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07.07.2003
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WIR SIND HELDEN

Nichts zu reklamieren

Wir sind Helden
Die Vorab-Singles "Guten Tag" und "Müssen nur wollen" machten Hoffnung. Hier war eine neue Band, die mit frischen, charmanten Songs in die Charts kam und sich in der hiesigen Radiolandschaft behaupten konnte - gegen all die gecasteten Trottel und den aufgewärmten Müll, der dort sonst die Plätze belegt. Nun erscheint "Die Reklamation", das Debütalbum von Wir sind Helden, und ist noch schöner, als die beiden Singles schon vermuten ließen. Gaesteliste.de ist begeistert und wollte sich dringend über die elf kleinen Schönheiten auf dem Album unterhalten.

"Mitteilungsbedürftige kleine Wesen sind das", sagt Sängerin und Texterin Judith, und meint damit wahrscheinlich vor allem die beiden schon als Single ausgekoppelten Nummern. "Guten Tag" wetterte gegen Konsumterror, "Müssen nur wollen" gegen Leistungsdruck: "Den habe ich geschrieben, nachdem ich mich mit einer Freundin darüber unterhalten hatte, dass sich viele Leute in unserem Alter von genau den Sachen unter Druck gesetzt fühlen, von denen einem immer gesagt wird, dass sie einen glücklich machen. Man sieht im Fernsehen immer all diese Leute, die tollen Berufe haben, in denen sie 24 Stunden am Tag glücklich sind, trotzdem bleiben noch 12 Stunden Freizeit mit wahnsinnig aufregenden Hobbys, und sie kriegen alles unter einen Hut. 'Warum schaffe nur ich das nicht', denkt man dann, 'warum weiß ich noch nicht einmal, was ich eigentlich für einen Beruf haben möchte. Mir steht die ganze Welt offen, aber ich bin zu doof'".

Neben diesen Songs über große Themen stehen auf "Die Reklamation" allerdings einige ganz kleine, die sich um das Du-und-ich drehen, und die gerieten den Helden am schönsten. "Außer dir" heißt ein, "Du erkennst mich nicht wieder" ein anderer todtrauriger Abgesang auf eine Liebe: "Den habe ich nachts geschrieben. Bei diesen traurigen Liedern schreibe ich so lange den Gefühlen hinterher, bis ich selber heulen muss." Das klingt nach viel Euphorie, viel Begeisterung, und genau das strahlen die Songs von Wir sind Helden aus. Bei Judith artet diese Euphorie gar oft in Chaos aus: "Manchmal habe ich eine Idee, worum sich der Song drehen soll, und manchmal eine einzige Zeile. Ich schreibe Melodie und Text meistens parallel, deswegen dauert es sehr lange. Oft sammle ich ganz viele Fetzen, verliere auf der Hälfte des Weges den Mut, lasse alles drei Monate liegen, packe es wieder aus und werde innerhalb von zwei Tagen fertig. Ich lasse mich auch gerne von Reimen tragen. Mir fällt ein Reim ein, der auf den ersten Blick völlig blödsinnig ist, den ich erstmal wieder ganz schnell vergesse. Und dann komme ich plötzlich an einen Punkt, an dem genau dieser Reim genau dahin gehört. Dann amüsiere ich mich wie Bolle, und alles geht ganz schnell." Im Song "Außer dir" gibt es die Zeile "Rand und Band ziehen ohne mich auf's Land", das ist wohl so ein Reim. Beim ersten Hinsehen wirkt er albern, aber in diesem Song über eine vergangene Liebe trifft er den Nagel auf den Kopf. So ist das mit Judiths Texten: Sie sind extrem verspielt, ohne ins Unverständliche abzudriften, sie sind intelligent, ohne je intellektuell zu werden. Sie sind ungekünstelt.

Darin liegt vielleicht der Erfolg, den Wir sind Helden verbuchen konnten: Sie sind ein sympathischer Haufen, die Band von nebenan, nur besser. Sie drehten zur ersten Single ein No-Budget-Video und schickten es zu MTV, die es prompt mit Wonne rauf- und runterlaufen ließen. Kurze Zeit später bekam Judith eine Einladung von Harald Schmidt. "Ich habe zehn Tage lang vor Nervosität nur noch gefiepst und gehechelt. Ich bin eben auch ein riesengroßer Fan. Das Schlimmste war der Gang zu diesem Sessel. Wenn man hohe Absätze an hat, besteht ja immer die Möglichkeit, dass man hinfällt. Vor allem, wenn ich sie trage. Aber kaum saß ich da, war alles gut, weil der Typ einfach so cool und so nett ist." Seitdem rappelt's im Karton, die Clubs, in denen Wir sind Helden spielen, müssen immer größer werden. Das Gästebuch ihrer Homepage platzt aus allen Nähten. Und doch pflegt die Band nach wie vor einen innigen Kontakt mit ihren Fans, was, wie Judith zugibt, immer schwieriger wird: "Wir versuchen es halt, weil es uns wichtig ist. Kontakt zu den Fans zu pflegen, ist das beste Gift gegen die dunklen Seiten dieses Berufs, wie Oberflächlichkeit. Es gibt unheimlich viele Seiten, die nicht gut für's Herz sind, also muss man auf seine eigene Liebe aufpassen, zusehen, dass man nicht anfängt, die Leute als Plattenkäufer wahrzunehmen."

Wir sind Helden
Die dunklen Seiten des Ruhms, sie machen sich also schon bemerkbar? "Manchmal ist es schwierig, die Unmengen an Feedback zu verarbeiten, die man bekommt. Ich glaube, das menschliche Gehirn und Herz sind dafür gar nicht ausgerichtet, soviel Rückmeldung zu bekommen. Manchmal registriert das Gegenüber gar nicht mehr, dass wir ja auch Menschen sind, und verletzlich. Es ist schon manchmal erstaunlich, mit welch einer Lockerheit einige ihre Kritik aus dem Ärmel schütteln, wenn sie nach dem Konzert zu dir kommen und sagen: 'Also, dieses eine da Lied ist echt scheiße'. Aber da müssen wir durch. Natürlich sind einem die Songs, die man geschrieben hat, persönlich sehr wichtig, und da ist es eben nicht leicht, sich damit in den Wald zu stellen und zu sagen: 'Hier bitte drauf hauen'... Aber andererseits macht es eben alles einen Arsch voll Spaß."

Weitere Infos:
www.wirsindhelden.com
www.heldenverehrung.com
helden.hyperboy.de
Interview: -Christian Zeiser-
Fotos: -Pressefreigaben-
Wir sind Helden
Aktueller Tonträger:
Die Reklamation
(Reklamation Records/Labels/EMI)
 

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