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ANNIE BLOCH
 
Traumhaft
Annie Bloch
Manchmal gibt es Platten, bei denen stimmt einfach alles: "Floors", das kurz vor dem Ausbruch der Pandemie veröffentlichte zweite Solowerk von Annie Bloch, ist eine davon. Aufgenommen in großer Bandbesetzung, fasziniert das Album durch einen herrlich wandelbaren Sound mit betont menschlicher Note, der, warm und rau zugleich, keine Idiosynkrasien scheut und so ehrliche Authentizität über glitzernde Perfektion stellt. Das Resultat sind sieben hinreißende, sich langsam entfaltende Songs mit persönlich gehaltenen Texten voller Intimität und Poesie, die das Indie in Indie-Folk betonen und den breit gefächerten musikalischen Background der in Köln lebenden Musikerin widerspiegeln, ohne deshalb den Fokus zu verlieren. Nachdem Annie im vergangenen November zusammen mit der Irin Muireann Ní Sheoighe Eachthighearn als Annie & Mo das Album "When You Get Here" veröffentlicht und sich dabei von ungewohnt ruhiger Seite gezeigt hat, haucht sie nun "Floors" neues Leben ein und veröffentlicht ein sehenswertes Video zu "Jónsi", einer der bemerkenswertesten Nummern der Platte.
Annie Bloch ist musikalisch in vielen Welten daheim. Aufgewachsen im niedersächsischen Diepholz, verbrachte sie prägende Jahre im irischen Cork, wo sie Musik und Literatur studierte und als Künstlerin erst so richtig aufblühte, bevor sie in Köln die Chance ergriff, ihren weitreichenden musikalischen Interessen uneingeschränkt nachgehen zu können. Nachdem sie auf "In Between", ihrem ersten Album, das sie mit 19 aufgenommen hatte, noch dem perfekten Take nachjagte, hat sie inzwischen an ihrer künstlerischen Vision gefeilt und dabei den Raum elektrischer Anspannung, schwebender Leichtigkeit und gefühlvoller Annäherung als Wohlfühlort erkannt und auch das Klavier, das damals ihr wichtigstes Instrument war, gegen die Gitarre eingetauscht. "Früher habe ich Klavier gespielt, weil ich dachte: Alle spielen Gitarre!", gesteht sie beim Treffen mit Gaesteliste.de. "Ich hatte auch ein wenig Angst, in das Klischee der Singer/Songwriterin zu rutschen, und ich merke auch heute noch, dass ich mit solchen Settings Probleme habe, weil es mir da zu sehr um Storys geht und mir der Fokus auf Sounds fehlt."

Künstlerisch fühlt sie sich deshalb dort zu Hause, wo schon immer die aufregendste Musik entstanden ist - im Spannungsfeld von Kontrolle und Loslassen, dem diffusen Dazwischen, wo klare künstlerische Vorstellungen auf eine natürliche Neugier und ein Grundvertrauen in den kollaborativen Prozess treffen. Das gilt für ihre Musik - auf ´Floors´ wird sie von einer zehnköpfigen Band begleitet, verzichtete aber bewusst auf langwierige Proben vor den Aufnahmen -, aber auch für die visuelle Umsetzung ihrer Songs. Wie schon "Too Drunk To Talk" vor zwei Jahren zeichnet sich nun auch der vor wenigen Tagen veröffentlichte Clip zu "Jónsi" durch ein unübersehbares Faible für Entschleunigung aus. Gibt es für Annie leuchtende Beispiele für diese Art der Ästhetik? "Ich würde sagen, dass ich selbst eigentlich sehr wenig Musikvideos schaue", sagt sie. "Manchmal packt mich ein Stil so richtig und ich schaue mir alle Musikvideos einer Band oder von Künstlerinnen und Künstlern an, zum Beispiel von St. Vincent oder Aldous Harding. Besonders schön finde ich die Videos, die zu dem Sigur-Rós-Album ´Valtari´ entstanden sind - ich glaube, sie sind alle in Slow-Motion. Was mir besonders gefällt, ist, wenn nur eine Idee dem Video zugrunde liegt und sich das Video daran entlanghangelt. Das erfordert vielleicht automatisch diese Langsamkeit."

