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IRMIN SCHMIDT & KUMO
 
Verwirrte Meister?
Irmin Schmidt & Kumo
Alles begann mit der Oper Gormenghast. Irmin Schmidt, seines Zeichens bekannt als rühriger Kompositeur und ehemaliger Can-Mitarbieter suchte jemanden, der ihm helfen konnte, seine musikalischen Visionen für das 1998 in Wuppertal uraufgeführte Stück auf perkussiver Ebene zu verwirklichen. "Wir hatten sehr schwierige Rhythmen", erinnert sich Irmin, "nicht für Jaki (Liebezeit), der auch mitspielte, sondern für alle anderen. Jaki spielte aber nicht die Hauptrolle, sondern ich wollte Klangwelten, die in Erde, Steinen, Scherben, Glas usw. ihren Ursprung haben. Deshalb brauchte ich jemanden, der mir so etwas technisch umsetzen konnte." Das war dann Jono Podmore alias Kumo. Jona - ca. halb so alt wie Irmin - war neben seinen technischen Fähigkeiten auch noch aus einem anderen Aspekt heraus interessant für Irmin: "Ich wollte auch jemanden, der Erfahrungen mit junger Musik hat - Tanzmusik, Hip Hop usw. Und zwar andere Erfahrungen als ich, denn ich mache solche Musik ja für gewöhnlich nicht."
Kumo hatte da durch seine diesbezüglichen Erfahrungen mit z.B. Jamiroquai, Shamen oder Bomb The Bass natürlich gute Karten. Aber es funkte auch auf musikalischer Ebene. "Als dann die Can-Tour anstand (auf der die Can-Mitglieder zwar zusammen auftraten, aber getrennt musizierten), dachten wir uns: Unsere Zusammenarbeit funktioniert so gut, daß wir einfach weitermachen sollten", erklärt Kumo, "und wir begannen zusammen zu improvisieren." Womit wir dann auch schon beim neuen Album, "Masters Of Confusion" angelangt wären. Hierauf trifft Irmins Piano-Spiel in improvisierter Vielfalt auf Kumos exzessive elektronische Rhythmusorgien. "Das Piano ist ja eigentlich mein Instrument", meint Irmin dann irgendwann - erwähnenswert deshalb, weil es z.B. bei Can keine Rolle spielte. Dafür hat Irmin auch eine weitreichende Theorie, die ungefähr folgendes besagt: "In der Rockmusik bilden Drummer und Bassist eine Einheit", erläutert er, "wenn eine Bassdrum richtig gestimmt ist, schwingt sie auf einer bestimmten Frequenz. Der Bassist und der Drummer kämpfen dann um diese Frequenz - jedenfalls war das bei Holger und Jaki so. Manchen Bands ist dieses gar nicht bewußt - die klingen dann einfach nicht gut. Reggae-Drummer wie Sly und Robbie lösen das dadurch, daß es dann immer nur drei Beats und einen Baßton pro Sequenz gibt. Wenn jetzt noch ein Piano dazukommt, was das ganze Frequenzsprektrum abdeckt, ist das fast unmöglich." Hm. Das sollte mal jemand Ben Folds erzählen. Ist das vielleicht auch der Grund, warum der Baß beim neuen Projekt praktisch keine Rolle spielt? "Er spielt schon eine Rolle", begehrt Jona auf, "nur geht es nicht darum, typische Baßlinien zu spielen. Wenn, dann geschieht das über das Piano. Die Baßfrequenzen, die ich erzeuge, sind eher perkussiv angelegt."

Irgendwie erinnert der Sound der neuen Scheibe in seiner kristallinen Art an die Sachen, die Isao Tomita in den 70er gemacht hat - dort gab es ja auch keine Baßlinien. "Ja, das stimmt schon", pflichtet Jona bei, schränkt dann aber ein, "was aber in dem Fall daran lag, daß Tomita von der Klassik her kam und die Elektronik nur als neues Ausgabemedium betrachtete." "Wir wollen ja auch keine Tanzmusik machen", meint Irmin dazu. Was uns aber zu der Frage bringt, was denn genau die Idee des neuen Projektes ist. Es ist ja z.B. auf Improvisationen aufgebaut - aber kein Jazz. Es gibt klassische Elemente und dazu Breakbeats. Wie funktioniert das Ganze dann also? "Eigentlich jedes Mal anders", führt Irmin aus, "der Opener basiert z.B. auf im Studio ausgearbeiteten Strukturen, dem ständigen Wechsel von Rhythmen - hat aber auch freie Passagen, in denen wir improvisieren können. Wenn wir dieses Stück live spielen, klingt das ganz anders, als auf der Scheibe. Es hat sich auch bereits weiterentwickelt. 'Straw In The Sky' ist hingegen eine Live-Aufnahme und wird so nie wieder gespielt werden. Das Gormenghast Stück basiert z.B. auf Samples aus der Oper, ist aber eine Improvisation. Dann gibt es Stellen, wo wir bis zu 60 Klaviere übereinandergeschichtet haben - so was kannst Du live nicht reproduzieren. Und das Stück 'Gentle Into The Night' kommt schließlich dem Jazz am nächsten - lebt in diesem Falle aber ganz vom Feedback zwischen uns und dem Publikum." Ein interessanter Punkt: Bei dieser Art von Musik gibt es ja kein kreischendes Teenie-Publikum, sondern aufmerksame Spannung. Wie bekommt man denn da ein Feedback? "Wenn Dir 2.000 Leute mucksmäuschenstill zuhören, dann weißt Du schon, daß du was richtig machst", meint Jona, "das ist schon ein tolles Feedback". "Wir haben das Stück im Barbican Center in London aufgenommen", erinnert sich Irmin, "da konnte ich auch das Piano verwenden, welches die ganz großen Klassiker dort benutzen - nicht das, was sie den Jazzern sonst immer geben. Das klingt dann auch ganz anders und so entstand dann eben diese wunderschöne, ruhige Atmosphäre, mit der wir das Publikum von einem furiosen rhythmischen Stück wieder runterbrachten."

