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TURIN BRAKES
 
Der eingefangene Sonnenschein
Turin Brakes
Mit drei Alben auf dem Buckel zählen Olly Knights und Gale Paridjanian - besser bekannt als Turin Brakes - ja mittlerweile bereits zu den Veteranen. Nach "The Optimist" und "Ether Song" legen die Herren nun mit "JackInABox" ein höchst vergnügliches, kurzweiliges, heiteres Sommerpop-Album vor, das wesentlich unbeschwerter und sonniger klingt, als alles, was die Brakes bislang so machten. Dabei spielen Olly und Gale all ihre Karten aus: Brillante Gesangsharmonien, soulige Akustik-Pop Tracks, leichtfüßige Arrangements und bemerkenswert ausgereifte Melodien geben sich hier ein Stelldichein und machen "JackInABox" zu einer rundum gelungenen kleinen Meisterwerk. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet dieser Scheibe eine mittlere Identitätskrise voranging.
"Na ja, jedenfalls haben wir bei dieser Scheibe darauf bestanden, eine größere Pause zu machen, um Abstand gewinnen zu können", gesteht Gale, der in Vertretung des frisch gebackenen jungen Vaters Olly die Interviews alleine durchzieht, "wir waren nämlich ausgelaugt und hatten irgendwie die Perspektive und den Grund aus den Augen verloren, warum wir überhaupt Musik machten. Wir waren ja fast blind. Also wollten wir versuchen, das, was vorher war, zu vergessen, bevor wir weiter machten. Es gab also eine Phase ohne Telefon und Radio und in dieser Zeit haben wir dann auch tatsächlich alles vergessen. Wir haben also ungefähr bei Null angefangen. Natürlich war das alles dennoch schwierig, ja fast unmöglich, aber es ist uns tatsächlich gelungen, bei den neuen Songs nicht ans Radio, nicht an die Presse und nicht an das Label zu denken. Das Witzige dabei ist, dass, obwohl die neuen Songs alle von Herzen kommen, was ja auch kaum anders möglich wäre, diese dennoch radiofreundlicher und kommerzieller klingen, als alles, was wir vorher gemacht haben." Nicht, dass "JackInABox" tatsächlich nach Formatradio klänge: Da gibt's immer noch genügend gesunde Ecken und Kanten, an denen sich auch der "richtige" Musikfreund reiben könnte. "Das fasse ich als Kompliment auf", freut sich Gale, "wir haben uns ja auch viel Mühe gegeben. Wir arbeiten so, dass wir beide ca. 15 Songs schreiben, wobei es allerdings so ist, dass Olly der Master-Songwriter ist. Was Texte angeht, ist er nämlich in meinen Augen fast ein Genie. Und was die Musik betrifft, beginnen wir mit kleinen Ideen, die wir hin und her schubsen und dann ausbauen. Wir versuchen auf jeden Fall, alles immer schön natürlich zu halten, so dass du noch einen Fluss heraushören kannst. Wir haben dieses Mal an den Tracks zuerst gearbeitet, auf die wir die meiste Lust hatten, während wir z.B. bei 'Ether Songs' eine Reihenfolge der Aufnahmen festgelegt hatten. Wie gesagt, wir hatten wir dieses Mal ja mehr Freiräume. Ich denke, das hat sich dann auch bemerkbar gemacht." Gab es denn einen Masterplan für die neuen Stücke? "Wir hatten eine Art generelle Vision für jeden Track mit Referenzen und wir wollten alles möglichst leicht und sonnig klingen lassen. Alben, die wir uns als Vorbild genommen hatten, waren zum Beispiel Tracy Chapmans 'Let It Rain'. Da hast du nämlich sehr präzises, schlankes Songwriting. Oder seltsamerweise das erste Finlay Quayle-Album, weil es so sonnig erschien. Wir haben uns alte Reggae-Alben angehört - der Simplizität wegen und das erste Bees-Album, weil es so fröhlich klingt. Wir wussten, dass wir irgendwie den Sonnenschein einfangen wollten und das Album angenehm anzuhören sein sollte. Das war's im Prinzip auch schon. Wir haben zwar eine Menge über Samples von Tony Hoffa gelernt, dieses aber als neues Spielzeug betrachtet, das wir als Werkzeug verwenden wollten - zum Beispiel für Bass-Sounds und Keyboard Samples. Aber es sollte alles schön unterschwellig klingen. Unser Studio ist ziemlich einfach und wir kaufen zum Beispiel immer nur dann Effektgeräte, wenn wir sie wirklich brauchen - und nicht, weil wir sie mal ausprobieren wollen."
