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COEUR DE PIRATE
 
Zurück ins Rampenlicht
Coeur de Pirate
"Ich bin heute etwas langsam", entschuldigt sich Béatrice Martin eingangs des Gespräches zu ihrem aktuellen, vierten Album "En cas de tempête, ce jardin sera fermé" unter ihrem nom de plume Coeur de Pirate, "aber ich bin eben erst aus Montreal angereist und habe überhaupt nicht geschlafen." Freilich macht das gar nichts, denn normalerweise redet Béatrice gerne sehr, sehr schnell - und selbst in ihrem Slow-Motion-Modus kommt sie kurz und knapp auf den Punkt. Das neue Album kam - nach vier Jahren Pause seit dem letzten, bilingualen Werk "Roses" - ziemlich plötzlich zustande; dem Vernehmen nach inspiriert von der Interpretation eines ihrer Songs durch den Kontestanten der französischen Version von DSDS, der Béatrice (zusammen mit Benjamin Biolay) als Jury-Mitglied vorsaß.
"Das Album wurde nicht von dem Auftritt inspiriert", schränkt Béatrice gleich wieder ein, "aber dieser versetzte mir den Schubs, den ich brauchte, um mich wieder ins Rampenlicht zu bewegen. Um es kurz zu machen, war ich nämlich kurz davor, etwas anderes zu machen - zu produzieren etwa oder an Soundtracks oder Musik für Videofilme zu arbeiten. Dann kam aber diese Person und sang meinen Song und rührte mich zu Tränen und da realisierte ich, dass ich vielleicht doch noch ein öffentliche Rolle spielen sollte." Das letzte Album, "Roses", enthielt ja auch englischsprachige Songs. War das eigentlich Béatrices Idee? "Ja, das war meine Idee", bestätigt sie, "ich wollte das mal ausprobieren. Was nett daran war, dass ich englische Songs im Programm war, war der Umstand, dass mir das andere Märkte öffnete - in den USA, aber auch in Europa, weil die Promoter dazu tendieren, eher Leute zu buchen, die englische Songs haben. Ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Ich weiß aber nicht, ob ich sowas noch mal machen werde."

Was hat denn das neue Album inspiriert - wenn es nicht der Cover-Song bei der Casting Show war? Die Texte scheinen sich ja mit eher düsteren Themen zu beschäftigen. "Die Themen, die ich auf dem neuen Album abhandele, sind ziemlich schwierig - nicht nur für mich, sondern für alle", bestätigt Béatrice diese Vermutung, "inspiriert wurde das Ganze von der #MeToo-Debatte. Das eröffnete mir die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, die mir in meinem Leben passiert sind - wovor ich bislang immer ein wenig Angst gehabt hatte, weil ich befürchtete, dass ich deswegen verurteilt werden könnte. Das ist aber der Grund, warum der Titel des Albums so wichtig für mich ist und warum die Sache ein wenig intensiv ist - was ich gerne einräume." Die Musik hingegen ist zuweilen aber ganz schön lebhaft. "Das ist ein Widerspruch, richtig?", fragt Béatrice eher rhetorisch, "das hilft mir aber, damit umzugehen und ich denke, es hilft anderen Leuten auch." Ist das eine bewusste Strategie? "Ja, denn ich mag auch solche Widersprüche", bestätigt Béatrice, "und Widersprüche ziehen sich an. Weil man nicht damit rechnet und es dich zum Nachdenken anregt."

