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05.02.2003
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CALEXICO

Geborgte Sprache

Calexico
An dem Tag, an dem die Interviews zur neuen Calexico-Scheibe "Feast Of Wire" in Köln stattfinden, hat Joey Burns Geburtstag und offensichtlich gute Laune. Über ein Stückchen Schokoladenkuchen gebeugt, schaut er grinsend in die Runde der wartenden Schreiberlinge. "Soll ich euch mal sagen, was ihr uns gleich fragen werdet?" meint er verschmitzt und rattert dann einen Fragenkatalog herunter, der manch einem Kollegen den Angstschweiß auf die Stirne treibt: Was denn der Name bedeute, wo er denn her käme, ob man sich als Teil des Americana-Movements verstehe, wie denn das mit den Mariachis passiert sei etc., etc., etc. Nun, zum Glück hatten wir ja schon einmal das Vergnügen mit Calexico, so dass diese Fragen zunächst mal nicht so wichtig erscheinen. Und überhaupt: Es gibt ja auch andere Fragen, die sich im Zusammenhang einer der erfolgreichsten Americana-Bands mit dem Namen eines kleinen Grenzortes stellen.

Zum Beispiel hat die neue CD (zumindest die Vorab-Version) einen Kopierschutz, der verhindert, dass sich die CD im Auto abspielen lässt. Es nimmt natürlich der Sache einen großen Teil des Reizes, wenn man Calexico nicht hören kann, wenn man sich fortbewegt. "Das ist natürlich ein gutes Argument", räumt Joey ein, "ich wusste gar nicht, dass die Scheibe geschützt ist. Ich habe da keine feste Meinung. Ich weiß, dass viele Künstler ihr Werk schützen wollen und die Piraterie eindämmen wollen - und davon gibt es eine Menge. Wenn ich nun ein größerer Star wäre und ein beträchtlicher Teil meines Einkommens auf dem Spiel stünde, dann hätte ich wohl auch eine eindeutige Meinung. Momentan stehe ich dem Bootleg-Konzept und dem Teilen von Musik offen gegenüber. Ich realisiere aber, dass es da Probleme gibt, denke aber, dass wir mit der Zeit zu Lösungen finden werden. Wenn ich ein Album gut finde, will ich mein eigenes und kaufe es mir auch. Es ist ein wichtiger Schritt, 'deinen' Künstler zu unterstützen. Ich will darüber hinaus auch das Artwork haben. Vielleicht sollte die Industrie einfach mehr Energie in das Artwork stecken? Als das Vinyl verschwand, litt auch das Artwork. Ich habe sogar noch ein paar von diesen 'Long-Boxes', in denen CDs zunächst verkauft wurden." Ist es denn wirklich ein Unterschied, ob man das Problem als Musiker oder als Fan betrachtet? "Ich gehe davon aus, dass Fans den Musiker nicht wirklich über's Ohr hauen wollen", überlegt Joey, "vielleicht besteht eine Möglichkeit darin, sich die Musik zunächst mal unverbindlich anhören zu können, bevor man eine Kaufentscheidung trifft. In meinen Lieblings-Plattenläden kannst du dir das ganze Album anhören, bevor du es kaufst. Da gibt es zumindest ein Laden in Tucson, bei dem das möglich ist." Joey lebt in Tucson und das bringt uns natürlich zu einem interessanten Thema: Calexico und Giant Sand. Nach dem Erfolg von Calexico muss der Status von Giant Sand ja irgendwie neu überdacht werden. Howe Gelb ging sogar soweit anzudeuten, dass es ohne Joey und John als Rhymthusgruppe - gar keine Giant Sand-Alben mehr geben werde. Howe sagte auch, der Unterschied zwischen Giant Sand und Calexico sei der, dass man Calexico den Leuten erklären könne, Giant Sand aber nicht. Wie sieht Joey das denn? "Das hat er gesagt? Ich weiß nicht, ist das Erklären denn nicht eher euer Job? Für mich gibt es einfache Unterschiede: Giant Sand ist unberechenbarer. Howe riskiert mehr, wenn er einen neuen Song sucht. Das liegt aber daran, dass wir eine größere Band haben. Es ist mir nämlich aufgefallen, dass, wenn Giant Sand mit einem größeren Line Up spielt, auch diese Band berechenbarer wird. In dem Sinne könntest du also Giant Sand erklären. Wenn bei Calexico nur John und ich spielen, dann werden wir auch abenteuerlicher - spontaner und improvisatorischer. Wenn es um die Einflüsse geht, dann ist es so, dass Howe den Bus fährt und wir als Rhythmus-Sektion folgen. Das klingt dann so, als sei es geplant, was es aber meistens nicht ist. Und das ist ziemlich ungewöhnlich und das möchte ich immer wieder machen. Was die beiden Bands betrifft, gibt es also eine große Bandbreite von Stilen und Einflüssen, die alle vom selben Ort kommen - nicht örtlich, sondern ein Feeling. Wir fühlen die Musik anstatt sie zu planen. Das ist heutzutage selten. Bei Giant Sand gibt es zum Beispiel keine Mariachi-Trompeten und diese thematischen Qualitäten, die wir ausloten möchten. Howe ist da mehr Thelonius Monk-orientiert in der Art wie er mit Dissonanzen spielt." Gibt es also Giant Sand weiter? "Howe ist insofern realistisch, dass er jetzt eher Solo-Scheiben veröffentlichen will. Er hat John erzählt, dass er sieben Scheiben plant. Er hat auch gesagt, dass er sich zur Ruhe setzen will, wegen seiner Kinder - allerdings sehe ich das nicht, denn er wird ständig produktiver. Wir bei Calexico veröffentlichen langsamer. Ich denke also, dass wir es wagen können, unsere Zeit zwischen Giant Sand und Calexico aufzuteilen. Es ist dennoch eine Menge Arbeit."

