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13.03.2001
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SLUT

Die Hoffnung stirbt nie

Slut
Slut sind etwas ganz Besonderes. Sie gehören nämlich zu einer Spezies, die in Deutschland eigentlich nie richtig heimisch geworden ist: Zur Spezies der Rockbands von internationalem Format. Denn schaut man einmal auf die einheimischen Bands zurück, die auch über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes hinaus für Schlagzeilen gesorgt haben, waren das entweder One-Hit-Wonder à la Nena oder vielleicht Liquido, Novelty-Acts wie in den 70ern Can oder später Blumfeld, wobei letztere ihren spärlichen Ruhm in England und Amerika außerdem vor allem auf die Tatsache gründeten, von Pavement hofiert worden zu sein, oder Elektronik-Spezialisten wie Kraftwerk oder Mouse On Mars. In den letzten Jahren gab es zwar einige hoffnungsvolle Versuche, Rockbands aus Deutschland international zu etablieren, der Erfolg allerdings blieb aus. Bei Readymade ist das ebenso schade wie unverständlich und bei The Notwist mag es auf fehlendes Popstar-Image zurückzuführen sein. Die einzige Band neben den äußerst verheißungsvollen Augsburger Newcomern Nova, die diesen Missstand beheben könnte, kommt ebenfalls aus Süddeutschland, genauer gesagt aus Ingolstadt: Slut nennen sich die fünf Herren und "Lookbook" ist der Titel ihres Major-Debuts, das dieser Tage erscheint.

Slut
Doch beginnen wir am Anfang. 1996 bringen Christian Neuburger (Gesang, Gitarre), Rainer Schaller (Gitarre), Gerd Rosenacker (Bass) und Matthias Neuburger (Schlagzeug) ihr erstes Album "For Exercise And Amusement" beim kleinen, aber feinen Sticksister-Label heraus. Die Platte ist übrigens die erste Veröffentlichung des Stickman-Sublabels überhaupt. Ihre Musik rückt sie am ehesten in die Nähe der Smashing Pumpkins, und nicht nur die für ein Debut fast unfassbar gut durchdacht produzierte Platte, sondern vor allem die folgenden Konzerte sorgen zuerst für Verwunderung und dann für Entzücken. In Deutschland sind die Vier vor allem im Vorprogramm anderer Bands unterwegs und spielen diese mit schöner Regelmäßigkeit an die Wand. Menschen, die Vorgruppen normalerweise meiden wie die Pest, kaufen noch am selben Abend CDs. Eine zufällig bei einer der Shows anwesende Programmdirektorin eines US-Collegeradiosenders kehrt begeistert in ihre Heimat zurück und spielt Slut wohl zum ersten Mal überhaupt im amerikanischen Radio. Das verschafft der Band zwar leider keinen Millionseller jenseits des großen Teiches, aber erste internationale Anerkennung wird dem Quartett auf Tour in BeNeLux zuteil. Angespornt vom Erfolg der Platte richten sich Slut in der Nähe von Ingolstadt eigene Proberäume und ein kleines Studio ein. Richtig stilvoll, in einem alten Schloss. Dort arbeiten sie auch an den Songs für die EP "Sensation" und den Stücken ihres zweiten Albums "Interference", das 1998 erscheint und auf dem Tastenmann René Arbeithuber erstmals als fünftes Bandmitglied zu hören ist. Er arbeitet mit Rainer auch bei der Band Pelzig zusammen. Obwohl die Platte alles andere als schlecht ist, kann sie nicht ganz die hochgesteckten Erwartungen erfüllen, die das Debut geweckt hatte. Doch spätestens als die Band letztes Jahr den Majorvertrag bei Virgin unterschrieb und mit "Welcome 2", ihrem Soundtrackbeitrag zum vielbeachteten Kinostreifen "Crazy", ihre erste Single für das neue Label veröffentlichte, war klar: Wir haben es hier mit einer der großartigsten deutschen Bands seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrzehnten zu tun.

