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03.04.2020
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M. WARD

Auf der Suche nach Überraschungen

M. Ward
"Migration Stories" ist bereits das zehnte Album, das Matthew Ward als Solo-Künstler unter seinem Künstlernamen M. Ward herausbringt. Eigentlich ist es dabei fast schon überraschend, dass Matthew ungefähr alle zwei Jahre Zeit findet, eigenes Material einzuspielen, da er als Produzent, Gastmusiker und mit seinen zahlreichen "Side-Projects" ja eigentlich gut beschäftigt ist. Woran arbeitet Matthew denn aktuell noch so?

"Vor ungefähr zehn oder elf Jahren haben Zooey Deschanel und ich ja unser Projekt She & Him gestartet, indem wir aus Spaß eine Scheibe aufgenommen haben", berichtet Matt, "sie hatte mir damals ihre Demo-Tapes zugeschickt und die haben mich an die klassischen 60s-Projekte wie die Ronettes oder die Crystals erinnert und ich fand es interessant, mit dieser tollen Stimme die Produktionsmöglichkeiten auszuloten. Das ist ein bisschen zu einem Schneeball-Effekt geworden. Wir haben sechs Scheiben rausgebracht und gerade erst noch mal Weihnachts-Shows in den USA gespielt, um Geld für Kinder in Not zu sammeln. Monsters Of Folk mit Jim James, Mike Mogis und Conor Oberst war aber eher eine einmalige Sache - obwohl wir alle noch Freunde sind. Ich habe aber vor zwei Jahren ein Album mit Mavis Staples produziert und gerade eben erst eines mit Neyla Pekarek - der ehemaligen Cellistin der Lumineers. Sie hat eine tolle Stimme und schreibt sehr theatralische Songs, die überhaupt nicht wie die Lumineers klingen." Okay - wie kam es dann zu dem neuen Album? "Nun das Thema ist ja gerade auch in den USA sehr aktuell", erzählt Matt, "ich fand es dann schon sehr seltsam, dass - als ich nach Europa kam - hier dieselben Gespräche zum Thema Migration geführt werden wie bei uns. Es ist zwar eine andere Krise - aber doch sehr ähnlich. Wie siehst du denn das?" Nun - kurz gesagt geht es bei uns eher um Flüchtlinge und in den USA eher um Migranten (auch wenn gewisse Kreise das nicht so sehen). "Das ist ein guter Punkt", überlegt Matt, "vielleicht gilt auch beides - denn viele der Leute, die aus Zentralamerika zu uns wollen, fliehen ja auch vor irgend etwas." Hat Matt eigentlich auch ein persönliches Anliegen, die Migration betreffend? "Ja, denn ich habe in diesem Zusammenhang herausgefunden, dass mein Großvater vor über hundert Jahren selbst als Migrant nach El Paso eingewandert ist", erläutert Matt, "er hat damals - glaube ich - fünf Dollar bezahlt, um in die USA zu kommen und das Recht hier sein zu dürfen."

