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02.06.2004
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SIVERT HØYEM

Songs von der Einkaufsliste

Sivert Høyem
Um zunächst mal alle Missverständnisse auszuräumen: Nein, Sivert Høyem, der Sänger der norwegischen Combo Madrugada, hat seine Band nicht verlassen (es wird im Herbst ein neues Madrugada-Album eingespielt) - er ist halt bloß ein emsiger Songwriter. Nein, er hat seinen Namen auch nicht geändert: Das Höyem auf dem Cover rührt lediglich daher, dass der gewünschte Schriftfont kein skandinavisches Sivert Høyem hatte. Nein, der Name seiner Band für Solo-Zwecke soll keine politische Bedeutung haben - ihm hat lediglich die Formulierung "Ladies And Gentlemen Of The Opposition", wie sie im englischen Parlament verwendet wird - was ihm aber gar nicht bewusst war - so gut gefallen. Und das Cover mit dem Foto von dem Mädel, das ein Mannequin über die Straße trägt, hat schon mal gar nichts zu bedeuten. Was, also, will uns Siverts Solo-Scheibe denn überhaupt sagen?

"Also, diese Tracks habe ich in meiner freien Zeit geschrieben", erzählt Sivert, "obwohl es sehr lange gedauert hat. Zunächst mal kam es mir vor, dass diese Stücke für mich eher folky erschienen. Ich wusste, wie man diese Musik machen könnte, und wie sie klingen würde. Diese Stücke hatten dann dieses intime Feeling, von dem ich fühlte, dass es im Band-Kontext nicht passen würde. Die anderen wollten auch zu der Zeit nicht diese Art machen." Das stimmt wohl: Zur letzten Madrugada-Scheibe, "Grit", erzählte uns der Gitarrist und neben Sivert die andere treibende Kraft in der Band, Robert Buras, nämlich noch, wie begeistert man von der Idee einer Rock'n'Roll-Scheibe sei. "Ich weiß gar nicht, warum Robert das erzählt hat", murrt Sivert, darauf angesprochen, "ich denke nämlich, er meint das jetzt auch gar nicht mehr. Ich mag die letzte Scheibe auch nur zur Hälfte. Man weiß im Studio nie genau, ob das, was man gerade macht, genau das ist, was man auch möchte. Mir fiel nachher auf, dass es eben nicht das ist, was ich machen möchte. Ich sehe Madrugada nicht als reine Rock'n'Roll-Truppe und ich denke, dass die nächste Scheibe wieder sehr viel abwechslungsreicher werden wird - aber nicht so 'low key' wie meine Solo-Songs, sondern groß und opulent. Ich liebe aber die Band und ich denke, wir haben das jetzt auch ausdiskutiert. Das war definitiv einer der Gründe, warum ich Solo-Stücke aufgenommen habe." Wie wurde die neue Scheibe denn soundtechnisch konzipiert? Wie Sivert erwähnt, ist dies definitiv keine Rock'n'Roll-Scheibe - aber auch keine Songwriter-Scheibe. Es scheint eine Mischung aus beidem zu sein - rockende Songs mit ein bisschen Sivert-Soul? "Ich wollte zunächst mal, dass meine Stimme sehr trocken klingt", beschreibt Sivert den Prozess, "so klingen meine Demo-Aufnahmen. Ich mag das, weil so all die kleinen Details in der Stimme zum Vorschein kommen, die du auf einer produzierten Scheibe mit Effekten nicht mehr hörst. Da hätte dann eine große, verzerrte Gitarre eher gestört. Ich war überhaupt sehr bemüht, es möglichst verschieden von Madrugada klingen zu lassen, damit mir niemand vorwerfen könnte, dass ich etwa eine Madrugada-Light-Scheibe gemacht habe."

Was hat Sivert denn dabei musikalisch inspiriert? "Was ich am meisten höre, sind Sachen, die andere Leute nicht so gerne hören - wie obskuren Blues, Gospel Musik oder alten Rock'n'Roll, der ein wenig ungehobelt ist. Nimm z.B. Creedence Clearwater Revival: Das ist ja heutzutage nicht besonders hip, aber ich mochte sie immer. Ich mag ihre coole Art und die Weise, in der die Riffs immer sehr laid back klingen. Mein Stück 'Slow Blues' ist z.B. meine Art, ein CCR Riff zu emulieren." CCR klangen ja nie besonders perfekt, aber stets organisch - wie eine Band eben. War das auch eine Inspirationsquelle? "Ja, denn wir haben die meisten Sachen auch live eingespielt. Dies war mir möglich, weil ich eine sehr gute Band hatte. Wir hatten nicht allzuviel geübt, sondern wir haben so lange gespielt, bis meine Stimme richtig klang und dann hatten wir meist auch unseren Sound." Wie kam denn die Band zusammen? "Das sind einfach Freunde von mir", meint Sivert, "den Pianisten und den Drummer kenne ich seit meiner Kindheit. Mein Problem ist, dass ich ansonsten gar nicht so viele Musiker kenne, weil ich mich normalerweise nicht sehr viel mit Musikern rumtreibe. Und zwar weil ich mich nicht in meiner Freizeit auch noch über Gitarrensaiten unterhalten möchte. Es war also sehr angenehm - obwohl es zuweilen auch schwierig sein konnte. Ein paar der Musiker sind Jazzer, die nicht mit den Rolling Stones, sondern mit Billie Holiday und John Coltrane aufwuchsen. Die hatten total andere musikalische Ideen als ich. Aber mit meiner Musik ist es ja nicht so schwierig sich vorstellen zu können, wie man sie richtig spielen muss. Ich wollte schon irgendwo originell sein - dabei half das dann sogar. Wichtiger war es mir aber, aus dem Herzen heraus zu spielen, so dass das eher zweitrangig war." Gibt es denn irgendwelche norwegischen Einflüsse, so wie St. Thomas das macht? "Kleine Teile, ja - eine Backing-Stimme hier oder da", erinnert sich Sivert, "aber wenn es so etwas gibt, dann sind es eher schwedische Einflüsse, weil ich deren Folk-Musik lieber mag, als die norwegische." Wie z.B. das Thema für Bambi? "Nein", lacht Sivert - denn Bambi ist ja wahrlich keine skandinavischer Folk, "da gab's eigentlich keine besondere Idee. Wir probierten einfach etwas aus - eine Jam Session, quasi - und irgendjemand schnitt das mit. Ich verwendete das, um daraus in 10 Minuten einen Song zu machen, wie das so meine Art ist. Das Ergebnis war irgendwie süß, unschuldig und naiv. Es erinnerte mich an Céline Dion oder Disney Soundtrack-Musik wie eben Bambi. Ich sage jetzt nicht, dass das Stück süßlich oder naiv ist, aber das war's was mir in den Sinn kam."

