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29.08.2003
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HOLLY COLE

Tales from the dark side

Holly Cole
"Shade" heißt das neue Album von Holly Cole - was gewissermaßen verwunderlich ist, denn mit Songs wie "Heat Wave", "Too Darn Hot" oder "Something Cool" findet sich hier doch eher eine eklektische Sammlung von Sommer-Songs. Freilich war Holly ja immer schon jemand, der sich eher für die düsteren, dunkleren Seiten des Seins interessierte - also z.B. den Schatten. Eine Eigenschaft, die ihr als klassischer Interpretin der Lieder anderer Kompositeure stets zupass kam und zuweilen zu recht interessanten Ergebnissen führte - wie z.B. dann, als sie mit "Temptation" ein ganzes Album den Werken von Tom Waits widmete.

Wir bitten aber dennoch darum, den Widerspruch zumindest einmal zu erläutern. "Nun das Komische ist, dass ich das gar nicht so geplant hatte", erzählt Holly, "ich hatte die Songs zunächst einmal nur nach dem Gesichtspunkt ausgewählt, dass ich die Stücke mit meinem Trio aufnehmen wollte. Als ich sie mir dann allerdings anschaute, stellte ich fest, dass es da eine inhaltliche Gemeinsamkeit gab, die einem Teil meines Hirns zunächst einmal nicht bewusst war. Ich fragte also meinen Manager, wann das Album veröffentlicht werden sollte und als ich erfuhr, dass es im Sommer sein sollte, begann ich ernsthaft an einem Sommer-Album zu arbeiten. Das Lustige dabei ist, dass es ja in Deutschland eher im Herbst herauskommt - und es ist auch fast eher ein herbstliches Album geworden. Das Feeling des Albums ist ja eher melancholisch und nicht besonders leicht - wie man etwas von einem Sommer-Album erwartet." Es geht also tatsächlich um die "dunkle Seite des Sommers"? "Ja, ich wollte die interessanteren, nicht die typischen Aspekte des Sommers erkunden. Z.B. die intensiven Hitzewellen, wenn man sich nicht bewegen kann, die Gewitterstürme, die heißen Nächte - so etwas. All das hat natürlich verstärkt mit dem Sommer zu tun, ist aber weniger offensichtlich. Der Sommer ist kurz und wichtig." Ist es denn so, dass Holly Cole die Düsternis sucht? "Nein, ich suche die Düsternis nicht bewusst, sondern ich finde sie. Der Grund dafür, dass ich nach der Düsternis in der menschlichen Psyche suche ist nicht der, dass es mir um sinistre, gewalttätige oder negative Aspekte geht, sondern um die Düsternis, die wir eigentlich ignorieren sollen." Wie ist das denn gemeint? "Ich weiß nicht wie es in Deutschland ist - vermute aber, dass es dort etwas liberaler gehandhabt wird - aber hier in Nordamerika werden wir ständig ermutigt, vorzugeben, dass wir gar keine 'dunkle Seite' haben. Wir sollen immer fröhlich und heiter sein. Ich denke aber, dass viel der Schönheit eines menschlichen Wesens in seiner dunklen Seite begründet liegt. Zum Beispiel die Sexualität - oder eine gewisse Art des Humors. Vieles, was eigentlich interessanter ist, kommt quasi von der dunkleren Seite. Das ist sehr bewunderungswürdig."

