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27.05.2004
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GOMEZ

Weniger Bullshit!

Gomez
Die Sechs-Mann-Kapelle aus England ist wieder mit einer neuen Platte zurück - die Rede ist von Gomez, bestehend aus Tom Gray, Ben Ottewell, Ian Ball, Dajon Everett und Blackie. "Split The Difference" heißt das Werk, und es unterscheidet sich deutlich von den vergangenen Veröffentlichungen. Hier ist eine Band am Start, die es nochmal gründlich wissen will, sie will einfach mal wieder Spaß haben und rockt drauf los. Schnell, frisch, und jede Menge Energie. Doch dabei bleiben die Melodien natürlich nicht auf der Strecke - dazu stecken einfach zuviele gute Songschreiber in der Band.

"Vor zwei Jahren hatte wirklich jeder eine fürchterliche Zeit - das hatte auch mit der Plattenindustrie zu tun. Wir hatten gerade zu dem Zeitpunkt eine Platte veröffentlicht, als EMI so ziemlich jeden rausgeschmissen hat, was natürlich zur Folge hatte, dass unsere Platte einfach verschwand. Aber so ist das nunmal im Musik-Geschäft. Wir sind aber mehr als glücklich darüber, immer noch das machen zu können, was immer wir machen wollen", erzählt Tom Gray beim Gaesteliste.de-Interview. "In Our Gun" hieß die besagte, "verschwundene" Platte. Die Band steht aber nach wie vor bei Hut Records unter Vertrag, genießt dort die völlige künstlerische Freiheit. Tom: "Wir haben immer eine andere Platte herausgebracht, und wir haben auch nicht immer Platten gemacht, die die Leute verstehen oder überhaupt hören wollten [lacht]. Wir kommen gerade aus einer Phase, in der wir komplett maßlos waren - die neue Platte ist genau das Gegenteil." - "Die letzte Platte war eher introvertiert, 'Difference' ist eher extrovertiert", fügt Ben Ottewell hinzu. "Sie ist ein großer, plumper Broken. Die anderen waren eher zurückgezogene, unbeholfene Kreaturen." - "Wir haben eine Rock N Roll-Scheibe gemacht!", kommt es Tom stolz aus dem Mund. Rock N Roll beinhaltet Spaß, zumindest sollte es so sein. Doch allzu heiter waren die letzten beiden Jahre für die Band nicht - erst der erwähnte Plattenfirmen-Stress, und als wäre das noch nicht genug, kamen viele persönliche Probleme und gescheiterte Beziehungen hinzu. Es war also an der Zeit, mal wieder Spaß zu haben und deswegen ging die Band nach Amerika, um dort live zu spielen. Es sollte sich als gute und weise Entscheidung herausstellen. Tom: "In Amerika konnten wir uns eine große Fan-Gemeinde bei den Konzerten erspielen, und das ist auch einer der Gründe, wieso wir überhaupt die Band aufrechterhalten haben. Wenn dort bei den Gigs niemand erschienen wäre, hätte uns das sehr entmutigt - da denkt man sich: 'Warum machen wir das überhaupt noch?' Die neue Platte ist praktisch das Resultat aus diesem positiven Erlebnis." Ben: "Ja, das stimmt vollkommen. Die neue Platte unterscheidet sich so sehr von den anderen. Als wir 'In Our Gun' gemacht haben, waren wir komplett 'kalt', wir hatten fast 18 Monate nicht mehr live gespielt! Das war komplett verrückt!" Tom: "Das war es mit Sicherheit. Wir spielten dort zusammen und kannten uns eigentlich gar nicht mehr. Wir hatten uns über Jahr lang nicht mehr gesehen, und bei den Aufnahmen zu 'In Our Gun' schlängelte man sich von hier nach dort, um einfach einen gemeinsamen Weg zu finden. Bei 'Difference' war es komplett anders - wir hatten viele Konzerte gespielt und wir wollten einfach laute, schnelle Songs spielen, die Melodien genießen und wir wollten uns nicht so sehr um bestimmte Sounds kümmern. Dieses Zusammenspiel ist auch das, was uns als Band ausmacht."

