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Interview-Archiv

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ELENA STERI
 
An Element Of Surprise
Elena Steri
Zur Musik kam Elena Steri aus Nürnberg eher zufällig über den zweiten Bildungsweg: Sie studierte gerade Soziale Arbeit, als sie gebeten wurde, einen Song für ein Theaterstück zu schreiben, weil sich herumgesprochen hatte, dass sie im stillen Kämmerlein für sich an eigenem Material arbeitete, das sie bis dahin aber nicht für "öffentlichkeitsfähig" hielt. Das Ganze setzte - wie Elena sagt - ein Schneeballsystem aus Auftritten, Kontakten und Kollaborationen in Gang, an dessen Ende dann 2021 die mit dem Produzenten Jan Kerscher erarbeitete Debüt-EP "Chaotic Energy" stand, auf der Elena ihr musikalisches Terrain vielleicht nicht im klassischen Sinne absteckte (denn dafür ist es zu vielfältig und facettenreich), aber zumindest mal ihren Anspruch auf alles Mögliche anmeldete. Während "Chaotic Energy" noch ein Coming-Of-Age- und Selbstfindungs-Projekt war, stellt Elena ihre musikalischen Mittel auf der nun vorliegenden Debüt-LP "Soft Trigger" in den Dienst eines weiterführenden Konzeptes in Sachen Rollenbilder, Beziehungsdynamiken, Feminismus und Empowerment.
Von was lässt sich Elena denn musikalisch inspirieren? Was sind ihre Roots? "Meine Prägung meinst du?", fragt Elena, "ich habe als Kind gar nicht so viel Radio gehört. Ich war da sehr eigen. Ich habe zum Beispiel viel Radiohead und viele Film-Soundtracks gehört. Filmmusik hat mich immer schon interessiert und ich befasse mich immer noch damit. Ich habe aber auch sechs Jahre lang viel Metal gehört und HipHop. Davon hört man gar nicht so viel in meiner Musik. Aber heutzutage interessiert mich alles. Ich kann in jedem Song - außer vielleicht Schlager - einen Aspekt finden, den ich interessant finde - produktionstechnisch oder so. Das finde ich interessant beim Musikhören - dass mir vielleicht nicht der ganze Song gefällt, aber bestimmte Aspekte davon - ein kleiner Synthie-Sound oder die Rhythmik. Ich mag diese Betrachtungsweise." Es gibt dann also auch keine Erwartungshaltungen? "Nein - wenn ich Musik höre, dann höre ich aufmerksam. Ich habe auch lang getanzt und da hört man Musik ja auch ganz anders und achtet mehr auf Details. Ich mache mir dann Playlists und picke mir ganz viel zusammen. Ich bin auch mit der Musik von Sophie Hunger aufgewachsen und ich habe mir immer gedacht, dass ich so etwas auch mal machen wollte. Deswegen bin ich auch in vielen Genres zu Hause." Woher weiß Elena dann, was wie zusammenpasst und womit man was erreicht? "Der Startpunkt ist bei mir immer eine extreme Emotion", führt sie aus, "oder etwas, was mich beschäftigt. Ich kann mich nur mit etwas beschäftigen, wenn ich etwas sehr stark fühle - was mir nicht besonders schwierig fällt, weil ich hypersensibel bin. Und dann überlege ich mir gar nicht, zu welchem Genre der Song gehören soll, sondern was passt zu der Emotion, die ich gerade habe. Bei dem Song 'Mailman' geht es um das Thema Angst und deswegen hat der zum Beispiel viele Dissonanzen und er ist dramatisch und man fühlt sich unwohl, wenn man ihn hört. Ich habe den kurz vor einer Panik-Attacke geschrieben." Das ist ein interessanter Aspekt, weil nämlich gerade dieser Song gegen Ende hin in etwas dann doch sehr Versöhnliches umschlägt. Wer ist denn der "Mailman" und warum macht der Angst? "Also die Idee ist, dass ich immer gedacht habe, dass Angst wie ein Postbote ist, der Pakete bringt, die man nicht bestellt hat", erklärt Elena, "der Song erzählt die Geschichte von einem Postboten, der zunächst Pakete nur an die Türschwelle liefert und irgendwann dann aber in dein Haus einzieht - als Bild dafür, wie man sich von Angst einnehmen lassen kann. In dem Song habe ich sogar noch einen roten Briefkasten aufgehängt, um deutlich zu machen, dass ich jetzt hier bin für den Postboten. Die Frage ist dann: Ist der wirklich gegen meinen Willen hier oder habe ich den sogar hereingelassen? Und was denkt meine Angst von mir? Denkt sie, dass ich ein leichtes Ziel bin. Wenn man eine Angst-Beziehung hat, dann ist das wie eine richtige Beziehung. Wenn man viele Ängste hat, dann ist die Angst irgendwann normal. Das ist wie vielen mentalen Krankheiten. Ich hatte auch lange schwere Depressionen und irgendwann wusste ich nicht mehr, wer ich bin. Es fällt einem dann auch schwer, so etwas loszulassen. Am Ende des Tages hat man nämlich etwas, wovon ich weiß, was das ist. Die Angst und die Depression sind immer da. Da hat man dann irgendwann Angst sich vorzustellen, wer man ist, wenn das mal weg ist."
