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19.11.2019
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WALLIS BIRD

Das Instrument der Musik

Wallis Bird
Bereits mit ihrem Album "Architect" wandte sich die in Berlin lebende und arbeitende irische Songwriterin Wallis Bird von ihren ursprünglichen Folkpop-Roots ab und sucht seither nach einem eigenen Weg, sich musikalisch auszudrücken. So arbeitete sie z.B. zunehmend mit elektronischen Hilfsmitteln, Samplern, Loops und Keyboards. Insbesondere bei ihren Live-Shows - entweder mit ihrer Band (zu der zeitweise auch Emma Greenfield und Sam Vance Law alias Traded Pilots) gehörten, oder solo - entwickelte sie im Laufe der Zeit eine ganz eigene Ästhetik und Dynamik, die sich zunehmend üblicher Kategorisierungen entzog. Der Prozess scheint sich nun - mit dem aktuellen Album "Woman" - geradezu verselbständigt zu haben, wie Wallis selbst freimütig einräumt.

Zunächst jedoch gilt es mal den Titel des Albums zu ergründen. In diversen Rezensionen war davon zu lesen, dass es hier um ein feministisches Statement ginge, während Wallis selbst bei den ersten Konzerten zum neuen Album sagte, dass sie schlicht realisiert habe, dass sie nun, mit 36, kein Mädchen mehr sei. Was war denn nun der Hintergrund der Titelgebung? "Auf jeden waren das ein paar Dinge", erklärt Wallis, "als erstes war da die Sache, als ich meine Haare rasiert hatte und eine Glatze hatte. Das war das erste Mal, dass ich mir über meine Femininität Gedanken gemacht habe, denn viele Leute haben da gesagt, dass ich ja wie ein Mann sei und total maskulin aussähe. Von da ab habe ich mich selbst nicht mehr als Frau gefühlt. Dann bin ich 36 Jahr alt geworden - worauf ich mich immer gefreut habe und worauf ich immer gewartet habe; wobei ich gar nicht weiß warum. Es hat dann drei Jahre gedauert, das neue Album zu machen - und in der Zeit ist viel für Frauen passiert in Richtung Gesellschaft und Politik - was sehr wichtig war. Und das wollte ich dann im Titel zum Ausdruck bringen." Die neue Scheibe ist ja dann auch politischer geworden, als Wallis bisherige Veröffentlichungen. Bei dem ersten Song, "Where The River Flows", geht es ja z.B. um das Thema Flüchtlinge. "Das wollte ich auch so", führt Wallis aus, "mein neuer Stil zu schreiben ist nicht mehr über meine eigenen Gedanken und Emotionen zu schreiben, sondern über das, was in der Welt passiert. Und was mir sehr wichtig ist, ist dass Leute mit Empathie und Sympathie über Flüchtlinge sprechen. Denn wir benutzen zu viele gefährliche Worte in diesem Zusammenhang. Ich meine: Diese Leute fliehen vor Gewalt und Kriegen und haben ein schreckliches Leben. Als ich dieses Bild von dem dreijährigen toten Jungen aus Syrien gesehen habe, hat sich alles für mich geändert. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir 'gute' und 'liebe' Worte in diesem Zusammenhang verwenden."