Ist nicht die dunklere Seite auch irgendwie relevanter? "Absolut", stimmt Holly zu, "es steckt mehr Tiefe darin. Ich denke auch, dass - wenn wir unsere dunklere Seite ignorieren und nicht erforschen - wir in Probleme geraten. Darum geht es mir." Wie wurde das denn bei der Auswahl von Texten konkretisiert? Holly meinte ja einmal, es gäbe heutzutage gar nicht mehr genügend interessante Texte. "Ja, das stimmt", räumt Holly ein, "es ist nicht so, dass ich nach alten Songs suche. Ich wäre glücklich, wenn sie neuer wären. Ich suche aber nach Songs, die sich interpretieren lassen und die sind meistens alt. Ich versuche allerdings, diese dann zeitgemäßer zu machen, weil ich nicht altmodisch bin. Ich denke aber, dass die Songs aus dieser Zeit - den 30er, 40er Jahren - nicht nur besonders gut geschrieben sind, sondern dieses auf eine besondere Art. Die Leute schrieben damals Songs absichtlich so, dass sie interpretiert werden konnten. Und zwar von anderen Leuten. Das ist ganz anders als bei heutigen Singer-Songwritern." Nach welchen Aspekten sucht Holly sich denn die Texte aus? "Also zunächst einmal muss der Song gar nicht autobiographisch sein", erklärt sie, "der Song muss nur einen Teil von mir berühren. Es ist etwa so, wie ein Schauspieler sich seine Rolle aussucht. Es muss um etwas gehen, das ich emotionell mit etwas verbinden kann, das in meinem Leben passiert ist - nicht genauso, wie es besungen wird, aber so, dass ich mich damit identifizieren kann." Was ist denn der Grund dafür, dass es heute Songs dieser Art nicht mehr gibt? "Das interessante an Texten ist das: Heutzutage erwartet man von Songwritern drei Handwerke in einem zu beherrschen. Es geht darum, Texter, Musiker und Sänger zu sein. Und wenn du es dir mal genau überlegst, dann sind die meisten Leute das doch gar nicht wirklich. In der Periode von Rodgers & Hart oder George & Ira Gershwin, da war das - mit Ausnahme von Cole Porter - getrennt: Einer schrieb die Texte, einer die Musik und ein Dritter sang sie dann. Das sind für mich drei verschiedene Kunstformen. Und das nur, um eine schöne Aufnahme zu produzieren. Das gibt es heute kaum noch." Ist das auch der Grund, warum "God Only Knows" auf die Scheibe gerutscht ist? Dieser Beach Boys-Song - der ja eigentlich gar kein Sommer-Song ist - ist ja auf diese Art entstanden: Brian Wilson schrieb die Musik, Tony Asher den Text und die Band sang dann darauf. "Unter anderem ja", bestätigt Holly, "der Song hat einen wunderschönen, naiven, enigmatischen Text. Was mich an dem Song aber besonders faszinierte, war der Gedanke, dass Brian Wilson zu dieser Zeit seine Krisen bekam. Man nimmt nun immer an, dass dieser Song an ein menschliches Wesen gerichtet ist. Er könnte aber genausogut zu einer Dose mit Tabletten oder einer Flasche Bier gesungen haben. Und man weiß nicht, was besser wäre. Dieser Gedanke hat mich fasziniert. Und die Melodie ist sehr ungewöhnlich und seltsam. Und natürlich ist es so, dass jeder Beach Boys-Song fast zwangsläufig mit dem Sommer assoziiert wird. Deshalb scheint es auch niemandem aufzufallen, dass das kein Song über den Sommer ist."

Holly Cole
Holly hat dieses Album selbst produziert. Was war das denn für eine Erfahrung? "Das war sehr aufregend und interessant", erzählt Holly, "ich habe eine Menge über meine Defizite in Sachen Organisation und Aufgabenteilung erfahren. Ich habe auch eine Menge über die Geduld gelernt. Es ging um die künstlerische Seite, das Organisieren und das Singen. Es war eine Menge Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Ich bin mir sicher, dass ich das nächste Album auch selber produzieren werde. Ich habe mir übrigens auch ein Heimstudio eingerichtet, das ich intensiv für meinen Gesang genutzt habe." Moment einmal: Viele Sänger - besonders die aus dem Bereich des Jazz und hier wieder besonders die, die sich der klassischen Interpretation verschrieben haben - sagen doch, dass es unbedingt notwendig sei, direkt mit der Band aufzunehmen? "Nun, das habe ich ja auch gemacht", räumt Holly ein, "zu Hause habe ich die Parts aufgenommen, für die ich keine Band brauchte. Z.B. die Einleitung zu 'Heat Wave' - du wirst feststellen, dass dies nicht Teil des Original-Songs ist. Oder aber Stücke zum Piano. Der Grund dafür ist der, dass ich die Sachen in der Nacht aufnehmen wollte. 'We Kiss In A Shadow' z.B." Ist es denn so, dass es notwendig ist, Stücke in der Zeit aufzunehmen, wenn sie inhaltlich auch gesungen werden sollten - Mitternacht, in der Dämmerung? "Absolut", bestätigt Holly, "eine Stimme ist ein wankelmütiges Instrument, das dir nicht immer gehorcht. Es sagt dir zuweilen, wann es genutzt werden möchte. Außerdem hilft es zuweilen mental, wenn man die Songs zu einem bestimmten Zeitpunkt aufnimmt. Und noch einen Grund gibt es, das Heimstudio zu nutzen: Ein richtiges Studio ist zu teuer, um etwa herumzuexperimentieren oder subtile Stellen herauszuarbeiten." Auf der CD befindet sich als Hidden Track Noel Cowards "Mad About The Boy" - warum? "Oh, diesen Song habe ich nur auf der deutschen Version der CD als Track dazugenommen, weil ich der Meinung bin, dass Deutsche sich zu dem Song hingezogen fühlen könnten, weil es ein düsterer Song ist, der auf eine seltsame Art romantisch ist." Wieso das denn? "Nun, ich hatte diesen Eindruck bei meinen Konzerten gewonnen, dass Deutsche empfänglich für diese Art von Liedern sind. Und ich habe mal eine ganze Show mit Kurt Weill-Songs gemacht, die er zusammen mit Berthold Brecht geschrieben hatte. Ich dachte, dass diese auch auf sehr ungewöhnliche Art romantisch sind. In Japan ist zum Beispiel ein anderer Bonus Track drauf. Dieser ist speziell für Deutschland. Es ist auch der Song, den ich am liebsten sowieso auf der Scheibe gehabt hätte - wenn er denn gepasst hätte." Holly wird im November hierzulande auf Tour gehen, um uns mit seltsamem, romantischem Liedgut zu verwöhnen.

Weitere Infos:
www.hollycole.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Holly Cole
Aktueller Tonträger:
Shade
(Tradition & Moderne/Indigo)
 

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