Hat das auch damit zu tun, dass Béatrice hier mit dem Produzenten Tristan Salvati zusammen arbeitete? "Ja, denn früher habe ich immer als Fan den Produzenten sein Ding machen lassen - dieses Mal wollte ich aber voll involviert sein und habe eng mit Tristan an der Produktion zusammen gearbeitet." Daher kommt die Musik wohl auch ein wenig moderner rüber? "Ja, denn das ist die Art, wie Popmusik heutzutage klingt", berichtet Béatrice, "die Sache begann, als Tristan mir Vorschläge für unseren ersten gemeinsamen Song unterbreitet und er dann einen klassischen 70er Jahre Sound vorschlug. Wir haben eine Menge Disco-Elemente verwendet - aber auch Tango. Tango-Rhythmen erzeugen eine gewisse Spannung und Extreme - und Spannungen sind mir sehr wichtig. Es gibt da auch Parallelen zum Inhalt: Auch wenn du in einer glücklichen Beziehung bist, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, dass Gewalt ins Spiel kommt - und das vermittelt der Tango."

Kommen wir mal zum Titel des Albums - wenn Béatrice schon sagt, dass er so wichtig für sie sei. Übersetzt heißt der Titel: "Im Falle eines Sturms wird dieser Park geschlossen" und das bezieht sich auf ein Schild, das Béatrice bei einem Spaziergang entdeckt hatte. "Ich erinnere mich daran, dass ich 2011, als die erste Scheibe erschienen war, eine ziemliche Panik-Attacke hatte. Mir wurde damals der Druck bewusst, der mit einem zweiten Album einherging. Das war sehr beängstigend - wobei ich denke, dass das normal ist. In diesem Augenblick entdeckte ich diese Tafel mit dem Satz - und das beruhigte mich sehr. Ich bewahrte mir diesen Satz als Mantra." Ist das vielleicht auch eine Metapher? "Natürlich", meint Béatrice sehr bestimmt, "es ist eine Art Warnung. Wenn die Welt um dich herum zusammenbricht, kannst du dich wirklich nicht auf dich selbst zurückziehen und dich verschließen, sondern musst alles ansprechen. Ich meine, Anthony Bourdain ist diese Woche gestorben und alle sagen jetzt, man müsse über Depressionen reden. Aber Leute, die Depressionen haben, nutzen Eskapismus - sie reden nicht über ihre Probleme. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass der Titel eine Warnung für mich sei, mich nicht zu verschließen." Was genau meint Béatrice denn damit? "Die Sachen, die ich auf der Scheibe anspreche, sind Sachen, die ich besser früher hätte ansprechen sollen", erklärt sie, "ich nutze die Musik also als Therapie. Das habe ich immer schon gemacht, aber dieses Mal ganz besonders. Mir ist schon klar, dass ich in der glücklichen Lage bin, das mit dem Schreiben von Songs machen zu können - denn viele Leute haben eine solche Möglichkeit ja nicht."

Um was genau geht es denn in den Songs? "Die Themen, über die ich hier spreche, sind nicht angenehm", überlegt Béatrice, "zum Beispiel zu realisieren, dass man sich in einer Beziehung in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet, ist nicht angenehm. Zu realisieren, dass vergangene Traumata deine Beziehungen auf Jahre und Jahre beeinflussen werden, ist nicht angenehm. Ich mag mir das nicht gerne eingestehen - habe es abder schließlich getan. Ich habe eine Menge unangenehmer Dinge durchlebt, über die ich nicht die Kontrolle hatte." Geht es in den neuen Songs denn darum, die Kontrolle wiederzugewinnen? "Also worum es mir geht ist Folgendes", führt Béatrice aus, "das Album ist im Feminismus verwurzelt. Ich gebe mal ein konkretes Beispiel: In dem Song 'Amour d'un soir' geht es um einen One-Night-Stand. Dieser One-Night-Stand entwickelt sich sehr schlecht und die Frau in der Geschichte möchte gerne aus dieser Situation entfliehen - sie kann es aber nicht, weil sie Angst hat, dass der Mann wütend werden könnte und etwas passieren könnte. Das nicht anzusprechen ist integrierter Sexismus - und das ist der Grund, warum Feminismus super wichtig ist, weil es dir hilft dieses Verhalten zu erkennen. Unsere Gesellschaft ist ja eher patriarchalisch organisiert und es ist interessant, einen Dialog darüber zu eröffnen um zu helfen solche Verhaltensmuster zu erkennen - und zu durchbrechen. Auch für Männer ist das wichtig, damit man zum Beispiel überlegen kann, wie man sein Verhalten ändern könnte." Ist das als Ratschlag zu sehen? "Ja, in gewisser Weise gebe ich hier Rat", erklärt Béatrice, "ich habe eine junge Tochter, der ich in den Liner Notes erkläre, dass sie diese Geschichten nicht als Vorbild zu nehmen soll - sondern sie als Situationen betrachten soll, die man vermeiden kann, wenn man selbstbewusst genug ist und darüber spricht."

