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JOANNA BOLME
 
The art of (home) recording
Joanna Bolme
Sie ist jung, talentiert, hübsch, etwas schüchtern und - ziemlich unbekannt. Die Rede ist von Joanna Bolme, die dieser Tage schon zum zweiten Mal in diesem Jahr durch Deutschland tourt, und zwar als Bassistin von Steve Malkmus' neuer Band Jicks. Aber auch wenn die wenigsten hierzulande ihren Namen kennen dürften, ist Joanna gerade in ihrer Heimatstadt Portland, Oregon, schon längst einen lokale Größe. Immerhin durfte gleich ihre erste etwas bekanntere Band Calamity Jane durch Südamerika touren und dabei keine geringere Band als Nirvana supporten, und auch mit ihrer Band The Minders stieß sie in den Staaten auf ein positives Echo. An den Job in Malkmus' neuer Band ist sie - gewohnt zurückhaltend - nach eigener Aussage nicht wegen ihres Könnens an den vier Saiten gekommen: "Ich habe Steve kennengelernt, als er vor ein paar Jahren nach Portland umgezogen ist. Wir haben angefangen, oft Scrabble zu spielen, und er erzählte von seinen neuen Songs. Da sein Schlagzeuger John [Moen] schon seit Ewigkeiten ein guter Freund von mir ist, haben sie mich gefragt, ob ich Bass spielen wollte, und natürlich hatte ich Lust. Letztendlich suchte Steve wohl in erster Linie jemand zum Scrabble-Spielen auf Tour", grinst Joanna, als wir sie unlängst vor der Jicks-Show im Kölner Prime Club trafen. "Für diese Tour musste ich auf die Auftritte mit den Minders verzichten, was wirklich schade ist, aber ich wollte unbedingt mal wieder aus Portland raus und länger unterwegs sein, deshalb waren die Jicks die bessere Alternative für mich."
Damit dürfte Joanna allerdings zu den Ausnahmen gehören, denn wie uns nicht nur Steve bestätigte, ist Portland eine der lebenswertesten Städte in den Staaten überhaupt, und wie die Vergangenheit bewiesen hat, auch ein ausgezeichneter Startpunkt für eine "Indierock-Karriere". "Versteh mich nicht falsch, es ist toll, in Portland zu wohnen, solange man ab und zu mal rauskommt, denn es ist sehr klein", erklärt Joanna. "Gerade für eine Frau ist Portland ein tolles Sprungbrett, denn die Männer dort sind sehr nett und hilfsbereit, und so etwas wie Sexismus scheint es nicht zu geben. Für Musiker im Allgemeinen ist es eine hervorragende Stadt. Es gibt nicht nur viele tolle Bands, sondern auch eine Menge Supporter, die sich für die Bands interessieren, die Shows sehen etc. Es gibt nicht so viele Labels, aber dafür ziemlich viele Aufnahmestudios."

Womit wir beim Thema wären. Joanna ist nämlich nicht nur eine ausgezeichnete Bassistin, sondern taucht inzwischen auch mit schöner Regelmäßigkeit als Tontechnikerin auf Plattenhüllen auf. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn wenn sie nicht gerade auf Tour ist, arbeitet sie als Langzeit-Praktikantin in Larry Cranes Jackpot!-Studio, in dem in letzter Zeit u.a. Elliott Smith, The Go-Betweens, Quasi und Sleater Kinney aufgenommen haben. Wie kam es dazu? "Larry hat das Studio vor ungefähr fünf Jahren mit meinem damaligen Boyfriend aufgebaut, also hab ich dort viel rumgehangen", erinnert sich Joanna, die übrigens auch für Larrys exzellentes Homerecording-Magazine "Tape Op" schreibt. "Irgendwann hat Larry mir dann angeboten, mir einige Tricks beizubringen. Ich hatte schon einige Aufnahmen zu Hause gemacht, aber ein richtiges Studio ist natürlich etwas anderes."

