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DIE NERVEN
 
Musik im Takt der Zeit
Die Nerven
"Fake", das neue Album von Die Nerven ist noch nicht einmal erschienen, da steht bereits fest: Auch dieses Mal rennen die drei Schwaben mit ihre ganz eigene Sicht des Post-Punk-Indierock-Universums und ihrer souveränen textlichen Kanalisierung der Artikulation der Unbehaglichkeit allenthalben offene Türen ein. Mit der neuen, in Italien eingespielten LP lassen Die Nerven ihr oft wüstes Frühwerk ein Stück weit hinter sich und finden mit ausdifferenzierteren Songs neue Ausdrucksmöglichkeiten jenseits ungestümer Bühnen-Power. Auch wenn sie textlich nicht explizit politisch werden und keine Meinungen transportieren wollen: "Fake" ist Musik im Takt der Zeit, wie gemacht für eine immer absurder werdende Welt. Im Düsseldorfer Büro ihrer Promotionagentur sprachen wir mit Max Rieger (Gitarre, Gesang), Julian Knoth (Bass, Gesang) und Kevin Kuhn (Schlagzeug) über veränderte Erwartungshaltungen, unerfüllte Träume und Verweigerungshaltung.
GL.de: Die Nerven gibt es inzwischen seit acht Jahren. Was hat sich seitdem verändert?

Max: Als wir anfingen, waren wir nicht die Einzigen. Es gab ein Konglomerat an Bands und Leuten, die ähnliche Dinge gemacht haben, aber das hat sich über die Jahre einfach ein bisschen verlaufen. Dadurch hat sich auch unsere Herangehensweise verschoben. Es ist jetzt nicht mehr Stuttgart-bezogen. Wir finden dort nicht mehr statt.

GL.de: Die Nerven sind so etwas wie die Band der Stunde. Wie geht ihr mit der gestiegenen Erwartungshaltung um?

Max: Gefühlt war die Erfahrungshaltung bei der letzten Platte viel höher. Weil "Fun" unerwartet gut funktioniert hatte, mussten wir mit "Out" nachlegen. Da war der Druck größer. Jetzt stellte sich uns eher die Frage, ob wir überhaupt noch ein Album machen müssen. Als uns dann klar war, dass wir noch eine weitere Platte machen wollen, war auch klar, dass das aus einem anderen Antrieb passiert, nämlich deshalb, weil wir Lust darauf haben, nicht, weil wir müssen. Der Druck war deshalb anderer Natur. Es ging eher darum, dass wir uns selbst zufriedenstellen. Was die Hörer davon halten, war eher zweitrangig.

GL.de: Das Soundspektrum ist auf dem neuen Album spürbar breiter geworden. Wie kam es dazu?

Kevin: Ich denke, das liegt daran, dass wir uns unabhängig voneinander, also außerhalb von Die Nerven, für viele andere musikalische Sachen begeistern. Wenn wir dann wieder zusammenkommen, fließt das mit ein. Es ist nett, dass du sagst, dass sich das Spektrum erweitert hat. Das hat noch keiner so in Worte gefasst!

GL.de: Gibt es konkrete Einflüsse eurer anderen Projekte, die ihr benennen könnt?

Kevin: Viel hat mit Erfahrung zu tun. Dadurch, dass Max in der Zwischenzeit so viele andere Bands produziert hat, gibt es auf unserer neuen Platte viel mehr Studiotricksereien, da hat man sich richtig verausgabt, das erste Mal mit Overdubs!

Max: Ich denke, man muss auch betrachten, was wir davor gemacht haben. Bei den Platten zuvor ging es vor allem um das Live-Feeling, ganz besonders bei "Out", weil wir da zuvor viel auf Tour gewesen waren und deshalb gesagt haben: "Wir spielen die Platte jetzt komplett live ein." Da haben wir in der Postproduktion nichts gemacht, außer das zu reproduzieren, was in dem Raum passiert ist, als wir die Aufnahme gemacht haben. Bei "Fake" ging es darum, was der Song braucht. Wenn wir von Overdubs sprechen, heißt das aber nicht, dass da geistermäßig im Hintergrund noch ein zweiter oder dritter Gitarrist rumgniedeln. Alle Gitarren spielen letztlich das Gleiche. Es ging bloß um eine Erweiterung der Soundpalette. Obwohl wir keine Platte machen wollten, die sich live anfühlt, ist "Fake" wohl doch das Album mit dem stärksten Live-Gefühl.

