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WIDOWSPEAK
 
Den Moment einfangen
Widowspeak
"Widowspeak überfahren den Mittelstreifen zwischen den Genrespuren unentwegt, ohne den Verkehrsfluss zu gefährden", schrieb ein Kritiker sehr treffend über "The Jacket", das im Frühjahr veröffentlichte letzte Album der kleinen, großen Band Molly Hamilton und Robert Earl Thomas, und tatsächlich: Ruhig und besonnen verlassen sich die beiden Amerikaner auch auf ihrer inzwischen sechsten LP wieder ganz auf ihre Intuition und beschäftigen sich inhaltlich mit der eigenen Zeit und Arbeit und mit dem, was sie umgibt. Im Dunstkreis von Dream-Pop, Slowcore und Americana-inspiriertem Indie-Folk zelebrieren sie wunderbar unaufgeregt die Magie des Moments - und das gilt nicht nur für ihre Platten. Im Dezember stehen nun die ersten Deutschlandauftritte der Band seit mehr als fünf Jahren auf dem Programm. Am 01. Dezember spielen Widowspeak im Aalhaus in Hamburg-Altona und am 07. Dezember sind sie im Badehaus Berlin zu Gast, bevor sie am 16. Dezember den allerletzten Auftritt ihrer sechswöchigen Gastspielreise durch Euopa im Heppel & Ettlich in München bestreiten.
So unbeirrbar Hamilton und Thomas, die auch abseits der Bühne ein Paar sind, auch zu Werke gehen - konkrete Vorstellungen davon, was sie mit ihren Songs, ihren Alben bei ihrem Publikum auslösen wollen, hat das inzwischen wieder in New York heimische Duo durchaus. "Wir machen das Ganze inzwischen schon so lange, dass wir uns keine karrieretechnischen Ziele mehr setzen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen", erklärt Hamilton im Gespräch mit Gaesteliste.de. "Also ist das Sinnvollste, was wir tun können, einfach Songs zu schreiben, die sich für uns wichtig anfühlen, und unser Bestes zu geben. Wenn das die Menschen anspricht, dann ist das prima!" Das sieht auch Thomas so: "Ich träume davon, dass wir einfach weitermachen und uns mit der Zeit immer mehr Leute entdecken. Ich finde es großartig, wenn ich über eine für mich neue Band stolpere und feststelle, dass sie schon sechs Platten gemacht hat. Es wäre toll, wenn wir wachsen könnten, weil uns Leute, die bislang noch nichts von uns gewusst haben, uns in unserer kleinen Ecke der Welt finden."

Tatsächlich faszinieren Widowspeak nicht zuletzt durch die Bodenständigkeit, die aus solchen Aussagen spricht. Auch künstlerisch äußerst sich das, denn Hamilton und Thomas sind ihren ursprünglichen Idealen immer treu geblieben und nie der Versuchung erlegen, Trends in der vagen Hoffnung hinterherzulaufen, sich so auf die Überholspur des Erfolgs katapultieren zu können. Jede neue Platte - und da bildet 'The Jacket' keine Ausnahme - ist ein neues Kapitel mit betont eigener Färbung für das Duo, aber kein U-Turn, kein großspuriger Neuanfang, sondern schlichtweg nur der nächste Schritt auf dem einmal eingeschlagenen Pfad. "Alles, was wir mögen, hat Patina, ist behaglich", verrät Thomas. "Das auf unseren Sound auszudehnen, ist vielleicht ein unausgesprochenes Ziel unserer Band. Ich denke auch, sich immer neu erfinden zu wollen, hat eine begrenzte Halbwertzeit. Wenn sich alles immer nur um die größte Veränderung oder den größten Satz nach vorn dreht, gehen dir schnell die Optionen aus oder es wird verwirrend. Wir wollen lieber wir selbst sein und suchen nach Variationen innerhalb unseres abgesteckten Rahmens. Wir graben lieber tiefer, als den nächsten Kontinent entdecken zu wollen."

Trotzdem ist "The Jacket" nicht nur ein Abziehbild des feinen Vorgängers "Plum". Den betont glatten Sound ihres 2020er-Werkes haben Widowspeak für die aktuelle LP gegen eine rauere Klangfarbe mit oft wuchtiger Live-Atmosphäre eingetauscht, bei der Thomas' expressives Gitarrenspiel und Hamiltons betörende Stimme im intensiven Zusammenspiel ihrer Mitstreiter besonders hell erstrahlen. Zugrunde lag den Songs des im Frühjahr erschienenen Albums ursprünglich eine fantasievolle Rahmenhandlung aus dem Seidendistrikt einer namenlosen Stadt, bei der die Grenzen zwischen Fiktion und Widowspeaks eigener Biografie verwischten. Doch je mehr sich das Album entwickelte, desto weiter entfernte sich Hamilton von ihrem ursprünglichen Konzept, ohne dass sie rückblickend böse darüber ist. "Nach zwölf Jahren in dieser Band wissen wir, dass wir ein Album mit einigen wenigen losen Parametern angehen und uns die Freiheit geben können, daraus im Studio etwas komplett anderes zu machen", sagt sie. "Die Platte hat als Konzeptalbum begonnen, aber schon bald ging es nicht mehr darum, die Geschichte zu erzählen. Sie diente mir eher als Krücke beim Schreiben, sie gab mir einen Rahmen, aber trotzdem wurden am Ende doch wieder sehr persönliche Songs daraus."