Immer, wenn niemand das Studio gebucht hatte, durfte Joanna Freunde wie John Moen oder Sam Coomes von Quasi einladen, die dort umsonst und unter ihrer Regie Songs aufnehmen konnten. Learning-by-doing also. "Das war ziemlich lustig. Ich saß am Mischpult und probierte alles aus: 'Oops, sorry, da hab ich wohl gerade was Falsches gelöscht...äh, ich verliere, glaube ich, gerade den Überblick...' Es hat ewig gedauert, aber wie schon gesagt, die Männer in Portland sind alle sehr hilfsbereit, und deshalb haben sie mir das auch nicht übel genommen."

Ihr erstes großes Projekt als Tontechnikerin war die aktuelle Platte der Minders, die vor wenigen Wochen vorerst wohl leider nur auf dem amerikanischen Label Spin-Art erschienen ist. Allerdings haben die Minders nicht nur im Jackpot!-Studio aufgenommen, sondern vor allem auch zu Hause, im Wohnzimmer ihres Sängers.

Also fragten wir Joanna, was junge Bands, die vor ihren ersten Aufnahmen - egal ob zu Hause oder in einem richtigen Studio - stehen, unbedingt beachten sollten: Szenen aus dem Alltag einer Tontechnikerin oder: How to get started with recording music.

1. "Ganz wichtig ist, sich das Studio vorher genau anzugucken und nicht einfach blind Zeit dort zu buchen. Man sollte sich dort wohlfühlen können, und das ist nicht unbedingt der Fall, wenn du einfach ein Studio aus dem Telefonbuch aussuchst. Zum Wohlfühlfaktor zählt für mich zum Beispiel auch, dass Restaurants und ein Supermarkt in der Nähe sind."

2. "Man kann zwar nicht direkt sagen: Die und die Band hat in diesem oder jenem Studio aufgenommen, also wird meine Aufnahme genauso klingen, aber man kann schon einige Dinge davon ableiten. Im Falle von Jackpot! könnte es zum Beispiel heißen, dass die Bands die Atmosphäre dort sehr mögen oder gerne mit Larry zusammenarbeiten wollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass es dort eine Hammond-B3 mit einem gigantisch großen Leslie gibt. Man sollte nicht auf einen bestimmten Sound hoffen, aber man kann sagen: All diese Bands haben dort aufgenommen, ich will rausfinden, warum!"

3. "Achtet darauf, dass euer Equipment komplett funktioniert. Trommelfelle und Saiten sollten neu, aber schon ein bisschen eingespielt sein. Manchmal kommen Bands ins Studio mit miserablen Instrumenten und denken, nur weil sie viel Geld bezahlen für das Studio, würden ihre Aufnahmen nachher auch toll klingen."

4. "Der Tontechniker oder Produzent sollte die Band vorher schon mal gehört haben, im Konzert oder im Übungsraum, um kostbare Zeit im Studio zu sparen."

5. "Manchmal ist es hilfreich, sich Kram von anderen Bands auszuleihen, und das sollte man natürlich vorher tun. Viele Studios haben eine gute Backline, aber nicht alle."

Immer mehr Bands nehmen natürlich inzwischen auch kostengünstig zu Hause auf, und dafür sind die Voraussetzungen natürlich grundlegend anders. Was würde Joanna denn dem passionierten "Heimwerker" empfehlen? Immerhin hat sie an einer der erfolgreichsten und meistgelobten Homerecording-Platten der 90er, Elliott Smiths "Either/Or", mitgewirkt (Dass Joanna auch Elliotts Ex-Freundin ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch der ein oder andere Song Smiths von ihr handelt, sei für die Klatschfans hier nur am Rande erwähnt.) "Homerecording hat einen entscheidenden Nachteil: Du hast alle Zeit der Welt und zahlst nicht pro Stunde. Deshalb geht alles zumeist viel langsamer vor sich. Wenn man eine wirklich fett produzierte Platte aufnehmen will, geht das natürlich nicht zu Hause. Aber mit einer Menge Geduld kann man auch per Homerecording Platten machen, die besser klingen, als das im Allgemeinen für möglich gehalten wird." Die Tips:

1. "Verwendet ausreichend Zeit darauf, die Ecken des Hauses aufzuspüren, die am besten klingen. Manchmal verbringt man mehr Zeit damit, den Kram im Hause herumzumanövrieren, als mit den Aufnahmen, aber das ist ungemein wichtig."

