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15.01.2003
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=567
 
DAKOTA SUITE

Süße Depression

Dakota Suite
Wie Chris Hoosen das genau macht, ist nicht ganz klar, trotzdem gelingt es dem unscheinbaren Engländer irgendwie, alle paar Monate ein Album zu veröffentlichen, das in der Regel die Vorgänger ganz locker zu toppen versteht. Dakota Suite, das bedeutet melancholisch-getragene Kammermusik von fast unglaublicher Schönheit, bei der Melodie und Atmosphäre in einem perfekten Verhältnis zueinander stehen. Das aktuelle Album "This River Only Brings Poison" - bereits das siebte Werk, das seit 1998 auf Glitterhouse erscheint, aber erst das dritte reguläre Studioalbum - macht da keine Ausnahme. Umso erstaunlicher ist es da, dass Chris Dakota Suite nur als ein Hobby bezeichnet, denn seine wahre Berufung, so lässt er uns wissen, sei sein Day-Job, die Arbeit mit Sexual-Straftätern und Drogenabhängigen.

"Es ist schon ein wenig seltsam, besonders wenn den Leuten klar wird, wie wenig Anstrengung in die Platten fließt. Ich gehe jeden Tag zur Arbeit, sehe David [Buxton] ziemlich häufig, und ab und zu nehmen wir ein paar Songs auf, seltener gehen wir raus und spielen einige Shows. Ich schleppe mich einfach so dahin, zum Beispiel habe ich nach dieser Platte wieder das Gefühl, das Ende der Fahnenstange erreicht zu haben. Ich denke, dass es kein weiteres Album geben wird. Ich sehe nichts als selbstverständlich an", erklärt Chris im Gaesteliste.de-Interview. Klingt nicht unbedingt wie das Statement eines jungen Vaters, der zudem noch von der Presse für seine Platten seit dem Debüt vor rund fünf Jahren heiß und innig geliebt wird. "Ich fühle mich jetzt allerdings viel besser als 1998", gibt Chris zu. "Damals hatte ich kurz zuvor einen Selbstmordversuch unternommen und hatte noch mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Abgesehen davon gewinnt Everton heute viel öfter mal ein Spiel als 1998!" Aufgenommen wurde das neue Werk erstmals nicht im heimischen Leeds, sondern in Amerika, zusammen mit ex-American-Music-Clubber Bruce Kapahn als Inspiration und Mann für die effektvoll eingesetzte Pedal Steel. "Dieses Mal wollte ich einfach die bestmögliche Platte machen, weil ich das Gefühl hatte, es könnte vielleicht die letzte sein", erklärt uns Chris. "Ich wollte eine Platte haben, auf die ich später zeigen könnte und sagen würde: 'Die Platte zeigt alle meine Stärken'. Die früheren Platten sind alle innerhalb von ein, zwei Tagen aufgenommen worden. Dieses Mal haben die Aufnahmen zwar auch nur sechs Tage gedauert, aber die Vorbereitungen haben Monate gedauert, weil wir uns wirklich viel Mühe gegeben haben. Dass wir diese Platte selbst produziert haben, hat uns die Möglichkeit gegeben, genau den richtigen Sound zu finden. Um auf die Frage zurückzukommen: Diese Platte ist wahrscheinlich die einzige, die dem nahe kommt, was ich mir in meinem Kopf vorstelle. Letztendlich versuche ich, aus dem geringen Talent, das ich besitze, das Beste zu machen, und dieses Mal war es mir besonders wichtig, wirklich gute Musiker zu finden, die auf der Platte spielen sollten." Doch nicht nur seine Musiker dienen Chris als Inspiration. "Die größte Inspirationsquelle sind sicherlich meine eigenen Gefühle und das, was Johanna [seine Frau] wegen mir durchmachen musste. Aber auch Filme - vor allem japanische und französische - finde ich sehr inspirierend, ebenso Fotografie und Bücher von Autoren wie Murakami, Auster und Richard Ford. Ganz besonders ist es aber das ungute Gefühl, dass ich bestimmte Dinge in meinem Leben nie auf die Reihe kriegen werde, das mich verfolgt und mich dazu zwingt, Musik zu machen.” Die Songs von Dakota Suite scheinen zwar größtenteils sehr song-orientiert zu sein, dennoch ist der Platz zwischen den Noten, die Atmosphäre der Stücke, ein wichtiger Bestandteil. Wie findet Chris die Balance dazwischen? "Ich habe keinen Masterplan, ich habe nur Glück, dass ich mit großartigen Musikern zusammenarbeiten kann. Dieses Mal wussten wir von Anfang an, dass wir mit Bruce Kaphan zusammenarbeiten würden, und das hatte einen bestimmten Einfluss auf die Songs, aber abgesehen davon habe ich für gewöhnlich eine sehr klare Vorstellung davon, welche Instrumentierung ich bei welchem Stück haben möchte, und letztendlich geht es nur darum, die richtige Person zu finden, die diesen Part spielen kann." Das wirft die Frage auf: Mit wem würde Chris denn gerne in Zukunft zusammenarbeiten? "Mir kommen eine Menge Leute in den Sinn, die sicherlich unseren Sound bereichern könnten, aber sie würden höchstwahrscheinlich nichts mit uns zu tun haben wollen! I würde unglaublich gerne mit Tom Waits zusammenarbeiten, aber das wird wohl nie passieren. Ein anderer Kandidat wäre Konishi Yasuharu (das Genie hinter Pizzicato 5), er ist ein großartiger Klangmaler. Aber das wird wohl auch nicht zustande kommen. Ich versuche, mit meinen Platten stets dem Vermächtnis unserer Musik etwas hinzuzufügen, aber letzten Endes ist die Musik, die ich mache, nicht so wichtig wie die eines Tom Waits. Die Welt braucht keine weitere Dakota-Suite-Platte, aber sie braucht mehr von Tom Waits oder Leuten wie Arvo Part und Eleinei Karaindrou."

Dakota Suite
Mitte Januar startet eine für Dakota-Suite-Verhältnisse geradezu ausgiebige Tournee mit 13 Shows in Deutschland und dem benachbarten Ausland. Eine Übung, die für Chris mehr Pflicht als Kür ist. "Ich spiele nicht besonders gerne live, weil es mich eine Menge emotionale Kraft kostet, die Songs zu spielen. Wenn ich sie singe, erlebe ich die Situationen, von denen sie handeln, wieder neu, und das kann ziemlich schmerzhaft für mich sein. Außerdem vermisse ich meine Johanna und meinen kleinen Sohn Jacob, wenn ich unterwegs bin. Das tut mir furchtbar weh. Andere Bands proben ewig und nehmen alles unglaublich ernst. Wir proben vielleicht mal eine Stunde, selbst wenn die letzte Show schon ein Jahr zurückliegt. Ich mag es, wenn die Dinge spontan passieren. Ich finde, das sorgt für ein 'ehrlicheres' Konzert, auch wenn manchmal nicht alles glatt läuft. Oh, und es wird bei den Shows auch ein wenig Gebrüll geben, ich schreie oft, wenn ich unzufrieden bin!" Das klingt doch reichlich unkonventionell und deshalb ziemlich spannend, oder? Da bleibt uns nur noch die letzte Frage: Gibt es etwas, das Chris unbedingt noch schwarz auf weiß lesen will? "Ja, Everton FC ist der beste Fußballverein der Welt!"

Weitere Infos:
www.hooson.demon.co.uk
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigabe-
Dakota Suite
Aktueller Tonträger:
This River Only Brings Poison
(Glitterhouse/Indigo)
 

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