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Interview-Archiv

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CERYS MATTHEWS
 
Auf dem Weg nach Hause
Cerys Matthews
Als 2001 Catatonia, die damals einzige walisische Band, die so etwas wie international konkurrenzfähigen Gitarrenpop machte, in die Brüche ging, war es mehr als ungewiss, wie es mit Cerys Matthews, der charismatischen Frontfrau weitergehen würde. Man hörte Gerüchte aller Art, bis dann schließlich 2003 - scheinbar aus dem Nichts und aus den USA - ihr Solo-Debüt, "Cockahoop", auftauchte. Dieses nun war eine mehr als deutliche Abkehr vom Catatonia-Sound und zeigte Cerys von einer ganz anderen Seite. Es war eine Art Neo-Folk-Pop geworden, allerdings mit einer ganz eigenen Note. Cerys, so schien es, hatte das einzig richtige gemacht, und sich nach dem Catatonia-Split vollkommen quasi selbst neu erfunden. "Das musste ich auch tun", verrät sie nun heute, nachdem sie mit "Never Said Goodbye" ihr zweites Album vorlegt, das den auf "Cockahoop" eingeschlagenen Weg in radikaler Weise fortführt, "es hatte damit zu tun, zu mir selbst zu finden. Es kommt zwar heutzutage zu dem Punkt, wo alles zusammenpasst und ich auch erkennen kann, was wir bei Catatonia richtig gemacht haben, aber es war dennoch aber schön und wichtig für mich, die ganze Catatonia-Sache für ein paar Jahre beiseite zu legen und mich neu aufzustellen." Cerys' neues Werk ist keine Folk-Scheibe mehr - auch nicht im weitesten Sinne. Es ist vielmehr eine einzigartige Melange aller möglichen Versatzstücke, wobei weniger der Stilmix als vielmehr die waghalsigen Arrangements und die äußerst komplexen Songstrukturen den Zuhörer vor eine große Aufgabe stellen: Nämlich für sich herauszufinden, was "Never Said Goodbye" eigentlich ist.
Schlüsseln wir "Never Said Goodbye" doch mal von hinten auf: Ganz zum Schluss gibt es eine Art Hidden Track, auf der eine weibliche Stimme Japanisches rezitiert. Was hat das zu bedeuten? "Das ist ein Gedicht, das ich auf japanisch übersetzten ließ", erklärt Cerys, während sie Staubflocken und andere Störkörper aus dem Windschutz des Gaesteliste.de-Mikrophons puhlt, "...und das von einem japanischen Mädchen namens Sekyo vorgetragen wird. Dieses Gedicht drückt vieles von dem aus, was mich zu diesem Album inspirierte. Es geht um einen kleinen Jungen, der seinen Garten bewirtschaftet, so dass er sich selbst ernähren kann und so seine Stärke bewahren kann, obwohl sich schon die düsteren Wolken zusammenballen, die allgemeines Unheil ankündigen. Ich möchte eines Tages einmal selber Japanisch lernen, weil ich den Klang der Sprache mag und ich einmal lernen möchte, ein japanisches Haiku-Gedicht zu schreiben. Das hier ist jedenfalls definitiv noch keines." Neben den hier verklausulierten Inspirationen scheint Cerys auf der neuen Scheibe aber zusätzlich eine Art Reise zu beschreiben. Diese beginnt mit "Streets Of New York" und endet mit dem auf walisisch zusammen mit Landsmann Gruff Rhys von den Super Furry Animals vorgetragenen "Elen", was eine Art Homecoming-Song ist. "Das ist richtig", bestätigt Cerys, "Der letzte Titel ist ein Stück in der Art eines alten irischen Folk-Songs wie 'Carrickfergus', wo der Protagonist von seiner alten Heimat träumt, und beim Aufwachen feststellt, dass er immer noch in Amerika ist. Es geht um eine alte walisische Dame, die den Reisenden Zuflucht bietet, sie bewirtet und Klavier für sie spielt. Und sie bitten dann immer wieder um neue Lieder, die sie vortragen soll. Beim ersten Song geht es darum, in New York City anzukommen und überwältigt zu sein. Danach geht es mit 'A Bird In Hand' gleich weiter in den Süden, wo ich mal auf einer Farm lebte. In 'Ruby' geht es um meine Hassliebe zu South Carolina, während es in 'Elen' zurück nach Wales geht. Es schließt sich also der Kreis."