2. "Das vielleicht Wichtigste beim Homerecording sind vernünftige Vorverstärker, die es überflüssig machen, sich mit einem schlechten Mixingboard herumzuschlagen, das wohl die meisten in ihrem Heimstudio haben. Mit einem Vorverstärker kannst du's mit dem korrekten Level und viel klarer aufs Band aufnehmen, das du nie erreichst, wenn du es direkt auf Band aufnehmen willst oder die meistens miserablen eingebauten Vorverstärker des Mischpults benutzt...Ich würde mein Geld noch vor einem guten Mikro in gute Pre-Amps investieren."

3. "Das Mikrofon ist natürlich auch wichtig. Ein 57 [Shure SM 57] ist ein guter Ausgang, damit bekommt man zum Beispiel sogar schon tolle Pianosounds hin - vorausgesetzt, man findet die richtige Ecke im Haus."

4. "Zum Aufnehmen ist ein Roland Digital 8-Track sehr gut, obwohl ich selbst die Tape-Variante bevorzuge. Unser Heimstudio hatte eine 1/2" 2-Track-Reel-To-Reel-Machine. Du kannst damit den Sound zum Beispiel über die Geschwindigkeit oder die Kompression besser manipulieren als bei digitalen Aufnahmen. Natürlich kann man das auch digital machen, aber man hört doch den Unterschied. Ein bisschen geht verloren. Ich bin nicht grundsätzlich gegen digitale Aufnahmen, ich würde mich nur dagegen entscheiden, wenn ich die Wahl hätte."

5. "Die Stimme ist natürlich das Schwierigste beim Aufnahmeprozess, und ich muss gestehen, das ist nicht gerade meine Spezialität. Dafür braucht man in der Regel ein besseres Mikro. Auf jeden Fall sollte man den Raum abteilen und sich eine Art kleine Kabine bauen. Es ist beim Gesang besonders wichtig, einen Raumklang zu vermeiden, sonst bekommt man nachher beim Mixing Probleme. Gerade beim Gesang kommt es darauf an, dass man sich auf einen 'ehrlichen' Klang verlässt. Alles andere ist Selbstbetrug."

Joanna Bolme
Womit wir bei Joannas eigener Philosophie und Grundempfehlung angekommen wären: Man sollte sich nicht selbst betrügen und lieber auf einen ehrlichen, authentischen Sound bauen: "Meistens mag ich den natürlichen Klang eines Instruments am liebsten. Bei Akustikgitarren mag ich es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn man die ganze Power rausquetscht und ein gläserner Sound wie bei Bob Mould dabei herauskommt. Ich mag klirrende Pianosounds und mag es auch, wenn man den Resonanzklang beim Schlagzeug hören kann, den viele einfach auslöschen. Ich weiß, dass viele Produzenten das anders sehen und auf einen klareren Klang abfahren, aber mir gibt das nicht besonders viel."

Da stellt sich zum Schluss natürlich die Frage, woher diese Einstellung kommt. Irgendwelche Vorbilder muss schließlich auch Joanna gehabt haben. "Ich mag zum Beispiel die oft richtig scheußlich klingenden Kinks-Platten. Einige der Sounds, die sie verwenden, sind das Allerletzte. Das Schlagzeug klingt wie eine Mülltonne, und die Akustikgitarren klingen nicht viel besser. Viele hassen das, aber ich finde das großartig. Heute gibt es die Tendenz, alles nur auf Highend und Subs zu beschränken, und der ganze Teil in der Mitte wird einfach ausgeblendet. Das finde ich sehr schade, denn genau den Midrange-Kram mag ich am liebsten!"

Und wer ist ihr größtes Idol auf Produzentenseite? Joanna lacht und sagt wie aus der Pistole geschossen: "George Martin! Er ist ganz einfach der Beste!"

Für mehr zum Thema Homerecording:
http://www.tapeop.com

Für mehr zum Jackpot!-Studio, incl. Equipment-Liste:
http://www.tapeop.com/jackpot

Für mehr zu Joannas Tourplänen:
http://www.stephenmalkmus.com

Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Stefan Claudius-



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Mehr über Joanna Bolme:
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