Elena Steri
In ihren Lyrics erwähnt Elena tatsächlich wörtlich Therapie-Sessions. Ist ihre Musik demzufolge denn auch als eine Art Autotherapie angelegt? "Auf jeden Fall", meint Elena, "ich schreibe schon, seit ich 13 bin und habe irgendwann gemerkt, dass ich gleichzeitig darüber schreiben kann, während ich Dinge verarbeite. Ich finde das sehr interessant, weil Musik nicht nur einen verarbeitenden, sondern auch einen bildenden Charakter haben kann - beispielsweise im Sinne der Selbstfindung. Und der Selbstbestimmung vor allen Dingen." Wie ist das zu verstehen? "Ich hatte ganz lange das Gefühl, dass mein Körper mir gar nicht mehr gehört und ich musste erst mal wieder mein Körpergefühl wiederfinden, denn ich hatte zuvor das Gefühl, dass mein Körper mit weggenommen wurde." Das ist insofern interessant, da der erste Song des Albums das Thema mit dem Titel "Error 404 - Body Not Found" aufnimmt. "Ja, ich wollte den Song halt nicht 'Intro' nennen", schmunzelt Elena, "das waren wir im Studio und ich meinte, ich wolle etwas sachliches als Titel - denn für mich fühlte sich das ja auch so an. Ich fühlte nichts körperliches, sondern eher gar nichts. Und da meinte mein Produzent zum Spaß: 'Error 404'." Und das ist in der digitalen Welt halt die Meldung, wenn etwas nicht gefunden werden kann."

Kommen wir mal zur Musik bzw. dem Song als Ganzem: Wonach sucht Elena da, wenn sie Musik macht? "Ich bin schon jemand, der auf Inhalt achtet", überlegt Elena, "und wie komplementär Inhalt und Musik sind - oder ob es cool ist, wenn es vollkommen unkomplementär ist. Für mich ist ein guter Song einer, der etwas in mir auslöst - und das müssen nicht nur gute Gefühle sein. Das ist wie bei einer Werbung. Manche Werbungen merkt man sich nur, weil sie so schlecht sind. Ein guter Song ist einer wo etwas - ein Aspekt - hängen bleibt und der einen Gedankengang anregt." Auf der Scheibe sind neben Jan Kerscher auch noch Novaa, Maria Basel und Tenderpeaks als Produzent(inn)en und musikalische Kollaborateurinne(n) tätig. Was ist der Hintergedanke dabei, denn Elena produziert ja auch und hätte im Grunde genommen auch alles selbst machen können? "Also, ich habe ja schon sehr viel selbst gemacht", zögert sie, "es waren aber eher Co-Produktionen als Produktionen, weil ich die Demos komplett selber gemacht habe. Ich fand das einfach interessant. Die EP habe ich ja mit einem Produzenten gemacht. Aber ich wusste ja wie Jan Kercher arbeitet und habe bei ein paar Songs gedacht, dass ich ihm die nicht geben wollte, weil ich wusste, was dabei herauskommt. Ich wollte mit anderen arbeiten, wo es ein bisschen so 'Element Of Surprise' gäbe - und das hat auch funktioniert, weil die Songs anders geworden sind, als ich gedacht habe; aber auch irgendwie gut. Und ich wollte mit FLINTA arbeiten. Ich wollte nicht einen Song über Sisterhood einem Mann geben." Das ist aber wohl nicht absolut zu sehen, denn in den beiden zusammengehörigen Songs "That's What He Said" und "That's What He Thought" versetzt sich Elena in die Gedankenwelt eines Mannes. Im ersten Song schildert sie, welche Rollenklischees der Vater seinem Sohn aufoktroyiert und im zweiten Song schildert sie die Gedanken, die der Vater einfach nicht aussprechen kann. "Ja, ich fand das interessant, das mal so rum zu denken", führt Elena aus, "ich habe mir überlegt, wo das herkommt, dass manche Männer sich so verhalten. Wenn man alleine ist, sind sie cool und man kann sich gut mit ihnen unterhalten, aber sobald sie in einer Gruppe sind, werden die unangenehm aufdringlich mackerhaft. Wenn man über Feminismus redet, muss man auch anerzogene Geschlechterrollen mitdenken - nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern. Feminismus bedeutet, dass alle Geschlechterrollen wegfallen und diese Geschichte wollte ich erzählen. Ich habe auch mit vielen männlichen Freunden von mir geredet und es war schon interessant zu erfahren, wie die aufgewachsen sind und wie das für die war den Zugang zu ihren Emotionen zu finden, die sie auch nicht immer hatten. In dem Song geht es um einen Vater, der versucht seinem Sohn Verhaltensmuster anzuerziehen und merkt, dass das nicht klappt, weil der Sohn schon einfach weiter ist und in einem Umkreis unterwegs ist, wo dieses Denken schon überholt ist."