Da sind wir bei einem interessanten Punkt angelangt, denn obwohl Wallis in dem Song "That's What Life Is For" singt, dass sie eine "zornige Pazifistin" sei, ist "Woman" vergleichsweise versöhnlich und friedfertig geraten - jedenfalls nicht zornig oder wütend. "Ja, ich verwende lieber viel mehr Begriffe wie 'Liebe' und 'Frieden' in meinen Liedern, weil ich mehr Liebe und Frieden in meinem Leben brauche. 'That's What Life Is For' habe ich für meinen Vater geschrieben, weil er meinte, ich soll mal ein fröhliches Lied schreiben. Das habe ich dann auch gemacht - aber der Text ist gar nicht fröhlich, hier geht es darum, dass ich nie perfekt war und sein werde - sondern so wie ich bin. Ich finde es immer wichtig, dass eine Botschaft hinter der Musik steht, damit die Leute meine Musik genau hören sollen." Wie sieht Wallis denn die Situation im allgemeinen? "Na ja, bei den Protesten in Berlin muss man natürlich dabei sein", räumt sie ein, "das kommt von meinem ursprünglichen Protest-Hintergrund. Das deutsche System finde ich dabei recht gut, weil es auf schutzbedürftige Menschen acht gibt. Eigentlich ist das ein gutes Beispiel für den Rest der Welt, wie man mit Schutzbedürftigen umgehen sollte. Es ist schrecklich, was im Moment passiert, weil wir ein paar Dekaden ohne Krieg hinter uns haben und uns momentan im Kreis zurückzudrehen scheinen - was ich nicht verstehen kann. Das Pendel schwingt ein wenig zurück im Moment - aber hoffentlich schwingt es auch wieder in die andere Richtung. Wir müssen mal schauen." Welches Fazit zieht Wallis denn diesbezüglich für sich selbst? "Ich bin ein sehr positiver Mensch weil ich glaube, dass Liebe eine sehr positive Waffe ist. Sie ist natürlich keine Waffe - weil das ein schlechtes Wort ist. Aber wie ich sage: 'Be powerful cause kindness kills - and angryness sometimes'."

Wallis Bird
Wie ist Wallis die neue Scheibe denn musikalisch angegangen? "Nun, früher habe ich meine Songs immer wie eine Skulptur geformt", führt sie aus, "aber seit der letzten Scheibe habe ich viel losgelassen. Ich habe mir gesagt, dass ich auf der neuen Scheibe nicht jede Entscheidung treffen muss und nicht zu viel Kontrolle haben muss, sondern einfach loslassen könnte. Dadurch haben die Lieder sich sozusagen selbst geschrieben. Das war für mich sehr interessant. Ich habe meine ganze Karriere hart gearbeitet - aber irgendwann hat meine Erfahrung dazu geführt, dass meine Arbeit auf hypnotische Weise von selbst funktionierte. Ich bin immer noch dabei - aber eigentlich bin ich zu einem Instrument meiner eigenen Musik geworden." Das geht aber doch nur, wenn man vorher alles schon mal ausprobiert hat, oder? "Ich kann dir sagen: Das kommt nicht von nichts. Ich musste schon viel Erfahrung sammeln und ich musste ja auch die Arbeit machen - also aufnehmen und spielen. Aber meine Lieder sind aus meinem Unterbewusstsein gekommen. Ich habe mich dem Prozess dann meditativ geöffnet." Ist so auch die Piano-Ballade "Time Is Not Waiting" entstanden? "Ja, bei diesem Stück habe ich absichtlich sehr langsam gearbeitet, sehr lange Worte verwendet - einfach damit man merkt, dass es hier um das Thema Zeit geht", erläutert Wallis, "man soll hier 'runterkommen' und sich der Zeit bewusst werden. Es ist sehr wichtig, dass man nicht zu schnell durch das Leben fliegt. Man muss die Zeit spüren und im Moment sein und innehalten. Das ist in meinem Leben sehr wichtig, denn ich habe 15 Jahre so viel gemacht und getourt und gespielt, dass ich mich gar nicht mehr an alles erinnern kann." Okay: Gibt es denn noch konkrete Pläne für die Zukunft? "Ja", antwortet Wallis sehr bestimmt, "ich möchte Kinder und ich möchte auch eine Lehrerin für Kinder und junge Leute werden und eine Schule für Musiktherapie eröffnen."

Weitere Infos:
www.wallisbird.com
www.facebook.com/wallisbird
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Wallis Bird
Aktueller Tonträger:
Woman
(Caroline/Universal)
 

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