Die Erkenntnis, der eigenen Wahrheit nicht entkommen zu können, ist nicht neu für die Songschreiberin Hamilton. "Ich denke, letztlich bin ich unfähig, wirklich die Perspektive einer anderen Person einzunehmen", sagt sie selbstkritisch. "Ich bin keine Schauspielerin, ich bin sehr leichtgläubig und ich denke, dass ich keine Worte singen und keine Lieder schreiben kann, wenn ich nicht das Gefühl habe, dass sie mich persönlich widerspiegeln." - "Wenn ich deine Arbeitsmuster beobachte, finde ich, dass du dich für abstrakte Ideen begeisterst, denen du am Ende deine eigenen persönlichen Details überstülpst", ergänzt Thomas. "Das verleiht den abstrakten Ideen ein Gefühl von Realität und Unbestreitbarkeit. Damit bringst du eine Art Hybrid in Gang, und ich denke, darum geht es beim Schreiben."
Widowspeak
Entstanden ist dabei ein echtes Bandalbum mit unbekümmertem Live-Charakter, das mit sanften Balladen beeindruckt, aber vor allem mit energiegeladenen Jams besticht, die Hamilton und Thomas unter der Produktionsregie des aus dem Daptone-Records-Umfeld stammenden Homer Steinweiss gemeinsam mit Michael Stasiak am Schlagzeug, J.D. Sumner am Bass und Beiträgen von Michael Hess an den Tasten aufgenommen haben, anstatt die Songs wie in der Vergangenheit in kleinen Schritten aufzutürmen. Sogar Hamiltons Gesangsspuren entstanden bei den gemeinsamen Aufnahmen der kompletten Band und klingen deshalb deutlich natürlicher als in der Vergangenheit, als es das auch im Studio spürbare, inzwischen überwundene Lampenfieber der Sängerin manchmal nötig machte, die Gesangsspuren Zeile für Zeile zusammenzuschneiden. "Bisweilen haben wir später das Gegenexperiment gemacht und Molly die Songs erneut singen lassen, aber das Original war stets besser, weil es aus dem Moment heraus entstanden war", erinnert sich Thomas an die Arbeit im Studio. "Auch das war Teil unseres Credos, den Songs ihren Willen zu lassen."

Vor allem Thomas kamen die Aufnahmen mit der kompletten Band entgegen. "Mir gefällt die Idee des Duos, aber ich mag es auch, wenn mein Gitarrenspiel ausdrucksstark sein kann und ich nicht das ganze Lied tragen muss", erklärt er. "Wenn du zu zweit spielst, gibt es nur eine begrenzte Anzahl Parts, und wenn du die Grundlage wegnimmst, dann verlierst du oft etwas Wichtiges. Ich bin ausdrucksvoller und verspielter mit meinem Gitarrenspiel, wenn ich weiß, dass es eine Band gibt, die alles zusammenhält. Ich mag es, mit der Dynamik zu spielen, und wenn du andere Leute dabeihast, die guten Geschmack haben und ihre Aufgabe verstehen, dann können sie ihre eigene Note einbringen und magische Dinge entstehen lassen!"

Doch auch Hamilton schätzt die Arbeit im Bandgefüge und die Idee eines Jam-orientierteren Sounds, weil sie sich von simplen Strukturen angezogen fühlt und das wiederholende Element des Folk mag, wo ganze Geschichten um wenige Akkorde aufgebaut werden. "Beim Jammen mit der Band ist das ähnlich", glaubt sie. "Du nimmst etwas sehr Simples und erschaffst allein mit Dynamik etwas, das am Ende deutlich komplexer ist. Deshalb habe ich bei diesem Album auch keine Bedenken gehabt, mich auf die simplen Elemente zu konzentrieren, anstatt zu denken: 'Sollte ich das irgendwie aufmöbeln oder sollte ich etwas hinzufügen, was das Publikum vielleicht in diesem Song erwarten würde?'"
Bleibt am Ende die Frage, was genau eigentlich der wichtigste Beitrag der Mitstreiter der beiden ist? "Nun, ich bin nicht in allem gut, also ist Können schon mal wichtig" antwortet Thomas. "Noch wichtiger, als Menschen mit bestimmten Talenten zu finden, ist für uns allerdings, wirklich musikalische Leute um uns zu haben, Leute mit guter Intuition - und, wenn ich ehrlich bin, einfach auch mit gutem Geschmack. Kinder stacheln sich gegenseitig an und entfachen Chaos, weil sie fürchterliche Sachen tun, aber wenn man mit Menschen zusammenarbeitet, deren geschmacklichen und ästhetischen Entscheidungen man vertraut, dann wird's richtig gut! Deshalb ist diese neue Platte in erster Linie ein Live-Album. Wir haben Demos der Songs aufgenommen, aber im Studio haben wir einfach den Aufnahme-Knopf gedrückt, ein paar Durchgänge aufgenommen und dann gesagt: 'Das war prima, wir haben den Moment eingefangen!'"
Weitere Infos:
widowspeakforever.com
www.facebook.com/widowspeakband
www.twitter.com/widowspeaking
www.instagram.com/widowspeaking
widowspeak.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Alexa Viscius-
Widowspeak
Aktueller Tonträger:
The Jacket
(Captured Tracks/Cargo)
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