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19.12.2001
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SOUNDTRACK OF OUR LIVES

Das Lied vom Leben

Soundtrack Of Our Lives
"The Soundtrack Of Our Lives"; möglicherweise ist dieser Name inzwischen, nach dem diesjährigen Erscheinen des Albums "Behind The Music", präsenter als noch vor zwei Jahren, als hierzulande das Debütalbum "Welcome To The Infant Freebase", um drei Jahre verspätet, erschien. Dennoch wissen noch immer eher wenige Leute, wieviel die sechs Schweden eigentlich können. Daß sie auf eine zeitlose, souveräne Art Pop mit Rock verbinden, die berührt, dabei aber niemals angestrengt oder pathetisch klingt.

Ebbot Lundberg stapft aus der Dusche in den nebenan liegenden Catering-Raum der Kölner Live Music Hall. Die kinnlangen Haare hängen ihm bis in die Augen. Das zweite Drittel des Gesichtes bedeckt sein Vollbart. Seufzend läßt er sich auf einen Stuhl fallen. In gut drei Stunden wird er als Sänger mit seiner Band im Vorprogramm von Motorpsycho spielen. Und das ist vielleicht das Einzige, worauf er heute wirklich Lust hat. Lundberg grinst. Weil ich ihm gerade die erste Frage des Interviews gestellt habe. Ein toller Anfang, wie ich finde. Die Verhältnisse sind klar: Der Musiker ist cool und der, der die Fragen stellt, ist es nicht. "'Behind The Music' ist eine TV-Serie auf VH-1. Die Dokumentationen waren immer gleich: Ob es nun um die Stooges ging oder Milli Vanilli", antwortet er schließlich auf die Frage nach dem Titel ihrer aktuellen Platte. "Während der Aufnahmen habe ich diese Serie oft gesehen. Der Titel ist ja nur eine Bezeichnung und er paßte einfach zum Album. Er hat aber nichts mit den Masken auf dem Cover zu tun."

Es scheint nicht weiter relevant, ob man die Musik als große Kunst betrachtet und diese Band ewig wegen ihres Gespürs für unaufdringliche, Wärme erzeugende Melodien und ihre scheinbar intuitive Eigenschaft, sich durch nichts beirren zu lassen, verehren wird, oder auch einfach nur zu dem Entschluß kommt, daß "Welcome To The Infant Freebase" ein wenig mehr nach Pop klang als "Behind The Music" und letzere ein wenig Rock-lastiger als erstere. Fest steht dagegen, daß es vorwiegend darum geht, den eigenen musikalischen Ansprüchen nachzukommen. "Wenn es jemanden gäbe, wäre ich sehr dankbar", erklärt Lundberg und meint damit eine Person, die zwar nicht zur Band gehört, deren Rat man aber durchaus bereit wäre, anzunehmen. "Aber bisher gab es da niemanden. Wir wissen einfach selbst, was zu tun ist. Zumindest glauben wir das. Man muß abwägen können, wenn die Leute dir erzählen, wie du etwas zu tun hast. Wir sind so sehr darin eingebunden, was wir tun und brauchen keinen Input von außen. Aber", räumt er ein, "wir sind nicht völlig verschlossen. Wenn ein Freund eine gute Idee hat, nehmen wir die auch gerne an." Irgendwie klang die erste Aussage überzeugender. Dadurch bestätigt sich wieder einmal der Ruf, der TSOOL voraus eilt: Daß sie ohne Trends auch nur eines Blickes zu würdigen dem vielleicht wichtigsten Merkmal ihrer Musik folgen: Zeitlosigkeit. Nun bezieht sich dieser Eindruck wohl eher auf die Musik und die Texte, sind sie auch alles andere als trivial, geraten dabei eher in Vergessenheit. "Wenn man sich für einen Text interessiert, muß man nicht darüber reden. So etwas ist gegenüber der Musik immer zweitrangig. Jeder erwartet von mir, ein großer Texter zu sein, aber das will ich nicht wirklich. Ich bin froh, daß niemand sich auf die Texte konzentriert; das sollte man nicht tun." Glaubt er denn, daß man als Musiker überhaupt gleichzeitig modern, dabei aber auch authentisch und ehrlich sein kann? "Ich hoffe es. Es ist immer schwer, sich nicht von 'bösen Mächten' beeinflussen zu lassen. Wenn man an etwas glaubt, hält man sich daran. Das machen wir." Daran hätte wohl niemand gezweifelt, nur beantwortet das die Frage nicht wirklich. Zu der konsequenten Haltung paßt auch die Geschichte von den Aufnahmen zum Album "Extended Revelation", das es übrigens in Deutschland nicht im Laden zu kaufen gibt. Mitten im Sommer mieteten sich die Herren ein Haus auf dem Land, dekorierten die gesamte Umgebung mit Weihnachtsschmuck und liefen in Klamotten des 19. Jahrhunderts herum. "Das war ein guter Anfang", erinnert er sich. "Wir haben die Aufnahmesessions auf Video und sie spiegeln genau das wieder, was wir damals empfunden haben." Sind solche positiven Erinnerungen auch beim live spielen der Songs von Bedeutung? "Ja", lautet die knappe Antwort. Muß es vielleicht eher die Musik sein, die die Antwort auf die Frage nach ihrem Hintergrund gibt und nicht ihre Macher? Es mag vielleicht nicht neu sein, das zu sagen, dennoch: Darf ein Musikstück, das nicht nur unterhalten will, sondern, um es platt zu formulieren: der Soundtrack zum Leben sein soll, überhaupt eine eindeutige Erklärung abliefern? Lundberg bestätigt diese Idee: "Ein Song sollte dir unterschiedliche Dinge sagen, abhängig davon, in welcher Stimmung du dich befindest. Ich mag keine 'One-Track-Mind'-Lyrics. Man sollte beim Hören verschiedene Ansichten präsentiert bekommen. Wie bei einem Spiel mit Worten."

