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ALICE PHOEBE LOU
 
Es geht um alles!
Alice Phoebe Lou
Die in Berlin lebende Südafrikanerin Alice Phoebe Lou ist nicht einfach eine weiterer dieser jungen Songwriterinnen, die in fragilen, melancholischen Songgebilden ihren poetischen Neigungen nachgehen, um ihre Phantasien auszuleben. Nicht dass es bei Alice keine fragilen, melancholischen Songgebilde gäbe - aber es gibt eben auch einen gewissen Mehrwert in Form eines philosophisch, moralisch, sozialen Unterbaus, der für Alice mindestens genauso wichtig ist, wie ihre Songs.
Angefangen hat die Sache eher unverfänglich: "Ich wusste immer, dass ich reisen wollte, nachdem ich auf der Highschool war", erklärt Alice, "das war mein Plan. Mit 16 reiste ich erstmals für ein paar Monate nach Paris, wo ich mich in der Straßenkünstler-Szene wiederfand. Ich habe damals aber noch keine Musik gemacht, sondern getanzt - und zwar als Feuerkünstlerin. Mit 18 habe ich dann ernst gemacht und bin als Feuertänzerin aufgetreten. Es war ziemlich einfach, damit auf Reisen sein Geld zu verdienen. Ich habe eine Menge Zeit in Amsterdam verbracht. Überall, wo ich hinkam, empfahlen mir die Leute aber, nach Berlin zu gehen und nach sechs Monaten des Herumreisens bin ist dann schließlich auch dort angekommen. Ich habe mich sofort in die Stadt verliebt und dann auch begonnen Musik zu machen." Das heißt also, dass Alices spezifischer Stil - der aus einem eigenständigen Mix aus Jazz-, Folk- und Elektronik-Elementen besteht - sich aus ihrer Straßenmusik heraus entwickelt hat? "Total", räumt sie ein, "ich habe zunächst gar nicht geplant gehabt, Musikerin zu werden, sondern nur nach einer Möglichkeit gesucht, zu überleben. Weil ich aber Cover-Songs gespielt habe, habe ich irgendwann auch angefangen, eigene Songs zu schreiben. Als ich dann ein gutes Soundsystem hatte, konnte ich auch spielen, was ich wollte - ohne etwa schreien zu müssen. Denn es geht auf der Straße ja darum. Aufmerksamkeit zu erregen." Und wie entstand dann der o.a. Stil? "Ich weiß das selbst gar nicht so genau", gibt Alice zu, "denn ich bin eigentlich mehr von der Attitüde anderer Musiker beeinflusst, als von deren Musik. Die Leute, die mich also beeinflussten, waren solche, deren Texte eine besondere Bedeutung hatten oder die Musik dazu verwendeten, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Ich wollte Musik auch immer auf eine positive Art einsetzen. Musik sollte nicht nur unterhalten, sondern etwas Wichtiges vermitteln. Das fehlt mir heutzutage ehrlich gesagt ein wenig - obwohl viele Leute inzwischen erkannt haben, dass Kunst und Musik nach wie vor gegen das Establishment sein sollten oder zumindest etwas über die Gesellschaft aussagen sollten."
Alice Phoebe Lou
Wie sieht es denn mit den Botschaften aus, die Alice zu übermitteln hat? Sie hat einen eigentümlichen Stil entwickelt, ihre Texte Stream-Of-Counscious-mäßig zu sortieren, ohne dabei Geschichten zu erzählen und nicht ein Mal Situationen oder Bilder zu beschreiben. "Das will ich doch hoffen", meint sie bestimmt, "dabei ist jeder Song irgendwie anders. Meistens werde ich von persönlichen oder jemandes anderen Erlebnissen oder Beobachtungen inspiriert. Allerdings mag ich es gar nicht, mich hinzusetzen und zu schreiben. Lieber greife ich mir meine Gitarre und probiere einfach etwas aus." Das führt dann zu einer Unmittelbarkeit in der Performance, die fast losgelöst und improvisiert erscheint. "Ich habe gar nichts gegen konventionelle Songstrukturen", erläutert Alice, "ich mag es nur nicht - sagen wir mal - Strophe und Refrains abzuwechseln, nur weil man das erwarten könnte. Das bedeutet mir nichts. Und ich mag ja Improvisationen, aber ich habe auch gelernt Songs zu schreiben. Ich mag es nur nicht, mein Material in bestimmte Strukturen einzupassen, weil man das eben so macht." Ist es denn wichtig, die Worte und die Musik auszubalancieren? "Am Ende des Tages bin ich ja keine ausgebildete Musikerin", gesteht Alice, "anfangs war es mir sehr bewusst, wie wenige Fähigkeiten ich habe - ich weiß nicht, welche Akkorde ich spiele, ich weiß eigentlich gar nichts. Dann wurde mir aber klar, dass ich zwar auf eine sehr einfache Art Gitarre spiele, aber die Stimme und die Melodien das eigentlich Wichtige sind. Die Gitarre ist hier nur ein Werkzeug, um das zu realisieren. Erst jetzt, nachdem ich eine Band habe, konzentriere ich mich darauf, alle diese Texturen und Ebenen aufeinanderzuschichten. Das macht auch sehr viel Spaß, weil wir so die Songs auf immer neue Weisen spielen können - auch mit Gästen. Es ist nämlich nicht so, dass ich ein Set habe, mit dem wir dann auftreten - das wäre mir zu langweilig."

