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11.03.2004
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JOHNNY DOWD

Beerdigte Songs

Johnny Dowd
Johnny Dowd als Unikum bezeichnen zu wollen, wäre eine an Maßlosigkeit kaum noch zu übertreffende Untertreibung. Der erfolgreiche Unternehmer, der seit fast 30 Jahren eine Umzugsspedition führt, beschloss erst Mitte 50 zum Rock-Musiker zu werden. Nicht, weil er besonders gut singen kann (was definitiv nicht der Fall ist), sondern weil er den unbändigen Drang verspürte, sich der Welt auch auf eine andere Art mitzuteilen, als durch termingerechte Möbellieferungen. Dabei outete sich der an einem Ostersonntag geborene Vietnam Veteran ebenso als messerscharfer Zyniker mit einem schneidenden, schwarzen Humor wie auch als vertrackter, unbequemer Songwriter, dem kein Thema düster oder heikel genug ist, dem keine Melodie zu verstiegen, kein Arrangement zu chaotisch und keine Instrumentierung zu abstrus wäre, um diese nicht in seinen skurrilen Meisterwerken zu verquicken. Meisterwerke, die zwar immer irgendwo mit den klassischen Formaten liebäugeln - Blues, Rock'n'Roll und auf eine perverse Art auch der Soul bilden stets die Basis für Dowds Exkursionen - aber durch wirre Ideen, wie z.B. das heftige "Featuren" ausgerechnet von Synthesizern für Aufhorchen sorgen.

Der Tom Waits der selbständigen Unternehmer legt nun mit "Cemetery Shoes" ein relativ zwiespältiges Werk vor. Zwiespältig deshalb, weil es zwar thematisch nach wie vor überzeugend desolat daherkommt - man betrachte sich das Cover, auf dem Dowd sinnierend mit seiner Gitarre vor einem Grab steht und seine Songs beerdigt - musikalisch indes einer vergleichsweise fröhlichen, lebensbejahenden Totentanzparty gleich kommt. Dennoch - oder gerade deswegen - heißt die Scheibe "Friedhofs-Schuhe". "Es gibt da diesen Ausdruck im englischen: 'Put your best foot forward'", erklärt Johnny den Titel, "das bedeutet, das Beste anzubieten, was du hast. Und das ist dieses Album für mich. Die Friedhofs-Schuhe sind entweder die Schuhe, die ein Toter auf dem Friedhof trägt oder diejenigen, die du anhast, wenn du auf den Friedhof gehst." Das ist für Johnny Dowd also selbstverständlich, dass man seine besten Schuhe anzieht, wenn man auf den Friedhof geht. Warum man überhaupt auf den Friedhof gehen soll, fragte er sich vermutlich schon gar nicht mehr. So versteht er zunächst die Frage, wen, oder was er denn da zu Grabe trägt zunächst falsch und meint, das sei jetzt nicht das Grab einer bestimmten Person, vor dem er da stehe und sinniere. Explizit darauf hingewiesen, dass die Frage metaphorisch gemeint sei, hat er aber doch eine Erklärung für die kontemplative Pose. "Ach so - also, das ist so. Es mag negativ klingen, aber eine Scheibe aufzunehmen ist für mich irgendwie immer wie die Songs umzubringen", erläutert er, "wenn du einen Song erst mal aufgenommen hast und auf eine CD packst, dann ist das so als triebest du einen Pfahl durch das Herz eines Songs - der damit für mich zu einer Art toter Artefakt wird. Wenn du so willst, trage ich also den Song zu Grabe. Ich liebe natürlich CDs und ich liebe es, sie anzuhören. Ich habe auch nie so gedacht, bis zu dem Zeitpunkt, als ich begann, selber CDs aufzunehmen. Irgendwie ruiniert das den Song für mich, weil er so beendet erscheint, wenn er aufgenommen ist. Das ist natürlich übertrieben, aber wenn ich einen Song aufgenommen habe, denke ich immer, dass ich ihn nie wieder spielen werde oder ihn mir anhören kann." Ja, aber letztlich wird er dann ja doch wieder live gespielt, nicht wahr. Er ist dann also sozusagen untot, oder? "Das ist ja der Grund, warum ich immer so eine zögerliche Beziehung zu meinen Songs aufbaue", überlegt Johnny, "das ist auch der Grund, warum ich meine Band liebe, weil die nie das Album reproduzieren sollen - ganz im Gegenteil - und so die Songs ein eigenes Leben haben. Man kann sich die Scheiben ja immer zu Hause anhören - live ist etwas anderes. Ich habe ja immer nur ca. 15 Songs, die die Leute unbedingt hören wollen, da habe ich dann den Luxus, re-kreieren zu können, was ich will."