Nun gut. Wenn wir uns jetzt mal das neue Calexico-Album anschauen, gibt es dort nach wie vor Mariachi-Bläser - aber auch Sreicher, Pedal-Steel Gitarre (c/o Paul Niehaus, der jetzt simultan bei Calexico und Lambchop beschäftigt ist, wie uns Joey bestätigt) und sogar Jazz-Einflüsse. Was jedoch zurückgefahren wurde, sind die "chaotischen" Elemente (aus Field Recordings, Noise-Teilen und schrägen Tönen), die Joey weiland als notwendig für die Balance der Band bezeichnete. Woher kommt denn heutzutage die Balance? "Für mich liegt die Balance heute in Songs, die ausgearbeiteter und orchestrierter sind und solchen, die eher minimal ausgerichtet sind", antwortet Joey, "wichtig dabei ist der Umstand, dass man sich ja auch nicht wiederholen oder limitieren möchte. Was wir also machten, war, über einen Zeitraum eines Jahres viele Recording Sessions mit Pausen und Touren zwischendrin zu machen. Dann kamen wir zurück und arbeiteten weiter an den Sachen. Aus diesem Material suchten wir dann eine Balance heraus. Es ist gewissermaßen ungewiß, wo der X-Faktor herkommt - was aber ein wichtiger Umstand ist. Das ist bei vielen Bands so - Lambchop, Giant Sand, Smog - es ist immer gut, wenn Du diesen Bereich hast, wo selbst die Musiker nicht wissen, wo es hingeht. Für mich war das bei dem Song 'Black Heart' so. Der baute sich langsam auf und wir sahen auch erst langsam, wohin die Reise ging. Wenn du so willst, dann ist das für mich das 'Chaos-Element'. Manchmal ist es auch der Prozess selber. Es ist nichts geplant." Wie sieht es denn mit dem Songwriting aus? Ist das nicht nach wie vor ein solitärer Prozess, der NICHT von der Interaktion mit der Band abhängt? "Ich mag Isolation", beantwortet Joey diese Frage, "das ist aber ein Aspekt, den ich zu verändern suche, indem ich zum Beispiel neue Songs auch auf Tour einbringe. Es ist aber nach wie vor wichtig, sich Zeit zu nehmen, einmal gar nichts zu machen." Wie sieht es denn mit den anderen Musikanten aus? "Die Sache ist die, dass alle, die mitmachen, sich auch einbringen. Deswegen handhaben wir das auch so, dass alle ein Teil des Ganzen sind und zum Beispiel mit auf Tour kommen. Das schöne ist, dass all diese verschiedenen Musiker zusammenkommen und ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, das Line-Up sich aber verändert. Wir haben auch unsere Musiker gebeten, auf der Scheibe mitzuarbeiten und Vorschläge zu machen. Und die haben sich da wirklich reingehängt, das war erstaunlich. Und es war wichtig für mich zu wissen, dass sie das tun konnten." Calexico haben kürzlich auch erstmals "richtige" Filmmusik geschrieben (im Gegensatz zu der "virtuellen" Filmmusik, die sie eh immer schon spielen). Es handelt sich hierbei um einen Film der Reigsseurin Lisa Krüger, eine kleine schwarze Komödie mit Namen "Comitted" mit Heather Graham in der Hauptrolle. "Oh ja, das haben wir gerne gemacht. Ich liebe es mit Film und Regisseuren zusammenzuarbeiten - speziell mit Independent-Projekten", schwärmt Joey, "Lisa hatte eine CD von uns gehört und plazierte Stücke davon in dem Rough Cut des Films. Sie hat uns das gezeigt und ich fand es gut, weil es sich um ein Road-Movie handelt. Das inspirierte uns und wir wollten mitmachen. Die Film-Company wollte aber jemanden aus Hollywood. Sie haben es dann ausprobiert, aber unsere Musik passte besser. Mark Mothersbaugh (Devo) erhielt dann schließlich den Zuschlag, aber er zog sich dann zurück. Dann mussten wir die Musik schließlich doch innerhalb von zwei Wochen einspielen. Wir haben dann diverse Sachen überarbeitet, neue Versionen eingespielt und auch ein paar neue Sachen geschrieben. Das war sehr spannend und ich habe es genossen. Wir haben mit Pro-Tools gearbeitet, was neu für uns war, da wir hier auch etwas lernen konnten."