Irmin Schmidt & Kumo
Wie wird denn dieses Projekt fortgesetzt? Irmin erwähnte ja bereits, daß sich die Stücke im Laufe der Zeit verändern. "Moment mal, WIR verändern die Stücke", wirft Jona ein. Er schmunzelt zwar dabei, macht aber andererseits auch deutlich, daß er und Irmin ziemliche Control-Freaks sind. "Nun ja, was immer notwenig ist, wenn wir ein bestimmtest Instrument brauchen, setzen wir es auch ein, aber vorhersagen läßt sich das nicht." "Als nächstes werden wir zu einem Stockhausen-Event im Barbican eine Soundinstallation einrichten", wirft Irmin ein. Als alter Stockhausen-Schüler ist das ja eine ziemlich logische Sache, "wir wissen noch nicht genau, was wir machen, aber es geht nicht darum, Stücke aufzuführen." Bei all dem musikalischen Detailwissen, daß der Arbeit von Irmin und Jona zugrunde liegt: Warum haben sie dieses Projekt denn ausgerechnet "Masters Of Confusion" genannt? Sie wirken ja alles andere als verwirrt. "Na, weil wir die Verwirrung gemeistert haben", grinst Irmin. "Wir haben lange über den Namen des Projektes nachgedacht", erklärt Jona, "und eigentlich kommt dieser Begriff aus James Joyce's 'Ulysses'." Was nun zu der Frage führt, wie denn überhaupt die recht blumenreichen Titel zu den Tracks zustande kommen. "Meine Methode ist es z.B. laut moderne Lyrik zu lesen", meint Irmin, "und ab und an bleibt dann eine Zeile hängen." "Oder nimm z.B. 'Las Plumas del Búho'. Das Stück haben wir mit dem Gedanken an ein osteuropäisches Zigeunerstück begonnen. Dann machte uns mal jemand drauf aufmerksam, daß es etwas spanisches hatte. Und so bekam es dann einen spanischen Namen." Aber Namen sind ja nur Schall und Rauch. Hilfreich sind sie nicht wirklich: In die Klangwelten der "Masters Of Confusion" muß man sich schon - mit einigem Aufwand - selbst hereinarbeiten. Immerhin, der Weg von der Oper über die Improvisation zum Breakbeat und wieder zurück ist ja schon ziemlich ungewöhnlich und reizvoll. Ob sie denn die englische Fernsehserie zu Gormenghast kennten, will ich noch wissen. "Ja, das sind Freunde von mir, die das gemacht haben", meint Jona, "es ist ziemlich lang, und langatmig, wird aber zum Ende hin besser." "Was aber nichts nützt, es ist trotzdem grottenschlecht - auch wenn das Jonas Freunde sind", wirft Irmin ein wie ein wildgewordener Reich-Ranicki, "das ist eine BBC-Superproduktion mit soundsovielen Millionen Etat. Das sieht man aber am Bildschirm nicht. Und der Regisseur, Andy Wilson, läßt die Schauspieler alleine. Ich meine: Ich habe 30 Jahre Bühnenerfahrung, so was sehe ich. Und der Kardinalfehler der Serie ist, daß sie versucht haben, alles hereinzupacken, was im Buch geschieht - was nicht geht, da dieses aus vielen brillianten Tableaus besteht. So wirkt diese Serie wie der 6-stündige Trailer zu einem 36-stündigen Film. Ich habe mich bei der Oper z.B. darauf beschränkt, einzelne Episoden herauszupicken und einzelne Geschichten zu erzählen - was bei einer Oper mit ihrem Wechsel von Statik und Geschehen auch gar nicht anders geht. So kann man dann diese Geschichten auch verstehen - auch wenn man die Zusammenhänge nicht kennt und nicht ein einziges Wort des Textes verstehen kann." So wie die Musik der "Masters Of Confusion": Auch hier braucht man nicht die zugrundeliegenden Theorien und Ansätze zu kennen, um sich die Musik zu erschließen.

Dieses Interview wurde gestrafft und sinngemäß ins normaldeutsche übertragen. Zum Einen, weil es dem Schreiber nicht möglich war, alle gefallenen musikalischen Fachausdrücke korrekt zuzuordnen und wiederzugeben und zum anderen, weil das Material "für ein kleines Buch" ausgereicht hätte, wie Irmin zum Abschluß meinte.

Weitere Infos:
www.spoonrecords.com
www.psychomat.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Irmin Schmidt & Kumo
Aktueller Tonträger:
Masters Of Confusion
(Spoon/Edel Contraire)
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