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03.03.2004
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HAWKSLEY WORKMAN

Der Liebeskämpfer

Hawksley Workman
Das neue Album des kanadischen Songwriters Hawksley Workman heißt "Lover / Fighter" und hat somit den normalsten Namen seiner bislang vier CDs (das bei uns nur über Import zu beziehende letzte hieß z.B. "(Last Night We Were) The Delicious Wolves"). "Lover / Fighter" ist nun die erste Scheibe, die offiziell bei uns erscheint. Hawksley nutzte die Gelegenheit, zusammen mit der bei uns ja nicht gerade erfolglosen Combo Reamonn auf Tour zu gehen, um sich so einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Denn im stillen Kämmerlein vor sich hinzumusizieren, ist nicht seine Sache, wie er uns im Gespräch erklärte.

Wie begann denn Hawksleys musikalische Laufbahn? "Meine erste Scheibe heißt 'For Him And The Girls', die zweite ist 'Wolves', und dann gibt es noch eines namens 'Almost A Full Moon'", erzählt Hawksley, "aufgewachsen bin ich in einem ländlichen Teil Ontarios, ungefähr in der Mitte des Landes. Mein Vater war ein Musikliebhaber und er spielte Drums. Er ist ein großer Motown Fan. Die Drums sind daher auch mein erstes Instrument. Daneben spiele ich Gitarre, Bass und ein wenig Keyboards. Ich spiele alle Instrumente auf der neuen Scheibe selber. Weil ich als Drummer gearbeitet habe - auch bevor ich eigene Scheiben aufgenommen habe - betrachte ich die Produktion stets aus der Perspektive des Drummers. Es ist, als baue man das Fundament eines Hauses damit. Ohne funktioniert es nicht." Da ähnelt er ja in gewisser Weise seinem Kollegen Jason Falkner, der ja nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet. Dennoch klingt seine Scheibe vergleichsweise organisch, wie die Aufnahme einer Band, nicht? "Darauf arbeite ich auch hin", räumt Hawksley ein, "es gibt aber noch einen anderen Grund, warum das so ist. Ich kam nämlich zu den verschiedenen Instrumenten, die ich spiele, zu verschiedenen Zeiten in meinem Leben. Mit 17 spielte ich bereits ziemlich gut die Drums, aber die Musik, die damals hörte, war Fusion Jazz - da lernte ich Bass spielen. Später mochte ich dann Folk-Musik und griff zur Gitarre. Und dann machte ich wieder Rock. Piano spiele ich zwar ziemlich beschissen, aber für Rock Musik reicht's. Im Prinzip hörst du also tatsächlich mehrere Leute." Bei all den verschiedenen Stilen, die Hawksley aufzählt und auch in seine Musik einfließen lässt, verliert er aber scheinbar nie den Überblick. Was ist denn Momentan die Hauptinspirationsquelle? "Hip Hop Musik", antwortet Hawksley wie aus der Pistole geschossen, "ich höre in den letzten Jahren kaum etwas anderes. Auch als ich diese Scheibe machte. Es geht mir darum, nicht nur um den Sound, sondern vor allem um die Texte. Weißt du, die Poesie kommt bei mir immer an erster Stelle. Es gab da z.B. ein paar Songs, die sich musikalisch gut anfühlten, aber keine ordentlichen Texte haben. Die ließ ich dann weg. Was ich sagen wollte: Ich mag es, das Radio anzuschalten und nach neuer Musik zu suchen, Das ist etwas, was mir mein Vater beibrachte. Deswegen ist Hip Hop Musik so etwas wie tapfere Pop-Musik. Die versuchen jedenfalls etwas Neues zu machen. Und was die Texte betrifft, sind die unschlagbar. Eminem, Jay-Z, Nas - das ist das wahre Ding." Moment mal, wie meint er denn das? Inhaltlich haben die Jungs doch nun wahrlich nicht viel zu bieten. Der soziale oder politische Anspruch hat sich doch aus der Mainstream-Rap Musik schon lange verabschiedet, oder? "So meine ich das auch nicht", schränkt Hawksley ein, "ich weiß, was du meinst, es geht aber nicht um den Inhalt, sondern um ihre Wortschmiedekunst, die Art, wie sie die englische Sprache verbiegen formen wie ein Bildhauer und dieser so zu einer Art Weiterentwicklung verhelfen. Es stimmt schon, dass die Songs über Mädels und Autos und das Geld ziemlich ermüdend sind. Aber ich mag auch die Beats und die Produktion. Rock'n'Roll ist ja in den letzten Jahren so schlecht geworden. Und ich mache Rock und Pop Songs, die versuchen, sich wie Rap-Musik anzuhören..."