Sigur Rós ist natürlich auch das Stichwort für den Song, zu dem das neue Video gedreht wurde und der auf "Floors" zumindest textlich etwas aus dem Rahmen fällt. Während die anderen Lieder von realen Personen zu handeln scheinen und so lebendig erzählt werden, dass das Publikum sofort mittendrin im Geschehen ist, erscheint Jónsi nur im Traum. "Genau, Jónsi, das ist der Sänger der Band Sigur Rós aus Island und gleichzeitig der Name seines Soloprojekts. Jónsi ist mir tatsächlich im Traum erschienen und hat mich gefragt, ob ich für ihn Orgel spielen kann. Der Song wurde dann im Arrangement teils eine Hommage an die Musik von Jónsi, teilweise wollte ich die Stimmung einfangen, wenn man morgens aufwacht und noch nicht ganz zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden kann, den Traum noch nicht loslassen will. Es geht dann nicht nur um Jónsi, sondern auch um diese Eigenart von Träumen, dass mehrere Personen zu einer werden und man von einem Ort zum nächsten hüpfen kann. Ich habe versucht, diese Stimmung auch in der Musik einzufangen."

Für den Clip zum Song arbeitete Annie erneut mit der Kamerafrau und Filmemacherin Chantal Bergemann zusammen, die auch schon an der Umsetzung von "Too Drunk To Talk" mitgewirkt hatte und nach dieser erfolgreichen Kollaboration auch dieses Mal die offensichtliche Wahl war. "Für mich war es sehr naheliegend, wieder mit Chantal zusammenzuarbeiten", sagt Annie. "Es ist sehr angenehm, mit ihr zu arbeiten, und sie versteht meine Wunschästhetik, ohne dass ich viel erklären muss. Im Austausch mit ihr wurden meine vagen Ideen erst konkret. Die Idee, in einer leeren Wohnung zu drehen, rührte daher, das Setting eines Traums nachzubauen, in dem etwas bekannt ist, aber irgendwie nicht ganz richtig. Auch das loophafte Kreisen ist für mich ein Traumelement. Von der befreundeten Künstlerin Ale Bachlechner kam die Idee, dass wir im Video immer nasser werden und uns den Regen in die Wohnung holen, ohne dass er fällt. Gleichzeitig wollte ich aber auch eine wohlige Stimmung zulassen, die nicht zu stilisiert ist. Dabei half es auch, dass die beiden anderen Musikerinnen und Musiker, die im Video erscheinen, befreundete Kolleginnen und Kollegen sind und das Drehen selbst total Spaß gemacht hat."

Die Ungezwungenheit und Spontaneität, die Annie beim Musikmachen so sehr schätzt, mussten derweil bei der Arbeit am Videoclip ein Stück weit zurückstehen. "Das stimmt", bestätigt sie. "Es ist auch ziemlich herausfordernd, dass auf der Videobildebene einfach noch so viel mehr Entscheidungen getroffen werden müssen, so kommt es mir als Fachfremde zumindest vor. Ich finde, dass ein Video genauso wie Musik eine sehr konkrete Stimmung hervorrufen kann. In diesem Prozess finde ich es aber spannend, die Musikstimmung auch ein bisschen loszulassen und eine neue Stimmung dazuzuholen."
Stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist Annie auch bei ihren Live-Auftritten, die nun hoffentlich bald wieder regelmäßiger stattfinden können. Egal ob solo, im Duo, im Trio oder wie zuletzt beim "I Depend"-Abend in der Niehler Freiheit in ihrer Wahlheimat, als sie von einem vielköpfigen Ensemble mit Streichern und Bläsern unterstützt wurde - bisweilen glaubt man bei Annies Konzerten, die Songs würden gerade erst vor den Augen und Ohren des Publikums entstehen. Zufall ist das natürlich nicht. "Live spiele ich eigentlich nie das gleiche Set zweimal", erklärt sie. "Ich nehme mir die Freiheit, die Songs immer wieder anders zu arrangieren oder sie mit anderen Leuten zu spielen, und achte dabei darauf, dass jede Person selbst etwas einbringen darf. Ich gehe da einerseits aus einer Folk-Richtung ran - dass man versucht, sich nahe zu sein -, aber andererseits auch aus einer Jazz-Perspektive - dass viele Sachen passieren dürfen." Sie hält kurz inne und ergänzt dann: "Einen Song so zu spielen, wie ich ihn immer spiele, oder eine Ansage zu machen, die ich schon mal gemacht habe - da habe ich selbst keinen Spaß dran!"


Weitere Infos:
www.anniebloch.com
www.facebook.com/annieblochmusic
www.instagram.com/annie.bloch
anniebloch.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Frederike Wetzels-
Annie Bloch
Aktueller Tonträger:
Floors
(Eigenveröffentlichung)
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