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06.09.2019
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THE SLOW SHOW

Die Lust am Balancieren

The Slow Show
Es ist ja immer schön, wenn sich eine Band, die sich einen dann doch recht eigenen, individuellen Stil angeeignet hat und damit auch vergleichsweise erfolgreich ist, sich dann nicht nur selber treu bleibt, sondern sich auch bemüht, die eigenen musikalischen Grenzen ständig neu auszuloten und zu verschieben, ohne dabei jeweils alles bisher erreichte über den Haufen zu werfen - kurz: sich weiterzuentwickeln. The Slow Show aus Manchester gehören mit Sicherheit zu jener Spezies. Immerhin drei Jahre Zeit ließ sich das Quartett für das nunmehr dritte Album mit dem interessanten Namen "Lust And Learn" Zeit - was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass Rob Goodwin, der sanftmütige Frontmann der Band, ausgerechnet in Düsseldorf eine neue Heimat fand, während seine Kumpels im heimatlichen Manchester zurück blieben, wo Keyboarder Frederick t' Kindt das durch seine Kontakte zu lokalen Streicher- und Bläserensembles und Chormusikern ständig expandierende Slow Show-Universum verwaltete und die gemeinsamen Arbeiten im Studio organisierte. Wie kam es denn dazu? "Dass ich nach Düsseldorf gezogen bin?", fragt Rob Goodwin vorsichtig zurück, "nun, es braucht immer einen guten Grund für einen solchen Schritt und der beste ist sicherlich eine Frau. Und das war es bei mir dann auch." In dieser Sache bestärkt haben dürfte Rob sicherlich auch der Umstand, dass The Slow Show mit ihrem dem deutschen Naturell kompatiblem Schwermut hierzulande ihre bisher größten Erfolge feiern konnten und sich eine treue Fangemeinde erspielt haben.

Kommen wir aber mal zum neuen Album. Dieses dürfte - zumindest klanglich, konzeptionell und stimmungsmäßig - zu den schönsten Alben des Jahres gehören; auch wenn es ziemlich düster und eben schwermütig ausgefallen ist. Bedingt sich das etwa? "Also das Konzept 'Schönheit' ist schon ein ziemlich weites Feld", philosophiert Rob, "und es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, etwas schön zu machen. Schönheit muss dabei gar nicht im traditionellen Sinne schön sein, sondern alles kann irgendwie auch schön sein - sogar Düsteres und Schwermütiges. Für uns geht es darum, dass - egal ob etwas düster, tiefgehend oder hell ist - der Hörer zu irgendeiner Reaktion geführt wird. Das, was wir am meisten fürchten, ist Gleichgültigkeit. Es gibt nichts schlimmeres, als keine Reaktion zu bekommen oder das jemand sagt, dass sich unsere Musik nett im Hintergrund hören lässt, während man was anderes tut. Jemanden auf wirkliche Art zu berühren, ist für uns der einzig wahre Erfolg." Heißt das, dass die Empathie eine Grundvoraussetzung für die Arbeit von The Slow Show ist? "Ja", meint Rob ziemlich bestimmt, "Empathie macht vielleicht sogar das Herz der neuen Scheibe aus. Menschen zu verstehen und die Dinge aus mehr als einer Perspektive zu betrachten ist sehr wichtig. Dazu muss man aber überhaupt selbst in der Lage sein, etwas zu empfinden - etwa eben Empathie für jemand anderen - wodurch man eine Situation überhaupt erst verstehen kann." Das ist ein interessanter Punkt, denn es gibt ja die Theorie, dass Menschen, die in der Lage sind, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, nicht nur diese Menschen, sondern auch Musik mit einer gewissen empathischen Qualität wahrnehmen. "Das ist ja gerade das schöne an der Kunst", überlegt Rob, "das Gemälde eines Menschen kann den einen zu Tränen rühren und den anderen kalt lassen. Das ist ein faszinierendes Ding, das man wissenschaftlich nicht greifen kann. Das gilt natürlich auch für Bücher oder Schallplatten. Kunst ist einfach ein sehr, sehr persönliches Ding. Mit der neuen Scheibe wollten wir zum Beispiel Emotionen, Atmosphären und Situationen einfangen." Wie ist das denn gemeint? "Nun zum Beispiel die Idee, wie sich jemand fühlt, der in einer dunklen Nacht aus dem Fenster in einer großen Stadt schaut", führt Rob aus, "wobei es aber überhaupt nicht darum ging, ausführliche, verständliche Geschichten vom Anfang bis zum Ende auszuformulieren. Es muss zum Beispiel gar nicht immer eine Auflösung geben - so lange man nur dem Zuhörer drei Minuten lang ein Gefühl vermitteln kann."

