedingt unerwartet, "'Hounds könnten als Avatar für deine Wut angesehen werden. Etwas, mit dem man sich selbst die harte Arbeit ersparen könnte, sich mit etwas auseinanderzusetzen." Die Wortwahl ist Olivia also besonders, wichtig? "Ja, die Sprache ist so allgegenwärtig, dass man als Songwriter / -writer immer nach neuen Wegen sucht, um Ideen für das Publikum mit alten Worten auf eine neue Weise zu beleuchten. Metaphern sind eines der Werkzeuge, um Farbe in seiner Arbeit zu erzeugen." Etwas überraschend ist die Tatsache, dass das Thema "Trauer" gewissermaßen zum Leitmotiv der Scheibe wurde. "In der Tat ist das das zentrale Thema der Scheibe", räumt Olivia ein, "ich bin nämlich der Meinung, dass die Emotionen 'Trauer' und 'Verlangen' eng miteinander verknüpft sind - was mir dann ermöglichte diese Sache auf der Scheibe eingehend zu ergründen." Wie ist das dann zu verstehen? "Beim 'Verlangen' geht es darum, dass einem etwas fehlt. Um es mal Jacques Lacan zu umschreiben: 'Du siehst ein Haus, das du magst und kaufst es. Du schaust aus den Fenstern dieses Hauses und siehst das auf der anderen Straßenseite - und willst nun dieses.’ Die Wahl, dieses Phänomen auf der Scheibe zu ergründen, traf ich nicht deswegen, um daraus selbst etwas gewinnen zu können oder als Katharsis. Ich bin nicht wirklich an Künstlern interessiert, die so arbeiten. Ein Autor, den ich bewundere, sagte mal, dass man zunächst die Geschichten von 'hier' erzählen muss (also jene, die dir selbst am nächsten sind), bevor man die Geschichten 'dort' erzählen kann. Und diese 'nahen' Geschichten sind die schwierigsten, die du jemals schreiben wirst. Das ist so wahr. Ich wusste deswegen selbst nicht, wohin mich die Scheibe führen würde, als ich mit der Arbeit begann, ich wusste nur, dass ich technisch bereit war, das Thema zu erforschen - aber das Album selbst (wie auch sein Vorgänger 'Self Taught') wurde durch den Prozess bestimmt."

Wenn Olivia sagt, dass sie ihre Musik nicht aus Eigennutz betreibe: Was ist dann die treibende Kraft dahinter? "Auch als ich noch gar keine Musik machte, wusste ich schon, dass ich auf irgendeine Weise kreativ sein würde", erklärt Olivia, "ich bin einfach am glücklichsten, wenn ich etwas mache und darüber nachdenke. Das ist meine treibende Kraft - mein Kraftstoff. Ich habe immer schon Songs geschrieben und Collagen aus Zeitungsausschnitten gemacht, die ich bis heute in einem Ordner mit mir rumtrage. Als Kind habe ich aus Langeweile in langen Sommern von neuen Welten geträumt. Ich war immer hungrig danach, Dinge zu erforschen. Als ich an der Uni studierte (was ironischerweise den größten Einfluss auf meine Musik hatte), erkannte meine Mentorin dieses und riet mir, mich hinzusetzen und anzufangen zu graben. Und das ist das, was ich bis heute mache - nicht nur als Idee, sondern auch bei meiner Musik." Gibt es da bestimmte Präferenzen? "Ich bin mit einer eklektischen Musikauswahl aufgewachsen - Bob Marley, The Andrew Sisters, Chicago oder Sly Stone haben also definitiv einen Sinn für Musik in mir angeregt. Aber in Kombination mit der Tatsache in einer kleinen Stadt jenseits des üblichen musikalischen Pfades aufzuwachsen - regte das in mir den Wunsch an, eigene musikalische Mythen zu entwickeln anstatt ständig von anderen Musikern beeinflusst zu werden. Als Kind nahm ich Radio-Sendungen auf Kassette auf, denn ABC Radion National spielte eine eklektische Songauswahl - und auf diese Weise entdeckte ich eine Menge von Künstlern aus der ganzen Welt. Der Film 'Dead Man' von Jim Jarmush mit dem Soundtrack von Neil Youngplan hatte einen massiven Einfluss auf mich - welch eine Kombination, welch eine Vision! Zu meinen Lieblingsbands gehören The Fall und Wire - die sind immer neue und aufregend und ich bezeichne sie als meine Brot und Butter-Bands, denen ich mich immer zuwende, wenn ich mit eintöniger oder monotoner Musik konfrontiert werde."