Der schlagende Beweis ist das Meisterwerk von Album, das nun als "Lookbook" erscheint. Ein 60-minütiges Fast-Konzeptalbum, auf dem die Band verschiedenste Einflüsse gekonnt zu einer eigenständigen Einheit verschmilzt und oft epische Popsongs aus der Tasche zaubert, für die man bisher immer nach Großbritannien oder nach Amerika schauen musste. Einen Tag nachdem Slut in London (!) ihr Album gemastert hatten, traf die Gästeliste die Gebrüder Neuburger in Hamburg, um mit ihnen über ihr großartiges Album zu sprechen.

Gästeliste: Ihr kommt gerade aus London angeflogen, und auch die nächsten Tage werdet ihr per Flugzeug durch Deutschland reisen und Dutzende von Interviews geben. Eine neue Erfahrung für euch, richtig?

Christian: In diesem Ausmaß haben wir das vorher wirklich noch nie gemacht. Wir sind vielleicht mal nach Köln gefahren und haben dort zwei, drei Interviews gegeben, aber tagelang nur über unsere Musik zu reden, das ist schon eine neue Erfahrung.

Gästeliste: Einen solchen Medienrummel erleben ansonsten vor allem Bands, die nur das Ziel haben, Popstars zu werden um jeden Preis. Ihr aber gehört eigentlich in eine andere Kategorie...

Matthias: Das stimmt. Trotzdem haben wir gemerkt, dass bei unserem alten Label relativ wenig für die Promotion getan wurde und wir mit unserer Musik, bzw. mit der Musik, die wir vorhatten zu machen, weitaus mehr Leute erreichen können.

Gästeliste: "Lookbook" ist eure erste Platte als Fulltime-Musiker, die nicht mal eben in den Semesterferien entstanden ist. Inwieweit macht ihr euch nun auch Gedanken um den Absatzmarkt, bzw. weniger geschäftlich ausgedrückt, die Musikszene in Deutschland?

Slut
Christian: Ich denke schon, dass sich einiges verändert hat. Den Independent-Deckmantel gibt es nicht mehr. Einerseits ist das auch gut so, andererseits tut es mir ein bisschen leid. Es gab jahrelang feste Größen in Deutschland, die auch geographisch über das ganze Land verteilt waren, deren Veröffentlichungen nicht nur konstant, sondern auch immer gut waren. Inzwischen sind die - wohl wegen des ausbleibenden Erfolgs - wieder untergetaucht oder in kleinen Nebenprojekten verstreut. Das ist schade. Dabei wäre der Weg in die Top 10 für die Musik, die früher Underground oder Independent genannt wurde, eigentlich inzwischen frei.

Gästeliste: In meinen Ohren kommt die neue LP eurem ersten Album wesentlich näher, nicht unbedingt vom Sound, aber von der Stimmung her. Hat das einen bestimmten Grund?

Christian: Du bist der erste, der das sagt... Was beiden gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass sich das Liedermachen über einen sehr langen Zeitraum erstreckt hat, und außerdem haben wir uns sowohl für die erste als auch für die neue einen Rahmen gesteckt, innerhalb dessen sich die Musik bewegen soll, wobei es natürlich erlaubt ist, links und rechts auszubrechen. Bei der ersten Platte ist das allerdings eher aus Ungeschicklichkeit passiert, bei der neuen war es eher Konzept. Die zweite Platte ist innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums entstanden, weil wir damals eigentlich alle überhaupt keine Zeit zum Musikmachen hatten, und deswegen klingt das Album glatter, mehr wie aus einem Guss und weniger abwechslungsreich.

Gästeliste: Viel Zeit zur Verfügung zu haben ist also eher ein Vorteil für euch? Andere Bands sind froh, wenn sie einen engeren zeitlichen Rahmen haben, damit sie fertig werden müssen und das reine Ausprobieren von Ideen nicht ausufert.

Christian: In unserem Fall hat sich das schon ausgezahlt. Vor allem die Möglichkeit, bestimmte Stücke eine Zeit lang liegen lassen zu können und später nochmal in völlig anderer Fassung aufnehmen zu können. Die Zeit hat's einfach gebraucht, sonst wären wir wohl kaum damit glücklich gewesen.

Gästeliste: Fällt es euch denn dann nicht schwer, irgendwann ein Ende zu finden und den Song als fertig anzusehen?

