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KATIE VON SCHLEICHER
 
Intensiv, aber unterhaltsam
Katie Von Schleicher
Die Zeit ist reif für Katie Von Schleicher: Mit viel Fantasie und einem goldenen Händchen für genau die richtige Melange aus bittersüßer Melancholie und melodischer Schönheit streift die Amerikanerin auf ihrem feinen neuen Album "Consummation" Krautrock, Dream-Pop, Wave und Garagenrock und erschafft sich ein beeindruckend facettenreiches Indie-Universum, das keine Genreschranken kennt. Drei Jahre nach ihrem hinreißenden LP-Erstling "Shitty Hits" erschließt sie sich so neue Horizonte, ohne die eigene Vergangenheit und den herrlich rauen DIY-Charme der frühen Tage zu verleugnen, und übersetzt mit beeindruckender Entschlossenheit emotionale Beklemmung in selbstbewusste Power.
Auf dem Papier ist "Consummation" erst das zweite reguläre Album von Katie Von Schleicher, doch der musikalische Werdegang der aus Maryland stammenden und heute in Brooklyn heimischen 33-Jährigen reicht noch viel weiter zurück als bis zum ursprünglich als Cassette veröffentlichten Minialbum "Bleaksploitation" aus dem Jahre 2015 und dem 2012 nur digital veröffentlichten "Silent Days". Schon mit zehn begann Von Schleicher zu schreiben, erste fertige Songs hatte sie im Alter von 14. Noch mehr als Klavier zu spielen liebte sie zu singen, wenngleich ihre damaligen Favoriten nicht weiter von ihrem heutigen Sound entfernt sein könnten. "Lange Zeit war ich überzeugt, dass ich keine Musikerin sein könnte, weil alle meine Freunde 'Kid A' von Radiohead gehört haben, als sie 13 Jahre alt waren, während es bei mir Celine Dion, Whitney Houston und Barbra Streisand waren und ich geradezu zwanghaft Musicalsongs auswendig gelernt habe", verriet sie uns bei unserer letzten Begegnung vor zwei Jahren. Während ihres Studiums am Berklee College Of Music begann sie dann, sich mit den Klassikern aus Indie-Sphären und vor allem mit dem Schaffen von Phil Spector auseinanderzusetzen, dessen Ideen bis heute in ihren Songs nachhallen. Gleichzeitig hat ihr nicht zuletzt durch das positive Feedback auf "Shitty Hits" gewachsenes Selbstvertrauen dazu geführt, dass in ihrem neuen Album mehr denn je zuvor von ihr selbst steckt.

"Ich fühle mich jetzt mehr selbstverwirklicht als noch vor wenigen Jahren", bestätigt sie, als wir sie Mitte März daheim in Brooklyn erwischen. "Gleichzeitig ist es immer noch wahnsinnig schwer, sich als unabhängige Künstlerin durchzuschlagen, und deshalb verlagert sich mein Fokus mehr und mehr weg von der Idee, ausschließlich mit der Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mein neues Album handelt zwar von transformativen Erfahrungen, aber trotzdem hat sich mein Leben in den letzten Jahren nicht wahnsinnig verändert." Das kreative Feuerwerk, das Von Schleicher auf "Consummation" zündet, legt die Vermutung nahe, dass die Selbstzweifel, die sie bei der Produktion des Vorgängerwerks hemmten, inzwischen verschwunden sind. Ganz mag sie da aber nicht zustimmen. "Ich denke, die Selbstzweifel werden nie ganz aus dem kreativen Prozess verschwinden", sagt sie. "In gewisser Weise erinnern sie mich daran, dass der ganze Prozess nie leicht sein wird, egal, wie ich ihn angehe. Anders war dieses Mal lediglich, dass ich wusste, dass es am Ende gut ausgehen würde und ich ein Album fertigstellen kann. Vielleicht beziehen sich die Selbstzweifel inzwischen weniger auf die Frage, ob ich ein Album fertigstellen und anschließend stolz darauf sein kann, aber auf dem Weg dorthin stieß ich auf viele Blockaden." Viele der Lieder auf der neuen Platte krempelte sie in der Demophase immer wieder um, bis sie zu den definitiven Versionen gelangte. Außerdem mischte sie die Platte zweimal ab, bevor sie zufrieden war. "Zur gleichen Zeit haben wir die Platte verschiedenen Labels in den USA angeboten, um zu sehen, was möglich ist. Das zu machen, während wir damit beschäftigt waren, die Platte abzumischen und zu mastern, war vermutlich keine gute Idee", gesteht sie lachend.

Die Stolpersteine entlang des Weges waren allerdings nicht der Grund, warum "Consummation" erst genau drei Jahre nach" Shitty Hits" erscheint. "Ich bin der festen Überzeugung, dass es seine Zeit braucht, um ein Album zu machen", sagt Von Schleicher. Dabei geht es nicht nur um die Zeit, die du tatsächlich daran arbeitest, sondern auch um die Zeit, die du benötigst, um deine Perspektive zu wechseln. Bevor ich mit der Arbeit beginnen kann, muss ich mir zunächst darüber klar werden, was ich eigentlich tun will, wie das große Ganze aussehen soll. Das ist mir gelungen, und das war ein großer Antrieb für mich. Beim Songwriting war ich ziemlich ungehemmt. Ich kann nicht sagen, dass die neue Platte klanglich eine große Abkehr von meinen früheren Veröffentlichungen ist, allerdings habe ich sehr bewusst verschiedene Methoden beim Schreiben und auch bei der Produktion verwendet.