Das Interessante dabei ist, dass die emotionale Wirkung der Musik von Alice nicht so sehr von der Musik an sich ausgeht, sondern vom Ausdruck ihrer Stimme und ihres Gesangs. "Das glaube ich auch", stimmt Alice zu, "wenn du mal drüber nachdenkst, dann kannst du davon ausgehen, dass jede Zeile eines Popsongs immer und immer wieder aufgenommen wurde, um die perfekte Version davon zu erzielen. Das ist doch Bullshit. Als wir unser Album aufgenommen haben, haben wir drei oder vier Takes von einem Song aufgenommen - und immer den ganzen Take verwendet. Es ist nämlich super wichtig, diese Live-Energie einzufangen - und nicht etwa zu versuchen, durch endlose Wiederholung Perfektion zu erzwingen." Was war denn das Hauptziel, als es darum ging, das Album einzuspielen? "Keine Ahnung", überlegt Alice, "ich schätze, ich wollte einfach mal eine ordentliche Scheibe aufnehmen. Ich hatte ein wenig Geld gespart und wollte, dass es ordentlich klingt. Wir habe aber keinerlei Vorbereitungen getroffen, sondern wollten das ganze Ding improvisieren. Natürlich war das nicht ganz so einfach. Begonnen haben wir in Südafrika. Wir waren uns aber nicht so sicher, in welche Richtung es gehen sollte. Als wir zurück in Berlin waren, war uns klar, dass wir die Drums neu aufnehmen mussten, um eine solide Basis zu haben. Wir haben dann mit dem Drummer von Whitest Boy Alive, der in Berlin ein analoges Studio hat, gearbeitet. Und wir hatten diese erstaunliche japanische Pianistin, die an einem Tag alle Klavier, Rhodes und Synthie-Parts eingespielt hat. Dann hatten wir all diese Tracks - denn wir haben jedem Gastmusiker freie Hand gelassen - und mussten daraus mussten wir dann die Songs fertigstellen. Wir haben also dieses Haus in Wiesenthal an einem See gemietet, ein Studio eingerichtet und dann das Material in zehn Tagen zusammengefügt. Statt einer Pre-Production haben wir das Ganze also in der Post-Production gemacht. Als Basis aber haben wir stets die bereits erwähnten ganzen Takes verwendet."

Alice Phoebe Lou
Auch inhaltlich geht Alice einen ganz eigenständigen Weg. Denn Alices Texte bestehen keineswegs aus geradlinigen Beschreibungen, sondern eben mehr oder minder frei schwebenden Assoziationen. Dabei gelingt es ihr aber zuweilen durchaus, geradezu universelle Gesamtgebilde zu erschaffen, wie zum Beispiel den Titelsong "Orbit", der wirklich alles abdeckt - von der Politik über die Philosophie, die Poesie, Wissenschaft und Mystik bis zur puren Science Fiction. Wie funktioniert denn sowas? "Ich setze mich nie hin und sage mir 'jetzt will ich einen Song über dieses und jenes Thema schreiben'", führt Alice aus, "es beginnt immer mit irgendetwas Zufälligem. Ich reise zum Beispiel jedes Jahr für die Ferien an die Ostküste Südafrikas. Ich saß also in einem Baumhaus und schaute auf die Landschaft runter und begann, Sachen, die ich in meinem Notizbuch zusammengetragen hatte, in einem Song zusammenzufassen. Das hing damit zusammen, dass ich zu jenem Zeitpunkt auch eine Menge Dinge gleichzeitig empfand. Für mich war es das Ende eines Jahres und ich versuchte, alles in einem Song zusammenzufassen. Aber das ist kein generelles Konzept. Jeder Song entsteht auf eine andere Weise. Manchmal brauche ich ein Jahr um einen Song fertigzustellen und manchmal klappt es in fünf Minuten." Der Zuhörer kann sich dabei nie so recht sicher sein, über was genau Alice eigentlich singt, oder? "Ich mag es zwar, wenn die Songs persönlich sind - sie dürfen aber auch nicht zu persönlich sein", meint Alice bestimmt, "Ich singe ja auch nicht über eine spezifische Sache, die mir passiert ist, sondern über etwas, zu dem jeder eine Beziehung aufbauen kann. Es geht also eigentlich um alles." Das ist insofern wohl auch notwendig, da sie ja nie sicher sein kann, wen sie auf der Straße mit ihrer Musik erreichen kann. Das ist übrigens insofern erstaunlich, als dass viele Künstler ja eine recht spezifische Klientel ansprechen. "...und eine bestimmte Zielgruppe haben?", fragt Alice nach, "sowas interessiert mich nicht. Immerhin ist die Straße ja der Ort, an dem man wirklich für jeden spielen kann. Das ist auch insofern wichtig, als dass ich so auch Leute erreiche, die vielleicht nicht genug Geld haben, ein Konzert zu besuchen oder die nicht wissen, was aktuell in der Szene passiert, oder die sich seit einer längeren Zeit nicht mehr richtig mit Musik beschäftigt haben. Es ist die größte Ehre für mich, für Leute spielen zu können, die so etwas gar nicht erwartet haben." Und wie erreicht man das? "Nun, zunächst mal bin ich sehr empathisch veranlagt", führt Alice aus, "ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen: 'Du bist ein Arschloch, weil du dieses und jenes glaubst oder dies und jenes tust.' Schließlich ist jeder irgendwie von irgendetwas beeinflusst oder einer Hirnwäsche unterzogen. Das ist etwas, was mir vollkommen klar ist und was ich auch verstehe. Dennoch interessiere ich mich sehr für aktuelle Entwicklungen, bin sehr interessiert an allen Aspekten der Anthropologie und kann sagen, dass ich eine Menge von Berlin gelernt habe - einfach weil es ein so multikultureller Ort mit so vielen verschiedenen Facetten ist. Mein größtes Ziel ist es dabei, sogar Empathie für Leute zu empfinden, die ich eigentlich wirklich nicht leiden kann. Damit meine ich Rassisten oder hasserfüllte Charaktere. Ich will mich auch in diese hineinversetzen können, damit ich mir nicht etwa Urteile aus den falschen Gründen erlaube. Es ist für mich also wichtig, eine Balance zu haben: Ich glaube ziemlich fest an bestimmte Dinge, aber ich bin auch undogmatisch und empathisch."

