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21.04.2004
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MUFF POTTER

Zehn Jahre

Muff Potter
Eine kleine Küche in einer gemütlichen Wohnung auf dem Hamburger Kiez. Wir treffen uns mit Muff Potter zum Interview. Am Abend spielen sie mit Dover, einige Stunden vor dem Gig sind sie samt Merchandiser und Tourmanager bei Freunden eingetroffen, bei denen sie die Nacht verbringen werden. Kein Hotel, kein Luxus, Muff Potter sind auch nach zehn Jahren noch Underground.

Was war früher besser? "Früher war es einfacher", sagt Potter-Sänger Nagel. "Als wir die Band gegründet haben, waren wir 16 Jahre alte Schüler und haben bei unseren Eltern gewohnt. Unsere Welt war ganz einfach aufgeteilt. Ganz plakativ gesagt, waren die Lehrer, die Nazis und das Schweinesystem auf der einen, und wir und unsere Freunde und die Punkband auf der anderen Seite. Das war herrlich polarisierend." Mit der Zeit wurden auch Muff Potter älter. Die Band wurde wichtiger, man entwickelte sich als Mensch und Musiker. "Das schwierigste, was eine Band oder auch Freunde meistern können, ist der Prozess des Erwachsenwerdens. Und darum sind wir auch sehr stolz darauf, dass Muff Potter noch immer existieren", freut sich Nagel, der auf einem umgedrehten Mülleimer hockt, der im Laufe des Gesprächs noch zusammen brechen sollte. "Und auch die Leute, die nicht mehr bei Muff Potter spielen, sind immer noch unsere Freunde. Das ist schon super." Seit zehn Jahren spielen die Münsteraner zusammen. Zwar in wechselnden Konstellationen, aber eben doch ein Jahrzehnt. Und das sehr intensiv. Brami, der Schlagzeuger, sagt: "Wir sehen uns ja öfter als unsere Freundinnen." Doch während andere Musiker ihre Combo als Job ansehen und sich freuen, wenn sie nach der Probe oder nach Tour ihre Ruhe haben, gehen die Potters nach "Feierabend" noch gemeinsam auf Partys. "Das Ganze ist ja aus diesem Freundschaftsding entstanden", sagt Brami. "Und ohne das gäbe es uns auch gar nicht mehr." - "Wir haben die Band als Kids gegründet. Wir waren Kumpels und wollten zusammen 'ne Band machen. Nicht weil wir so tolle Musiker waren", wirft Nagel ein. "Ich kann das andere Modell auch verstehen, das ist ja nicht verwerflich. Und gerade wenn mal auf Welttournee ist, wenn man zwei Jahre am Stück zusammen hängt. Dann ist das sicher okay, wenn man sich mal aus dem Weg geht. Aber bei uns ist das nun mal nicht der Fall."

Während sich die beiden ihrer Vergangenheit sehr bewusst sind, wird nicht viel an die Zukunft gedacht. Jetzt ist die Küche auf dem Kiez, was morgen ist, wird sich schon zeigen. "Das ist vielleicht das Erfolgsrezept von Muff Potter", sagt Nagel. "Wir haben nie viel geplant oder an unsere Karriere gedacht", gibt der Sänger das Wort an den Schlagzeuger weiter: "Es ist immer was passiert, was uns weitergebracht hat. Und so wird es weiter gehen." Nur einmal haben sie darauf geachtet, dass ihre Zukunft in eine gewisse Richtung verläuft. Nagel: "Als dieser ganze deutschsprachige Hype aufkam, haben wir schon aufgepasst, dass wir da nicht mitmachen. Auch wenn wir einige Bands sicher mögen, machen wir ja doch was anderes. Und auf der Welle wollten wir einfach nicht mitschwimmen. Dafür machen wir die Band schon zu lange, um da ein Teil von etwas zu werden, was im nächsten Jahr vielleicht schon wieder zu Ende ist." Kollege Bluhm schrieb in seiner CD-Kritik "Emo-Punk, intelligenter Punkrock, Angry Pop Music, Deutschrock - alles Floskeln, die nicht wirklich passen wollen" - in eine Schublade passen sie nicht. Die Schreiber vom Waste Of Mind nannten sie "die deutschen Hot Water Music". "Wenn man davon ausgeht, dass Schubladen immer bleiben und von Menschen benutzt werden, dann nehmen wir die", sagt Nagel. "Einfach darum, weil es einfach die beste Band ist, mit der wie je gespielt haben." Nagel und Brami sind übrigens in HWM-Merchandise gekleidet und haben sich wenige Tage vor dem Gespräch mal wieder mit dem Gainsville-Vierer die Bühne geteilt. Und Nagel war mal wieder begeistert: "Da passt alles wie die Faust aufs Auge. Das sind so nette Leute, ich liebe die Band, ich liebe die Musik. Aber natürlich ist das nicht unser Anspruch. Und die Vergleiche hinken natürlich auch. Die kamen durch unsere erste gemeinsame Tour. Zu dem Zeitpunkt war 'Bordsteinkantengeschichten' schon längst aufgenommen und auf dem Markt. Und dann stand überall, diese Tour hätte uns so beeinflusst. Und die Platte wurde dann als Beleg genannt, obwohl es die schon lange gab."

