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KATY KIRBY
 
"Es war ein wilder Ritt!"
Katy Kirby
"Wen musstest du abmurksen, damit du es in die New York Times geschafft hast?" Diese brennende Frage ziert die kitschig-bunte Feuerwehr-Motivtorte, die Katy Kirby vor einigen Tagen von ihren Freunden geschenkt bekommen hat - dabei war der Beitrag in der altehrwürdigen US-Tageszeitung ja nur eine von vielen Lobeshymnen, die die junge amerikanische Singer/Songwriterin weltweit eingeheimst hat, seit sie Mitte Februar ihr famoses Debütalbum "Cool Dry Place" veröffentlicht hat.
Keine Frage, Katy Kirby surft derzeit auf der Erfolgswelle. Ganz geheuer ist der sympathisch-quirligen 25-Jährigen der plötzliche Status als Indie-Shootingstar allerdings nicht. "Bitte helft mir", flehte sie am vergangenen Wochenende in einem Social-Media-Post. "Mein Album ist jetzt seit einer Woche draußen und seitdem bin ich von Fremden und Freunden gleichermaßen mit Freundlichkeiten erstickt worden. Das darf mir einfach nicht zu Kopf steigen!" Die Idee, ihre Fans und Follower zu bitten, die schlechteste Textzeile aus dem Album zu posten, um so für die gewünschte Bodenhaftung zu sorgen, ging allerdings komplett nach hinten los. Kein Wunder, sind Kirbys gerne ein wenig ironischen Selbstfindungssongs auf "Cool Dry Place" doch vom ersten bis zum letzten Wort vollgestopft mit herrlich abstrusen Bildern und zitierfähigen Formulierungen wie "The only time you're high is / when you're holding your breath".

Doch auch wenn für Kirby derzeit alles ganz schnell geht: Der Weg zu ihrem Erstling war weit. Aufgewachsen in einem christlich geprägten Haushalt in der texanischen Kleinstadt Spicewood, ersetzten Heimunterricht und evangelikale Grundwerte und Kirchenmusik Harry Potter und den Disney Channel und ganz allgemein den popkulturellen Hintergrund, der für die meisten aufstrebenden jungen Künstlerinnen und Künstler heute eine kaum hinterfragte Selbstverständlichkeit ist. "Ich beneide die Leute, die mit der Musik der Beach Boys aufgewachsen sind und sich durch die coole Plattensammlung ihrer Eltern hören konnten", gestand sie unlängst in einem Interview mit dem US-Magazin Vice. "Ich selbst habe überhaupt keine Wurzeln in Classic Rock oder Pop." Ihr ausgeprägtes Gespür für eingängige Melodien konnte sie allerdings auch im Gemeindechor schärfen, bevor sie die Welt (und die Musik) jenseits der Kirchenbänke entdeckte und begann, ihren Glauben infrage zu stellen und Gott als allgegenwärtige Präsenz aus ihren Gedanken zu verbannen. Ihre Verwirrung und ihre Zweifel ließ sie noch im Teenageralter in ihre ersten Songs fließen.

Fürs Studium zog sie nach Nashville, Tennessee, und musste erst einmal eine ganze Weile suchen, bis sie sich und ihren Weg gefunden hatte. Gleich fünf Mal wechselte sie ihr Hauptfach, bevor sie ihren Anglistik-Abschluss in der Tasche hatte, und auch als Musikerin scheiterte sie mehrfach bei dem Versuch, ihr Debütalbum aufzunehmen, obwohl sie eine erste EP bereits 2014 veröffentlicht hatte. "Es war ein wilder Ritt", erinnert sie sich im Gespräch mit Gaesteliste.de. "Tatsächlich habe ich bereits 2018 angefangen, das Album in Angriff zu nehmen. Damals war ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich überhaupt in der Lage bin, das durchzuziehen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich es mir selbst schuldete, es zumindest zu versuchen, da ich schon lange den Wunsch hegte, zumindest einmal in meinem Leben ein Album zu machen." Genau diese bescheidenen Ambitionen sind es auch, die sie nun ungläubig mit dem Kopf schütteln lassen. "Ich bin ehrlich gesagt ein klein wenig geschockt und gleichzeitig stolz auf mich selbst, wie gut ich das - gemeinsam mit meinen Mitstreitern - alles hinbekommen habe", verrät sie. "Ich hätte mir nie träumen lassen, dass das alles so prima funktioniert oder dass die Platte auch nur annähernd so cool klingen würde, denn zunächst hatte ich die Idee, sie größtenteils allein zu produzieren."