Kommen wir aber noch mal zu Alices Musik zurück: Was ist denn musikalisch für sie ausschlaggebend? "Ich suche nach diesem undefinierbaren X-Faktor, der macht, dass man etwas fühlt. Das ist alles. Und das kann passieren, wenn zum Beispiel jemand nur einen einzigen Akkord spielt und nur eine Zeile singt, die dann aber unglaublich kraftvoll ist. Es ist für mich also sehr schwer zu definieren, was einen guten Song ausmacht, aber ich kann es greifen, wenn es passiert." Und was inspiriert Alice Phoebe Lou? "Ich höre mir alle Arten von Musik an", gesteht sie, "ich liebe zum Beispiel elektronische Musik, wenn sie dieses bestimmte Feeling hat. Ich mag Leute, die mich etwas fühlen lassen, die mich innehalten lassen, die mich zum nachdenken anregen - oder auch nicht nachdenken lassen, die mich verletzen, die mich bewegen, die mich aufstacheln." Ist diese musikalische, inhaltliche und philosophische Offenheit vielleicht der Grund, warum Alice ihr Album "Orbit" genannt hat? "Ja, denn ich habe nicht etwa das Album nach dem Song benannt, sondern weil das Wort 'Orbit' so vielseitige Bedeutungen haben kann", bestätigt Alice, "man kann über den Orbit als Umlaufbahn im All sprechen. Man kann es als persönlichen Bekanntenkreis sehen. Man kann es als Sinnbild des Lebens sehen. Man kann es universell - jenseits der eigenen Person - sehen. Und das ist auch der Grund, warum ich das Covermotiv ausgewählt habe. Es stammt von einem guten Freund von mir aus Südafrika, der ein Graffiti-Künstler ist. Das Cover zeigt Fotos von seinen Paletten, die er in Form einer Kollage als Planeten angeordnet hat. Da hast du einen Orbit - es sieht aber auch wie ein Auge aus und es zeigt das Universum. Und eigentlich ist es doch nur Farbe. Ich wollte etwas, das irgendwie immens ist, und das habe ich auch bekommen. Ich kann dir sagen: Ein Album zu benennen, ist das schwierigste auf der ganzen Welt. Man definiert hier nämlich etwas und legt es somit für immer fest. 'Orbit' fühlte sich da am besten an, denn es ist einfach - puff - eine Explosion. Es ist alles. Es kann alles sein." Wie stellt sich dieses "alles" in der Zukunft dar? "Ich habe keine Idee", gibt Alice zu. "Die Sache ist nämlich die: Es ist ja schön und gut, eine Vision zu haben, aber wenn man sich auf einen bestimmten Plan für die Zukunft festlegt, nimmt man sich auch die Möglichkeit, spontan zu reagieren. Und ich weiß, dass sich mein Leben in den letzten drei Jahren in eine ganz andere Richtung entwickelt hat, als ich mir das gedacht hätte. Und eigentlich will ich das auch weiterhin so erleben. Ich habe zwar ein paar Ideen - aber gewiss keinen Fünf-Jahres-Plan." Was vielleicht auch ganz gut so ist, denn Alice Phoebe Lou hat ja jetzt schon mehr zu bieten als mancher Kollege in seiner ganzen Karriere.

Weitere Infos:
www.alicephoebelou.com
www.facebook.com/alicephoebeloumusic
soundcloud.com/alicephoebelou
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Alice Phoebe Lou
Aktueller Tonträger:
Orbit
(Motor Music/edel)
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