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AISHA BURNS
 
"Menschen begeistern mich!"
Aisha Burns
Aisha Burns tanzt auf vielen Hochzeiten. Ihre ersten Gehversuche abseits der Klassik unternahm die 32-jährige Amerikanerin vor rund 13 Jahren als Violinistin in der Folk-Rock-Band Alex Dupree And The Trapdoor Boys. Doch schon bald darauf tummelte sie sich mit der Instrumentalcombo Balmorhea auch auf Post-Rock-Terrain und widmete sich mit Thor and Friends freigeistiger Improvisationsmusik, bevor sie vor acht Jahren ihre eigene Stimme entdeckte und seitdem mit zwei wunderbaren Veröffentlichungen unter eigenem Namen auch solo als vom Folk geküsste Singer/Songwriterin von sich reden macht. Daneben ist sie auch immer wieder als Sidekick für andere unterwegs, begleitete gleich mehrfach Adam Torres an der Geige und ist seit diesem Jahr auch die Bühnenpartnerin von Julien Baker. Wir trafen die liebenswerte Texanerin, die inzwischen mit ihrem Ehemann Jake Woodruff (selbst Musiker bei Dreamtigers und Defeater) in einem kleinen Nest in Massachusetts lebt, zum spätabendlichen Plausch nach ihrem einzigen Europa-Konzert diesen Sommer in der Oetinger Villa in Darmstadt.
Aisha Burns
So beschäftigt Aisha Burns heute als Musikerin auch ist: Ihren Weg zur Musik ganz allgemein und zur Geige im Speziellen fand sie eher zufällig. Ihre Neugier wurde im Alter von zehn durch eine Schulkameradin geweckt, die Geigenunterricht nahm, und auch wenn Aisha die Violine anfangs noch eher als Instrument für Nerds betrachtete, fing sie bald Feuer und nahm selbst Unterricht. Trotzdem wollte sie mit 19 ihre Klassik-Vergangenheit hinter sich lassen und zog dem Musik- ein Journalismus-Studium an der University of Texas in Austin vor, doch ihre Vergangenheit holte sie schneller ein, als sie das gedacht hätte. "Zu meiner ersten Band bin ich nur gekommen, weil der Freund eines Freundes gehört hatte, dass ich Violine spiele, und so kam es, dass ich dort gastierte", sagt sie über ihre Zeit in der Band von Alex Dupree. An eine echte Karriere als Musikerin dachte sie da allerdings noch nicht. Erst nach ihrem Einstieg bei Balmorhea, mit denen sie bis heute spielt, wurde ihr langsam klar, dass aus der Berufung durchaus auch ein Beruf würde werden können. "Die Band bekam schlicht und ergreifend mehr und mehr Konzertangebote: 'Oh, wir sind schon wieder auf Tour, oh, und jetzt noch einmal!' Als wir dann auch noch eine weitere Platte machten, schwante mir: 'Oh, das ist jetzt das, was ich tue!' Wirklich verinnerlicht, dass das so ist, habe ich in einer sehr arbeitsreichen Phase der Band im Jahre 2009. Das ist jetzt also rund zehn Jahre her!"

Nicht viel später wagte Aisha dann auch als Solistin den Weg ins Rampenlicht - und ähnlich wie bei ihrem ersten Kontakt mit der Violine spielte eine natürliche Neugier eine wichtige Rolle, als sie 2011 begann, eigene Lieder zu schreiben und zu singen. "In den Bands, in denen ich spiele, habe ich alle Freiheiten, mir meine eigenen Parts zu überlegen, allerdings stets innerhalb der Songstrukturen, die andere vorgeben", sagt sie über ihre Beweggründe, es allein zu versuchen. "Ich war einfach neugierig, was dabei herauskommen würde, wenn ich selbst das Ruder in der Hand hätte. Ich wollte wissen, wie es sein würde, meine Stimme einzusetzen, und ich hatte ein wenig auf der Gitarre herumgeklimpert, aber sie nie in einer Band gespielt. Ich hatte einfach viele Fragen: Was passiert, wenn ich anfange, Songs zu schreiben? Was, wenn ich Gitarre spiele? Was kommt dabei heraus, wenn ich die Lieder im Studio aufnehme? Dann habe ich eine Platte gemacht und dabei entdeckt, wie sehr ich es liebe, zu singen und in diesem Rahmen zu spielen."