Coeur de Pirate
Es scheint da aber noch ein Thema auf der Scheibe zu gehen - nämlich nach Hause zurückkommen zu wollen. Es gibt ja sogar einen Song namens "Je veux rentrer" auf dem Album. "Das ist eine Metapher", erklärt Béatrice, "es steht eher dafür, zu dem zurückzukehren, was man kennt und weiß. Zu sich selbst zu finden. Für mich ist das eher eine Fantasie, weil ich keine normale Jugendzeit hatte. Ich war ziemlich jung und ziemlich schnell erfolgreich und stand im Mittelpunkt. Ich hatte auch keine besonders glückliche Kindheit, weil ich als Kind immer gehänselt wurde. Zu einem Zustand der Unschuld zurückzukehren, die ich nie hatte, ist für mich eine Fantasie. Und überhaupt: Man kann ja auch gar nicht nach Hause zurückkehren, weil das Zuhause, zu dem man zurückkehren möchte, gar nicht existiert."

Beim letzten Gespräch erzählte Béatrice, dass sie es nicht notwendigerweise als große Herausforderung ansehe, einen Drei-Minuten-Pop-Song zu schreiben. Was ist denn eine Herausforderung für sie? "Für jemanden anderen zu arbeiten, ist eine große Herausforderung, weil es da um das Erzählen einer fiktiven Geschichte von jemandem anderen geht", führt Béatrice aus, "auch das Schreiben für ein Orchester ist eine große Herausforderung für mich - denn ich schreibe nur nach Gehör - und dann muss jemand die Partituren schreiben. Einen dreiminütigen Pop Song zu schreiben bewegt sich hingegen für mich im grünen Bereich, denn das ist das, was ich die letzten zehn Jahre gemacht habe. Deswegen arbeite ich auch gerne an Filmmusik - weil das eben eine große Herausforderung für mich." Gab es denn auch musikalisch eine Herausforderung? "Ja, denn aufgrund dessen, dass ich so dicht an dem Produktionsprozess dran war und auch die Instrumentierung gemacht hatte, war es zuweilen schwierig genug Abstand zu gewinnen und zu erkennen, worum es in den Songs eigentlich ging und eine objektive Meinung zu haben", wie geht man dann mit sowas um? "Man muss die Songs dann erst mal beiseite legen und sie sich später noch mal vornehmen." Gibt es denn noch eine Sache, die Béatrice in Zukunft gerne mal machen würde? "Ja, ich würde gerne mal ein Country-Album machen", schwärmt sie, "ich habe eine ganze Menge Demo-Songs, die sich dafür eignen würden. Das wäre auch mal deswegen interessant, weil es so etwas auf Französisch noch nicht gibt, weil es keine Tradition in diesem Sinne in Frankreich gibt." Bevor es aber so weit ist, wird Coeur de Pirate im Herbst erst mal wieder auf Tour gehen - wo sie dann das ganze CDP-Programm präsentieren wird und eben wieder im Rampenlicht stehen wird.

Weitere Infos:
www.coeurdepirate.com
www.facebook.com/coeurdepirate.officiel
twitter.com/beatricepirate
www.instagram.com/beatricepirate/
www.youtube.com/watch?v=5keCkSvLnyU
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Coeur de Pirate
Aktueller Tonträger:
En cas de tempête, ce jardin sera fermé
(Le Pop Musik/Groove Attack)
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