Glücklich wurde sie im Alleingang allerdings nicht. Während andere lediglich daran scheitern, die Ideen in ihren Köpfen in Töne zu übersetzen, war bei Kirby der Grund für den anfänglichen Misserfolg grundlegender. "Das Problem war, dass ich nicht wusste, was ich wollte", sagt sie zerknirscht. "Ich damals mich nicht als Produzentin betrachtet - vielleicht auch, weil es so wenig Frauen in dieser Rolle gibt - und in gewisser Weise ist das auch jetzt noch so. Ich habe mich immer nur als Songwriterin gesehen und hatte einfach nie gelernt, mir die fertig arrangierten und produzierten Songs in meinem Kopf auszumalen. Es zu versuchen und daran zu scheitern, hat mich gelehrt, schneller an den Punkt zu gelangen, an dem ich weiß, was ein Song braucht."

Aufgefangen wurde sie von Freunden aus Nashvilles weitverzweigter Künstler-Community, die sie dabei unterstützten, ihre coolen Songs auch in coole Sounds zu kleiden. "Ich hatte das Glück, für das Album mit zwei der hellsten Köpfe zusammenarbeiten zu dürfen, die ich kenne", erzählt sie. "Logan Chung ist der wohl brillanteste Musiker, der mir bislang begegnet ist, und er hat mir wahninnig dabei geholfen, die Lieder zu formen und zu produzieren. Alberto Sewald ist ein begnadeter Tontechniker und selbst auch Musiker, und zusammen sind sie einfach zwei der fähigsten Menschen in meinem Alter, die ich je getroffen habe. Ihnen zu vertrauen und dieses Vertrauen im Laufe der Zusammenarbeit weiter wachsen zu sehen, war ein großes Geschenk." Das Resultat sind farbenfroh-organische Lieder, die Folk und Indie-Pop streifen, keine Scheu vor modernen Gimmicks kennen und am Ende nicht nur beeindruckend vielseitig, sondern auch ungewohnt eigenständig klingen.

Kirbys heimlicher Trumpf bleibt allerdings ihr fragmentarisches Storytelling, das sie dazu nutzt, ihre eigene Vergangenheit umzudeuten. Weil die Wahrheit nie einer guten Geschichte im Weg stehen sollte, scheinen ihre Lieder oft einen autobiografischen Kern zu haben, blühen aber erst in einem fiktiven Paralleluniversum so richtig auf. "Das hätte ich selbst nicht besser sagen können, das ist genau das, was passiert!", bestätigt sie. "Oft schreibe ich über Dinge, die mir vielleicht so oder ähnlich passiert sind, aber ich scheue mich nicht davor, mir im Umgang mit den Fakten sämtliche künstlerischen Freiheiten zu gönnen." Während bei vielen anderen jungen Singer/Songwriterinnen das eigene Tagebuch die Themen vorzugeben scheint, ist Kirbys Herangehensweise ans Schreiben merklich freier. "Meistens steht eine einzelne Zeile am Anfang", sagt sie über ihren Arbeitsprozess. "Ich glaube, ich habe noch nie einen Song geschrieben, bei dem ich vorab schon wusste, wovon er handeln würde. Ich liebe Sprache und deshalb haben die meisten meiner Lieder oder zumindest die dieser LP ihren Ursprung in Zeilen, die ich irgendwann in meinem Handy festgehalten habe - etwas aus meinem Leben oder einfach irgendeine Art von Fiktion, die meinem Hirn entsprungen ist. Anschließend arbeite ich das dann so lange aus, bis eine Geschichte entsteht."