Beim Texten blieb Von Schleicher derweil alten Idealen treu. Während sich andere Künstler, die ihrem Publikum auf ihren frühen Platten ungeniert ihre Seele offenbart haben, mit wachsender Zuhörerschaft oft spürbar zugeknöpfter geben und sich so davor schützen, in einer zunehmenden Anzahl von Interviews und bei immer größer werdenden Konzerten ihr Innerstes breittreten zu müssen, hält Von Schleicher wie schon in der Vergangenheit auch auf "Consummation" nichts zurück. "Mein Publikum ist immer noch recht überschaubar, andere Künstler verspüren da sicherlich einen größeren Druck von außen", gibt sie zu bedenken. "Aber um ehrlich zu sein, mir graut es vor den Interviews - das hier ist übrigens das allererste zu dieser Platte! Das Thema des Albums ist wirklich heftig, doch anstatt mich zurückzuziehen, hab ich noch einen draufgelegt und bin noch persönlicher geworden. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich keine Wahl hatte. Ich wusste: Das ist das, wo meine Leidenschaft drinsteckt, das ist das, worüber ich in den Liedern sprechen möchte. Wenn ich Songs machen würde, die zurückhaltender sind, wären sie vermutlich nicht so gut. Also sagte ich mir: Scheiß drauf, um die Folgen kannst du dir später Gedanken machen."

Die Inspiration für "Consummation" fand Von Schleicher an ungewöhnlicher Stelle, im tief verborgenen Missbrauch-Subtext in Alfred Hitchcocks wegweisendem Spielfilm "Vertigo" aus dem Jahre 1958, und war überrascht, kurz darauf in Rebecca Solnits Buch "Die Kunst, sich zu verlieren. Ein Führer durch den Irrgarten des Lebens" eine Bestätigung ihrer Interpretation zu finden. "Missbrauch isoliert dich mehr als alles andere, weil du nicht mit den Menschen um dich herum darüber sprechen kannst", sagt sie. "Als ich diese Lieder schrieb, fühlte ich mich einerseits sehr allein, andererseits gesamtkulturell betrachtet aber auch wieder überhaupt nicht, weil inzwischen ein Vokabular existierte, mit dem ich mich ausdrücken konnte. Als ich 'Vertigo' sah, fühlte sich meine Interpretation zunächst durch Einsamkeit verzerrt an, bis ich einige Monate später Rebecca Solnits Abhandlung dazu las und mir bewusst wurde, dass ich mit meiner Sicht der Dinge der Zeit keineswegs voraus war, wenngleich die Interpretation nicht besonders populär und tief verborgen ist." Obwohl der schmale Grat zwischen Zuneigung und Belästigung ein wiederkehrendes Thema für Von Schleicher darstellt, ist "Consummation" weder ein Konzeptalbum noch eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Leinwandklassiker. Vielmehr nutzte sie den Film als Leitschnur, um inakzeptable männliche Verhaltensmuster oder die Scham der Opfer zu thematisieren und so von eigenen traumatischen Erfahrungen zu größeren gesellschaftlich-kulturellen Problemstellungen vorzustoßen, wenn sie unverblümt Depressionen, Hingabe oder zerstörerische Liebe in den Fokus rückt oder die Unfähigkeit thematisiert, psychische Distanzen zwischen sich selbst und einem anderen Menschen zu überwinden. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Für die Hörer, die nicht mit Von Schleicher in die Abgründe der menschlichen Existenz eintauchen wollen, hält "Consummation" abseits der oft bedrückenden Texte eine faszinierend abwechslungsreiche, oft ungleich positiver gestimmte Klangwelt bereit, mit der den Texten etwas an ihrer Schärfe genommen wird. Treffenderweise ist das Album deshalb bereits als "intensiv, aber unterhaltsam" beschrieben worden. "Mein Ziel war es, eine Platte zu machen, die um düstere, heftige Themen kreist, dabei aber fröhlich klingt", erklärt sie. "Das Album zu hören soll nicht die traumatische Erfahrung sein, um die es textlich geht."