Was interessiert dann Matt an diesem Thema als Songwriter? "Nun, es gibt mir immer Hoffnung, wenn ich einen Bericht über einzelne Menschen lese, die sich dann als Erfolgsgeschichte herausstellen. So etwas inspiriert mich, Songs darüber zu schreiben. Wenn ich zum Beispiel ein Filmemacher wäre, würde ich mich ja auch eher auf das Leben eines Einzelnen konzentrieren, als zu versuchen, das große Ganze abzubilden. Ich denke schon, dass die Probleme mit der Migration gelöst werden können - nur weiß ich nicht wann und wie. Ich denke, dass die Lösung darin besteht, sich mit jedem Einzelschicksal zu beschäftigen." Betrachtet sich Matt vielleicht sogar als musikalischer Filmemacher? "Ich denke, dass Musik sogar ein besseres Medium ist, als der Film", führt er aus, "denn mit dem Film wirst du mit Bildern gefüttert, die du nicht mehr los wirst, während der Zuhörer bei der Musik sich selbst ein Bild machen kann. Tatsächlich hat die Musik mehr Vorteile als Film und ganz bestimmt das Fernsehen." Wie ist Matt die Scheibe auf der musikalischen Seite angegangen? Das neue Material zeichnet sich durch eine gewisse Verspieltheit aus und klingt vollkommen ungezwungen. "Ich wollte viel Raum in meiner Musik", führt Matt aus, "deswegen habe ich auch mehr instrumentale Anteile als gewöhnlich. Als mich mein Manager bat, ihm die Texte zu schicken, stellte ich fest, dass die alle auf ein kleines Stück Papier passten - was neu für mich war. Ich wollte besonders ökonomisch mit meinen Worten umgehen. Und musikalisch war ich in der glücklichen Lage, mit diesen Leuten von Arkade Firne arbeiten zu können, die all diese Synthesizer hatten, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Das war ebenso neu für mich und es war spannend sie dabei zu beobachten, wie sie die Songs damit zum Atmen brachten." Gab es denn einen stilistisches Ziel? "Ich wollte das Herz der Songs so weit wie möglich freilegen", erläutert Matt, "danach ging es darum, eine Art offenen Raum für die Musiker zu erschaffen, damit diese die Texturen der Songs ergänzen konnten. Ich gebe die Richtung ein wenig vor - erlaube dann aber den Musikern durchaus ihre Flügel zu entfalten. Wenn ich vorher alles arrangierte, dann könnte ich auch alles selber machen - das wäre aber nicht so interessant für mich." Sucht Matt vielleicht nach dem berühmten Blick von außen auf seine Musik? "Ich suche nach Überraschungen", schränkt er ein, "das ist das Wichtigste für mich. Ich weiß ja, dass - wenn ich mit talentierten Musikern arbeite - diese immer etwas machen, was mich überraschen wird. Deswegen verbringe ich gerne Zeit mit der Produktion. Wenn ich nämlich alles alleine mache, dann werde ich schnell zu selbstgefällig. Ich mag es nicht, mich zu komfortabel zu fühlen. Stattdessen öffne ich dem Chaos ein wenig die Tür."

M. Ward
Wie entstehen Matts Songs im Allgemeinen? "Ich würde nicht sagen, dass ich schnell arbeite", überlegt Matt, "wenn ich etwas schreibe, dann muss ich erst mal ein Jahr darauf sitzen bleiben, um mir sicher sein zu können, etwas geschrieben zu haben, das einen bleibenden Wert hat. Mit der Produktion verbringe ich dann zwei bis drei Monate." Was ist dabei für Matt die größte Herausforderung als Songwriter in einem Genre, in dem vieles schon versucht worden ist? "Ich fordere mich selbst dadurch heraus, indem ich mich in für mich ungewöhnliche Positionen außerhalb meiner Komfortzone versetze", erläutert er, "in diesem Fall habe ich das gemacht, indem ich nach Montreal zu diesen Jungs von Arcade Fire gereist bin, mit denen ich zuvor noch nicht gearbeitet habe. Und als Musiker habe ich mir überlegt, dass es eine gute Idee wäre, mit ungewöhnlichen Gitarrenstimmungen zu arbeiten. Ich habe schon früh Sonic Youth, Joni Mitchell und Jeff Fahey für mich entdecken können - und das hat mich dazu inspiriert mit alternativen Stimmungen zu arbeiten. Immer, wenn du deine Gitarre auf diese Weise umstimmst, dann hast du praktisch ein neues Instrument zur Hand und bist vielleicht in der Lage einen Gitarrenakkord zu produzieren, den es zuvor noch nicht gegeben hat. Das führt dich automatisch auf einen anderen Weg: Das habe ich zum Beispiel auch bei She & Him gemacht - und deswegen klingen die Songs auch wie solche aus den 60s - aber nicht wie welche, die du kennst. Ich habe immer verschiedene Stimmungen verwendet."

Gibt es denn noch eine Vision für die Zukunft für M. Ward? "Ich mag die Idee, mal jemanden zu produzieren, der in einer anderen Sprache singt. Meine Großeltern stammen aus Mexiko - mein Spanisch ist aber eher mittelmäßig. Ich kann ein wenig Französisch, aber kaum Deutsch. Aber in einem solchen Setting zu arbeiten und dann die Stimme als zusätzliches Instrument zu betrachten - ohne jedes Wort selbst verstehen zu können - das würde mich schon reizen."

Weitere Infos:
www.mwardmusic.com
www.facebook.com/mwardmusic
www.youtube.com/channel/UCNZbEn_DNo_2s_Xe_0QTGug
www.youtube.com/watch?v=S0paiqFt810
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
M. Ward
Aktueller Tonträger:
Migration Stories
(Anti/Indigo)
 

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