Das bedeutet dann aber auch, dass das Ganze von vorneherein als Album - und nicht als Songsammlung - angelegt ist, oder? "Das will ich doch hoffen", erklärt Rob, "das ist uns schon wichtig - auch wenn das etwas altmodisch ist. Wenn man sich von 'Lust And Learn' nur Ausschnitte anhörte, würde man etwas verlieren, denn dann würde man das Narrativ verlieren." Dann aber nicht im Sinne einer Geschichte, sondern im Sinne des ganzheitlichen Eindruckes des Albums. Vermutlich sind deswegen die instrumentalen Zwischenspiele, die einzelne Stücke verbinden, besonders wichtig. "Ja, ganz genau", pflichtet Rob bei, "wir haben sowas früher zwar auch schon mal gemacht, aber besonders Fred, der ja auch Keyboards spielt, wollte das dieses Mal forcieren, auch weil wir uns gesagt haben, dass man mit Instrumenten genausoviel ausdrücken kann, wie mit Texten. Deswegen sind die Instrumentalstücke dieses Mal integraler Bestandteil. Es ist für uns vor allen Dingen wichtig, dass alle Elemente miteinander ausbalanciert sind."

Gehört zu dem Balance-Spiel auch die Tatsache, dass auch auf diesem Album wieder die Gast-Sängerin Keisha Jones auftaucht? "Ja, sie ist fantastisch und eine gute Freundin von uns. Wir machen das, um verschiedene Charaktere und verschiedene Perspektiven darstellen zu können. Manchmal geht es ja in den Songs um das Ringen zweier verschiedener Charaktere. Das hilft uns dann auch, eine Balance herzustellen. Ich möchte nicht, dass die Songs einfach die Gedanken eines einzelnen repräsentieren, sondern es ist wirklich nett, die Gedanken eines Charakters der Perspektive eines anderen - etwa durch Keishas Stimme - gegenüberzustellen." Geht das dann nicht in die Richtung, wie ein Regisseur oder ein Schauspieler die Sache anginge? "Definitiv", meint Rob, "das bietet uns einfach eine unglaubliche Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen. Es ist auch wichtig, dass sich tonal alles auf einer Ebene abspielt, sondern uns die Möglichkeit bietet, Klänge sozusagen herumzuschieben. Und das Schöne daran ist, dass das auch alles gar nicht perfekt ist. Wir haben uns in der Vergangenheit immer dann schwer getan, wenn jemand perfekt gesungen hat - und das ist bei Keisha nicht der Fall. Es geht nicht um die Stimme, sondern um die Balance und vor allen Dingen die Emotionen die dargestellt und vermittelt werden können Perfektion."

The Slow Show
Nun haben The Slow Show mit ihrer Musik ja schon so einiges erreicht, von dem andere Bands nur träumen - beispielsweise die Zusammenarbeit mit Chören und Orchestern. Gibt es dennoch irgendetwas, was die Band auch in Zukunft reizen würde? "Ich denke, wir gehören zu jener Spezies, die es nimmt, wie es kommt", zögert Rob, "aber wir sind so sehr von der Musik und dem begeistert, was wir tun, dass uns die Leidenschaft so schnell nicht ausgehen wird. Wir haben jetzt gerade diese Scheibe aufgenommen, werden sie promoten und natürlich touren - aber schon jetzt haben wir begonnen, an neuer Musik zu arbeiten. Nicht, weil uns das, was wir gerade gemacht haben, etwa schon langweilt, sondern weil wir darauf brennen, etwas Neues zu machen - und sowieso nichts anderes haben, durch das wir uns ausdrücken könnten."

Weitere Infos:
www.theslowshow.co.uk
www.facebook.com/theslowshow
www.instagram.com/the_slow_show
www.youtube.com/channel/UC4Q8d7tCsnSsd4hJ8qmUb-g
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Paul Husband-
The Slow Show
Aktueller Tonträger:
Lust And Learn
(Pias/Rough Trade)
 

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