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CAT POWER
 
Covers, die 3.
Cat Power
Spätestens seit Chan Marshall sich von der rätselhaften und lebensbedrohlichen Autoimmunkrankheit erholt hat, die sie nach der Veröffentlichung ihres Albums "Sun" plagte und sich von ihrem alten Label emanzipierte, sowie nicht zuletzt seit der Geburt ihres Sohnes Boaz scheint sie mit sich im Reinen zu sein und wagte mit dem 2018er Album "Wanderer" einen selbstbestimmten Restart. Obwohl sie sich auf der Bühne seither wesentlich aufgeräumter und längst nicht mehr so instabil wie zu Beginn ihrer Laufbahn zeigte, hat sich eines gegenüber früher nicht geändert - und das ist der Umstand, dass Chan Songs aller Art weniger als Produkte eines kreativen Prozesses, sondern als selbständige, lebendige Wesen betrachtet, die sich einer strikten Kontrolle sowieso entziehen. Das führt zum einen dazu, dass sie ihr eigenes Material immer wieder den emotionalen und atmosphärischen Gegebenheiten anpasst - und zum anderen dazu, dass Coverversionen seit jeher einen ganz wesentlichen Teil ihres kreativen Outputs darstellen - zunächst bei ihren Konzerten und beginnend mit dem 2000er Album "The Covers Record" auch zunehmend auf Tonträgern. Nachdem sie 2008 mit dem Album "Jukebox", das sie mit der eigens zusammengestellten Dirty Delta Blues Band einspielte, diesbezüglich noch ein Mal nachlegte, folgt nun mit "Covers" ihre dritte Kollektion mit Cover-Songs, die sie mit ihrer aktuellen Live-Band einspielte und auf der sich unter anderem auch jene Songs finden, die sie in den letzten Jahren in ihre Live-Shows eingewoben hatte.
Die "Covers"-Songs wurden noch vor der Pandemie eingespielt. Wie hat Chan diese denn überstanden? "Nun ja - zunächst mal bin ich froh zu hören, dass du noch am leben bist", meint Chan, "ich habe in der Pandemie gleich am Anfang einen Freund verloren und ich glaube, meine Großmutter ist daran gestorben, was aber nicht bestätigt werden konnte, da das auch gleich am Anfang war. Es war also nicht ganz einfach. Ich habe es aber überlebt. Ich war zum ersten Mal in meinem ganzen Leben längere Zeit zu Hause und ich habe meinem Sohn beigebracht zu lesen, zu schreiben und zu rechnen. Das war also das Positive, was sich aus dieser schrecklichen Zeit ergeben hat. Vor einem Monat konnte ich dann wieder auf Tour gehen - das war aber die erste Arbeit, die ich seit November 2019 hatte." Im Rahmen dieser Tour kündigte Chan dann in der Fernseh-Show von James Cordon offiziell an, dass es nun wieder ein neues Album mit Coverversionen geben sollte. Wurde dieses mit der aktuellen Band eingespielt? "Jawohl der Herr", bestätigt Chan, "ich habe zwar auch vieles selber gemacht - aber ja, die Band war dabei." Das ist ein interessanter Punkt, denn Chan wird in den Credits des Albums nun auch als Produzentin gelistet. "Ja, das ist das Gleiche wie bei meinem letzten Album 'Wanderer' und das ist das Gleiche wie bei dem Album 'Sun' und 'Juke Box' und 'The Greatest' und 'Moon Pix' und 'You Are Free'. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich das ausbuchstabieren müsste, bis ich feststellte, dass mein altes Plattenlabel diesen Titel immer irgendwelchen Männern zugeschrieben hatte - auch wenn das gar nicht der Fall war. Deswegen schreibe ich das jetzt ausdrücklich auf meine Scheiben."