Matthias: Dieses Mal war es schon so, dass wir froh waren, als alles fertig war. Die letzte Aufnahmephase im Studio hat fünf oder sechs Wochen gedauert und es war sehr anstrengend für alle Beteiligten. Aber kaum ist man dann zwei Tage daheim, denkt man sich: Das hätten wir noch anders machen können und da hätte man doch noch...

Gästeliste: Da ist ja auch die Wahl des Produzenten und des Aufnahmeorts nicht unwichtig.

Matthias: Wir haben die Platte wieder im Uphon Studio in Weilheim aufgenommen, in dem wir seit unserem ersten Demo all unsere Aufnahmen gemacht haben. Das ist inzwischen eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit...

Gästeliste: ...die aber streckenweise auch zur Routine werden kann?

Christian: Stimmt! Wir haben auch lange überlegt, ob wir woanders aufnehmen sollen und wo wir denn hinkönnten, aber das ist eine sehr schwere Entscheidung. Die Produzenten der Bands, die wir zur Zeit favorisieren, sind für uns derzeit einfach nicht erreichbar. Kurzfristig wäre da nichts gegangen und finanziell wahrscheinlich auch nicht (lacht). Letztendlich hat es sich aber bezahlt gemacht, dass wir es wieder selber gemacht haben. Wir wussten nur, dass wir einen anderen Sound wollten, aber weil uns niemand richtig geholfen hat, mussten wir eine sehr starke Eigendynamik entwickeln.

Gästeliste: So abwechslungsreich die Platte auch ist - ein Song ("Mr. Blake") fällt dennoch völlig aus dem Rahmen.

Slut
Christian: Wir haben schon erwartet, dass viele Hörer über das Stück stolpern würden, und eigentlich finde ich das auch ganz in Ordnung so. Das Album hat unserer Meinung nach ein augenzwinkerndes Stück gebraucht, da der Rest ja doch relativ schwermütig ist, wenn vielleicht auch nicht mehr ganz so stark wie früher. Außerdem sorgt es an dieser bestimmten Position, auf der es nun auf dem Album steht, für einen gewissen Einschnitt. Danach beginnt ein stimmungsmäßig anderer Block.

Matthias: Uns war auch sehr wichtig, dass die Stücke auf dem Album ineinander übergehen. Alle Stücke vor "Mr. Blake" hängen ja zusammen. Und "Mr. Blake" selbst ist eigentlich nur ein Überbleibsel von "It Was Easier" und soll das Ende dieses Medleys im ersten Teil der Platte markieren. Wir hätten statt des Stücks auch einfach Stille einbauen können, aber das hätte kaum den gleichen Effekt gehabt. Das Stück soll sagen: "So, alles vergessen, was bis jetzt kam, war auch gar nicht so böse gemeint, jetzt geht es wieder von vorne los."

Christian: Das Stück haben Matthias und ich ganz alleine eingespielt und wir standen auch innerhalb der Band ziemlich auf verlorenem Posten. Die anderen haben gedacht, wir spinnen. Allerdings hatten wir uns vorgenommen, dass auf dieser Platte alles möglich sein muss, und deshalb hat auch der Song seine Berechtigung.

Gästeliste: Letzte Frage: Slut feiern eine Party. Welche Persönlichkeiten - tot oder lebendig - werden eingeladen?

Christian & Matthias: Juliette Binoche, weil sie so wahnsinnig schauen kann und wir das gerne mal in natura sehen würden. Julia Ormond sollte aus dem gleichen Grund ebenfalls dabei sein. Auf männlicher Seite ebenfalls, weil er so cool ausschaut, Paul McCartney (lachen)... Ein echter Brüller auf jeder Party wäre auch Johnny Depp. Und dann würde die Entscheidung wohl fallen zwischen Claudia Schiffer und Franz von Assisi...Außerdem sollte noch ein legendärer Sportler dabeisein. Max Schmeling vielleicht oder noch besser - Karl-Heinz Rummenigge!

Weitere Infos:
www.slut-music.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Stefan Claudius-
Slut
Aktueller Tonträger:
Lookbook
(Virgin)
 

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