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26.07.2002
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THE FLAMING LIPS

Erwarte das Unerwartete!

The Flaming Lips
Die Zeiten, in denen die Flaming Lips komplett das Haus ihres Managers Scott Booker in Oklahoma City belagerten, weil er der Einzige mit einem festen Job und folglich der Einzige mit einem vollen Kühlschrank war, sind unwiderruflich vorbei. Das weiß auch Wayne, der uns im beige-farbenen Anzug in einem Kölner Hotel gegenübersitzt und mit seinen langen Haaren und seinem Bart ein bisschen so aussieht, wie man sich gemeinhin einen englischen Lord vorstellt. Nur, dass englische Lords für gewöhnlich keine so großartig-spleenigen Platten veröffentlichen wie das neueste Flaming-Lips-Werk "Yoshimi Battles The Pink Robots", das zwar nicht gleich beim ersten Hören so imposant wie der grandiose Vorgänger "The Soft Bulletin" ist, allerdings durch mehr Ausgeglichenheit und viele neue Wendungen im gewohnt experimentellen Sound der Band zu bestechen weiß.

"Ich fühle mich jetzt definitiv besser als vor zehn Jahren, eigentlich sogar besser als in irgendeinem Jahr zuvor", gibt Mastermind Wayne Coyne zu Protokoll. "Wir sind derzeit an einem Punkt, an dem die Leute an uns glauben und mit der Erwartung an unsere Platten herangehen, dass sie sie mögen werden. Viele Leute fragen mich, ob es schwierig gewesen sei, einen Nachfolger für eine so ungemein erfolgreiche Platte wie ‚The Soft Bulletin’ zu machen. Im Gegenteil. Wir fühlten uns geradezu erleichtert, denn all die Jahre davor haben wir unsere Alben in einem Vakuum produziert, unwissentlich, ob sich überhaupt jemand dafür interessieren würde. Deshalb machen viele Bands ihre beste Platte genau dann, wenn sie mit dem Vorgänger einen Achtungserfolg erzielt haben. Sie fühlen sich einfach befreit von der Last, ständig für ihre Musik kämpfen zu müssen, weil jetzt endlich jemand an sie glaubt."

Jahrelang wurde die Band aus Oklahoma City als Outsider gesehen. Das war nichtweiter verwunderlich, sah doch Wayne seine schon vor knapp 20 Jahren gegründete Band in derselben Position. Erst in den letzten Jahren hat sich das geändert. "Inzwischen sind die Dinge wesentlich einfacher für uns. Bands wie Radiohead, Mercury Rev, Grandaddy oder Wilco gehen alle grob in die gleiche Richtung wie wir. Vielleicht klingen wir alle nicht besonders ähnlich, aber wir haben gemeinsam, dass wir alle lieber neue Wege gehen, als uns auf das schon Erprobte zu verlassen. Und genau das empfinde ich fast schon als entspannend. Du sagst dir: Wenn wir schon so weit gegangen sind, warum sollen wir dann nicht noch einen Schritt weiter gehen? Für mich bedeutet das: Ich will verrückte Platten machen, denn ich sehe, die Musik ist nicht mein Hauptjob, mit dem ich Geld verdienen muss, um die Rechnungen zu bezahlen. Ich würde mich schon irgendwie durchschlagen, und deshalb will ich Risiken eingehen. Ich habe also nicht viel zu verlieren. Ich habe mein Leben mit meiner Familie, meinen Hunden und meinem Haus, und das kann mir niemand nehmen, egal, wie erfolgreich meine nächste Platte ist."

Seine Ideen umzusetzen, sei ihm wichtiger, als eine Platte zu produzieren, die auf einem kommerziellen Level funktioniert, sagt Wayne. Dagegen verriet Manager Scott Gaesteliste.de, dass sein Schützling irgendwann festgestellt habe, dass das Entertainment genauso wichtig sei wie die Kunst. Und Booker, einer der letzten Manager vom alten Schlag, der inzwischen auch die Geschicke Elliott Smiths lenkt, sollte es wissen. "Manchmal", so erzählt Scott uns, "redet Wayne mit mir mehr über eine Platte als mit den Jungs in der Band". Alle zusammen haben sie nun "Yoshimi Battles The Pink Robots" fabriziert, eine Scheibe, die trotz ihrer mehr oder weniger versteckten Verrücktheiten, die Ullrich Maurer in seinem Albumreview bereits erwähnte, vor allem deshalb so gut funktioniert, weil man die Flaming Lips noch nie wirklich in eine Schublade zwängen konnte. 1993 waren sie einmal kurz davor, Popstars zu werden, als ihre Single "She Don’t Use Jelly" zur Überraschung aller die Top 40 stürmte und die Band einen denkwürdigen Gastauftritt in "Beverly Hills 90210" hatte. Heute ist davon, abgesehen von dem Tantiemen-Scheck, der ab und zu in Waynes Briefkasten liegen dürfte, nicht mehr viel übrig geblieben. Zum Glück für die Band, die, wie Wayne sagt, schon immer Punkrock, die Bee Gees, die Butthole Surfers, die Beatles, Barry Manilow und The Minutemen gleichzeitig mochten. "Uns war von Anfang an klar, dass wir uns nicht nur auf einen Sound festlegen wollten. Wir haben immer die Art von Musik gemacht, die wir in der Lage waren zu spielen. Als wir also früher versucht haben, wie Barry Manilow zu klingen, hörte sich das letztendlich eher an wie schlechte Minor Threat! Wir hatten einfach nicht das Können. Inzwischen sind wir so weit, dass wir, wenn wir einen bestimmten Sound haben wollen, auch wissen, wie wir ihn umsetzen können. Jetzt können wir uns von unseren Ideen leiten lassen und nicht nur von unseren technischen Möglichkeiten."