Vor kurzem erschien ja der Soundtrack zu dem neuen Film des Regisseurs und Schauspielers Sean Penn - der dafür bekannt ist, eine besondere Beziehung zwischen der Musik und den Inhalten seiner Filme herzustellen. Auf diesem Soundtrack finden sich auch einige Beiträge von Cat Power - darunter auch neue Stücke, die Chan für den Film schrieb. Wie kam das Projekt zustande? "Sean Penns Tochter Dylan (die in dem Film neben ihrem Vater die Hauptrolle spielt) fragte ihren Vater, ob er von mir gehört hatte und er verneinte das. Sie bat Sean daraufhin, sich mit mir beschäftigen sollte und dann erhielt ich einen nervösen Anruf von Eddie Vedder, der fragte, ob Sean mich nicht mal anrufen könne." Eddie Vedder arbeitet seit längerer Zeit als musikalischer Direktor mit Sean Penn zusammen und ist mit Chan gut befreundet. "Ich habe dann Sean getroffen und er hat mir den Film vorgespielt, in den ich mich gleich verliebt habe", fährt Chan fort, "weil darin so viele Dinge zu sehen sind, die auch in meinem Leben so passiert sind." In dem Film geht es um die schwierige Beziehung zwischen einer jungen Frau, die nach ihrem Platz im Leben sucht und ihrem Vater - einem erfolglosen, alkoholabhängigen Kleinkriminellen, der sich in zunehmend aussichtsloseren Situationen verstrickt. Auf welche Parallelen zu ihrem eigenen Leben spielt Chan denn da an? "So ziemlich alles", erzählt sie, "wie sie am Anfang des Films im Auto sitzt, eine Journalistin werden will, als Teenagerin obdachlos ist, die Fehltritte... aber eigentlich will ich darüber gar nicht sprechen. Als Sean sich meine Musik angehört hatte, meinte er zu Eddie, dass ich wohl jemand sei, die ihn und seine Filme verstehen würde. Sean ist ein wirklich einfühlsamer Mensch." Das ist ein gutes Stichwort: Als der Arthouse-Regisseur Wong Kar Wai 2007 seinen Film "My Blueberry Nights" drehte, machte er Chans Musik ihres Albums "The Greatest" auf dem Set zum Leitmotiv der Dreharbeiten und bot Sean dann eine kleine Rolle an der Seite von Jude Law und Norah Jones an. Damals erwog sie, einen Weg als Schauspielerin einzuschlagen. "Das war vor einer langen Zeit", meint Sean, "und dann hat das Leben die Kontrolle übernommen."
Kommen wir aber mal zu den ausgewählten Songs auf dem neuen Covers-Album. Vor langer Zeit meinte Chan ein Mal, dass sie ihre Songs gar nicht so sehr nach musikalischen Gesichtspunkte auswähle, sondern wegen der Menschen, die daran beteiligt wären. "Wann habe ich das gesagt?", fragt sie nach, "ich denke, dass es mir heutzutage um den Song und den Sänger geht. Es geht auch um das Gefühl - und manchmal auch nur um die Musik. Miles Davis hat ja schließlich keine Texte, weißt du? Auch wenn Songs keine Texte haben, können sie ja Gefühle vermitteln. Allerdings wohl nicht jedermann. Manchmal fühlen die Leute einfach mit ihrem Hintern und wollen den dann lieber schütteln als Texte hören." Gibt es denn ein Prozedere, wie Chan die Songs, die sie zu covern gedenkt auswählt? In einigen Fällen ist das ja so, dass sie diese in ihre eigenen Songs einwebt. In der Vergangenheit schlichen sich zum Beispiel regelmäßig Zeilen aus Billie Holidays "Sophisticated Lady" in ihre Shows ein und in den letzten Jahren war es Frank Oceans "Bad Religion", der bei ihren Live-Shows zunächst ihren eigenen Song "In Your Face" von der LP "Wanderer" ergänzte und mehr und mehr an Gewicht gewann. Schließlich gingen die beiden Stücke nahtlos ineinander über und bildeten den emotionalen Höhepunkt von Chans Live-Shows. "Korrekt", bestätigt Chan, "nicht jedem ist das aufgefallen. Ich schätze also sehr, dass du das bemerkt hast. Mich hat 'Bad