Was wollen uns denn die Bezüge zur Natur sagen, die Cerys in ihre Songs einfließen lässt? "Das fällt auf, nicht?", lacht Cerys, "Bäume, Sonne, Regen, Rosen, Samen. Ich verwende gerne Begriffe aus der Natur, um Dinge zu personifizieren. Ich weiß gar nicht mal, wo das herkommt. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass ich lange Zeit auf einer Farm gelebt habe und von meiner Vorliebe für Folk-Musik, die sich ja auch viel mit der Natur beschäftigt." Was ist denn die Schlussfolgerung, die Konsequenz, das Resümee des Albums? "Das sind für mich die zwei Stücke 'Morning Sunshine' und 'Seed Song'", erklärt Cerys, "in 'Morning Sunshine' heißt es, dass die dunkelste Stunde jene vor dem Sonnenaufgang ist, und in 'Seed Song' heißt es: 'Wenn du einen Samen in den Boden legst und ihn bewässerst, dann wartest du darauf, dass er wächst'. Es ist wie eine Lektion des Lebens. Das ganze Album soll dich positiv stimmen." Dazu gehört natürlich auch die Musik. Wie ist Cerys die neue Scheibe musikalisch angegangen? "Nun, für mich war das eine verrückte Zeit", gesteht sie, "es gab eine Menge Kämpfe im Studio und ich musste mit vielen verschiedenen Leuten zusammen arbeiten und letztendlich habe ich es selbst zu Ende geführt und auch selbst gemischt. Es war nämlich so: Nachdem ich den Song 'Oxygen' geschrieben hatte und der Wahnsinn im Studio begann, musste ich mich noch mal neu positionieren. Ich habe schließlich Stuart Sikes mit an Bord geholt mit seinem großen Drum-Sound und ich habe einen jungen Musiker namens Ben Elkins aus Arkansas entdeckt, der meinem Mann ein Demo zugeschickt hatte und der ein erstaunlicher Keyboard-Spieler ist. Das führte zu diesem Sound mit den polternden Drums und den komplizierten Arrangements. Ich wollte nämlich eine Scheibe mit einem traditionellen Set-Up und traditionellen Songs machen - nur sollte diese nicht klingen, wie irgendetwas, was ich jemals vorher gemacht oder gehört hätte. Und wir haben die Regeln gebrochen. Auf 'Oxygen' z.B. haben wir beim zweiten Refrain den Bass rausgeworfen. Da gabs gleich einen Aufstand und alle schrien: Da geht doch nicht, das könnt ihr doch nicht machen. Wir haben es aber gemacht. Es ist immer charmant, wenn man etwas ein wenig anders macht." War das von vorneherein so geplant? "Es gab gewisse Prämissen", führt Cerys aus, "als ich begann, war die Sache sehr viel mehr als logische Fortsetzung von 'Cockahoop' geplant. Als ich aber 'Oxygen' geschrieben hatte, wurde mir klar, dass die neue Scheibe aber doch massiver klingen müsste, als ich das geplant hatte. Dann wurde ich schwanger und ich musste mich ein wenig zurücknehmen. In dieser Zeit habe ich mir überlegt, dass ich durchaus ein schönes Album machen wollte, aber mit einem 'dicken Ende', wenn ich das mal so sagen darf, mit dem großen Drumsound. Es sollte sehr stark und selbstbewusst klingen. 'Oxygen' war der Startpunkt hierfür."