Neben den Titel seiner CDs sind - gemäß seiner Passion für die Poesie - auch jene seiner Texte (und auch deren Inhalte) nicht von schlechten Eltern. Wer kann schon von sich behaupten, Stücke in seinem Repertoire zu haben die Namen tragen wie: "Tonight Romanticise The Automobile" oder "The Future Language Of Slaves"? Dabei scheint er es darauf angelegt zu haben, Texte zu schreiben, die sich kaum aussprechen, lassen - geschweige denn Singen (oder verstehen). Was hat es denn mit dieser seiner Eigenart auf sich, wenn es um Texte und Titel geht, Galaxien zu besuchen, die nie ein Mensch zuvor betreten hat? "Wie angedeutet: Die Rockmusik ist, was die Texte betrifft, auf ihrem momentanen Tiefpunkt angelangt", erklärt Hawksley, "die Musik die ich mochte, war immer jene von Leuten, die Texte schreiben konnten. Leonard Cohen, Jonie Mitchell, The Smiths. Ich brauche eine gewisse Aufmerksamkeit für das poetische Detail. Deswegen sind Titel und Texte, die die Aufmerksamkeit des Betrachters erregen, wichtig. Man soll sich fragen, was das bedeuten könnte. Ich versuche immer mir die Leute so vorzustellen, dass diese die Musik mögen, die ich auch mochte. Das war auch der Grund, warum ich meine erste Scheibe aufnahm: Weil ich die Dinge machen wollte, die ich mochte, aber in der Mainstream-Musik nicht vorfand. Ach ja, und Politik in den Texten interessiert mich nicht so sehr. Ich suche nach Schönheit und einer speziellen Idee. Poesie ist für mich sehr wertvoll. Poesie ist, diesen Tisch zu betrachten und die Schönheit in der Zigarettenpackung und dem Aschenbecher zu finden. Es geht darum, etwas erkennen zu können. Deswegen ist es für mich auch nie leicht gewesen, erfolgreich zu werden. Es ist ja schließlich auch schwierig, einen Song mit dem Namen 'The Future Language Of Slaves' zu vermarkten." Oder einen, der mit dem Wort 'Fuck' beginnt. Es ist Hawksley hoffentlich klar, dass dieses so ziemlich die erste für einen breiteren Markt gedachte Scheibe ist, die mit dem Wort "Fuck" ("Fuck you, I'm drunk" im Opener "We Will Still Need A Song" - um genau zu sein) beginnt? War das Absicht? "nun, ich habe den Song zwar absichtlich geschrieben", räumt Hawksley lachend ein, "aber ich war tatsächlich zunächst dagegen, ihn als ersten Song auf die Scheibe zu nehmen. Ich wollte nicht wie ein Punk klingen. Es ist aber so etwas wie ein Wachrütteln am Anfang der Scheibe. Das mochte ich dann. Ich bin auf jedem Fall ein Typ, der ganze Alben mag und auch versucht, solche zu machen, obwohl ich auch versuche Singles zu machen. Und noch was: Dieses 'Fuck you, I'm drunk' subsumiert ziemlich gut mein Leben zu der Zeit."