Wie entsteht denn nun eigentlich ein typischer Calexico-Song? "Wenn ich das nur sagen könnte", überlegt Joey, "wenn du einen Song schreibst, der irgendwie gefällt und dann versuchst einen weiteren in dieser Art zu schreiben, funktioniert das schon mal gar nicht. Es hilft manchmal jemanden von außerhalb dazuzuholen. Aber grundsätzlich bleibt immer doch dieses Gefühl der Unsicherheit. Speziell wenn du von vorne anfängst wie wir, wenn du wie wir ohne Material ins Studio gehst und Sachen komplett aufbaust. Es hilft, wenn man sich den Druck nimmt und Sachen erst mal als 'Demos' aufnimmst. Dann kannst du dich quasi selbst betrügen, und dir einreden, dass du es später noch mal aufnehmen kannst - was allerdings so gut wie nie passiert. Es ist also immer harte Arbeit." Das hört sich ein wenig anders an, als das, was uns Joey anlässlich von "The Black Light" erzählte, (dass es nämlich lediglich darum ginge, vorhandene Songs aus der Luft zu fischen). Vielleicht können wir das Ganze mal anhand eines spezifischen Songs abhandeln. Zum Beispiel "Not Even Stevie Nicks..." der zusätzlich zum recht evokativen Titel klingt, als liefe "Go Your Own Way" von Fleetwood Mac im Hintergrund. "Es ist immer lustig, wenn du dich mit anderen Musikern austauschst", erklärt Joey, "Howe zum Beispiel hat seinen speziellen Background - Humble Pie, The Doors, Jimmy Rodgers. Ich wuchs aber auf, als Fleetwood Mac all diese Preise für 'Rumours' gewannen. Man hörte es damals also oft. John hörte damals z.B. eine Menge Police. Wir haben also diese seltsame 80s-Connection. Bislang haben wir das aber nur aus Spaß eingebracht - mal ein Riff gespielt und dann drüber gelacht. Wir hatten gerade den Song 'Black Heart' und Craig Schumacher, der Engineer sagte, es seien noch ein paar Minuten Band übrig. Da haben wir dann einfach was aus der Luft gegriffen. Wir haben überhaupt nicht weiter drüber nachgedacht. Es ging einfach darum, einen Moment einzufangen. Wir haben es dann einfach ein Jahr sitzen gelassen. Der Titel war zunächst nur ein Arbeitstitel, den wir dann aber behalten haben. Es geht nicht darum, Stevie nieder zu machen. Wir verehren sie und verbeugen uns vor ihr..."

Calexico
Letzte Frage: Auf 'Feast...' gibt es erstmals einen Jazz-Titel - ein Instrumental namens "Crumble" - wo kam das denn her? "Nun, ich bin kein Jazz-Spezialist", räumt Joey ein, "...aber es gibt Sachen - wie 'Sierra Nevada', von Gil Evans oder 'Out Of The Cool' - die sehr inspirierend sind. Ich hatte da diese Idee ein Stück auf dem Bass zu schreiben, was ich für Calexico noch nie getan habe. Es wurde dann zu einer Studie, wie man Gil Evans seine Referenz erweisen könne. Wir haben dann überlegt, es überhaupt nicht auf die Scheibe zu nehmen, aber John meinte, dass wir das unbedingt tun müssten. Er ist so ein großer Jazz-Aficinado - wenn du zu ihm nach Hause gehst, läuft zu 99% Jazz. Ich spielte Jazz auf der High School. Es ist ziemlich offensichtlich, eine gute Übung, so etwas zu machen. Wenn wir das Stück in Chicago mit den Postrock-Größen gemacht hätten, hätte es zweifelsohne anders geklungen. Vielleicht gibt es mal einen Remix davon? Auch das ist ein X-Faktor - Sachen, die du noch nie gemacht hast - wie zum Beispiel in diesem Fall mit einer Posaune zu arbeiten. Da war jedenfalls ein Element von uns, was wir mal hervorkehren sollten. Das ist eben das Tolle: Musik ist eine geborgte Sprache. Wenn du einem Musiker vorwirfst, bei anderen zu klauen, bewegst du dich auf einem schmalen Grad, denn Musik ist einfach da draußen und keiner besitzt sie wirklich. Ich mag es, dass Musik nicht notwendigerweise immer wieder dieselben Genres assoziiert, sondern dass sich alles miteinander vermischt. Musik adaptiert sich sehr gut. Deswegen möchte ich unsere Musik auch gerne als eklektisch bezeichnen - es ist eben nicht nur eine Art von Musik. Und das gilt nicht nur für uns: Alle möglichen Leute mischen heutzutage alles Mögliche miteinander - Elektronik, Akustik, Hip Hop - und es ist eine sehr schöne Sache, das zu sehen."

Weitere Infos:
www.casadecalexico.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Calexico
Aktueller Tonträger:
Feast Of Wire
(CitySlang/Labels/Virgin)
 

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