Die Frage ist eigentlich ein Verbrechen und der beste Grund für eine Band, ein Interview abzubrechen. Aber bei Muff Potter sei sie gestattet: Was spielt ihr eigentlich für Musik? "Laute Gitarrenmusik", ist sich das Duo einig. Nagel: "Wir haben alle ein Interesse an sehr guten Songs. Und wir sind alle Pop-Fans und mögen klassisches Zeug wie Beatles und The Smiths. Wir sind aber auch alle Fans von Bands, die ihre Instrumente sehr energetisch und spielen und live rocken. Ich bringe da gerne das Beispiel Coldplay ein. Aber ob das nun Punkrock ist oder nicht, ist musikalisch völlig uninteressant. Für mich ist das schon Punkrock, was wir machen, aber wenn jemand sagt, ihr seid kein Punk, weil ihr ein Glockenspiel benutzt, dann habe ich auch kein Problem damit." Am Ende einigt man sich dann doch auf einen Platz. Auf den beliebten Platz zwischen allen Stühlen. "Auf der einen Seite gibt es den krachigen Harcore wie eben von Hot Water Music und auf der anderen den Deutschrock-Kram von Virginia Jetzt!, Astra Kid oder Wir sind Helden. Da gibt es natürlich kaum eine Schnittmenge und in der bewegen wir uns."

Das letzte Album ist schon seit ein paar Monaten auf dem Markt. Und wurde von vielen Seiten begeistert aufgenommen. Auch in der Gaesteliste.de-Redaktion, die "Heute wird gewonnen, bitte" zur Platte der Woche gekürt hatte. "Ich höre sie mir eigentlich gar nicht mehr an", sagt Brami. "Ich hab keinen Bock mehr. Wir spielen die Songs nur noch auf der Bühne und da sind sie gereift, wir finden, sie sind besser geworden. So wie sie auf Platte sind, würden wir sie nicht mehr spielen. Natürlich würden wir gern nur noch neue Sachen spielen, aber das wäre für die Zuschauer ja nicht so interessant, für die sind die Stücke von der letzten Platte ja noch neu." Nicht mehr lange, denn Nagel, Brami, Dennis (Gesang / Gitarre) und Shredder (Bass) haben schon fleißig neue Stücke geschrieben. "Wir haben bislang acht Stücke mehr oder weniger komplett fertig. Gegen Jahresende wollen wir dann ins Studio gehen", berichtet Brami. Das wäre für Muff Potter-Verhältnisse schon mehr als schnell, lagen doch zwischen den letzten beiden Werken ganze drei Jahre." - "Aber wir sind diesmal auch besser vorbereitet und besser eingespielt. Außerdem hatten wir letztes Mal auch einen Besetzungswechsel, diesmal könnte also alles etwas schneller gehen." Wie alle Musiker tut sich auch Brami schwer, schon jetzt über die neuen Songs zu reden. "Es sind schnelle Sachen dabei und langsame. Aber ich denke, es ist immer noch typisch Muff Potter." - "Wir können ja auch nichts anderes", wirft Nagel lachend ein.

Muff Potter
"Uns beeinflusst alles. Auch Sachen, die wir scheiße finden", erzählt Nagel den kreativen Prozess. Und der ist manchmal geplant. "Also wenn jemand ankommt, und sagt, 'Ich hab hier was Langsames', dann wird das auch erst mal so durchgezogen. Wobei wir natürlich schon gucken, wie es am besten klingt. 'Placebo Domingo' zum Beispiel war mal ein ganz langsames Lied, das klang so wie die ersten Sachen von Jets To Brazil. Wir haben dann ne Woche oder länger dran rumgeschraubt, aber es nicht wirklich rund gekriegt. Dann haben wir es einmal in schnell probiert und in einer Stunde war der Song fertig. Es gibt da also keine Regeln oder so. Schließlich braucht jeder Song etwa anderes. Es gibt Nummern, die knallen sofort im Proberaum, aber dann merkt beim Aufnehmen, dass noch was gemacht werden muss. Und dann gibt es Songs, die brauchen total lange, bis man ein Gefühl dafür kriegt." Auch Muff Potter suchen den perfekten Song. "Den suchen ja alle", sagt Brami. "Aber es gibt perfekte Songs", findet Nagel. "Vielleicht nicht den perfekten Song, aber welche die in sich so stimmig sind, dass sie einfach grandios sind. Ob wir einen haben, ist schwer zu sagen. Auf Platte haben wir unseren wohl noch nicht geschrieben, aber live steht so ein Song wie 'Hundert Kilo' von der 'Bordsteinkantengeschichten' schon über vielen anderen Songs." Doch auch Muff Potter wollen den perfekten eigentlich gar nicht finden. "Dann würden wir doch alle morgen Alkoholiker sein", sagt Brami.

Weitere Infos:
www.muffpotter.net
Interview: -Mathias Frank-
Fotos: -Pressefreigaben-
Muff Potter
Aktueller Tonträger:
Heute wird gewonnen, bitte
(Huck's Plattenkiste/Indigo)
 

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