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19.08.2002
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CHRIS BROKAW

So viele Bands, so wenig Zeit

Chris Brokaw
Wer den Namen Chris Brokaw bislang noch nicht gehört hat, braucht sich nicht weiter zu grämen, denn die vorliegende CD "Red Cities" ist das erste "ordentliche" Lebenszeichen vom Solo-Künstler Brokaw. Das heißt aber nicht, dass Chris ein unbeschriebenes Blatt ist: Am bekanntesten dürfte der Mann mit einem Faible für Hamburger und Banjos vielleicht noch als Gründungsmitglied und kreativer Motor der nunmehr bereits verblichenen aber dennoch legendären Bands Codeine und Come sein. Doch da fängt bei Chris der Spaß erst an. "Ich glaube, ich bin momentan in sechs Bands", antwortet Chris vorsichtig auf die diesbezügliche Frage. "Pullmann, The New Year, Consonant, The Empty House Cooperative, Evan Dando – und natürlich ich selber." Es würde den Rahmen sprengen, auf alle o.a. Projekte gebührend an dieser Stelle einzugehen, deswegen sei empfohlen, einmal auf Chris' Homepage vorbeizuschauen. An dieser Stelle nur soviel: Es ist noch nicht alles.

Wo immer Chris auftaucht, greift er zur Gitarre – sei es auf dem Solo-Debüt "Been Here And Gone" seiner Come-Partnerin Thalia Zedek oder aber als Tour-Gitarrist bei der Steve Wynn Band (auf dessen Album "Here Come The Miracles" er ebenfalls einige Gitarrenspuren hinterließ). Das heißt übrigens nicht, dass Chris sich aufdrängt, sondern dass es ihm offensichtlich schwer fällt, "nein" zu sagen: "In den meisten Fällen wurde ich gefragt, ob ich nicht mitmachen möchte", erklärt er. "Ich hatte dabei das große Glück, so viel cooles Zeug machen zu können." Das Album "Red Cities" ist eine reine Intrumental-CD. Das ist nicht verwunderlich, wenn man mal erlebt hat, wie Chris beinahe liebevoll und ausdauernd auf einer Gitarre herumklampft, aber doch sehr, wenn man weiß, dass Brokaw, der auch Drums spielt und Songs schreibt, auch ein hervorragender Sänger ist. Warum dann also instrumental? Immerhin hat er mit Pullmann doch bereits eine Combo zur Hand, die dieses Terrain abdeckt? "Ich weiß auch nicht so genau", überlegt Chris. "Dieses Album kam quasi aus dem Blauen heraus zu mir. Ich wusste einfach, was es sein mußte. Und es musste eben alles Instrumental sein. Ich hoffe aber schon, dass es eine weitere CD geben wird und die wird definitiv Gesang haben!" (Einen ersten Versuch gab es diesbezüglich bereits auf einer Split-Single mit der spanischen Band Viva Las Vegas auf dem Acuarela-Label). Kommen wir nun also schnell zur Gretchenfrage aller Instrumental-Projekte: Welche Bedeutung haben die Titel der CD und die der Stücke – bzw. was ist deren Funktion? "Der Titel ist mir auf Tour eingefallen", beschreibt Chris den Prozess, "irgendwann fiel mir auf, dass praktisch alle größeren Städte im wesentlichen gleich aussehen, wenn du dich ihnen näherst. Und nachts haben sie alle dieses rötliche Glühen. Das ist der Titel der CD. Alle Songtitel sind konkret. Einige sind z.B. nach spezifischen Orten benannt - aber das mache ich nicht ausschließlich. Da gibt's ein kleines Thema, das sich durch das Album zieht, aber es ist nicht wirklich ein 'Konzeptalbum'." Wenn man die Leute, mit denen Chris zusammenspielte, fragt, warum sie ihn als Gitarristen schätzen, bekommt man meist zu hören: "Weil er einen eigenen Sound hat" und "weil er etwas wagt". Das führt dann dazu, dass Chris live z.B. zwischen den Extremen pendelt: Wenn seine soundtechnischen Experimente fehlschlagen, klingt es eben nicht gut, wenn es aber funktioniert, ergeben sich nahezu magische Momente - besonders im Duett mit Gegenparts - z.B. Thalia Zedek oder Steve Wynn. Und der eigene Sound bezieht sich auf die simple, aber effektive Slide-Gitarre, die er im Rock-Kontext anbietet - was schon etwas Besonderes ist, da die meisten Slide-Gitarristen eher vom Blues kommen. Rockig ist auch "Red Cities" - aber im Gegensatz zu seinen anderen Arbeiten wirkt die Scheibe wesentlich aufgeräumter, organisierter, geplanter. Wie kommt das? "Ehrlich gesagt: Weil ich diese Songs über einen sehr langen Zeitraum wieder und wieder geübt habe", gibt er zu. "Diese Scheibe irrte eine ganze Zeit lang in meinem Kopf herum, bevor ich sie endlich realisieren konnte. Somit wusste ich also genau, wo was hinmusste, als ich ins Studio ging." Was aber nicht heißen soll, dass dies ein kalkuliertes Kopf-Album ist. Im Gegenteil: "Einen richtigen Masterplan gab es nicht. Ich wollte die Sache auf Gitarren und Percussion limitieren und zeigen, dass du bloß mit diesem Instrumentarium eine interessante, variantenreiche und folgerichtige Scheibe machen kannst. Ich wollte mich darauf konzentrieren, aber abwechslungsreich sein. Es ist ein Rock-Album, denke ich. Ich weiß es aber nicht so genau. Ich denke nicht, dass du immer genau wissen musst, wie oder warum etwas entstand, um es stark empfinden zu können."

