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09.02.2005
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MY CHEMICAL ROMANCE

Sechs Gründe

My Chemical Romance
Wenn eine Band bereits ihr zweites Album beim Platten-Giganten Warner veröffentlicht, dieses auch noch mit Star-Produzenten Howard Benson aufgenommen hat und von jedem nur erdenklichen Medium - wieder einmal - als die Retter des Rocks bejubelt wird, dann herrscht größte Hype-Gefahr. Also heiße Luft und nichts dahinter? Häufig. Aber nicht bei My Chemical Romance. Denn sie sind tatsächlich das, was alle schreiben: Großartig.

"Wir werden aber niemals Popstars", vermutet MCR-Sänger Gerard Way im Gespräch mit Gaesteliste.de. Zusammen mit Bruder und Basser Mikey sitzt er im Tourbus vor dem Hamburger Logo. Die beiden schlürfen Kaffee, sind verschlafen und einfach nett. Zuvorkommend, höflich, bescheiden. Das Gegenteil von dem, was der gemeine Popstar in der Regel ist. "Wir sind zwar kommerziell erfolgreich und auch in unserer Musik finden sich bestimmt Pop-Elemente, aber wirkliche Popstars werden wir niemals werden", lacht der noch ungeschminkte Sänger. "In den Staaten ist ein Popstar jemand, der dauernd im Fernsehen präsent ist, in Arenas spielt und nur selten seine Songs selber schreibt", wirft Mikey ein. Und trotzdem, My Chemical Romance haben das Zeug zu Popstars. Jedenfalls nach europäischer Definition. Dafür sprechen sechs Gründe.

Die Musik
Musikalisch haben sie ohne Zweifel alles, um mächtig abzuräumen. Mikey antwortet auf die Bitte, ihre Musik mit einem Wort zu beschreiben äußerst treffend mit "Fruchtkorb". Denn Regeln kennen My Chemical Romance nicht. Da wird jeder Stil in einen Top geworfen und so eine Mixtur - bzw. Fruchtkorb - aus Hardcore, Emo, Punk, Pop und Metal kreiert. "Unsere Musik ist sehr eklektisch. Oder leidenschaftlich. Mir fallen viele Begriffe ein. Sie mit nur einem Wort zu beschreiben ist nicht leicht", meint dagegen Gerard. "Jeder Song ist anders und für jeden fallen mir andere Antworten ein." Der gemeinsame Nenner ist die Qualität. Da wäre der eingängige, straighte und entfernt an The Used erinnernde Opener "Helena", das aggressive, aber doch höchst melodische "Give 'Em Hell Kid", das poppig-brazzige "You Know What They Do To Guys Like Us In Prison", das punkige "Thank You For The Venom", die Ballade "The Ghost Of You" oder die radio-taugliche Single "I'm Not Okay (I Promise)" - jeder Song ist gut bis klasse und jeder ist eben anders. Abwechslung wird groß geschrieben im Hause My Chemical Romance. Und das liegt an den unterschiedlichsten Einflüssen. Denn manche in der Band mögen Metal, andere Punk und einige stehen auf Britpop. "Wir haben zwar alle verschiedene musikalische Vorlieben, aber wir haben alle das selbe Bild gesehen, hatten von Anfang an die gleiche Vision", erzählt Gerard. Und Mikey ergänzt: "Schon bei der ersten gemeinsamen Probe wussten wir, dass es diesmal passt."

Das Label
My Chemical Romance haben ein großes Label im Rücken, das alles dafür tut, dass MCR ähnliche Erfolge wie ihre Labelmates The Used oder gar Green Day einfahren können. Dabei war das gar nicht der wichtigste Grund von Eyeball zu Warner zu wechseln. "Es ging uns hauptächlich um einen besseren Vertrieb", erklärt Gerard den Schritt. "Wir wollten, dass unser Album überall erhältlich ist. Als wir noch auf einem Indie waren, war das Ganze sehr DIY und unsere Platte 'I Brought You My Bullets You Brought Me Your Love' nur schwer zu bekommen." Doch vor den Sell-Out-Vorwürfen haben sie keine Angst. Brauchen sie auch nicht, schließlich sind die Zeiten, in denen die Majors die Bösen und die Independet-Labels die Guten sind, längst vorbei. Nicht mehr das Logo auf der Hülle, sondern einzig und allein die Musik zählt. Und außerdem sind gerade bei Warner eine Menge ernst zu nehmender Rockbands unter Vertrag: Billy Talent, die Deftones, die Beatsteaks, die Flaming Lips, The Donnas, die Red Hot Chili Peppers und Garbage sind nur ein paar von ihnen. "Diese Diskussionen sind doch eh albern", sagt Mikey. "Wenn du 15 Exemplare von deiner ersten und dann plötzlich 40 Exemplare von deiner zweiten CD verkaufst, werfen die schon manche Sell-Out vor. Lars von Rancid brachte es mal auf den Punkt: Unser Majorlabel sorgt dafür, dass alle unsere Shows ausverkauft sind. Darum geht es doch, dass du die Fans erreichst." Mikey ist der ruhigere der beiden, sagt nur wenig, verfolgt aber gespannt das Gespräch. Und er schaut einem in die Augen, während Gerard Blickkontakt vermeidet und dadurch nicht unbedingt schüchtern, aber doch etwas distanziert wirkt.

