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02.08.2002
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ORANGE HUMBLE BAND

Seelenverwandte

Orange Humble Band
Die Orange Humble Band ist so brillant, dass man leicht vergessen kann, dass wir es hier eigentlich gar nicht mit einer Band im eigentlichen Sinne zu tun haben. Denn das Musikerkollektiv aus Amerika und Australien macht weder alle zwei Jahre eine neue Platte noch geht es auf Tour, und die Bandmitglieder verbringen auch kaum Zeit miteinander. Selbst wenn sie sich alle paar Jahre einmal sehen, ist das schon fast Zufall. Trotzdem hat es die Band geschafft, zwei herausragende Alben voll gestopft mit 60s Pop at its best und einem Schuss Südstaaten-Soul abzuliefern.

Obwohl das zweite Album, "Humblin' (Across America)", in Australien bereits vor anderthalb Jahren erschien, erhalten Mastermind Darryl Mather und seine Mitstreiter die längst fällige Anerkennung erst jetzt. Denn nun ist "Humblin'", der Nachfolger des 1997er Debüts "Assorted Creams", endlich auch regulär in Europa erhältlich und heimste gleich hymnische Kritiken von wichtigen Magazinen wie dem englischen Mojo ein, wo sich der Reviewer an die Rolling Stones zu "Exile On Main Street"-Zeiten und Big Star auf der Höhe ihres Schaffens erinnert fühlte. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn Darryl, dem Gründer der australischen Kultbands Lime Spiders und Someloves, steht bei der Orange Humble Band eine echte Allstar-Truppe zur Seite. Der Kern der Band besteht neben Darryl aus dem amerikanischen Produzenten und Gitarristen Mitch Easter, der neben seinen eigenen Bands wie den dB's oder Let's Active schon vor zwanzig Jahren begann, für Bands wie R.E.M. und später Pavement am Mischpult zu stehen, dem australischen Gitarristen Anthony Bautovich (The Lonely Hearts) und Ken Stringfellow von der Seattle-Institution The Posies. Dazu gesellten sich auf dem ersten Album u.a. die renommierten australischen Session-Musiker Bill Gibson und Pete Kelly, auf der zweiten Platte dagegen ist die Creme de la creme der Musikszene aus Memphis vertreten: Jody Stephens von Big Star am Schlagzeug, Bassist Jaime Hoover und der legendäre Produzent und Rolling Stones/Bob Dylan-Sideman Jim Dickinson sind nur einige der bekanntesten. Dass das nur eine Feierabendkapelle sein soll, mag man kaum glauben, Fakt aber ist, dass Darryl erstaunt war, dass Gaesteliste.de überhaupt mit ihm reden wollte. Es scheint für ihn also wirklich verwunderlich zu sein, dass seine Platte - wenn auch spät - nun doch noch ihre längst fällige Anerkennung bekommt. "Ja, es überrascht mich, dass wir überhaupt erwähnt werden, und ganz besonders zum jetzigen Zeitpunkt. Um ehrlich zu sein, das ist fast schon bizarr! Wir haben seit zwei Jahren keinen Ton mehr gespielt, deshalb ist das Ganze eigentlich für mich inzwischen sehr weit weg", erklärte uns Darryl, als wir ihn unlängst in seiner australischen Heimat anriefen. Weltweiter Erfolg stand also ganz offensichtlich nicht besonders hoch auf der Prioritätenliste der Orange Humble Band. Was war dann das Hauptziel? "Ich wollte mir in erster Linie selbst beweisen, dass ich eine Reihe Songs schreiben und mit einer Band aufnehmen kann, die ich mir später anhören kann und sage: Damit bin ich wirklich zufrieden. Was die Leute über die Platte denken, hat mich weniger interessiert."

