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Interview-Archiv

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STEVE WYNN
 
Neulich in New York
Steve Wynn
Als ich mich letztes Jahr im Sommer mit Steve Wynn in New York traf, war er gerade dabei, mit Johnette Napolitano (ex-Concrete Blonde) ein Drehbuch zu schreiben. Es geht dabei um den Selbstmord eines Rock-Stars. Sowas macht der Mann im Urlaub. Da hatte er auch schon eine Spickliste mit den Titeln seiner neuen Platte in der Tasche. Die Stücke waren bereits fertig und es ging noch darum, sie aufzunehmen. Das Drehbuch liegt zwar inzwischen auf Eis - aus Zeitgründen - aber die neue Platte ist fertig. Und wie. "My Midnight" heißt das Werk und es ist die zugänglichste, poppigste und letztlich auch beste Platte geworden, die Steve bisher unter eigenem Namen herausbrachte. Dabei hat er lediglich getan, was er bereits anläßlich seiner letzten Scheibe "Sweetness & Light" ankündigte: Eine düstere Grundstimmung, mehr Keyboards, mehr Rhythmus (Steve kaufte sich einen Baß und komponierte einige Tracks darauf) und mehr Gesang von seiner Freundin, der zur Zeit wohl weltbesten Rockdrummerin Linda Pitmon. Das war's auch schon. Herausgekommen ist eine zeitlose, klassische Pop-Rock-Platte mit einigen veritablen Hits. Wie lief die Sache denn aufnahmetechnisch ab?
Steve Wynn
"Also zunächst mal muß klar sein, daß ich kein Interesse daran hatte, eine Rockplatte zu machen. Es ging mehr um die Stücke als solches. Ich habe mit hervorragenden Leuten zusammengearbeitet - z.B. Chris Brokaw (von Come) oder Produzent John Agnello (der auch bereits "Sweetness & Light" produzierte). Wir haben in einem kleinen Studio in Hoboken (New Jersey - quasi gegenüber von New York) aufgenommen. Das ist ein Studio mit "Hausanschluß". Wir haben zusammen da drüben gewohnt. Interessanterweise waren die Zimmer dort komfortabler als unsere Appartments in New York. Jedenfalls herrschte eine hervorragende Stimmung dort. Da gab's diese Energie, die Du von jungen Bands her kennst, die darauf brennen, loszulegen - gepaart mit der Routine erfahrener Musiker. Das ist es, wonach ich suchte. Ich bin jemand, der gerne mit anderen Musikern zusammenarbeitet. Wenn ich zu Hause Demos aufnehme, langweile ich mich immer gleich, weil ich alles alleine machen muß. Ich brauche die Interaktion mit anderen."


Die Platte klingt so, als sei sie dem Hörer bereits beim ersten Durchlauf vertraut - ohne allerdings als Rip-Off bestimmter Songs oder Ideen daherzukommen.


"Ja, das mag daran liegen, daß wir uns ein wenig mehr Zeit nahmen. Nicht für die Aufnahmen - die waren wieder in 20 Tagen erledigt, wie letzes Mal - aber für die Vorbereitung. John Agnello und ich haben uns zunächst mal 2 Wochen lang unsere Lieblingsplatten vorgespielt (Steve hat mehrere tausend CDs zu Hause). Danach brauchten wir über den Sound nicht mehr zu reden. Die Songs waren ja, wie gesagt, bereits fertig. Wir haben dann im Studio die Arrangements ausgearbeitet. Die Bläser und Strings habe ich z.B. mit Joe McGinty, dem Keyboard-Spieler ausgearbeitet. Dafür mußt Du Charts und Pläne erstellen - sowas kann ich nicht. Für den Rhythmus war dann praktisch Linda zuständig..."

Steve Wynn
In der Tat ist "My Midnight" - wie schon mit Einschränkungen "Sweetness & Light" - eine Platte, die das besondere Ohrenmerk auf den Drumsound lenkt. Erwartet man ja normalerweise bei rockorientierten Tonträgern einen eher unauffälligen, straighten Backbeat, gibt es auf "My Midnight", jede Menge Finessen rhythmischer Natur zu entdecken, was daran liegt, daß Linda Pitmon eine sehr vielseitige Drummerin ist (die auch die Percussion-Parts einspielte).


"Genau. Und ich würde sagen, daß sie eine Songwriter-orientierte Drummerin ist. Sie macht z.B. nie etwas, ohne vorher die Texte gehört zu haben. Ich habe zwar manchmal gewisse Vorstellungen, aber ich muß zugeben, daß sie meist die besseren Ideen hat. Es mag auch damit zu tun haben, daß wir ein Paar sind. Du hast das öfter bei Bands dieser Art wie Yo La Tengo oder Eleventh Dream Day, da gibt's immer diese magischen Momente."


(Wen es interessiert: Linda spielt aktuellerweise auch auf "Anonymus" von Chris Cacavas, "City Lights" von Russ Tolman oder "Dear Enemy" von Dana & Karen Kletter - immer jeweils total unterschiedlich).)