Es wurde in Portslade ein eigenes Studio aufgebaut, rund 50 Songs sind dort entstanden, wovon es 13 auf das Album geschafft haben. 75% der Platte wurde live eingespielt, der Rest von Tschad Blake in den Real World Studios veredelt. Die Band hatte nie einen wirklichen Produktions-Plan, es wurden im Grunde Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen. Also müsste Gomez doch ein Alptraum für jeden Produzenten sein, oder? Tom: "Nunja, er hätte eigentlich nichts zu tun! Wir entscheiden eh, was gut klingt und was nicht... [lacht]" - Ben: "Mich langweilen sehr schnell 'richtig' produzierte Platten. Da sind dann drei Singles drauf, und der Rest des Albums besteht aus heruntergeschraubten Versionen dieser Singles, alles hört sich irgendwie gleich an." - Tom: "Man kann einfach nicht mehr den Song an sich heraushören, und wenn der Gesang durchgehend gleich ist, fange ich an, ihn zu ignorieren. Hm, vielleicht ist es ja gerade das, was die Leute von Musik erwarten - nämlich, dass man einfach nicht mehr hinhören muss!" Da steckt mit Sicherheit einiges an Wahrheit drin. Hat sich denn im eigenen Leben das Musik-Empfinden in letzter Zeit verändert? Tom: "Die Dinge, die du an der Musik an sich magst, ändern sich nicht. Manchmal ändern sich oft die Bands bzw. vernachlässigst du eine Band, weil du sie einfach zu oft gehört hast. Du weißt, dass du die Beatles magst, aber wann hast du dir zuletzt die Beatles richtig angehört? Man hört immer wieder neue Sachen, und manchmal stolpert man über etwas, das einem wirklich zu denken gibt. Man entdeckt dann plötzlich einen Weg, den man vorher überhaupt nicht auf dem Plan hatte. So etwas ist mir in den letzten Jahren passiert, als ich die ersten beiden John Cale-Platten entdeckt hatte - besonders die 'Vintage Violence' hatte es mir angetan. Sie hat die Weise verändert, wie ich über Songs nachgedacht hatte. Diese Platte ist so simpel, sie ist so einfach gemacht, aber sie ist brilliant! Sie ist in einer nihilistischen Weise einfach. Was mich auch sehr geprägt hat, waren die Sachen, die David Holmes mit Muddy Waters gemacht hat - diese Sachen haben mich zum Entschluss gebracht: There needs to be less bullshit! Das, was sich gut anhört, ist gut. Punkt. Es waren jetzt nicht die Songs, die mich verändert haben, sondern eher die Idee, einfach gute Songs zusammenzupacken, einfach die simple Tatsache, dass etwas tolles dabei herauskommen wird, wenn man viele einzelne gute Songs zusammenpackt."

Gomez
Diesem Ansatz folgend haben sich Gomez im Studio in Portslade verschanzt, um gute Songs aufzunehmen. Portslade ist nunmal auch keine Weltstadt, in der viel los ist, also kann man sich ja eigentlich nur auf die Musik konzentrieren. Tom: "Wir leben in Brighton, wo es viel zu tun gibt, und es ist schön dort; Portslade ist nur zehn Minuten entfernt, und wenn man erstmal dort ist, ist dort einfach nichts zu tun. Und komischerweise motiviert uns diese post-moderne, amateurhafte Umgebung dort. Die Aufnahmen haben sich wie ein sehr netter 9 to 5-Job angefühlt - von Montag bis Freitag arbeiten und am Wochenende frei. Nachts oder am Wochenende Songs schreiben, und sie dann in der Woche ausarbeiten und einspielen. Das war großartig!" Also wäre ein nettes Haus im Süden Spaniens eher kontraproduktiv? Tom: "Klar wäre es fantastisch, irgendwo in Andalusien ein Haus zu haben, aber ich denke, es ist besser, keine schönen Dinge um sich herum zu haben, wenn man kreativ sein will. Ich finde es besser, wenn man praktisch dazu gezwungen wird, Musik zu erarbeiten und über die Songs intensiv nachzudenken. Wenn die Umgebung zu gemütlich ist, wird die Musik auch zu gemütlich. Das Abbey Road Studio ist im Grunde komplett scheiße. Das ist ein Alptraum! Um etwas aufzunehmen, muss man immer diese verdammt steile Treppe hoch und runter rennen, bei jedem Take! Die Leute müssen doch komplett im Arsch gewesen sein! All diese garstigen Studios in London, wo aber großartige Platten gemacht worden sind: Das sind fürchterliche Scheißhäuser! In Portslade ist es im Grunde auch garstig. Wir haben einen Kontroll- und einen Aufnahme-Raum, es gibt einen kleinen Shop an der Ecke, der Kippen und Drinks verkauft, ein Zug fährt ab und zu mal vorbei, und das war's auch schon. 'In Our Gun' hatten wir in einer wunderschönen Villa mitten in der englischen Landschaft aufgenommen, und wir waren eigentlich durchgehend draußen, haben Tüten geraucht, wir haben uns die Hirsche angesehen, haben Fußball gespielt. Es gab einen Snooker-Tisch, da waren Elch-Köpfe an den Wänden, wir sind mit großen Rasenmähern durch die Landschaft geheizt...wir haben riesige Parties gefeiert, Leute wurden verhaftet...es war ein großer Spaß, aber es war nicht besonders hilfreich bei den Aufnahmen an sich. Da müsste übrigens noch teures Studio-Equipment im Teich liegen... Aber der Punkt ist: Auf der einen Seite musst du dich dem Rock N Roll martern und einfach Spaß haben. Es geht gar nicht anders. Nimm' zum Beispiel einen Teenager, der davon träumt, ein Rock-Star zu sein - man muss einfach dabei Spaß haben, ansonsten ist es kompletter Bullshit! Auf der anderen Seite sollte man sich aber auch darüber im Klaren sein, dass man gute Platten machen muss, die den Lauf der Zeit überstehen und die Leute begeistern. Man muss einfach beide Seiten aus- und durchleben..."

Weitere Infos:
www.gomez.co.uk
www.freegomez.com
www.stepinside.co.uk
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Gomez
Aktueller Tonträger:
Split The Difference
(Hut/Virgin/EMI)
 

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