Johnny Dowd
Das, was beim Anhören der neuen CD als erstes auffällt, ist das offensichtliche Fehlen von Kim Sherwood-Caso, der lieblichen Gesangspartnerin von Johnny, die den letzten Scheiben stets so ein menschliches Antlitz verlieh. "Sie kann momentan nicht mehr mit uns touren", erklärt Johnny, "weil sie zwei kleine Kinder hat. Sie war aber ein so wichtiger Teil der Band - obwohl ich ja gerade sagte, dass ich die CDs nicht reproduzieren will -, dass ich sie nicht ersetzen konnte. Deswegen wollte ich sie auch nicht bei den Aufnahmen dabei haben, weil man das im Live-Kontext sicher vermisst hätte. Das hätte keinen Sinn gemacht. Also habe ich dieses Mal alles selber gemacht. Wir verstehen uns aber nach wie vor sehr gut und wir haben gerade erst zusammen zu Abend gegessen." Das zweite, was bei der neuen Scheibe auffällt, ist, dass diese - wie erwähnt - vergleichsweise fröhlich klingt. Damit wir uns richtig verstehen: Hier ist keine Beach Boys Fröhlichkeit gemeint, sondern bestenfalls eine verdrehte Art von Voodoo Kirmes Fröhlichkeit, aber immerhin... "Ja, denn das einzige Konzept bei der Scheibe war, dass es - zumindest musikalisch - ein bisschen mehr 'upbeat' sein sollte", räumt Johnny ein, "die Texte können ja so düster sein wie immer, aber es sollte ein wenig mehr rocken. Ich wollte die Drums und die Grooves betonen, damit die Leute sich ein wenig dazu bewegen können. Wenn die Leute sagen, dass dieses Album zugänglicher ist, als die letzten, dann gewiss deswegen." Durch das neue rhythmische Selbstbewusstsein kommt auch der verquere Humor von Johnny ein wenig besser zur Geltung, nicht wahr? "Nun, ich habe ja immer gedacht, dass meine Texte - selbst wenn es die düstersten sind - auch immer irgendwo komisch sind. Jedes Buch, jeder Film - alles, was künstlerisch ist -, sollte auch immer humorvoll sein. So ist nun mal das Leben: Eine Balance zwischen Tragödie und Komödie. Es hängt ja immer nur davon ab, wie du etwas siehst. So funktionieren meine Texte auch: Sie wirken auf beiden Ebenen - du lachst so lange, bis du weinst, wenn du weißt, was ich meine..." Wo findet Johnny denn die Typen, die seine Songs bevölkern? Er alleine reicht als Inspirationsquelle für dermaßen viele kaputte Typen ja wohl nicht aus. "Das sind Leute, die kenne oder Charaktere, die ich zusammensetze aus solchen, die ich in Büchern, Comics oder alten Fernsehserien wie 'Knight Rider' gefunden habe", meint Johnny, "David Hasselhoff ist eine gute Inspirationsquelle. Man muss nur seinen eigenen Twist draufsetzen." Hm. Wer hätte das gedacht? Wer ist denn die Inspirationsquelle für den Crossdresser in "Wedding Dress" gewesen? "Also, meine Theorie ist - und da mag ich falsch liegen -, dass die meisten Jungs, die noch zu jung für eine Freundin sind, irgendwann mal die Unterwäsche ihrer Mütter anziehen wollten. Einfach, um dieses Gefühl zu spüren, wie das ist. Man hat da auch immer die Vaterfigur - der immer sagt, man solle ein Mann sein. Auch wenn man eine Frau sein möchte, oder wie eine Frau sein möchte. Der Song nahm dann selber Gestalt an. Für mich sind das eher universelle Gedanken. Ich bin mir jetzt aber nicht mehr so sicher, ob meine Theorie richtig ist." Es ist ja so, dass gesagt wird, dass viele Massenmörder als Kinder in Frauenkleider gesteckt wurden. "Das sagt man?", fragt Johnny vorsichtig, "nun, das möchte ich lieber nicht kommentieren."