Der Produzent
Ein weiteres Argument für den Erfolg ist der Produzent. Saß beim Debüt noch Thursday-Sänger Geoff Rickly hinter den Reglern, wurde diesmal Howard Benson engagiert. Der arbeitete bereits mit Sepultura, Hoobastank, Motörhead, P.O.D. und Papa Roach zusammen und weiß, wie man Erfolg auf CD bringt. "Die Arbeit mit ihm war klasse", sagt Gerard. "Er ist einer Verfechter der Pre-Production und der festen Überzeugung, dass man vor jeder Überraschung sicher ist, wenn man sich nur gut genug vorbereitet. Also ließ er uns drei Wochen in einem kleinen Studio proben und arbeiten und kam jeden Tag vorbei, um uns zu fragen, was wir denn geschafft hätten. In diesen drei Wochen hatten wir das komplette Album fertig und konnten es in kürzester Zeit aufnehmen."

My Chemical Romance
Die Optik
Sie fallen schon durch ihre Optik auf und dürften so auch bei Rock-fremden Musikhörern für Aufsehen sorgen. Gerard: "Make Up und ein Image sind sicher nicht so wichtig wie die Musik, aber es schon gut, ein Image zu haben. Wir haben uns jetzt nicht überlegt, was besonders gut ankommt, sondern uns über drei Jahre natürlich entwickelt. Erst in letzter Zeit haben wir etwas mehr darauf geachtet." Gerard schminkt sich inzwischen sein Gesicht weiß und malt sich rote Farbe um die Augen. Gitarrist Frank Lero und Drummer Bob Bryar würden auch bei AFI oder Marilyn Manson nicht auffallen und Ray Toro - ebenfalls Gitarrist - verfügt über eine mächtige Lockenpracht, die einige Blicke auf sich zieht. Nur Mikey ist auf der Bühne wie im Interview: Normal und unauffällig. "Das Gesamtpaket muss passen", glaubt Gerard. "Neben der Akustik sollte auch die Optik stimmen. Sieh dir nur David Bowie zu 'Ziggy Stardust'-Zeiten an. Das Aussehen und die Show können die Musik unterstützen."

Die Zeit
Momentan ist moderne Gitarrenmusik äußerst angesagt. Ob man sie nun Emo, Screamo oder Nu-Rock nennt, Bands wie The Used, The Mars Volta, Taking Back Sunday, AFI und Coheed & Cambria sind erfolgreich wie nie. "In den Staaten ist der Trend schon wieder vorbei", sagt Gerard. Und Mikey ergänzt: "Als Thursday groß wurden, hat jedes Labels 15 Thursdays gesignt. Danach wurde eine andere Band groß und dann wurden Kopien von denen unter Vertrag genommen. Es war wie damals, als sie sogar die Red Hot Chili Peppers und die Smashing Pumpkins als Grunge verkauft haben. Jede Band war Emo. Aber der Trend ist gegangen, einige Bands haben das Genre weiter gebracht und die Grenzen überschritten." - "Es geht wieder mehr um die Musik und die Songs, nicht um den Stil", freut sich Gerard. "Thursday zum Beispiel haben es geschafft, in keiner Schublade mehr zu stecken. Sie können ganz entspannt ein Album aufnehmen und müssen sich keinen Regeln oder Stilen unterordnen. Das ist doch super!" Und vielleicht gerade deshalb haben auch My Chemical Romance beste Chancen. Sie sind nicht mehr auf eine Sparte Käufer (sprich: Emo-Käufer) angewiesen, sondern erreichen ein viel größeres Publikum.

Die Live-Qualitäten
"Als wir anfingen, wollten wir live spielen", erinnert sich der Sänger. "Es ging um nicht um Plattenverkäufe, wir wollten einfach auftreten." So waren sie nach ihrem Debüt zwei Jahre auf Tour, reisten in einem kleinen Van durch die Welt und entwickelten sich zu einer mitreißenden Live-Combo. Allen voran Gerard ist ein Frontmann, wie er im Buche steht. Er sucht den Kontakt zum Publikum, steht kaum eine Minute still, tanzt stattdessen wie eine Mischung aus Mick Jagger und Iggy Pop über die Bühne, versprühte eine Magie wie Morrissey oder Bowie und zieht jeden in seinen Bann. My Chemical Romance sind live ein Ereignis. Keine Frage.

Doch trotz dieser fantastischen Voraussetzungen, spüren My Chemical Romance keinen Druck. "Die Erwartungen, die viele an uns haben, sind sehr aufregend. Natürlich glauben viele, wir könnten mächtig groß werden, aber wir gehen die Sache ganz ruhig an", gibt sich Gerard gelassen. "Vor unserem ersten Album war der Druck viel größer, schließlich hatten wir damals nur neun Tage Zeit. Und das ist nicht wirklich viel Zeit. Diesmal hatten wir keine terminlichen Zwänge und konnten uns alle Zeit der Welt lassen. Wir konnten also ein Album machen, wie wir es wollten." Und eigentlich ist es doch das, was für eine Karriere als ehrliche Popstars nötig ist...

Weitere Infos:
www.mychemicalromance.de
www.mychemicalromance.com
Interview: -Mathias Frank-
Fotos: -Pressefreigaben-
My Chemical Romance
Aktueller Tonträger:
Three Cheers For Sweet Revenge
(Reprise/Warner Music)
 

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