Um dieses selbstgesteckte Ziel zu erreichen, schrieb Darryl zwar sämtliche Songs, hielt sich aber im Studio ansonsten merklich zurück. Da er sich nicht für einen besonders guten Sänger hält, überließ er sowohl die Leadstimme als auch den Hintergrundgesang anderen. Er selbst spielte größtenteils lediglich die akustische Rhythmusgitarre! Die vielleicht interessanteste Verpflichtung für die Orange Humble Band ist Leadsänger Ken Stringfellow. Der erzählte Gaesteliste.de vor zwei Jahren eine ebenso witzige wie haarsträubende Geschichte, wie er zur Band gestoßen war, die mit dem Satz endete, "Vielleicht wäre es besser, wenn Darryl dieses Interview nicht zu lesen bekommt." Ein Wunsch, der leider nicht in Erfüllung gegangen ist. "Ken, der kleine Schlingel, hat da eine etwas verklärte Sicht der Dinge. In dem Interview mit euch erzählt er ja sensationellerweise, dass ich ihn nur mit viel Geld dazu hätte überreden können mitzumachen. Als ich das gelesen habe, musste ich erst einmal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, hahaha! Natürlich musste ich irgendwie für seine Unkosten aufkommen. Nach dem ganzen Stress, den er zuvor mit Geffen gehabt hatte, konnte ich ja wohl kaum erwarten, dass er sich auf den Weg zu Mitch Easters Studio machen würde und für lau mit dabei wäre!" Ken ist interessanterweise der einzige Musiker bei der Orange Humble Band, der nicht schon seit den späten 70ern oder zumindest den frühen 80ern im Geschäft ist. Gerade, weil Darryl früher bereits unterstrichen hat, dass er für die OHB auf der Suche nach einem besonders flexiblen Sänger wie früher Colin Blunstone von den Zombies war, scheint Ken auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wahl zu sein. Wie bitte schön kommt man auf einen Amerikaner Ende 20, wenn man eigentlich einen Briten aus den Swinging Sixties im Ohr hat? "So analytisch habe ich darüber nie nachgedacht", gibt Darryl zu. "Mitch kannte Ken schon länger, denn als er mit Marshall Crenshaw zusammenarbeitete, hat er einige Shows mit den Posies gespielt. Also erzählte mir Mitch, was für ein großartiger Sänger Ken sei und dass er dieses Hollies-Ding total drauf habe - das kann heute eigentlich niemand mehr. Ken passte einfach perfekt zu der Art von Musik, die wir machen wollten, und nach diesem Muster haben wir auch die anderen Musiker ausgesucht." Ken jedenfalls bestätigte uns, dass er kein Problem mit seiner Rolle als "Nesthäkchen" der Band hatte: "Das Alter spielt für mich keine Rolle, und deshalb mache ich mir darüber auch selten Gedanken." Dass seine großartigen und in der Tat unglaublich flexiblen Gesangsleistungen auf beiden Orange-Humble-Band-Platten darauf zurückzuführen seien, dass er in dieser Band nur Sänger ist und sich nicht über die passenden Gitarrenspuren den Kopf zerbrechen musste, glaubt Ken, der auf seiner unlängst absolvierten Solotournee mit seiner neuen Backingband The Long Winters ebenfalls des Öfteren die Gitarre in die Ecke stellte, indes nicht: "Hmmm, ich habe nicht an die OHB gedacht, als ich mich entschieden habe, nur der Sänger in meiner eigenen Band zu sein, und da die OHB ja noch nie live gespielt hat, war es eigentlich bei den Aufnahmen kaum anders, als wenn ich für meine eigenen Platten den Gesang aufnehme."

Nachdem "Assorted Creams" teils in Sydney, teils in Mitch Easters Studio an der US-Ostküste aufgenommen wurde, fanden die Sessions für "Humblin'" in Memphis statt. Für diejenigen, die mit den musikalischen Vorlieben Darryls vertraut sind, keine große Überraschung, denn schon nach der ersten OHB-Platte hatte er erklärt, er wünsche sich für die Zukunft, die soulige Seite der Band noch etwas mehr in den Mittelpunkt zu rücken. "Das stimmt. Ich hatte von Anfang an geplant, dass das zweite Album soul-orientierter wird und mehr von diesem Southern Sound hat. Und sei es nur, dass die Stücke langsamer gespielt werden. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, aber die Südstaatler spielen alle in diesem Groove und spielen deshalb einen Tick langsamer als Australier, Engländer oder die Bands aus den großen Städten. Alle Bands in L.A. zum Beispiel spielen einfach schneller. Ich wollte genau diesen Groove und dachte mir: Wenn ich das schon in Angriff nehme, dann am besten mit authentischen Musikern aus der Region." Was uns zu Jody Stephens bringt, der nicht nur prominenter Neuschlagzeuger der OHB, sondern auch der Manager des berühmten Ardent Studios im Herzen von Memphis ist. "Mitch und ich haben immer Big Star bewundert und dieses Ringo-Starr-mäßige Schlagzeugspiel gemocht. Also war Jody die logische Wahl als Schlagzeuger für die zweite Platte", sagt Darryl über den Neuzugang an den Drums. "Ich kannte ihn vorher kaum, deshalb hat Ken [der ja inzwischen bei Big Star Bass spielt] ihn überredet, bei uns mitzumachen."