Die Olympia-Songs sind ja im Vergleich relativ komplex - auch wenn sie poppig und zugänglich sein mögen. Woher kommt denn das? "Texte und die Sprache, die du verwendest, sind super-wichtig", führt Olivia aus, "ich warte dabei nicht auf die Inspiration, sondern ich arbeite in Vollzeit von morgens bis abends. Als ich mit 'Flamingo' anfing, ging es mir darum, eine komplette Welt zu entwerfen, auf die man sich vom Anfang bis zum Ende einlassen könnte. Dabei muss alles unmittelbar und frisch sein. Ich konnte nicht auf fertigen Songs hocken und diese polieren, verfeinern oder überarbeiten. Die Songs brauchten Kanten und Fragen. Das war ein großes Risiko für mich. Es ging mir darum, etwas zu erschaffen, das hoffentlich die Zeit überdauern und dabei direkt und intim wirken könnte. Vieles davon entwickelte ich intuitiv. 'Flamingo' hat dabei eine emotionale Kraft, bei der es mir darum ging, etwas Dringendes, Konfrontierendes und Modernes zu schaffen. Eine Atmosphäre, in die man von Anfang bis Ende eintauchen könnte. 'Flamingo' ist auch eine Liebesgeschichte. Es ist Eindringlicher als 'Self Talk' und lyrisch handelt es eher von direkten Erfahrungen als Geschichten aus der Ferne. Ich habe oft gehört, wie Schriftsteller / Künstler darüber diskutiert haben, etwa nach New York zu ziehen, um dort zu sein, wo Dinge geschehen. Auf dieser Platte habe ich versucht, selbst eine Umgebung zu schaffen, in der die gesamte Platte aus solch einem emotionalen Ursprung hervorgeht und von dieser Art der Energie befeuert wird. Man hört dies in der Wahl der Sprache: Ich versuchte ohne die Metaphern, die sich auf 'Self Talk' befanden zu arbeiten - um stattdessen zu versuchen, das ungefilterte, unzensierte Selbst zu erschließen. Klanglich ist alles wahrscheinlich Eindringlicher. Es ist sicherlich keine passive Scheibe. Ich nehme nichts zurück und entschuldige nichts. Die Gitarren stehen vorne, der Gesang ist hart und wir haben die Studioausrüstung bis Verzerrung ausgereizt. Mein Produzent, Burke Reid, hat mir geholfen, die Songs aus mir herauszukitzeln. Denn hätte ich meinen Willen gehabt, dann wäre ich vielleicht immer noch dabei, diese zu schreiben." Wow. Keine Frage: Olivia Bartley gibt sich nicht mit Platitüden zufrieden, sondern hat ihre Kunst von vorne bis hinten durchdacht und analysiert.

Weitere Infos:
www.facebook.com/olympiamusic
de.wikipedia.org/wiki/Olympia_(Gemälde)
cameronafzal.wordpress.com/2013/03/29/francis-bacon-the-visual-existentialist/
de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Lacan
www.youtube.com/watch?v=ndaGQNKrp5A
www.olympiamusic.com.au
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pierre Toussaint-
Olympia
Aktueller Tonträger:
Flamingo
(Opposite Number/Rough Trade)
 

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