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MARY LOU LORD
 
Wie Folk - nur cooler.
Mary Lou Lord
Jede Wette, den Namen Mary Lou Lord haben 99% von euch noch nie gehört. Das ist ziemlich schade, denn die junge Dame aus Salem, Massachusetts, ist ein Phänomen. Sicher, musikalisch ist die Melange aus Ani DiFranco, Jewel, Shawn Colvin, Joan Baez und Juliana Hatfield - mal solo und folky, dann wieder laut in bester College-Rock-Tradition - vielleicht nicht umwerfend neu oder außergewöhnlich aufregend, aber Mary Lou Lord hat etwas, was den meisten Stars von heute fehlt: Die Gabe, Menschen glücklich zu machen. Das klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber es stimmt. Schaut man sich ein wenig auf ihren Fan-Websites um oder liest die Messages auf ihrer e-mail-Mailing-Liste, taucht ein Satz immer wieder auf: "Ich glaube, Mary Lou ist der netteste Mensch, den ich je in meinem Leben getroffen habe." Das klingt vielleicht nun schon wieder etwas seltsam, aber es ist wirklich etwas dran.
Selten begegnet man im Musikbusiness einer Künstlerin wie Mary Lou, die - trotz des Erfolges bei Publikum und Kritik - nicht völlig von sich selbst eingenommen ist, die Zuschauer bei Konzerten nicht als Selbstverständlichkeit versteht und auch nach einem Biltzstart mit 60.000 verkauften Tonträgern der ersten - auf dem ehemaligen Riot-Grrrl-Label Kill Rock Stars erschienenen - Platte liebend gerne stundenlang mit 14-jährigen Fans redet, Autogramme schreibt, bei Konzerten mehr Wünsche als Songs von der Setlist spielt und auch dem unangemeldeten (!) Journalisten aus Deutschland nach einer triumphalen Show in der New Yorker Knitting Factory erst einmal ein Bier in die Hand drückt, um dann ganz selbstverständlich um 2.00 Uhr morgens backstage für eine knappe Dreiviertelstunde zum Interview bereit zu stehen.


Ihr Major-Debut-Album "Got No Shadow" (Work/Sony) ist nun zwar schon über ein Jahr auf dem US-Markt, in Deutschland hingegen sah das Label leider keine Veranlassung, die Platte überhaupt ins Rennen zu schicken. Es wurde nicht an die Presse verteilt, und es wurden auch keine Interviews arrangiert. Typisch - die Schuld dafür sucht Mary Lou bei sich selbst. "Es war nicht der Fehler des Labels, denn ich wurde schwanger. Und wenn du schwanger bist UND gerade auf Entzug, dann will keine Plattenfirma der Welt Geld in dich investieren". Jetzt lassen es Mary Lou und ihr inzwischen fast einjähriges Töchterchen Annabelle erst einmal ruhig angehen. "Ich habe schon so lange keine Musik mehr gehört, weil mir einfach die Zeit fehlte. Jetzt nehme ich mir diese Zeit und kann endlich wieder Fan sein". Letztes Frühjahr zog die ehemalige Straßenmusikerin, deren Karriere in der Londoner und Bostoner U-Bahn begann, einen endgültigen Schlußstrich unter ihre Drogeneskapaden und konzentriert sich jetzt auf die Vorbereitung ihrer nächsten Platte: "Ich habe das Gefühl, daß die letzte Platte etwas steril klingt. Wahrscheinlich liegt das daran, daß ich keine richtige Band hatte. Das waren alles Session-Musiker, und sie hatten nur zwei Wochen, um die Songs zu lernen, deshalb fehlt etwas von dem Gefühl und der Dynamik, die eine richtige Band mitbringen würde. Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen, eher Lo-Fi-Sachen zu machen. Die neuen Songs, die ich geschrieben habe, klingen etwas mehr nach Stereolab."

Abgesehen von der legendären Debut-7" "Some Jingle Jangle Morning" waren es bisher gerade Mary Lou's Qualitäten als Interpretin der Songs anderer Künstler gewesen, die sie so populär gemacht haben. Egal, ob sie nun Songs von The Bevis Frond, Freedy Johnston, Neil Young, Elizabeth Cotton, Big Star, Richard Thompson oder Billy Bragg spielt - irgendwie schafft sie es immer, nicht nur fast völlig unbekannte Meisterwerke auszugraben, sondern ihnen auch noch einen eigenen Stempel aufzudrücken. Wie schafft Mary Lou es eigentlich, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die sagen: Wer so viele Songs covert, kann ja eigentlich nicht viel Talent als Singer/Songwriterin haben. Trotzdem genießt die Amerikanerin gerade auch als Autorin einen exzellenten Ruf. "Es kommt eben darauf an, wie du den Song interpretierst. Auch in der Vergangenheit hat es gute Interpreten gegeben, die gleichzeitig tolle Songschreiber waren, Tom Rush zum Beispiel oder Iain Matthews. Das waren Leute, die eine echte Leidenschaft für gute Songs mitgebracht haben und die Songschreiber kennengelernt haben, bevor die groß rauskamen. Wenn ein Song neu ist und der Autor noch nicht einmal einen Vertrag hat, ist es schwer, zu widerstehen und das Stück nicht zu covern. Kannst du dir vorstellen, Bob Dylan zum ersten Mal zu hören oder The Beatles? Stell dir vor, diese Bands wären noch nicht unter Vertrag, dann käme man doch schnell in Versuchung, die Songs zu covern, oder? Deshalb haben Tom Rush, Iain Matthews und sogar die Beatles Covers von Gene Vincent und Carl Perkins gespielt. Selbst die Rolling Stones waren ursprünglich eine Cover-Band. Ich finde, es ist eine sehr ehrbare Aufgabe, Songs zu covern, die sonst niemand zu hören bekommen würde."