Selten liest man über TSOOL, ohne das der Name Union Carbride Productions fällt. "Das ist die 'Pre-Soundtrack-Periode'", charakterisiert Ebbot die Formation, in der er selbst zusammen mit dem TSOOL-Gitarristen Ian Persson spielte, bis man sich 1993 trennte. "Es ist ein sehr interessanter Fortschritt. Ich höre mir auch noch die alten Alben an und finde sie großartig. Die Leute, die uns heute hören, sollten auch das Zeug von Union Carbride kaufen." Nun wird wohl niemand bestreiten, daß es nachteilig war, das Musikgeschäft kennen gelernt zu haben und bereits zu wissen, was in einer Gemeinschaft, die zusammen Musik macht, funktioniert und was nicht, bevor man ein Album aufnimmt. Dennoch macht man es sich eventuell zu einfach, Naivität als nur "schlecht" und Abgeklärtheit als nur "gut" zu betrachten. "Wir haben als Gruppe am Ende echt versagt, aber wer tut das nicht, haha!" schmunzelt der Sänger. "Ich versuche wirklich, Streit zu vermeiden. Das ist jetzt so etwas wie die zweite Chance. Wir haben uns sozial sehr weiterentwickelt. Ich bin sehr glücklich über die jetzige Situation." Was durchaus nicht immer der Fall war. "Es gab Nachwirkungen von Union Carbride. Wir kannten uns kaum, als wir zusammen kamen und haben nicht wirklich kommuniziert. Dieses Problem mußten wir lösen und versuchen, weiterzumachen. Wir hätten uns leicht trennen können, als wir das erste Album aufgenommen haben. Es war viel Zorn dahinter, nach dem Motto: 'Nimm das!' Wir lagen nicht auf der gleichen Wellenlänge." Die Konsequenz aus dieser problematischen Situation war der Ausstieg von Gitarrist Björn Olsson 1997. Derzeit wirken die Herren allerdings sehr entspannt. "Ja, das denke ich auch. Wir sind zwar keine Schwulen-Kommune, aber es kommt dem schon nahe, haha!". Ein Sonnenschein, dieser Mann.

Soundtrack Of Our Lives
"Spirituell", dieses klangvolle Adjektiv fällt oft, wenn es um die Musik von TSOOL geht. So auch in diesem Interview. Was versteht man in der Band darunter? "Ehrlich zu sein." antwortet Lundberg, "dem zu folgen, was du fühlst und das zu kreieren, was du selbst vermißt und hören möchtest." Gab es denn jemals Momente, in denen man diese Ehrlichkeit bereut hat, etwa, wenn es Querelen mit der Plattenfirma gab? "Nein, nie. Ich habe nur die Momente bereut, in denen ich unehrlich war. Ich weiß zwar nicht, wie es ist, im Pornobusiness zu arbeiten, aber ich glaube, niemand ist wirklich mit dem zufrieden, was im Musikgeschäft passiert. Wir versuchen, nicht daran zu denken und das zu tun, was wir wollen. Leute glücklich zu machen. Oder so", beschreibt der Sänger sein nicht gerade freundschaftliches Verhältnis zum Musikgeschäft. "Aber solange man künstlerische Freiheit hat wie wir, ist das in Ordnung.", lenkt er anschließend ein. Allerdings scheint er nicht so ganz davon überzeugt zu sein. "Wenn man uns jemals vorschreibt, was wir zu tun haben, werden wir das nicht tun. Das ist unmöglich."

"Ich hoffe, du schaust dir den Auftritt an." sagt er zum Abschied. Was muß der Mann für ein Bild von den Menschen haben, die ihn interviewen? Möchten die ihm doch meistens alles wünschen, außer noch mehr Unterbewertung. Und das nicht nur wegen des absolut überzeugenden, intensiven Auftrittes am Abend. Während dem scheint es mir jedoch immer verständlicher, daß eine Band wie diese jemanden, der ihr die Fragen stellt, fast belächeln muß. Weil es sich bei TSOOL um Menschen handelt, die ihre Musik derart leben und lieben und so persönlich wie es nur geht gestalten, daß sie vielleicht nur ihrem eigenen Verständnis von dem, was sie da tun, trauen können.

Weitere Infos:
www.tsool.com
Interview: -Laura Scheiter-
Fotos: -Pressefreigaben-
Soundtrack Of Our Lives
Aktueller Tonträger:
Behind The Music
(Telegram/WEA)
 

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