GL.de: Hat sich über die Jahre die Balance zwischen Texten und Musik verändert?

Max: Gute Frage! Ich sage mal: Jein! (lacht)

Julian: Ich habe versucht, bei meinen Texten mehr ins Detail zu gehen, damit auch dort alles seinen Platz hat. Das ist letztlich einfach eine bewusstere, konzentriertere Arbeit. Das kann man aber letztendlich über das gesamte Album und den ganzen Prozess sagen.

GL.de: Seid ihr euch bei der Arbeit inzwischen bewusster, dass eure Platten gehört werden?

Max: Ja, das war allerding auch schon bei der letzten Platte so. Natürlich ist man sich dessen bewusst, aber inwieweit das Einfluss darauf nimmt, wie man textet - ich glaube, das könnte ich gar nicht benennen.

Julian: Der Gedanke ist wirklich viel zu abstrakt. Natürlich macht man Musik für andere, gleichzeitig kann man sich ja gar nicht vorstellen, wie das für jemanden ist, deine Musik zu hören.

GL.de: Macht ihr eure Musik also wirklich in erster Linie für euch selbst?
Julian: Das hat sich verändert. Am Anfang haben wir die Songs mehr für uns selbst gemacht. Bestimmte Dinge kann man einfach nicht ausblenden. Man kann nicht ausblenden, dass uns jetzt mehr Leute hören. Das war für uns ganz schön anstrengend, aber auch eine Herausforderung, die wir gerne angenommen haben.

Max: Ich bin ganz froh, dass es so ist, denn ich persönlich würde mich mit ganz anderen Sachen zufriedengeben. Mir machen zum Beispiel auch schon die Demoversionen der Songs Spaß. Allerdings denke ich mir natürlich all die Sachen, die noch gar nicht da sind, einfach dazu. Wenn man etwas ausarbeitet, geht es darum, die Sachen wahrnehmbar für diejenigen zu machen, die sie zum ersten Mal hören, die einen ganz anderen Background haben und nicht zwei Jahre an den Songs gearbeitet haben.

GL.de: Wie entstehen eure Texte? Findet ihr ein Thema und geht von dort aus los, oder sind es einzelne Zeilen, um die herum die Texte entstehen?

Julian: Für mich ist es Letzteres. Zuerst sind Zeilen, Gedanken, aufgeschnappte Wörter oder Sätze da, die ich mir in meinem Notizbuch aufschreibe. Wenn wir dann jammen, ist es manchmal einfach irgendwas, das man darübersingt. Im nächsten Schritt wird es dann konkreter und ich mache mich an die Ausarbeitung.

GL.de: Bedeutet mehr Erfahrung, dass ihr inzwischen schneller wisst, was funktioniert und was nicht, dass ihr auf direkterem Wege zu Ergebnissen kommt?

Julian: Kommt darauf an! Ich hab mich bei der neuen Platte ein paarmal verrannt, eben weil ich versucht habe, mir ein Thema zu suchen und dazu zu schreiben. Das ging nicht gut. Das mag für andere Projekte funktionieren, wo ich Texte schreibe, aber nicht bei Die Nerven, denn das ist noch einmal etwas ganz anderes.

GL.de: Gibt es nach vier regulären Studioalben noch konkrete Träume, die bislang unerfüllt geblieben sind?

Kevin: Die gibt es zuhauf. Ich würde gerne mal acht Monate am Stück an einer Platte arbeiten.

Julian: Nach der strapazenreichen Zeit der Produktion von "Fake" und dem Ergebnis, das einem gezeigt hat, dass es sich gelohnt hat, habe ich auch einen neuen Ehrgeiz, das noch mal mehr auf die Spitze zu treiben.

GL.de: Wo seht ihr denn den Vorteil einer ausgedehnten Entstehungsphase? Was kann man dabei besser machen, wenn man monatelang an einer Platte arbeitet?