Johnny Dowd
Manchmal verliert Johnny auch den Überblick, wenn es darum geht, seine Gedanken in Songs zu packen. "Dylan's Coat" z.B. handelt von Johnny Cash. "Ich bin sehr von Johnny Cash inspiriert", überlegt Johnny, "das ist jemand, der das Leben nach seinen Regeln lebte. Und da musste ich auch an Bob Dylan denken, der Jahr für Jahr denselben Mantel anzieht. Es hätte ja zugegebenermaßen mehr Sinn gemacht, den Song 'Johnny Cash's Coat' zu nennen - nun ist es aber zu spät. Es ist aber meine Hommage an Leute wie Frank Sinatra oder Dylan oder Cash, die diese lange Karriere hatten und immer weiter gemacht hatten ohne jemals aufzugeben." Wie beeinflusst denn Johnnys Job als Umzugsunternehmer sein Songwriting? "Ich denke, das färbt sehr stark ab. Ich meine, ich mache das Lastwagen-Geschäft seit fast 30 Jahren", erklärt Johnny, "meine ganze Lebenseinstellung kommt aus der Sicht des Arbeitnehmers. Wenn ich mit 17 oder 18 angefangen hätte, sähe das anders aus. Es ist ja nichts falsches daran und ich wünschte, ich hätte so früh angefangen - aber wenn du in dem Alter bist, dann bist du kein Musiker aus der Arbeiterklasse. Das filtriert also in meine Musik, denn das, was du jeden Tag tust, spiegelt sich unweigerlich in deiner Musik wider." Bei der Show auf dem Orange Blossom Festival in Beverungen meinte Johnny mal, er fände "What's Going On" von Marvin Gaye besser als "Sergeant Peppers". "Das habe ich gesagt?" wundert er sich, "nun, es stimmt, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Das Zeug, was ich wirklich mag, spiegelt sich nicht immer in meiner Musik wider, weil ich einfach nicht dazu in der Lage bin, es zu spielen. Zum Beispiel ist der Doo Wop aus den 50ern meine Lieblingsmusik. Oder Soul Musik wie Otis Redding oder Sam & Dave. Das ist alles vokale, schwarze Musik. Das bekomme ich nicht hin. Aber ich mag auch Avant-Garde Free Jazz - Alice Coltrane oder so - und das kannst du irgendwie raushören in dem, was ich mache." Und woher kommt der Synthesizer? "Das kommt von meiner Vorliebe für Sun-Ra oder Devo", erläutert Johnny, "der Sound, wonach ich suche - und das ist mir bislang noch nicht richtig gelungen -, ist der Gedanke, etwas sehr Organisches mit seltsamer Elektronik zu verschmelzen. Ich mag Pere Ubu. Das ist die Richtung, in die ich möchte. Ein Blues Song mit verrückten Synthesizern - das wäre was..." Nun ja, und wenn das nicht klappt, kann Johnny ja immer noch als Friedhofsmusikant anfangen. Er scheint ja sowieso öfters da zu sein...

Weitere Infos:
www.johnnydowd.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe / Ullrich Maurer-
Johnny Dowd
Aktueller Tonträger:
Cemetery Shoes
(Munich Records/Indigo)
 

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