Religion' stets aufgerichtet." Mit anderen Songs - wie z.B. der "Unhate"-Version ihres eigenen Stückes "Hate" mit leicht veränderte Text - scheint Chan ähnlich zu verfahren, während wieder andere Songs einen ganz anderen Hintergrund haben, wie z.B. "I'll Be Seeing You" von Billy Holiday, den Chan ihrem 2019 verstorbenen Freund Philippe Zdar widmete, mit dem sie zuvor an ihrem Album "Sun" und dessen Album "Dreems" zusammengearbeitet hatte. "Ja, ich wurde von seiner Frau (Dyane de Serigny), die auch ein sehr gute Freundin ist, gebeten, das Stück auf seiner Beerdigung zu singen", erklärt Chan. Im Studio scheint es also ähnlich impulsiv zuzugehen, wie auf der Bühne - wo sich Chan ja oft tranceartig in ihre Performance hineinzusteigern scheint. Woran denkt sie zum Beispiel, wenn sie einen Song intensiv mit geschlossenen Augen durchlebt? "Das ist eine sehr gute Frage", meint sie, "lass mich mal versuchen, sie zu beantworten. Darüber muss ich gerade mal nachdenken. Also ich würde sagen, dass ich mich einem Bewusstsein gegenüber öffnen möchte, das sich aus all den Gefühlen und Gedanken, die wir haben zusammensetzt. Ich denke, ich versuche eine interdimensionale Präsenz zu beschwören, damit ich den Song auf eine möglichst aufrechte, direkte Weise interpretieren kann." Chan lacht daraufhin. Das heißt nicht, dass sie nicht meint, was sie sagt, sondern eher, dass sie sich nicht sicher ist, dass es verständlich ist. Nun ja: Immerhin sagt sie nicht mehr alle 30 Sekunden "I'm sorry" oder "Are you mad at me?" wie das früher üblich war.

Mit Stilen und Genres beschäftigt sich Chan dann wohl nicht wirklich, oder? "Wie meinst du das? Wenn ich etwas aufnehme? Absolut nicht. Ich will einfach etwas spielen und singen, was mir gefällt und dabei die Mittel einsetzen, die mir zur Verfügung stehen - wie mein Hirn und meinen Körper, meine Stimmbänder, meine Hände und mein Unterbewusstsein. Und zwar auf die beste Art und Weise, der ich fähig bin." Oha: Dann ist das sicherlich auch eine körperliche Sache für Chan, oder? Immerhin liegt bei ihren Live-Konzerten oft eine fast körperlich greifbare Spannung in der Luft. "Hm - du bist die erste Person, der das aufgefallen ist", wundert sich Chan, "wenn ich das den Leuten erklären soll, dann kann ich nur sagen: Manchmal - aber keineswegs immer - ist das so. Ich verspüre dann eine Art Vibration, die durch meinen ganzen Körper geht - meine Beine, meine Hände, mein Gesicht, mein Torso - eigentlich alles. Alles vibriert und ich kann es auch nicht kontrollieren. Wenn das passiert, dann habe ich für gewöhnlich eine richtig gute Show. Das mag sich lahm anhören, aber wenn mein Körper vibriert und ich das nicht kontrollieren kann, ergibt das meine besten Performances. Ich weiß nicht, was das ist. Ich hatte schon an einen Anfall gehalten und es untersuchen lassen - aber man konnte keine neurologischen Ursachen feststellen." Oft wird das von Außenstehenden ja als Unsicherheit interpretiert? "Na ja - es können ja verschiedene Dinge passieren, wenn du auftrittst. Wir sind ja auch nur Menschen. Manchmal wird man ein Opfer der Verurteilungen durch das Publikum. Ich denke schon, dass man die Energie anderer wahrnehmen kann - aber nicht jedermann ist dementsprechend eingestellt. Manchmal ist eine Performance auch eine Befreiung - und manchmal ist man ein Opfer der Umstände. Wenn man unter solchen Umständen dann schüchtern und nervös wird, ist das - denke ich doch - ganz selbstverständlich. Das mit dem Vibrieren passiert auch nicht allzu oft. Wenn es passiert habe ich eine gute Show - aber ich habe nicht jeden Abend eine gute Show."