Hawksley Workman
Was uns dazu bringt, um was es Hawksley in seinen Songs inhaltlich geht. "Eigentlich schreibe ich bloß über drei Dinge: Gott, Frauen und Alkohol", erklärt Hawksley, "es ist für mich schwierig, ein anderes Thema zu finden. Alles passt irgendwo unter diese drei Kategorien." Wie mischt sich denn die Spiritualität in die allgemeine Gemengelage des Hawksley Workman? "Nun, Musik spielen zu dürfen, ist eine Ehre für mich", erläutert Hawksley, "es ist nicht notwendigerweise ein Recht, sondern eine Gabe. Das muss man sehr ernst nehmen. Deswegen hast du dem Publikum gegenüber eine Verantwortung. Das ist ja das Problem mit der Popmusik heutzutage. Die Leute haben die Richtung verloren. Sie sind nicht länger verantwortlich. Sie machen Musik nicht mehr, um ihren Beitrag zur Kultur zu leisten, sondern um ihr Ego aufzublasen oder um Geld zu verdienen." Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Über welche Art von Pop-Musik sprechen wir hier eigentlich? "Es geht um die Pop Musik im Radio", meint Hawksley, "das ist der Bereich, in dem ich mich - aus welchen Gründen auch immer - bewege und sehe. Ich wollte gute Musik machen, aber auch akzeptiert werden. Es gibt natürlich jede Menge verantwortlicher Songwriter - aber nicht im Radio. Kennst Du Bruce Cockburn? Er war hat mich ungemein beeinflusst, als ich jung war. Ich spreche kaum über ihn, weil die meisten Leute nicht wissen, wer er ist, aber er ist der erste Songwriter, an den ich mich erinnern kann, der in mir das Verlangen auslöste, ein guter Texte-Schreiber zu werden. Seine Fähigkeit, Bilder zu erzeugen, ist unglaublich, auch wenn seine Texte zu intensiv sind, um ins Radio zu gelangen - obwohl es manchmal doch passiert -, er hatte ja einige Hits. Wenn du mal überlegst, hat Kanada einige der besten Songwriter hervorgebracht. Neil Young, Bruce Cockburn, Joni Mitchell, Leonard Cohen. Ich glaube, es gibt einen typisch kanadischen Stil, was das Songwriting betrifft." Was uns wieder zum Thema "kanadische Identität" bringt... Wie sieht Hawksley denn das Thema? "Oh, die kanadische Art ist - anders als die amerikanische - beobachtend. Wir schießen nicht erst und fragen später, sondern wir schauen uns die Sache erst einmal an. Wir machen auch mal eine Pause und versuchen, eine Situation einzuschätzen, bevor wir einen Weg wählen. Das wird, denke ich, ziemlich deutlich in der kanadischen Kunst. Kanadier sind immer mit ihrer Landschaft, den Jahreszeiten und dem Klima verbunden. Das mag ich auch an Deutschland. Das ist irgendwie alles noch natürlich hier."

Nun ja, wenn man auf Tour ist, bekommt man ja nicht alles mit. Da sind solche Einschätzungen ja erklärlich. Warum heißt die neue Scheibe denn - dies alles eingedenk - ziemlich simplizistisch "Lover / Fighter"? "Nun, mir kam es so vor, als machte ich zwei verschiedene Scheiben zu der Zeit", erzählt Hawksley, "eine mit Liebes-Songs, und eine mit politischen Songs (in der Art, wie ich das sehe). Am Ende des Prozesses erkannte ich, dass dies alles zusammengehört, obwohl dieser Konflikt schon sehr real war. Ich schreibe viel über Konflikte: Den Konflikt darüber, was Gott will und was ich will, den Konflikt Moral gegen Intellekt und so was. Bei 'Lover / Fighter' ist das 'politische' Statement folgendes: Was kann ein Künstler tun, in Zeiten wie diesen, wo du die Nachrichten einschaltest und eine Hiobsbotschaft nach der anderen vorgesetzt bekommst? Ziviler Ungehorsam hat ja heutzutage fast schon mehr Einfluss als Rockmusik. Dieses Dilemmna ist für mich 'Lover / Fighter'. Wie stellst du ein Gleichgewicht zwischen einem Lover und einem Kämpfer her? Zwischen dem Poeten, dem Musiker, dem Tier. dem Aggressor, dem Mann, dem Kriegstreiber? Das ist mein Konflikt." Auf der anderen Seite kann ein Liebhaber aber doch auch ein Kämpfer sein - oder er sollte es besser sogar sein, nicht wahr? "Siehst du, das ist Poesie!", freut sich Hawksley. Eine Frage drängt sich in dem Zusammenhang noch auf: Was hat Hawksley Workman mit Reamonn zu tun? "Nun, wir haben uns über die üblichen Business-Kanäle kennengelernt. Musikalisch kenne ich sie zwar nicht so gut, aber sie sind sehr nett und ihre Musik ist emotional wie die meine - und das ist das Wichtigste. Ich mag das Publikum von Reamonn. Sie sind alle sehr aufmerksam und aufnahmebereit. Das ist das beste Publikum, das du haben kannst. Wenn diese Tour beendet ist, werde ich sie im Gegenzug mit nach Kanada nehmen, damit sie dort ein englischsprachiges Publikum gewinnen können."

Weitere Infos:
www.hawksleyworkman.com
www.hawksleyworkman.de
cockburnproject.net
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Hawksley Workman
Aktueller Tonträger:
Lover / Fighter
(Universal)
 

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