Entstanden ist die Musik deshalb unter anderen Vorzeichen als früher. Waren lange Jahre Piano und andere Keyboards Von Schleichers wichtigste Werkzeuge, baute sie die Songs nun oft um selbstgebastelte Drumloops herum auf und ersetzte dabei die subtile Verzweiflung, die ihre Lo-fi-Frühwerke auszeichnete, des Öfteren durch brodelnde Wut und einen geradezu grungy anmutenden Sound, bei dem raue Fuzz-Gitarren wichtiger sind als filigrane Synthesizerflächen. "Mein Können an der Gitarre ist recht überschaubar, und das hat dazu geführt, dass ich ganz andere Harmonien schrieb", verrät sie. "Ich habe die Erfahrung als sehr befreiend empfunden, denn eine Gitarre in Händen zu halten, gibt dir ein Gefühl von Macht." Ein wenig scheint die Beschäftigung mit der Gitarre sogar die Punkrockerin in Von Schleicher geweckt zu haben. "Das ist ein fürchterliches Klischee, aber wenn ich Gitarre spiele, fühle ich mich wie ein 15-jähriger Junge: 'Mom! Dad! Ihr habt mir keine Vorschriften zu machen!'", gesteht sie lachend. Doch nicht nur hinsichtlich der Herangehensweise an ihr Songwriting steckte sich Von Schleicher neue Ziele. Für "Consummation" schrieb sie erstmals deutlich mehr Songs, als letztlich auf der Platte gelandet sind, und wählte am Ende die 13 aus, die die richtige Energie für die Art von LP hatten, die ihr vorschwebte. Zwei weitere erscheinen auf einer 7"-Single, die der handnummerierten Limited Edition in Großbritannien beiliegt, doch auch die restlichen Songs sind nicht verloren. Aus ihnen will Von Schleicher eine EP zusammenstellen, die mit mehr Live-Charakter und Streichern ganz anders klingen soll als das aktuelle Album und noch in diesem Jahr erscheinen könnte.

Die Produktionsphase von "Consummation" schloss sich fast nahtlos an die erste LP an, die Von Schleicher für jemand anders produzierte - das Album "Compair And Despair" von Youbet, das im Januar bei Ba Da Bing erschienen ist. "Das Songschreiben ist für mich eine so persönliche, intensive, emotionale Angelegenheit, deshalb genieße ich es, beim Produzieren von Platten mehr Abstand zu haben. Das kann richtig Spaß machen!", sagt sie über die neue Aufgabe. "Außerdem habe ich so das Gefühl, dass es für mich in der Musik auch langfristig eine Zukunft gibt. Ich würde das auf jeden Fall gerne öfter machen." Die Zusammenarbeit mit Youbet färbte aber auch in anderer Hinsicht auf "Consummation" ab. "Nick Llobet, der Songwriter hinter Youbet, hat gemeinsam mit einem ganzer Reihe Musiker diese A-song-a-week-Gruppe ins Leben gerufen, in der wir idealerweise wöchentlich Beiträge posten", erklärt Von Schleicher. "Einige der Songs meiner neuen Platte - speziell 'Power' und 'Messenger' - entstanden, um sie der Gruppe hinzuzufügen. Erst später wurden daraus Albumsongs. Außerdem ist Nick ein großartiger Songwriter, und seine Sachen zu hören, ist für mich Ansporn, mich ins Zeug zu legen und aufzuholen." Sie muss lachen. "Das Ganze war eine sehr gute Erfahrung!"

Doch auch wenn sie dieses Mal vieles anders gemacht hat, setzte Von Schleicher für "Consummation" lieber auf konsequente künstlerische Weiterentwicklung, als sich wie so viele Musiker derzeit in der vagen Hoffnung auf größeren kommerziellen Erfolg ständig neu zu erfinden. "In der Tat gibt es heute viele Künstler, die bisweilen das Kind mit dem Bade ausschütten, aber ich denke, das ist der Zeit geschuldet, in der wir leben", sagt sie. "Wir alle fühlen den Drang, etwas abzuliefern, das ansprechend ist, denn es wird von Tag zu Tag schwerer, Gehör zu finden. Die größte Herausforderung für mich war es, das Primitive meiner frühen Aufnahmen zu bewahren, denn ich denke, genau das ist das Charmante. Ich bin keine perfekte Musikerin, ich kann keine perfekte Platte machen. Natürlich könnte ich Musiker engagieren und mit ihnen ein perfekt klingendes Album machen, aber ich denke, dann würde ich das verlieren, was ich anzubieten habe - was auch immer das ist." Ganz ohne "a little help from her friends" ging es dann aber doch nicht: Unterstützung erhielt sie auch dieses Mal von langjährigen Wegbegleitern wie Julian Fader oder Adam Brisbin oder von ihrem Mitbewohner Nate Mendelsohn, mit denen sie nicht nur musikalisch auf einer Wellenlänge ist. "Für uns alle gibt es wichtigere Dinge als Erfolg", erklärt sie. "Viele meiner Freunde sind Ende 20, Anfang 30 und haben inzwischen eine neue Sicht der Dinge gewonnen. Heute machen wir Musik eher, weil es uns ein Bedürfnis ist und aus reiner Freude an der Zusammenarbeit und am Tun. Das ist einfach … schön!"

Weitere Infos:
www.k-v-s.net
facebook.com/KatieVonSchleicher
twitter.com/katiecanthang
www.instagram.com/kvschleicher
katievonschleicher.bandcamp.com
www.youtube.com/channel/UC--jvl_UpXqXCkf88txTxBA
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Shervin Lainez-
Katie Von Schleicher
Aktueller Tonträger:
Consummation
(Full Time Hobby/Rough Trade)
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