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29.09.2004
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SCHTIMM

Schtarkes Schtück

Schtimm
An Schtimm aus Norwegen könnte man sich, wenn man möchte, durchaus schon mal die Zähne ausbeißen. Die Band nennt sich Schtimm, weil das auf unbestimmte Art "deutsch" klingt und an das Wort "Stimmung" erinnert, wie uns Sänger E. beim letzten Interview erklärte. Die letzte CD hieß "Plays Mrakoslav Vragosh" und zeigte Motive aus der Sovietkultur - wobei das nicht politisch motiviert ist. Die Namen der Musikanten verbergen sich hinter Initialen wie "E." oder "B." und es ist unmöglich, den Herrschaften erklärende Worte zu den rätselhaften, blumig-metaphorischen Texten zu entlocken, die die auf phantastische und phantasievolle Weise zusammengeschraubten Schtimm-Tracks krönen. Das neue Werk heißt nun "Featuring...". Ist denn wenigstens das irgendwie erklärlich?

"Das Konzept der neuen Scheibe heißt 'Featuring...', weil wir dieses Mal Leute aus verschiedenen Bereichen, die ansonsten nichts mit uns zu tun haben, einladen wollten, um zu sehen, wie sie in unserem Kontext funktionieren und klingen", verrät uns Sängerin B., die auf der neuen Scheibe einen erheblich größeren Gesangspart übernimmt als noch auf der letzten, "wir hatten verschiedene Leute gefragt. Z.B. unseren Freund, Herrn Berg. Er hat die Streicherarrangements geschrieben. Er ist ein sehr interessanter Typ. Er macht viel klassische Musik und auch Soundtracks. Er hat diesen Film gemacht, der sogar in Deutschland herauskommt. Er heißt 'Montagna Con Forza' - ein lateinischer Titel und es ist ein Film zu seiner Musik. Ein sehr guter Film mit Naturaufnahmen aus der Gegend, aus der wir alle stammen, den man sich unbedingt anschauen sollte. Dann gibt es noch diesen Typ, der sich DNA nennt, und der normalerweise Jazz spielt, und der bei uns diese kleine nette Trompetenmelodie spielt - was ihm ganz schön schwer gefallen ist. Dann gibt es noch einen Beitrag auf zwei Stücken von Turbonegro-Sänger Hans 'Hank' Erik und letztlich hatten wir noch einen Chor." Ja, aber dann geht es dann doch auf der neuen Scheibe doch auch irgendwie um Leute als solche, oder? Warum also immer noch die Geheimniskrämerei mit den Namen der Musiker und die Weigerung, z.B. Fotos von sich selbst auf dem Cover abzubilden? "Wir sind halt nicht so sehr davon besessen, uns darzustellen", verteidigt sich B., "die Musik ist das Wichtigste und nicht wer wir sind und wie wir aussehen. Mag sich wie ein Klischee anhören, aber wir sind der Meinung, dass die großgeschriebenen Initialen ausreichen und interessant genug sind." Es ist aber trotzdem eine seltsames Konzept, nicht? "Ja", meint B. hierzu. Hm. "Sieh es doch mal so: Die Musik ist das Wichtigste und letztlich ist es auch eine sehr persönliche Sache. Es ist ziemlich persönlich, Texte zu schreiben, oder? Dadurch kannst du doch die Musiker kennenlernen. Auf diese Art geben wir doch etwas von uns preis. Es sind vielleicht nicht unsere Namen, dafür aber etwas anderes." Nun, so kann man das natürlich auch sehen. Wie entstand denn nun die neue Scheibe? Sie klingt ja doch sehr unterschiedlich von der letzten Scheibe - auf jeden Fall abwechslungsreicher und spannungsgeladener. "Nun, die letzte Scheibe nahmen wir analog auf", verrät B., "wir wollten uns nicht wiederholen, sondern beschlossen, die neue Scheibe digital aufzunehmen - also mit Computern." Was man dem Werk übrigens nicht anhört. "Ja, wir begannen, die Sachen mit unserem Laptop in unserer Blockhütte aufzunehmen und sind dann in ein normales Studio umgezogen", fügt B. hinzu. Ist das der Grund, warum die neue CD so anders klingt, als noch die letzte (die man ja bedenkenlos dem Slow-Core zurechnen konnte)? "Teilweise", schränkt B. dann doch wieder ein, "offensichtlich hatten wir dieses Mal anderes Material. Wir nehmen die Songs dann her und sehen, was sich damit anstellen lässt. Das bedeutet dann eben eine unterschiedliche Instrumentierung oder ein anderer Sound. Es ist aber nicht so, dass wir vorher einen Plan machen. Die Songs sind bereits fertig, wenn wir ins Studio gehen - sonst wäre das zu teuer. Aber die Details kommen erst später hinzu. Das geschieht mit der Unterstützung unseres Produzenten, Ham, der sehr kreativ ist und der uns auch sehr gut kennt." Wer entscheidet eigentlich, wer was singt? Meist ist es auf 'Featuring...' ja B. - zuweilen singt aber auch Sänger E. oder manchmal beide im Duett. "Das ist eine gute Frage", überlegt B., "ich weiß es aber eigentlich nicht. Wir versuchen es halt und manchmal entscheidet sich das erst sehr spät. Wir versuchen es immer so einzurichten, dass es für den Song am besten ist." Auf "Featuring..." gibt es einen Song namens "Mraklands" - ist das ein Verweis auf die letzte Scheibe? "Ja, vielleicht", räumt B. ein, "wir versuchen die Songs immer so zu benennen, dass die Titel zu der Musik und den Texten passen. Wir mögen es aber nicht, unsere Texte und Titel zu interpretieren. Das soll der Zuhörer machen. Im Falle von 'Mraklands' stimmt es aber. 'Mrak' heißt ja 'düster' auf russisch und das passte ganz gut zu der Stimmung des Songs - hihihi..."