Das klingt fast so, als hätte Darryl den Musikern auf dem zweiten Album noch mehr Freiräume gegönnt als beim Debüt: "Sagen wir mal so: Zu keiner der beiden Platten gab es Demos, die Musik kommt direkt vom Herzen. Die grobe Linie der Songs wurde eher verbal als mit Hilfe von Demos erklärt. Und natürlich hatte ich Glück, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die genau auf die Art von Musik spezialisiert waren, die ich auf der Platte haben wollte." Das bestätigte uns auch Ken: "Die Aufnahmen zur zweiten Platte waren für mich einfacher, weil ich alle schon besser kannte und genauer wusste, was von mir erwartet wurde und was für die Stücke funktionieren würde. Ich denke, die Songs klingen einfach besser auf der zweiten Platte." Eine Meinung, der sich Darryl erstaunlicherweise nicht uneingeschränkt anschließt: "Ich ziehe die erste Platte vor. Ich finde, die Songs darauf sind einfach besser. Viele davon waren noch von den Someloves übrig gelieben, was bedeutet, dass ich sechs oder sieben Jahre Zeit hatte, die Stücke für die erste Platte zu sammeln, aber nur zwei oder drei für den Nachfolger." Außerdem, so gibt Darryl zu Protokoll, hätte die Band beim zweiten Album ob der Aufnahmen in Memphis unter großem finanziellen wie zeitlichen Druck gestanden.

So blieb ein Traum, den Darryl kurz nach der Veröffentlichung von "Assorted Creams" äußerte, unerfüllt. Damals hatte er nämlich gesagt, dass er hoffe, auf dem zweiten OHB-Album eine ähnlich spartanische Atmosphäre erzeugen zu können wie Bob Dylan auf seinem 1997er Meisterwerk "Time Out Of Mind". "Das kommt daher, dass ich einfach nicht das Talent habe, eine Platte zu machen, die so großartig wie dieses Dylan-Album ist", erklärte Darryl lachend. "Ich habe keinen Schimmer, wie Dylan das hingekriegt hat. Obwohl, eigentlich schon, denn Jim Dickinson [der auch auf "Time Out Of Mind" spielte] hat es mir verraten, als er mit uns im Studio war: Während der Aufnahmen haben sie einfach nur Raum-Mikrofone von der Decke hängen lassen, während die Band spielte, und beim Mixing haben die dann mit diesen Raumklängen experimentiert. Das haben wir einfach nicht gemacht, nicht zuletzt, weil das einfach eine beeindruckende kreative Errungenschaft ist."

Vielleicht kann er diesen Plan ja für die dritte OHB-Platte umsetzen, die allerdings derzeit noch in weiter Ferne ist. "Wir haben grob darüber gesprochen, aber das größte Problem ist natürlich die Finanzierung. Niemand wird der Orange Humble Band einen Vorschuss zahlen, weil wir ja keine aktive Band im eigentlichen Sinne sind. Logistisch ist das einfach nicht möglich, dass wir uns häufiger sehen oder auf Tour gehen. Ich weiß, dass Mitch und Ken hoffen, dass ich irgendwann die Songs für eine dritte Platte fertig habe, damit wir zumindest noch eine weitere Platte machen könne, aber bevor es so weit ist, gibt es noch eine Menge Hürden zu überwinden." Nic Dalton, auf dessen großartigem Half-A-Cow-Label die Platten der OHB in Australien erscheinen, verglich vor Jahren Darryl mit der grauen Eminenz hinter Meatloaf, dem großen Jim Steinman. Deshalb die letzte Frage: Sieht sich Darryl selbst auch eher als Dirigent eines Starensembles? "Nein! Mit Anthony, Mitch und Ken kann man, glaube ich, besonders nach dem zweiten Album schon von einer richtigen Band sprechen. Es gibt ja auch andere Beispiele von Bands, die nicht ständig zusammen rumhängen, die sich aber trotzdem regelmäßig treffen, um zusammen Musik zu machen. Deshalb sehe ich uns vier - und Jody - auf jeden Fall als Band! Letztendlich sind wie bei der Arbeit alle Seelenverwandte."

Weitere Infos:
members.ozemail.com.au/~jangle/
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Cindy Mather-
Orange Humble Band
Aktueller Tonträger:
Humblin' (Across America)
(Half A Cow/Indigo)
 

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