Es sind Geschichten, die um Gold, Familie und Selbstzweifel kreisen und dabei mit einem beachtlichen sprachlichen Können und faszinierenden Detailreichtum begeistern. Ein wenig erinnert die Wortdichte bisweilen an Courtney Barnett, die allerdings vor einigen Jahren gestand, dass sie manchmal zu weit geht und dann nur rigoroses Editieren die Texte davor bewahrt, nicht überladen zu klingen. Ein Problem, das auch Kirby kennt: "Zunächst einmal: Courtney Barnett ist wirklich großartig darin, unglaublich viele Details in ihren Liedern unterzubringen, das mag ich sehr! Allerdings passiert es mir in der Tat bisweilen, dass ich beim Schreiben an einen Punkt komme, an dem ein Song überladen wirkt. Bei den Liedern auf 'Cool Dry Place' habe ich das einfach geschehen lassen, bei den Liedern, die ich derzeit schreibe, bin ich stärker darauf bedacht, sie ihm Zaum zu halten und ein bisschen mehr Raum zwischen den einzelnen Bildern zu lassen, weil ich mir bewusst bin, dass ich manchmal übers Ziel hinausschieße. Einerseits ist das eine nette Fingerübung, andererseits fällt es mir oft nicht leicht, die 'supergenialen' Bilder, die ich mir ausmale, hinter mir zu lassen, aber manchmal verlangt ein Song einfach danach, genau das zu tun."

Eine der auffälligsten Zeilen auf "Cool Dry Place" stammt dagegen nicht von Kirby. In "Secret Language" zitiert sie kurz den Anfang von Leonard Cohens "Hallelujah", um sich und die Geschichte auf den Weg zu bringen. Wie kam es dazu? "Das Lied ist vor langer Zeit entstanden, deshalb muss ich erst einmal kurz überlegen, wie es dazu kam", erwidert sie. "Ich glaube, eigentlich sollte die Zeile nur ein Platzhalter sein, aber dann entwickelte sich daraus ein Lied über meine seltsame Verbindung zu allem Göttlichen, und deshalb hatte ich am Ende das Gefühl, dass es falsch gewesen wäre, die Zeile zu ersetzen." Sie hält kurz inne und beißt sich auf die Lippe. "Ich kann nur hoffen, dass mir die Erben von Mr. Cohen deshalb keine Schwierigkeiten machen!"
Obwohl die COVID-19-Pandemie natürlich auch Kirby einen Strich durch sämtliche Tourneepläne für die kommenden Monate gemacht hat, geht sie bemerkenswert gelassen mit dem derzeitigen Ausnahmezustand um. Eigentlich betrachtet sie die aufgezwungene Auszeit sogar eher als Segen denn als Fluch. "Ich fühle mich ein wenig schlecht dabei, das zu sagen, weil die Pandemie so viele Leben und Existenzen zerstört hat, aber mir als Songwriterin kam das alles sehr gelegen", sagt sie. "Der Lockdown hat mir den Freiraum verschafft, den ich einfach gebraucht habe. Gleichzeitig vermisse ich gerade das Touren sehr, zudem ist es ja momentan auch nicht so leicht, mit anderen zu kollaborieren oder überhaupt nur gemeinsam zu proben. Inzwischen ist es fast ein Jahr her, dass ich das letzte Mal mit anderen Leuten in einer Band gespielt habe - und das fehlt mir doch sehr!"

Auch wenn sie sich hochtrabende Wünsche und Erwartungen inzwischen sicherlich leisten könnte, bleibt sie bei den Plänen für die nähere Zukunft ähnlich zurückhaltend und genügsam wie in der Vergangenheit. "Weil gerade so viel in der Schwebe ist, versuche ich gar nicht erst, große Pläne zu schmieden", erklärt sie gelassen. "Das Einzige, was ich mir vorgenommen habe, ist, bald mit der Arbeit an meiner zweiten Platte zu beginnen, und ich denke, das kriege ich hin - auch unabhängig davon, wie sich die COVID-Situation hier in den Vereinigten Staaten entwickelt. Das ist das Einzige, über das ich mir hinsichtlich Zukunft Gedanken gemacht habe. Alles andere nehme ich so, wie es kommt!"
Weitere Infos:
kirbykaty.com
www.facebook.com/katykatykirbykirby
twitter.com/KatyKirby_
www.instagram.com/katykirbs
katykirbyon.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Jackie Lee Young-
Katy Kirby
Aktueller Tonträger:
Cool Dry Place
(Keeled Scales/Cargo)
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