Chris Brokaw
Auf der Scheibe gibt es eine Cover-Version: Burt Bacharachs "Look Of Love" - allerdings in einer dermaßen demontierten Variante, dass es durchaus auch als Eigenkomposition hätte durchgehen können. Was war denn hier die Idee? "Vor einigen Jahren erschien mir mein Gitarrenspiel ziemlich langweilig", erinnert sich Chris, "da habe ich dann ein paar Gitarrenstunden von einem Typ aus der Nachbarschaft namens Milo Jones genommen. Eine der Sachen, die er mir beigebracht hat, war 'Look Of Love'. Ich habe das Stück eine ganze Zeitlang zum Üben hergenommen [vor Liveshows setzt sich Chris öfters hin und spielt sich die Finger auf einer ausgestöpselten Gitarre warm]. Die Harmonien auf der Aufnahme sind von Milo. Ich wollte das unbedingt irgendwann einmal aufnehmen. Und ich wollte zeigen, dass du einen Bacharach-Song spielen kannst, ohne dass es deshalb gleich eine Lounge-Nummer werden muss... Es ist irgendwie großartig, wenn du einen alten Song in einer neuen, krassen Art von Licht erscheinen lassen kannst." Chris hat dieser Tage so viel zu tun, dass er nicht mal dazu kommt, ordentlich zu touren. "Hoffentlich wird das im Herbst etwas. Jetzt gibt's nur eine kleine England-Tour mit einem Abstecher zu Freunden in Berlin. Ich denke, dass ich mehr solo touren werde. Aber es gibt auch eine Tour mit The New Year. Dann habe ich vor, mit Evan Dando zusammen aufzunehmen. Außerdem arbeite ich mit David Curry [dem Geiger von der Willard Grant Conspiracy] an Musik zu einem Theaterstück. Und ich würde auch gerne mal wieder mit Steve Wynn zusammenspielen - was ich sehr vermisse. Nächstes Jahr vielleicht? Schaut wegen der Details und Termine auf jeden Fall auf meiner Website vorbei."

Weitere Infos:
www.chrisbrokaw.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Chris Brokaw
Aktueller Tonträger:
Red Cities
(12XU/Zomba)
 

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