Gale und Olly arbeiten immer noch als separate Songwriter, nicht? "Ja, das ist der grundsätzliche Gedanke, dass die Grundidee von einem von uns kommt", bestätigt Gale, "ich weiß auch ehrlich gesagt gar nicht, wie Songwriter richtig zusammen schreiben können. Die Idee muss doch von jemandem bestimmtes kommen. Es ist zwar so, dass wir Ideen zusammen entwickeln - aber erst nachdem die Grundidee da ist. Es gibt da zwar keine festen Regeln, aber der Song 'JackInABox' ist ein gutes Beispiel: Die Grundidee hatte ich bereits seit längerer Zeit in meinem Schlafzimmer aufgenommen, weil ich eine neue Gitarre ausprobieren wollte. Das habe ich dann irgendwann mal Olly gegeben, und er hat dann einen Text dazu geschrieben. So ist der Song entstanden." Und worüber machen sich die Jungs heutzutage Gedanken? "Nun ja, die Themen sind eigentlich die, über die wir sonst auch immer geschrieben haben", überlegt Gale, "es gibt ein paar Songs zum Thema Kunst und Kommerzialität - also die eigene künstlerische Integrität zu bewahren und nicht alles zu verkaufen. Da gibt es Songs über die Endgültigkeit des Lebens und den Tod - wie z.B. 'Road To Nowhere'. Und dann gibt es die Romantik. Das sind Themen, die uns nun mal bewegen. Das war auch auf 'Ether' so - nur da haben wir die düsteren Aspekte stärker betont. Das lag aber daran, dass um uns herum damals viele Leute gestorben sind. Auf 'JackInABox' haben wir nun diese Umstände akzeptiert, würde ich mal sagen. Man hat halt gute und schlechte Tagen. Dazwischen muss man das Leben auch genießen können." Wenn das so ist: Bedeutet das dann, dass sich Gale und Olly hier direkt mit ihrer eigenen Situation beschäftigten? "Vielleicht auf indirekte, ironische Weise, würde ich sagen", schmunzelt Gale, "der Opener, 'They Can't Buy The Sunshine', ist zum Beispiel so ein autobiographisch angehauchtes Stück. Aber wie gesagt: Auf ironische Art! Wir beklagen uns hier nicht wirklich über unsere Plattenfirma. Aber das Business hat ja auch heitere Momente. Die Botschaft ist natürlich dennoch ernsthaft. Sie ist auch direkter als früher - genau so wie wir es geplant hatten." Nun ist das Album ja in musikalischer Hinsicht und auch was die Arrangements und die Vokalharmonien betrifft, ziemlich exzellent - aber nicht eben simpel. Eher schon fast komplex. Wo also sieht Gale die Direktheit, von der er spricht? "Nun, es geht nicht um die Simplizität", spezifiziert Gale, "auf 'Ether' gab es ja z.B. einen Hidden-Track, der neun Minuten lang war. Was wir nun bei diesem Album wollten, war, all das zu machen, was uns auf natürliche Weise zukam. Wir wollten nichts erzwingen. Es war uns ja immer klar, dass wir eine Art Pop-Sensibilität haben und wir wollten uns das dieses Mal auch zugestehen. Es ist nichts falsches dabei, wenn man seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Da gibt es z.B. den romantischen Song 'Forever'. Der ist nicht bloß romantisch, sondern sogar über-romantisch. Da wird nicht das Leben in Frage gestellt oder so etwas - es ist ein ganz sentimentales Liebeslied. 'Asleep With The Fireflies' ist nicht mehr als ein gutgelaunter Pop-Song. Mehr soll es auch gar nicht sein. Es erschien uns nicht mehr so wichtig, darüber nachzudenken, was die Turin Brakes denn eigentlich sein müssten oder sollten. Diese Art von Direktheit meinten wir."
Turin Brakes
Gibt es denn bestimmte stilistische Vorgaben für gewisse Songs? Auf der neuen Scheibe vermeint man ja zuweilen Soul-Einflüsse erkennen zu können. "Ja, definitiv, wenn es an die Aufnahmen geht", erläutert Gale, "dann sagen wir z.B. 'Lass uns einen Song machen, der nach Al Green klingt'. Das ist aber dann eher so etwas wie der Beginn einer Reise, auf der wir den eigentlichen Song entdecken - durchaus auch mal auf halbem Wege. Die Soul-Themen sind etwas, von dem wir immer annahmen, dass es in uns steckte. Wir haben über die Kraft des Soul und die Kraft der Gospel-Musik gesprochen und wie diese Art von Kraft doch etwas anderes ist, als zum Beispiel verzerrte Gitarren. Unser Begriff von 'Heavy' ist eher ein 'John Coltrane Heavy' als 'Iron Maiden Heavy'. Die meisten Leute nennen uns ja immer 'folky' - aber wir sehen uns gar nicht so sehr als 'folky'. Also haben wir versucht, das Soul-Element ein wenig stärker zu betonen." Haben die Turin Brakes denn nun ihre Freiheit gefunden? "Ich weiß nicht, ob wir unsere Freiheit gefunden haben", zögert Gale, "wir haben aber auf jeden Fall eine Menge neuer Songs zur Auswahl. Wir sind jetzt fast Veteranen und wir haben einen gewissen Katalog, aus dem wir auswählen können. Das fühlt sich schon sehr gut an. Wir fühlen uns jedenfalls nicht mehr wie Fotokopien unserer selbst." Das wäre also auch ein guter Ratschlag für andere Musiker: Wenn du an dir selbst zweifelst, schreib einfach neue Songs? "Ja, wenn man im eigenen Saft rührt, sollte man schon Songs schreiben - aber erst nachdem du einen gewissen Abstand vom geschäftlichen Aspekt des Unternehmens gewonnen hast", überlegt Gale. Nachdem das ja nun geschafft ist: Was möchten denn die Turin Brakes heutzutage sein? "Ich weiß nicht genau", überlegt Gale, "ich denke, dass wir soeben das Album gemacht haben, das wir auch machen wollten. Wir hoffen, dass die Leute akzeptieren, dass wir ziemlich vielseitig sind. Aber es gibt immer einen roten Faden, an dem du die Turin Brakes erkennen kannst. Wir hatten immer diese unabhängigen Geist, diese Punk-Rock-Attitüde, wir wollten immer alles schön einfach halten - nicht billig, aber auch nicht flamboyant. Wir wollen Musik auf eine Art machen, die wir bestimmen und von der wir wissen, wie man sie machen kann. Wenn es uns gelingt, diese Haltung beizubehalten, und die Leute dabei akzeptieren, dass wir vielseitig sind, dann wären wir glücklich."
Weitere Infos:
www.turinbrakes.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Christophe Rihet-
Turin Brakes
Aktueller Tonträger:
JackInABox
(Labels/Virgin/EMI)
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