Anders als bei den oft vielköpfigen Ensembles, in denen sie zuvor gespielt hatte, lastete bei ihren Soloausflügen die gesamte Last auf ihren Schultern. Eine Herausforderung, die auch im Laufe der Jahre nicht unbedingt kleiner geworden ist. "Typischerweise spiele ich zumindest mit einem Gitarristen, und ich bin auch schon mit einem Streichensemble und einem Bassisten aufgetreten", verrät sie. "Solange jemand dabei ist, der dich begleitet, hast du eine Art Sicherheitsnetz, denn wenn nicht alles gelingt, bist du zumindest nicht allein. Solo bist du in einer sehr exponierten Stellung und verantwortlich für alle Sounds, und das ist eine ganz andere Art von Druck, mit dem man lernen muss umzugehen." Ihr hinreißender Auftritt in Darmstadt bewies derweil eindrucksvoll, wie selbstbewusst sie ist, auch wenn sie ganz allein auf der Bühne steht, und wie gut sie mit dem Druck inzwischen umgehen kann.

Dabei greift sie auch immer wieder auf die Erfahrungen zurück, die sie als Sidekick gemacht macht, ganz besonders die bei Thor And Friends, der Improv-Instrumental-Band von Thor Harris, der viele Jahre als Percussionist die legendären Swans unterstützt hat und nun allabendlich mit verschiedenen Freunden auftritt. "Die Struktur, die er mit dem Vibrafon vorgibt, bleibt stets unverändert, aber alles darum herum ändert sich, je nachdem, wer gerade mitspielt, denn die Besetzung ist von Stadt zu Stadt verschieden", erklärt Aisha. "An einem Abend sind vier Leute in der Band, am nächsten sind es acht und alles wird improvisiert. Du weißt, in welcher Tonart das Stück ist und du kennst das Signal für das Ende, aber der Weg dorthin ist bei jedem Auftritt ein anderer." Die wichtigste Lektion für sie war dabei, dass Perfektion in einer Performance nicht existiert und ein Song jeden Abend anders klingen kann und trotzdem bedeutsam und schön sein kann. "Es geht darum, die kleinen Fehler und glücklichen Unfälle schätzen zu lernen", ist sie überzeugt. "Das zu beherzigen, wenn ich solo spiele, fällt mir oft schwer, weil mein Gehirn so auf Perfektion geeicht ist. Das hat vielleicht damit zu tun, dass dir im Geigenunterricht eingetrichtert wird, dass es den einen richtigen Weg gibt, die Sache anzugehen. Durch die Arbeit mit Thor habe ich dann die Schönheit der Improvisation kennengelernt."

Aisha Burns
Auf der derzeitigen Welttournee mit Julien Baker darf sich Aisha noch einer ganz anderen Herausforderung stellen. Hier spielt sie keine Parts, die sie selbst geschrieben hat, sondern orientiert sich an den Vorgaben von Camille Faulkner, die Julien zuvor im Studio und auf Tournee begleitet hatte. "Julien hat mir netterweise bei den Parts viele Freiheiten gegeben", freut sie sich. "Letztlich spiele ich das, was bereits vorhanden war, aber auch diese kleinen subtilen melodischen Figuren, die Julien genug Platz lassen für all ihre komplizierten Loops und ihren Gesang. Es war großartig, diesen Rahmen zu haben: 'Hier sind die Parts, die bereits existieren, aber darum herum kannst du machen, was, du willst.'"

Während sie bei den Bandprojekten vornehmlich Violine spielt, gilt bei ihren Solowerken der Gitarre ihr Hauptaugenmerk. Doch worin besteht für sie der wichtigste Unterschied zwischen Gitarre und Geige? "Ich denke, die Funktion der Geige kommt der der Stimme oft sehr nahe", erwidert sie. "Sie übernimmt die melodische Führung und oft ist auch der Tonumfang identisch. Wenn ich Melodielinien für die Geige schreibe, sind die denen, die ich für die Stimme schreibe, sehr ähnlich. Deshalb habe ich das Gefühl, dass es in puncto Begleitung mehr Sinn ergibt, die Gitarre zu benutzen. Sie sorgt eher für einen rhythmischen Backdrop, der funktional in eine andere Richtung deutet."

Nachdem ihr Erstling unter eigenem Namen "Life In The Midwater" aus dem Jahre 2013 betont sparsam instrumentiert war, hat sich Aisha mit dem letztes Jahr erschienenen Nachfolger "Argonauta" einem spürbar breiter gefächerten, behutsam aufgeschichteten Sound gewidmet, bei dem hier und da auch das Trendinstrument der Stunde, der Synthesizer, zum Einsatz kommt, wenn auch eher versteckt wie ein leichter Pinselstrich. "Ich bin fasziniert von Texturen, ich mag es, wenn simple Melodien durch verschiedene Texturen gewinnen", erklärt sie. "Bei dem fraglichen Song, 'Would You Come To Me', ging es mir darum, diese kleine Melodie anzudeuten, ohne dafür die gleichen Klangfarben wie beim Rest der Platte zu verwenden. Wir haben eine Menge Gitarren aufgeschichtet und eine Menge Stimmen, und dort sollte einfach diese kleine sanfte Melodie herumflirren."