Schtimm
Sollte denn auch diese Scheibe wieder möglichst unamerikanisch klingen? "Es ist nicht so, dass wir die Absicht hatten, sie so klingen zu lassen, wie sie klingt", weicht B. aus, "es ist schwierig. Wir haben jedenfalls nicht versucht, sie amerikanisch klingen zu lassen. Es ist nicht so, dass wir großartig bewusst drüber nachgedacht hätten." Wodurch klingen denn die Stücke dieses Mal so komplex, lebhaft und vielseitig? Ging es darum, möglichst viele Ideen in die Songs hineinzupacken? "Nein", widerspricht B., "das kann man nicht sagen. Ich denke es liegt daran, dass wir mehr Zeit hatten. Das letzte Mal haben wir die Stücke ja live aufgenommen und wollten auch, dass es so klingt. Je länger wir nun an den neuen Songs arbeiteten, desto mehr Ideen hatten wir auch. Das Limit war dann die Studiozeit, die ja sehr teuer ist. Es war ein interessanter Prozess und es war einfacher, die Stücke zu editieren, als dies mit analogen Aufnahmetechnik möglich gewesen wäre." Wie wird das denn jetzt alles im Live-Kontext umgesetzt? "Da hast du uns erwischt", lacht B., "darüber haben wir lange nachgedacht. Wir können natürlich nicht alles live umsetzen und müssen vielleicht ein paar Instrumente austauschen und die Arrangements ändern. In Norwegen werden wir mit Streichern und auch mit einem Chor touren. Aber du hast schon recht: Wir haben dieses Album mit dem Hintergedanken gemacht, dass wir uns dieses Mal keine Limits bezüglich der Umsetzbarkeit auf der Bühne setzen wollten - wie das bei der letzten CD eben gewesen ist. Live geht es uns dann jetzt auch nicht darum, diese neue Scheibe zu reproduzieren, sondern nach wie vor darum, den Moment einzufangen." Es scheint ja so zu sein, als gäbe es für jedes Schtimm Projekt eine eigene Philosophie, nicht? "Ich weiß nicht", zögert B., "es ist nicht so, dass wir uns vorher zusammensetzen und uns eine Philosophie überlegen, sondern wir schreiben zunächst mal Stücke. Dann reden wir aber viel darüber und diskutieren auch. Aber die Songs sind immer zuerst da. Wir haben auch viele Stücke, die wir noch gar nicht verwendet haben." Gibt es denn eigentlich einen roten Faden für "Featuring..."? "Hm, das ist wieder eine gute Frage", überlegt B., "also sagen wir mal so: Wir fühlen, dass die Stücke irgendwie miteinander zu tun haben. Aber es ist schwierig zu sagen, ob es EIN Thema gibt. Eher viele. Wir müssten noch mal darüber reden. Wir haben alle sehr verschiedene musikalische Einflüsse und wir versuchen nicht, wie irgend jemand anderes zu klingen. Es ist eher ein unbewusster Prozess." Gibt es denn für B., die Sängerin, ein bestimmtes Konzept? "Nun, ich habe keinerlei Ausbildung", gibt B. zu, "ich versuche auch nicht, wie irgend jemand anderes zu klingen. Wir haben indes versucht, jedem Track eine eigene Stimme zu geben. Es gibt da Sachen, die ich vorher gemacht habe, die vielleicht hilfreich gewesen sein könnten. Zum Beispiel habe ich ein wenig Theater gespielt. Vielleicht hilft das ja insofern, als dass ich die Stücke wie eine Schauspielerin die Charaktere interpretiert. Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich empfinde, wenn ich diesen oder jenen Song singe. Das gab mir dann eine gewisse Motivation." Was ist denn das wichtigste Errungenschaft von "Featuring..." für Schtimm selber? "Das wichtigste?", überlegt B., "das müsste sein, die Scheibe fertiggestellt zu haben. Und dass wir verschiedene Leute haben, die dazu beigetragen haben - worauf ich ein wenig stolz bin, denn wir wussten ja nicht, was dabei herauskommen würde. Es war eine Art Experiment und das Ergebnis ist, dass unsere Musik durch diese Beiträge verbessert wurde, denke ich, und dass wir dennoch wie wir selber klingen." Und was ist für B. persönlich das Größte? "Zu spielen", antwortet sie wie aus der Pistole geschossen, "egal ob live oder beim Proben. Denn auch beim Proben können schöne Dinge entstehen - wenn du nämlich einen goldenen Augenblick erwischst. Was nicht so lustig ist, sind die Dinge, die nichts mit Musik zu tun haben - Korrespondenz, Konzerte buchen, Pressearbeit..." Okay, dann wollen wir jetzt auch lieber mal damit aufhören... Schtimm kommen im Herbst - präsentiert von Gaesteliste.de - auf Tour.

Weitere Infos:
www.exposia.no/cgi-bin/schtimm/site/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Schtimm
Aktueller Tonträger:
Featuring...
(Make My Day/Rough Trade)
 

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