Cerys Matthews
War "Cockahoop" für das neue Album als Zwischenschritt notwendig? "Ja, die ganzen letzten vier Jahre waren Zwischenschritte für mich", spezifiziert Cerys, "ich verließ Catatonia 2001 und wollte zu dem Zeitpunkt keine Rockmusik mehr in dieser Art machen. Es ist nämlich so, dass es innerhalb einer Band-Demokratie Grenzen für den Einzelnen gibt, weil sich einfach die persönlichen Geschmäcker nicht überschneiden. Mir war es z.B. nie möglich, meine Vorlieben für traditionelle Sounds und spontane Musik auszuplündern. Ich kam dann also in die USA und wollte eine Scheibe nach meinen Bedingungen machen. 'Cockahoop' war auch ein musikalischer Lernprozess für mich selber. Danach war es mir klar, dass ich wieder zu meinen Wurzeln zurückkehren wollte. Nach vier Jahren inmitten von Bluegrass, wollte der Punk in mir wieder heraus. Ich wollte wieder laute Musik machen." Wie war es Cerys denn möglich mit den jetzt versammelten Elementen, energische, laute Musik zu machen? "Also 'Punk' bedeutet hier lediglich, nicht den einfachen Weg gehen zu wollen", schränkt Cerys ihre Definition ein, "wenn man das 'Punk' nennen kann. Der Punk geht nicht den Weg, den man von ihm erwartet. Was die Energie betrifft, so musste ich 20 Leute ausprobieren, bis ich meinen Drummer, Mason Neely, finden konnte. Mit ihm zusammen konnte ich meine Vorstellungen verwirklichen. Er hat einen sehr spezifischen Stil, der eigentlich in keinem bekannten Stil verwurzelt ist. Er ist wirklich einzigartig." Und wie kam der - im Vergleich zu "Cockahoop" - modernere Sound zustande? "Wir haben eigentlich sehr wenig Programmierungen oder Loops verwendet", erläutert Cerys, "ich räume aber ein, dass die Sache moderner klingt. Es ging mir ja hier nicht mehr darum, gegen den Band-Sound von Catatonia zu rebellieren. Aber wir haben den Eindruck der Modernität nicht mit technischen Mitteln erzielt. Es ging darum, dass am Ende alles zusammen passt. Wir haben da zu dritt als Produzenten dran gearbeitet, aber am Ende war doch ich es, die im Regie-Stuhl saß. An einem Punkt dachte, ich, dass ich nie erreichen könnte, was ich mir vorgestellt hatte - aber am Ende passte es doch. Da wusste ich dann auch, dass die Stücke fertig waren. Ich hatte eine Mission, und diese habe ich erfüllt."

Auf der Scheibe schließt sich ja der Kreis. Hat er sich aber auch für Cerys Matthews geschlossen? Ist sie wieder zu Hause angekommen? Ihre Kollegin Neko Case erklärte uns schließlich einmal, dass man im Prinzip niemals nach Hause kommen könne - schon gar nicht als Musiker - da man sich immer weiter bewege, immer weiter entwickele. "Das trifft sicherlich auch in gewissem Sinne zu", überlegt Cerys, "der Titel meiner Scheibe besagt zunächst mal, dass es mir darum ging, die Verbindungen zur Heimat niemals abreißen zu lassen. Wenn man nicht 'Goodbye' sagt, hält man sich ja jederzeit die Option offen, wieder zurückkehren zu können. Was aber die Unmöglichkeit betrifft, nach Hause zurückkehren zu können, so ist das ein wiederkehrendes Problem im Leben eines jeden Musikers. Als Musiker verlässt man sein zu Hause für gewöhnlich zu einem sehr frühen Zeitpunkt, um seinen musikalischen Ansprüchen folgen zu können. Ich zum Beispiel habe danach nie wieder ein Heim gefunden. Mein Heim ist immer da, wo meine Kinder, meine Gitarre und mein Ehemann sich befinden. Und ich weiß im vorneherein nicht, wo zum Teufel das sein wird oder sein könnte." Mit "Never Said Goodbye" liefert Cerys Matthews nun ein Album ab, das tatsächlich eine eigene Stimme hat. Wirkte "Cockahoop" noch ein wenig zerfahren und unstet, gibt es bei "Never Said Goodbye" keinen Zweifel mehr daran, dass Cerys eine wirklich eigenständige Vision entwickelt und umgesetzt hat. Momentan scheint bestenfalls der Himmel die Grenze für Cerys Matthews zu sein.

Weitere Infos:
www.cerysmatthews.info
en.wikipedia.org/wiki/Cerys_Matthews
www.myspace.com/cerysmatthewsofficial
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Cerys Matthews
Aktueller Tonträger:
Never Said Goodbye
(Rough Trade Records/Sanctuary/Rough Trade)
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