Textlich verarbeitet Aisha auf dem Album den Tod ihrer Mutter im Jahre 2016, der sie ziemlich aus der Bahn geworfen hat. Sich über ihre Gefühle mithilfe des Schreibens bewusst zu werden, ist allerdings nicht neu für sie. "Ich habe das Schreiben schon immer dazu benutzt, zu verstehen, was ich denke und fühle", sagt sie. "Ich habe Notizbücher, die bis zu meinem 6. Lebensjahr zurückreichen. Bis heute hilft mir das Schreiben, um herauszufinden, was in den Untiefen meines Kopfes vorgeht. Oft fällt es mir schwer, die Gedanken zu artikulieren und zu sortieren, wenn ich spreche, aber sobald ich mich hinsetze und schreibe, kommen Dinge ans Tageslicht, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren, und ich beginne, Verbindungen herzustellen und mir über meine Gefühle für Menschen und Ereignisse klarzuwerden." Das Songwriting hat sich mit der Zeit als Verlängerung dieses Ansatzes entwickelt. "Viele der Texte hatten ihren Ursprung in improvisierten Zeilen", verrät Aisha. "Anschließend habe ich mich dann hingesetzt, um herauszufinden, warum mir das durch den Kopf gegangen ist und was sich dahinter verbirgt. Manchmal fühlte ich mich dabei wie eine Zuschauerin, die beobachtete, was dort an die Oberfläche geschwemmt wurde."

Zuflucht fand sie dabei bei einem der ganz großen Melancholiker der deutschsprachigen Literatur, Rainer Maria Rilke. "Ich bin über 'Briefe an einen jungen Dichter' gestolpert und war anschließend wie besessen von dem Buch", erinnert sie sich. "Das war 2012, kurz nach dem Tod meiner Mutter. Ich war ziemlich depressiv und hatte gerade eine neue Beziehung angefangen, und Rilke spricht in dem Werk viel von Liebe und wie man seine Unabhängigkeit behält, während eine Partnerschaft wächst, er streift Trauer und Depressionen, und ich hatte das Gefühl, dass er zu mir spricht." Sie muss lachen. "Er sprach schlichtweg alles an, was mir damals das Leben schwer machte."

Aisha Burns
Doch auch wenn wir es in Aishas Liedern mit echten, teils unverarbeiteten Emotionen zu tun bekommen, sind ihre Songs keine Downer. Zwischen all der Melancholie sprießt stets auch ein Fünkchen Hoffnung. "Das passiert von ganz allein", gesteht sie. "Wenn ich für mich schreibe, geht es mir immer darum, etwas Hoffnungsvolles zu finden, an dem ich mich festklammern kann. Selbst in den Momenten, in denen ich mich vollkommen mitgenommen und niedergeschlagen fühle, muss ich immer die Möglichkeit einer positiven Wendung finden, um nach vorn schauen zu können. In dem Moment geht es mir in erster Linie darum, mich selbst aufzumuntern. Gleichzeitig bin ich mir aber auch bewusst, was es bedeutet, eine komplette Tournee lang richtig bedrückende Lieder zu spielen. Ich frage mich manchmal, wie es sich wohl anfühlt, in einer Band zu sein, die ausschließlich glückliche Popsongs hat." Sie lacht. "Das ist eine Erfahrung, die ich nie gemacht habe."

Wirklich in Betracht ziehen würde sie eine Hinwendung zum Pop allerdings dann doch nicht. "Ich kann nicht sagen, dass ich mich dazu inspiriert fühle, Popsongs zu schreiben", sagt sie lachend. "Selbst als ich vornehmlich Klassik auf der Geige gespielt habe, haben mich die rosarot und glücklich klingenden Werke von Mozart oder Bach eher gelangweilt. Schon damals fühlte ich mich von den gequälten Tschaikowsky-Sachen und vom Kampf gezeichneten Werke in Moll viel mehr angezogen. Ich weiß nicht genau warum, vermutlich mag ich einfach die Emotionen, die darin stecken, und die Ausdruckskraft der Dinge, die aus großen Mühen entstehen."

Trotzdem wollten wir zum Schluss von Aisha noch wissen, was sie derzeit besonders glücklich macht. "Ich denke, es sind vor allem die Menschen", sagt sie nach langem Grübeln. "Ich bin sehr dankbar für all die großartigen, talentierten Menschen in meinem Leben - unterwegs wie zu Hause. Es macht mich glücklich, dass diese Beziehungen wachsen und sich auf gute Art und Weise verändern. Menschen begeistern mich!"

Weitere Infos:
www.aishaburns.com
www.facebook.com/aishaburnsmusic
www.witter.com/aishaburnsmusic
www.instagram.com/aishaburnsmusic
aishaburns.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Stephanie Larsen-
Aisha Burns
Aktueller Tonträger:
Argonauta
(Western Vinyl/Cargo)
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