Sivert Høyem
Ein besonderes Feature ist ja sicherlich Siverts beeindruckende Bass-Stimme - die auch bei wörtlicher Rede ordentlich was her macht. Auf der CD gibt's einen Sticker mit einem Zitat aus dem britischen Bullit-Magazin, der besagt, dass Sivert ein "gottgleicher Sänger" sei. Wie sieht er sich selber denn als Sänger - bzw. was strebt er als Sänger an? "Zunächst mal: Das o.a. Zitat stammt nicht von mir", beeilt er sich festzuhalten, "und was ich als Sänger anstreben möchte ist eine gute Frage. Ich habe noch nie so richtig darüber nachgedacht. Ich denke, dass ich als Sänger so singen möchte, dass die Leute glauben, was ich sage. Es soll die Leute berühren. Das hört sich klischeehaft an, ist aber so. Ich strebe nicht nach Perfektion. Mick Jagger ist für mich z.B. einer der besten Sänger. Ich wuchs mit Blues Musik auf. Mein Vater spielte Scheiben von Nina Simone und daran erinnere ich mich sehr gut. Später hörte ich Muddy Waters - und Dylan, Leonard Cohen und auch schwedische Folk-Sänger. Das waren meine Einflüsse." Welches Rezept gibt es denn, das von Sivert angesprochene Feeling rüberzubringen? Wenn man sich die heutzutage so populären Casting Shows ansieht, versteht man dort unter "Feeling" ja offensichtlich etwas anderes (für gewöhnlich ziemlich gefühllose Stimmakrobatik), als etwa Sivert. "Ich versuche, es alles so simpel wie möglich zu halten", verrät er, "ich weiß, dass meine Stimme eine gewisse Präsenz hat und versuche mich gar nicht erst an irgendwelche Verrenkungen. Ich singe immer so, als läse ich es vom Blatt ab. Meine Idee ist die, dass man ein Liebeslied so singen sollte, als läse man eine Einkaufsliste vor. Das mag sich komisch anhören, aber auf diese Weise fügt man dem Song zumindest nichts hinzu, was nicht da ist. Das klingt dann also auch nicht irgendwie übertrieben oder affektiert. Das ist es, was ich als ehrlich ansehen würde." Was treibt denn jemanden, der sich nicht so gerne mit Musikern herumtreibt dazu, Musik zu machen? "Es ist das Songwriting", verrät Sivert, "mit der Gitarre da zu sitzen und dieses Gefühl zu haben, dass da etwas entsteht, wo sich ein Wort zum anderen fügt und alles irgendwie fließt. Das ist ein großartiges Gefühl und deswegen mache ich Musik." Okay - nachdem ja für Ende des Jahres die Aufnahmen zum neuen Madrugada-Album angesetzt sind: Wie sieht es denn mit einer Live Präsentation der Scheibe aus? "Also in Norwegen sind wir schon getourt", erzählt Sivert, "und ich würde auch gerne hier touren - zumindest auf Festivals. Denn diese Scheibe ist genau das richtige für den Sommer. Ich finde, das ist sogar eine Sommer-Scheibe geworden. Meine Band ist richtig gut und ich habe auch schnell noch eine Lady engagiert, weil die Band ja 'The Ladies And Gentlemen Of The Opposition' heißt. Sie ist eine Geigerin und richtig gut. Ich freue mich schon auf die Konzerte, denn ich habe noch nie mit einer Geigerin gespielt. Hoffentlich kommt überhaupt jemand zu unseren Shows..." Das dürfte ja nicht so problematisch sein: Man muss ja nur wissen, daß Sivert Høyem der Sänger von Madrugada ist...

Weitere Infos:
www.siverthoyem.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Sivert Høyem
Aktueller Tonträger:
Ladies And Gentlemen Of The Opposition
(Virgin/EMI)
 

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