Max: Ich glaube nicht, dass man etwas besser machen kann. Ich denke, dass es darauf hinausläuft, dass man ab einem gewissen Punkt wieder in das Simple reinkommen will, in die Unmittelbarkeit. Aber man steckt so tief drin, dass es irgendwann total schwierig wird. Ich glaube auch, dass die meisten Leute, die sagen, sie hätten jahrelang an einer Platte gearbeitet, das Album auch oft haben liegen lassen. Das muss man einfach tun. Lange Produktionszeiten kann ich eher bei Platten nachvollziehen, die früher entstanden sind, weil die Technik eine andere war und du vielleicht einfach mal vier Stunden warten musstest, bis das Band für die Aufnahme vorbereitet war.

GL.de: Zudem fehlt heute das Geld, um langwierige Sessions zu rechtfertigen.

Max: Natürlich waren früher auch ganz andere Budgets da, um Studios zu bezahlen. So kann man heute einfach nicht mehr arbeiten und so muss man heute auch nicht mehr arbeiten, weil sich alles so demokratisiert hat und man nicht mehr so an die Technik gebunden ist. Ich weiß nicht, ob es besser ist, wenn man lange an einer Platte arbeitet, aber es ist sicher besser, wenn man sie lange liegen lässt.

GL.de: Ist die Demokratisierung der Technik etwas uneingeschränkt Positives für euch?

Max: Ja, denn man kann ja immer noch die Scharlatane erkennen. Es ist ja jetzt nicht so, dass jeder, der ein Audio-Interface hat, auch geile Platten machen kann.

GL.de: Für die alte Variante mit den teuren Studios spricht, dass der Druck größer war, fertig zu werden, weil die Uhr tickt...

Max: Ja, aber auch wir haben ja noch einen Produzenten und sind "on a budget". Zeitdruck ist immer ein positiver Aspekt, wenn es darum geht, etwas fertig zu machen.

Julian: Ganz besonders, wenn man nach Italien gefahren ist und dort alle Sachen instrumental einspielen muss!

GL.de: War der Druck der Grund, warum ihr in Italien aufgenommen habt, oder ist die Toskana einfach euer Abbey Road, eure Traumlocation?

Max: Es ging uns vor allem darum, dass wir uns dort zurückziehen konnten und zum Herbstanfang noch ein paar Sonnenstrahlen einfangen konnten und den Druck etwas angenehmer gestalten konnten.

Kevin: Bevor wir dorthin gefahren sind, schienen uns 12 Tage für Tracking sehr großzügig bemessen, aber letztlich waren wir dankbar für jede einzelne Stunde. Wir haben am letzten Tag bis morgens um 9.00 noch an irgendwelchen Overdubs gesessen, die wir nur dort aufnehmen konnten.

Max: Dort gab es einen speziellen Raum mit einem seltsamen Hall, und die Liste der Dinge, die wir unbedingt in diesem Raum machen mussten, wurde länger und länger, und in der Nacht vor der Abreise mussten wir das dann alles noch erledigen!

GL.de: Ihr steht in dem Ruf, Verweigerer zu sein. Ihr wirkt aber gerade gar nicht so!

Kevin: Anfangs war das aber schon eine Art von Verweigerung, weil wir keine Band sein wollten, die etwas macht, was man schon kennt, nur um gemocht zu werden. Das gab es damals in Stuttgart viel: Dorfversionen von international renommierten Bands!

Julian: Wir waren dagegen, aber nicht im Sinne einer Verweigerung, sondern im Sinne eines hartnäckigen Beharrens auf den eigenen Idealen: "Hey, so klingen wir drei, wenn wir in einem Raum sind, und das wollen wir bitte auch in die Welt tragen. Warum lasst ihr das nicht zu?" So fühlte sich das manchmal für uns an.

Max: Dass wir als Verweigerer dargestellt worden sind, hat sicherlich damit zu tun, dass wir uns nicht in die Schubladen stecken lassen wollten, in die man uns gepresst hat. Versteh mich nicht falsch, ich mag Sonic Youth, aber unsere Musik hat gar nichts damit zu tun. Wir kommen aus einem ganz anderen Milieu, es ist 40 Jahre später und ich habe immer ein Problem damit gehabt, wenn Leute gekommen sind und gesagt haben: "Ihr klingt so, weil Sonic Youth das damals gemacht haben."

Weitere Infos:
www.dienerven.de
wwww.facebook.com/deinemutteralter
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Chrisstian Bendel-
Die Nerven
Aktueller Tonträger:
Fake
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