Wie schon erwähnt, Mary Lou ist es wichtiger, die Talente anderer ins rechte Licht zu rücken, bevor sie an sich selbst denkt. Aber dabei denkt sie eben nicht nur an Songwriter, die sie mit ihrer eigenen Popularität pushen kann, sondern auch an das Publikum. In der Knitting-Factory-Show Ende April im Herzen von Manhattan waren fast zwei Drittel der gespielten Songs Wünsche der Zuschauer. "Für gewöhnlich entscheide ich erst auf der Bühne, was ich spiele. Einige Songs spiele ich immer, sozusagen meine Standards. Viele davon sind Covers, aber es macht eben sehr viel Spaß, einen so starken Song wie "1952 Vincent Black Lightning" [geschrieben von Richard Thompson] für ein Publikum mit vielen Teenie-Girls zu spielen, von denen die meisten zuerst Bikini-Kill-Fans waren. Es ist toll, die Songs zu spielen, die sie erwarten, und sie dann mit einem Song wie "Vincent" zu überraschen. Und sie lieben ihn, obwohl sie keinen Schimmer haben, wer ihn geschrieben hat. Es kommen auch viele Leute zu mir und fragen: Woher kommt der Song? Sie denken, ich hätte ihn geschrieben, und ich kann dann sagen: Nein, er stammt von Richard Thompson, und auch seine anderen Sachen könnten dir wirklich gefallen. Naja, sie sind halt jung, und ich habe festgestellt, wieviel Macht ich habe, diesen Kids weiterzuhelfen, haha."

Mary Lou Lord
Die inzwischen 32jährige Mary Lou hat selbst in ihrer Jugend viel Prog-Rock à la Jethro Tull gehört und hat über die Folk-Verbindung dann nach und nach auch Fairport Convention, Richard Thompson, Andy Irvine, Paul Brady und, und, und kennengelernt. Erst mit 22 fing sie selbst an, Musik zu machen. Obwohl sie eigentlich eher den Punkrock-Lifestyle bevorzugte, fand sie sich dennoch immer wieder in den Coffeshops in und um Boston wieder, um mit - wie sie selbst sagt - "den 55jährigen mit den Bärten und den Martin-Gitarren" ihre Lieblingsmusik zu diskutieren und zu spielen. Doch dann kam der Moment, der ihr Leben veränderte. "Ich fuhr in meinem Wagen und hörte Daniel Johnston "Speeding Motorcycle" singen! Ich dachte: 'Das ist ja wie Folk, nur viel cooler! Und ich kann es wahrscheinlich auch spielen!' Ich spielte damals ja noch nicht lange Gitarre. Ich hatte überhaupt nur mit Folk angefangen, weil die Songs alle eine Milliarde Verse haben, aber die Gitarrenbegleitung sehr simpel ist. Du mußt also keine gute Gitarristin sein, sondern nur die Texte draufhaben."

Und auch wenn sie vielleicht nicht perfekt Gitarre spielen kann, eine tolle Show liefert sie trotzdem ab, wenn sie ganz alleine mit ihrer Gitarre auf der Bühne steht, wunderschöne Songs singt und zwischendurch niedliche Geschichten zum besten gibt. Und das sehen eigentlich alle so - mit Ausnahme von Mary Lou selbst: "Am liebsten würde ich ins Verlagswesen wechseln und meinen Freunden helfen, ihre Songs in Filmen unterzubringen, damit sie nicht mehr Taxis fahren müssen. Sie können tolle Songs schreiben, ich NICHT! Ich will NICHT auf der Bühne stehen, aber irgendwie ergab sich die Situation, in der ich Platten machen konnte. Ich bin keine Songschreiberin, aber ich habe ein gutes Gehör. Warum sollte ich Geld bekommen, wenn andere bessere Songwriter sind?" Da kann man nur hoffen, daß Mary Lous Musikverleger-Karriere noch lange auf sich warten läßt und ihre nächste Platte vielleicht auch in Deutschland bei Label und Medien die Beachtung findet, die sie ohne Zweifel verdient.

Weitere Infos:
www.mllord.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-

Aktueller Tonträger:
Got No Shadow
(Work/Sony Music)
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