Fühlt sich Chan heutzutage auf der Bühne denn wenigstens wohler? "Als ich jetzt die Solo-Tour mit Alanis Morissette und Garbage gemacht habe, habe ich mich sehr wohl gefühlt, weil ich nicht die Künstlerin war, die irgendjemand gekannt hätte", erklärt Chan, "die Musiker und ein paar Freunde von mir, die gekommen waren, um mich zu sehen, kannten mich natürlich - aber hauptsächlich waren da Fans von Alanis und Garbage. Es war für mich eine tolle Erfahrung, weil ich an einer anderen Art von Schwelle als sonst stand. Ich war praktisch unsichtbar. Ich wusste ja noch von früher, wie das war - und es war ein nostalgisches Erlebnis für mich, weil ich mich daran erinnerte, wie es ist, unsichtbar zu sein. Deswegen war ich auch nicht nervös." Interessanterweise gibt es ja gerade auch zwei aktuelle Cover-Projekte von anderen Künstlern, auf denen Coverversionen von Cat Power-Stücken zu finden sind: Jason Isbells "Georgia Blue"-Projekt, auf dem Jasons Frau Amanda Shires Cat Powers "Cross Bone Style" singt und das dritte Album "Imposter" von Dave Gahan & Soulsavers, das mit einer mächtigen Power-Gospel-Version von "Metal Heart" glänzt (das Chan dereinst auf dem Jukebox-Album selbst bereits gecovered hatte). "Ja, davon habe ich gehört", meint Chan, "'Cross Bone Style' habe ich noch nicht gehört - das wollte ich heute machen. Wie ist die Version denn? Bei 'Metal Heart' habe ich nur kurz reingehört - es scheint aber eine sehr kraftvolle Version zu sein - ich weiß aber noch nicht, ob das das richtige Wort ist. Ich muss es mir noch mal anhören."

Was ist denn für Chan Marshall heutzutage die größte Herausforderung? "Mit diesem rassistischen Amerika umzugehen", meint sie sehr bestimmt, "und dem Sozialsystem. Das berührt mich ja auch und das ist das größte Problem." Wird das wohl auch einen Einfluss auf neue Songs, die Chan in Zukunft schreiben wird, haben? "Ich denke, das hat es immer schon", überlegt sie, "Amerika und die Welt um uns herum ist zumindest leicht verrückt - wenn nicht sogar vollständig und beständig. Die Gegensätze, die Heuchelei - ich denke, das wird immer das Material sein, aus dem meine Songs gewebt sind. Es ist dringlicher geworden, weil die Menschen heutzutage mehr 'woke' sind. Es beeinflusst die TV-Bildschirme, weil wir mit diesem Idioten-Monster Trump so lange zu tun hatten." Ist das denn mit der Biden-Regierung nicht ein bisschen besser geworden? "Ich würde nicht 'besser' sagen", zögert Chan, "aber zumindest können wir jetzt wieder atmen. Ich weiß aber nicht - es fühlt sich alles noch nach demselben Mist an. Das ist eine ewige Trauermaschine und ein andauernder Albtraum für Amerika und den Rest der Welt."

In diesem Jahr plant Chan - sofern es die Pandemie zulässt - auch wieder in Europa zu spielen. Auf neue, eigene Songs werden wir indes noch etwas warten müssen, denn momentan hat Chans Sohn etwas dagegen, wenn sie zu Hause musiziert, da es diesen (wie Chan berichtet) "traurig mache". Nun ja: Verwunderlich ist das ja nicht...
Weitere Infos:
www.catpowermusic.com
twitter.com/catpower
www.instagram.com/catpowerofficial
www.facebook.com/CatPowerSun
www.youtube.com/watch?v=W55EXZ2YYPw
www.youtube.com/watch?v=90qsTpEqjHA
www.youtube.com/watch?v=6IRxf4Ll5EE
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Mario Sorrenti-
Cat Power
Aktueller Tonträger:
Covers
(Domino Records/GoodToGo)
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