Die neue Platte geht den Weg weiter, den die Flaming Lips nach dem 1996er Album "Clouds Taste Metallic" erst zaghaft und dann immer selbstbewusster eingeschlagen haben: Weg von der Gitarrenband, hin zu einer "Anything Goes"-Politik. "Heute wünschte ich, dass ich mich früher diesen Dingen nicht so sehr verschlossen hätte. Gitarren und dieser ganze natürliche, organische Kram sind toll, aber ich erinnere mich an Zeiten, als wir ausschließlich Gitarren benutzt haben und es da diese großartigen Synthesizer und Keyboard-Sounds gab und wir uns einfach sagten: ‚Nee, wir dürfen nur Gitarren spielen.’ Uns war das damals wichtig, dabei hätte uns klar sein müssen, dass es gerade für die Flaming Lips eine solche Agenda eigentlich nicht hätte geben dürfen. Deshalb war es sehr befreiend, dass unser Gitarrist Ronald [Jones] die Band verlassen hat. Er war ein so außergewöhnlich guter Gitarrist, dass, selbst wenn ich eigentlich Synthesizer für einen bestimmten Part im Kopf hatte, er meistens mit einem noch besseren Gitarren-Part ankam. Heute ist mir wichtig, offen für alle Möglichkeiten zu sein, die sich mir bieten."

Dass dem so ist, dürfte nicht zuletzt auch die Plattenfirma der Lips freuen, denn obwohl sich der (kommerzielle) Erfolg für die Band bisher nur in "weird little patches" eingestellt hat, wie Wayne meint, hat Warner Bros. der Band doch über Jahre die Treue gehalten. Und das, obwohl die Band damals nicht gerade den konventionellsten Weg wählte, in Kontakt mit dem Label zu treten, wie uns Scott anvertraute. Damals war nämlich noch Jeff Donahue, heute als Mastermind von Mercury Rev bekannt, in der Band, und seine "Aufgabe", so erzählt uns Scott, war es unter anderem, bei Warner anzurufen, sich mit verstellter Stimme als Perry Farrell auszugeben und lauthals reklamierend nach "seinem" A&R-Vertreter beim Label zu verlangen. Der Schwindel flog natürlich jedes Mal auf, und deshalb war Jonathan wie gelähmt, als eines Tages das Telefon klingelte, er abnahm und die Stimme am anderen Ende sagte, sie würde im Namen von Warner Bros. anrufen, ob sie denn dort bei den Flaming Lips sei. "Jonathan war so geschockt, dass er sofort aufgelegt hat", erinnert sich Scott. Glücklicherweise rief die Plattenfirma kurze Zeit später noch einmal an und sprach mit Scott. Und weil der es schaffte, innerhalb von zwei Tagen ein Konzert der Lips aus dem Boden zu stampfen, das sich die zufällig auf der Durchreise befindliche Labelvertreterin anhören konnte, bekamen die Lips ihren Plattenvertrag und Scott seinen Managerposten voraussichtlich auf Lebenszeit.


The Flaming Lips
Inzwischen ist es auch nicht mehr nur die Musik, die Wayne und seine derzeitigen Mitstreiter Michael Ivins und Steven Drozd interessiert. Nach den "Parking Lot Experiments", bei denen bis zu 40 über Autoradios abgespielte Tapes gleichzeitig für einen schaurig schönen Sound sorgten, und dem ambitionierten, auf vier CD-Playern gleichzeitig abzuspielenden Werk "Zaireeka" (das ursprünglich nicht als vier, sondern zehn CDs gedacht war!), ist Waynes derzeit größte Leidenschaft der Film. Zum einen soll es in Kürze unter dem schönen Titel "Lips Have Landed" eine Dokumentation über die Band geben, und Ende 2003 soll Waynes erster Spielfilm, "Christmas On Mars", in die Kinos kommen. Dem Trailer nach zu urteilen, den Gaesteliste.de in Köln zu sehen bekam, dürfte es sich bei dem Low-Budget-Projekt um eine klassische Raumfahrt-Oper zwischen Raumschiff Enterprise und Film Noir handeln. Die Sets für die einzelnen Szenen bastelt Wayne übrigens selbst, gedreht wird der Film, der nach einer Produktion aussieht, in der Jason Spaceman sicherlich gerne mitspielen würde, zu großen Teilen ebenfalls bei Wayne daheim. Scott wehrt sich übrigens derzeit noch tapfer gegen den Plan, auch sein Haus zum Filmset umzufunktionieren.

Doch bevor das alles konkret wird, dürften die Lips im Oktober erst einmal auf eine weitere Deutschland-Tournee gehen. Und dort gibt es wie immer bei den Flaming Lips vor allem eines zu erwarten: das Unerwartete.

Weitere Infos:
www.theflaminglips.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -J. Michelle Martin-
The Flaming Lips
Aktueller Tonträger:
Yoshimi Battles The Pink Robots
(WEA)
 

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