Textlich geht es auf "My Midnight" etwas unspezifischer zu als noch auf der letzten Scheibe. Damals erzählte mir Steve, daß er seine Charektere nicht besonders gut kenne, sie nur manchmal treffe. Haben Sie ihm diesmal weniger erzählt, als sonst?


"In gewisser Weise schon. Die Texte sind ein wenig anders gelagert als auf "Sweetness & Light", aber nicht sehr. Sie mögen zwar simpler klingen, es ist aber ein hartes Stück Arbeit, kann ich Dir sagen. Die Texte entstehen auch ganz verschieden. "My Midnight" z.B. ist einfach ein Begriff, den ich mal vor Jahren hingekritzelt hatte. Irgendwie faszinierte mich die Idee, eine Tageszeit zu personifizieren. Musikalisch paßte es aber nie - bis wir dann diesen Song hatten - da kam dann plötzlich alles zusammen. "500 Girls Morning" habe ich für eine Frau geschrieben. Es ist eigentlich ein lesbischer Coming of Age song. War ganz schön schwierig, den selbst zu singen. Es geht dabei um Beziehungen, die man am liebsten lieber jetzt als gleich beenden möchte - sobald man das tut aber reumütig ausruft: "Halt, warte, ich möchte Dich nochmal sehen" - was praktisch in dem Song passiert. Ich klinge da auch ein wenig überdreht - was aber beabsichtigt ist. Ich weiß nicht, ob wir den Song überhaupt live spielen werden. Jedenfalls ist das der erste, der rausfliegt, wenn irgendwas nicht klappt. "Cats & Dogs" - mein Lieblingssong auf der CD und "Lay of the Land" sind eher wehmütige Betrachtungen über vergangene Zustände. Und ich denke, es ist ein wenig mehr Humor auf der Platte."


Eine Sache, die Steve sicherlich entgegenkommt, sind seine greifbaren Charaktere, insbesondere die Frauentypen, die er schildert.

Steve Wynn
"Äh ja - obwohl ich achte immer drauf, fiktive Namen zu nehmen, weil es sich ja auch um fiktive Charaktere handelt - Shelly ("Shelly's Blues" von "Melting in the Dark") ist z.B. so einer oder Mandy ("Mandy Breakdown" - vom aktuellen Album). Ich kenne zwar jemanden namens Amanda, doch sie sagte mir: "Nur zu, mich nennt niemand Mandy". Außerdem könnte Mandy noch für "Mandrax", ein Beruhignungsmittel stehen. Das wichtigste beim Songschreiben sind eh spezifische Sachen. Du mußt den Dingen einen Namen geben - "roter Chevy" z.B. anstatt "Auto" usw. dann wirkt es realistisch. Und ich finde es ist wichtig, die Charaktere natürlich sprechen zu lassen, sonst wirkt es gleich unglaubwürdig. Hinzu kommt, daß ich es mir manchmal auch erlaube, einfach mit der Sprache zu spielen. Sachen wie "Snow White & The Seven Drwarfs / Neil Yound & Crazy Horse" - das bedeutet praktisch gar nichts. Auch verwende ich manchmal eigentümliche Formulierungen: "Remember when she was a comer", bezieht sich z.B. auf "Up & Comer" - ("ein erfolgsversrechendes Talent") aus dem Sportbereich. Wenn Du sowas nicht weißt, kannst Du nur raten, worum es geht. Ich könnte ganze Platten in diesem Stil machen - aber darum geht es ja auch nicht. In der Mischung liegt die Würze."


Und diese ist Steve diesmal verdammt gut gelungen. Da gibt es simple, aber effektive Rocker, dramatische Balladen, elegische und düstere, von Keyboards getragene Mid-Tempo-Nummern und pure Popsongs. Durch funkige Bläser und einen emsigen Baß bekommt dies zuweilen gar einen souligen Touch. Dazu gibt's interessante Gitarrenstrukturen wobei sich Steve und Chris durchaus erkennbar komplementieren.


Die Songs wirken hierbei durchaus elaborierter als noch auf der letzten Scheibe. Oder liegt dies lediglich an der Produktion und dem Einsatz von Keyboards?


"Wie gesagt: Es ging ja nicht darum abzurocken. Ich denke, wir sind generell an einem Punkt angekommen, an dem es auch wieder cool sein kann, komplexere Musik zu machen, mit den den Möglichkeiten zu spielen. Quasi als Gegengewicht zu den Simplizitätsbemühungen der Grunge Kultur. Etwa so wie "progressive Rock" ohne die Kopflastigkeit dieses Genres. Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. "Deserter's Songs" von Mercury Rev - was zur Zeit meine absolute Lieblingsplatte ist. Oder auch Spiritualized. Da wird etwas gewagt, sowas mag ich."


Eines steht jedenfalls fest: Zählte bereits die letzte Tour zu den Highlights des Konzertjahres, so dürfte die kommende Umsetzung des neuen Materials der absolute Überknaller werden. Auf der Tour werden auch Chris Brokaw und Linda Pitmon dabei sein.

Ein Gruß per MP3-Datei von Steve Wynn (92KB, gezipped)

Weitere Infos:
www.stevewynn.net
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Steve Wynn
Aktueller Tonträger:
My Midnight
(Blue Rose Records)
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