Elena Steri hat also viel zusagen. Und das führt dazu, dass man sich zwangsläufig auf ihre Musik konzentrieren muss. Es ist zum Beispiel kaum möglich, ihre Musik als Background-Entertainment wahrzunehmen. "Ha ha - ich glaube, das habe ich nicht angestrebt, aber im Endeffekt sind es ja heavy Themen und die Musik ist auch ganz schön wuchtig. Es gibt Songs wie 'Me And My Headache', die man gut nebenbei hören könnte - aber dann gibt es auch sehr düstere Songs wie 'You Sat There', die eben kein Easy Listening sind. Es ist halt eine Scheibe, bei der man sich sehr gut hinsetzen kann, nur um sie zu hören - und das finde ich auch ganz schön. Ich muss dann ja auch gar nichts anderes nebenher machen, weil mir nicht langweilig wird. Das ist ja auch schon eine Kategorie an Musik für sich." Inwieweit kann man denn damit etwas bewirken? Geht das mit Musik heutzutage überhaupt noch? "Ich würde schon sagen - auf jeden Fall ja", meint Elena, "ich habe das auch schon selbst gemerkt, weil ich auch doziere und Songwriting-Workshops gebe - vor allen Dingen für FLINTA. Ich finde es interessant, mich mit Leuten auseinanderzusetzen, die noch ganz am Anfang sind und für die Musik aber auch ein krasser Anker ist. Es sind auch schon Leute zu mir gekommen und haben gesagt: 'Ich finde deine Musik so cool, weil ich das Gefühl habe, verstanden zu werden.' Das finde ich schön, wenn Leute so reagieren. Das Schöne an Musik ist, dass sie so zugänglich ist. Jeder kann alles hören und es ist ein Medium, das einfach alle erreicht, weil es eben omnipräsent ist. Das ist auch die Chance, dadurch Inhalte zu vermitteln." Macht sich der FLINTA-Aspekt eigentlich auch auf der rein musikalischen Ebene bemerkbar? "Ja", meint Elena, "da ist in den letzten Jahren unheimlich viel passiert. Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor dreieinhalb Jahren angefangen habe, kleinere Sachen in Nürnberg zu spielen und da gab es nur noch eine andere Frau, die Musik gemacht hat - und das hat sich heute doch stark verändert. Das schöne an der FLINTA-Szene ist, dass es wahnsinnig 'empowernd' ist und man sich gegenseitig pusht, unterstützt und sich hilft. Das ist sehr erfüllend." Und wie wirkt sich das stilistisch aus? "Ich finde, das bringt eine Softness in harte Genres hinein", überlegt Elena, "das finde ich sehr angenehm, weil es nicht immer so 'haudrauf' sein muss. Obwohl eine FLINTA-Punk-Band eine ganz andere Energie hat. Ich habe manchmal das Gefühl, dass da noch so viel ehrliche Wut ist, die raus muss, dass das sehr erfrischend ist."
Gilt das auch für Elena selber? "Ja, auf jeden Fall", betont sie, "den Song 'Not Gonna Lie' habe ich zum Beispiel geschrieben, als ich sehr wütend war. Ich war auf der Straße unterwegs und hatte gerade keinen guten Tag. Ich bin dann an einer Gruppe älterer Männer vorbeigelaufen und einer von denen hat gesagt: 'Schöner Hintern - kann man den auch anfassen?'. Ich glaube an jedem anderen Tag hätte ich etwas gesagt - aber da bin ich einfach auf dem Absatz umgedreht und habe dem meine Tasche ins Gesicht gehauen, weil ich so sauer war. Und da war ich sehr wütend und da ist der Song draus entstanden. Ich glaube aber nicht, dass Wut auch in wütenden Songs enden muss, denn bei dem Song 'Reset' war ich auch sehr wütend. Aber es ist wie Margarete Stukowski in dem Pressetext sagt: 'Hass will Zerstörung und Wut will Veränderung'. Man wird ja nur wütend, wenn man nicht möchte, dass der Ist-Zustand so bleibt. Und bei 'Reset' dachte ich mir, dass ich meine Wut zwar schon rauslassen wollte - aber ich wollte nicht, dass der Song verbittert klingt. Ich wollte, dass er etwas anschiebt. Ich konnte früher nie schreiben, wenn ich wütend war, aber ich denke, dieses Level habe ich damit so ein bisschen 'unlocked'."
Weitere Infos:
elenasteri.de
www.facebook.com/elenasteri
www.instagram.com/elena_steri
www.youtube.com/c/elenasteri
elenasteri.bandcamp.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Elena Steri
Aktueller Tonträger:
Soft Trigger
(Listenrecords/Broken Silence)
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